Aus der Geschichte der Gruppe Arbeiterstimme

Rückblick auf 50 Jahre:

Die erste „Arbeiterstimme“ erschien am 30. Mai 1971. Die Gründung der „Gruppe Arbeiterstimme“ erfolgte am 21. November 1971 bei einer Vereinigungskonferenz der Gruppe Arbeiterpolitik Nürnberg mit der Gruppe „Unser Weg“ auf einer Konferenz in Frankfurt, an der auch Genossinnen und Genossen aus anderen Regionen teilnahmen. An der Gründungsversammlung nahmen 19 Genossinnen und Genossen teil und die Beschlüsse wurden ohne Gegenstimme angenommen. Alle Altersgruppen waren vertreten, vom ehemaligen KPO-Abgeordneten des preußischen Landtags, Alfred Schmidt, dem Redakteur von „Unser Weg“, Hermann Jahn, von Isi Abusch bis zu den Jüngeren aus der Nürnberger IG-Metall-Jugend, aus der Arpo Nürnberg auch Hans Kunz und Hans Steiger, die alles organisiert hatten. Einige aus der Nürnberger Gruppe konnten nicht teilnehmen. Der theoretisch und historisch beschlagene Genosse Udo Winkel war dabei sowie Schorse Stockmann, der Gewerkschaftsfunktionär aus Bremen, dem nach dem Krieg die Leitung der Bremer Gruppe Arbeiterpolitik zusammen mit Heinz Kundel oblag.

Zurück zu den Wurzeln: Der Werdegang der Gruppe und deren Zustand wurden wesentlich mitbestimmt von den politischen Entwicklungen in Deutschland und der Welt und von den Bewegungen, die dadurch entstanden, auch wenn diese wieder niedergingen. So haben die Gruppen, die die Arsti gründeten, auch später insgesamt vier Phasen, wie ich meine, durchschritten und durchlitten, meist in der Reihenfolge: mühsamer Aufbau – Konsolidierung – politische Enttäuschungen – Spaltungen – schwieriger Neuanfang. Der kleine Zirkel in der Wohnung von Hans Kunz, in der die Sitzungen stattfanden, umfasste anfangs meist nicht viel mehr als zehn Personen; später waren es nicht selten 28. Bei Jahreskonferenzen war die Zahl der Teilnehmenden höher, 50 bis 60, 1971 in der Wörlmühle Erlangen sogar 74.

Die Grundlagen einer neuen, marxistischen Orientierung nach Faschismus und Krieg und der verheerenden Stalinisierung in der Sowjetunion versuchten eine Anzahl kleinerer Gruppen zu legen, die meist erfolglos blieben, aber eine Zeitlang durchhielten mit der vagen Hoffnung auf eine Besserung für sozialistische Politik. Die Ära des Antikommunismus versperrte jede Möglichkeit, in der breiten Bevölkerung Anklang zu finden.

Auch die KPO-Überlebenden in Nürnberg gehörten dazu, die sich in der Gruppe Arbeiterpolitik gesammelt hatten. Karl Grönsfelder, Revolutionär und ehemaliger Vorsitzender der KPD Nordbayern, sammelte nach seinem Ausschluss aus der KPD Anfang der fünfziger Jahre eine Anzahl jüngerer Genossen um sich: Übrig geblieben waren Hans Kunz, Erich, Helmut und Hans, der 1956 dazukam (erst als Hörer, dann als „Marxismus–Lehrling“). Die Haupttätigkeiten des kleinen Kreises waren Diskussionen und die Behandlung und Erstellung von Artikeln der Arpo. Auf Außenwirkung wurde wohl auch auf Grund der schlechten Erfahrungen verzichtet. Es war auch eine gewisse Erschöpfung in ihnen, da sie als Übriggebliebene tief enttäuscht waren, nicht nur wegen ihrer Misserfolge, sondern auch über ihre eigene Vergangenheit, die kampflose Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus und über das Versagen der KPD, die die Einheitsfrontpolitik bis ganz kurz vor dem Ende der Weimarer Republik abgelehnt hatte. Da war eine gewisse Lähmung nicht zu vermeiden für jene Minderheit, die den Widerstand gegen die Faschisten geleistet hatte. Von Stuttgart aus versuchte der ehemalige Arpo-Redakteur Theodor Bergmann (Ted) uns für seine Sammlung zu gewinnen. Die Zeitschrift „Sozialismus“, die er herausgab, war aber für uns nach marxistischen Maßstäben ungenügend. Als sich nach den sogenannten Wirtschaftswunderjahren wieder ein bisschen mehr bewegte, gab es bei manchen linken Gruppen etwas mehr Auftrieb. Die Demonstrationen, an denen wir teilnahmen, häuften sich, die sozialen Proteste und die Proteste gegen die Aufrüstungspolitik, aber vor allem die Ostermärsche waren von Bedeutung. Nun war ein Teil der Jugend politisch etwas mehr in Bewegung gekommen, auch aus der Gewerkschaftsjugend. Wir vom Grönsfelder-Kreis hatten Udo Winkel für uns gewonnen, der an unseren Treffen teilnahm und dessen Wissen und Diskussionsbereitschaft auch in der Friedensbewegung für uns Früchte trug. Wir luden die Interessierten zu unseren Versammlungen ein, zu den Diskussionsabenden in Hans Kunz‘ Wohnung und zu den beginnenden Aktivitäten. Vor allem in der IGM-Jugend fanden wir Anklang. An der Durchsetzung, den gewerkschaftlichen 1. Mai zurück zur Demonstration und auf die Straße zu bringen, hatten wir wesentlichen Anteil, allein deshalb, weil wir vorher die zerstrittenen linken Gruppen zum gemeinsamen Handeln brachten. Wir konnten neue Mitglieder gewinnen. Der Durchbruch erfolgte dann durch Helmut von den Falken im Regensburger Umkreis, wo sein Einfluss auch bei den dortigen Studierenden beträchtlich war. Mit Linken in der Studentenbewegung wie in Erlangen waren wir zwar in Kontakt, aber es waren meist die Erwartungshorizonte dann doch zu verschieden. Die 68er Bewegung an den Universitäten und die großen Friedensdemonstrationen und die gegen den Vietnamkrieg hatten längst Adenauers reaktionäre Restaurationspolitik gebremst, vor allem im kulturellen Bereich. Die 1967/68er Bewegung von Teilen einer jungen Generation war indirekt auch Ausdruck einer Veränderung des weltpolitischen Kräfteverhältnisses, dem sich der Westen anpassen musste. In Bonn regierte eine „sozialliberale“ Regierung, außenpolitisch geprägt von Willy Brandts Ostpolitik, dem „Wandel durch Annäherung“ und innenpolitisch wurde 1968 wieder eine kommunistische Partei, die DKP, zugelassen. Das KPD-Verbot von 1956 wurde freilich nicht aufgehoben und auch auf die Verfolgungen von Kommunisten wurde nicht verzichtet (Berufsverbote). Doch als die Auflösungsprozesse der Außerparlamentarischen Opposition (APO) fortschritten, konnte die DKP, die zu einer echten Erneuerung und dem Bruch mit dem Stalinismus nicht bereit und fähig war, nur wenig dazu gewinnen. Es bildeten sich kommunistische Miniparteien, wie die KPD/ML, Maoisten usw., die meist ultralinks waren.

Auch die Zusammenarbeit unserer Nürnberger Arpo-Gruppe mit der Bremer und Hamburger Redaktion der Arpo blieb nicht frei von Meinungsverschiedenheiten und Richtungsstreit. Innerhalb der dortigen Gruppen gab es schwere Auseinandersetzungen über die Einschätzungen und später vor allem über die Streikstrategie auf der Klöckner-Hütte. Dabei ging es hauptsächlich um die Einschätzung und Bewertung des Kräfteverhältnisses und um die grundsätzliche Beurteilung von hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären. Der Zwist wurde so heftig, dass er zur Spaltung der Bremer Gruppe führte. Schorse Stockmann und vor allem einige ältere Genossen verließen die Gruppe. Sie wandten sich gegen deren voluntaristische Tendenzen und gaben eine hektographierte Zeitschrift heraus. 1971 gehörten sie mit zu den Gründern der „Arbeiterstimme“.

Die Nürnberger Arpo-Gruppe hatte als Begleiterscheinung des Niedergangs der APO Zuwachs erhalten, auch den äußeren Kreis erweitert und Arpo-Leser im Gewerkschaftsbereich gewonnen.

1966 war ich zu einem Besuch bei Heinrich Brandler in Hamburg und habe das verbunden mit der Teilnahme an der Arpo-Jahreskonferenz in Hamburg (Heinz Kundel / Bonno Schütter). Später hat die Nürnberger Gruppe mit einer Delegation an nachfolgenden Jahreskonferenzen teilgenommen, dabei kam es dann in Steinkimmen und später zu heftigem Streit. Es ging dabei auch um die von uns beanstandeten Streichungen und Verunstaltungen von Artikeln, ja sogar bis zu Verfälschungen, durch die dortige Redaktion. Besonders die Analysen und Gewerkschaftseinschätzungen von Pep, der nach dem Tod Brandlers wieder mitwirkte, konnten wir nicht mehr teilen. Es kam zur Spaltung der Gruppe Arbeiterpolitik und wie eingangs beschrieben zur Gründung der Gruppe und Zeitschrift Arbeiterstimme. Wir hatten auch eine Anzahl Altgenossen, meist aus der KPO, gewonnen und konnten so auch die finanzielle Basis herstellen. Besonders Isi Abusch hat für Jahrzehnte das finanzielle Fundament gelegt. Die Gruppe hatte nun, alters- und zahlenmäßig gestärkt, mehr Einfluss gewonnen. Wir konnten vor jedem 1. Mai vor den meisten Großbetrieben Nürnbergs unsere Flugblätter verteilen und den Anschein eines roten 1. Mai in Nürnberg aufrechterhalten. Von Gewerkschaftsseite wurde manches mitgetragen oder geduldet. Einige Funktionäre waren vor 1933 in der SAP gewesen. Der damalige DGB-Vorsitzende Ranzenberger war ein Zögling des KPO-Genossen Brechenmacher. Es gab in dieser Zeit viele Demonstrationen, die wir mittrugen und auch beim Zeitungsvertrieb konnten wir zulegen. Politisch hatte sich auch die Weltkarte ein Stück verändert; aber bald stellte sich heraus, dass dieser Linksruck auf zu schwachen Füßen stand. Die Stagnation im Ostblock, besonders in der Sowjetunion und in der DDR, ließen Hoffnungen auf Erneuerung im sozialistischen Sinn schwinden und in Westdeutschland ging die Aufnahmebereitschaft noch mehr zurück. Auch in der Gruppe wurden die Zweifel stärker, ob die Hoffnung auf eine sozialistische Perspektive in Deutschland noch angebracht sei. In der Gruppe ließ das Erkennen der Notwendigkeit einer theoretischen Arbeit mit marxistischer Herangehensweise zu wünschen übrig. Vielleicht konnte eine geteilte Schulung weiterhelfen. Nun gab es wöchentlich zwei Möglichkeiten: den meist unvorbereiteten Montagskreis mit allgemeinen Diskussionen, der die größere Besucherzahl auswies. Der Freitagskreis, dem ich angehörte, stellte die marxistische Schulung in den Vordergrund. Statt einer Annäherung beider Kreise stellte sich heraus, dass der Montagskreis wenig Fortschritte dabei machte, das marxistische Niveau zu erhöhen. So lief es in die falsche Richtung und die Ansprüche wurden noch mehr zurückgeschraubt. Es lief darauf hinaus, dass die Artikel an marxistischer Substanz einbüßten. Wir stellten uns dagegen und sahen die Gefahr, dass Gruppe und Zeitung ihren Hauptsinn dann verloren hätten. Die Auseinandersetzungen wurden immer schärfer und führten schließlich zur Spaltung der Gruppe. Weil diese auch in der „Arbeiterstimme“ ausgetragen worden waren, konnten wir nach der Spaltung 1975 Zugang zu ganz neuen Mitkämpfern finden. Nach einiger Zeit anstrengender Bemühungen, wo die Gefahr bestand, dass für die Gruppe alles zu Ende ist, haben wir noch einmal einen Neuanfang fertiggebracht, mit Zuwachs aus der Oberpfalz und anderswo.

Der Charakter der jetzigen Gruppe ist etwas verschieden von früher. Wir haben nun mehr Akademiker in unseren Reihen, aber die Arbeiterstimme hat fast keine Arbeiter mehr. Wir haben weiterhin Beziehungen mit der Gruppe International Dorfen und auch seit einigen Jahren wieder mit der Gruppe Arbeiterpolitik, mit der wir auch Artikel austauschen. Was darüber hinaus geht, würde strukturell an unsere Grenzen stoßen. Trotz unserer personellen Schwäche meine ich: Auch wenn es mühsam ist, wir sind auf dem richtigen Weg!

Hans Steiger