Im Jahr 2018 wurde am Rande der damaligen Tarifbewegung zwischen den Vorständen der IG Metall und Gesamtmetall vereinbart, die offene Arbeitszeitfrage in Ostdeutschland anzugehen. Dort arbeiten die Beschäftigten nach der Streikniederlage von 2003 noch immer 38 Stunden in der Woche, drei Stunden mehr als im Westen der Republik. Allerdings wurde die Rechnung ohne den Wirt, d.h. ohne die beiden ostdeutschen Arbeitgeberverbände gemacht. Sachsens Arbeitgeberpräsident Brückner ließ sich zwar auf Tarifgespräche ein, vertrat aber dort, dass der Westen zur 38-Stunden-Woche zurückkehren und sich dem Osten angleichen solle und nicht umgekehrt. Es fanden sechs Gesprächsrunden statt, die ergebnislos endeten. Unter diesen Voraussetzungen mussten die Verhandlungen scheitern. Das geschah dann auch Anfang Oktober des Jahres.
Doch nun scheint guter Rat teuer zu sein. Wie soll es weitergehen? Oliver Hövel, Bezirksleiter bis Mitte des Jahres, verkündete: „Die Beschäftigten werden sich das nicht gefallen lassen. Jetzt werden wir Betrieb für Betrieb die Arbeitszeitverkürzung angehen“. Bis zum heutigen Tage ist allerdings nirgendwo etwas angegangen worden. Die Lage ist auch mehr als kompliziert. Nicht zuletzt durch die Streikniederlage in Sachsen im Jahr 2003 wurde die IG Metall stark geschwächt. So hat z.B. die Branche in Sachsen 1700 Unternehmen. Aber nur rund 140 davon haben eine Tarifbindung. So bekommt nur die Hälfte der 190.000 Beschäftigten der Branche tarifliche Leistungen. Ein weiteres Problem ist die Größe der Betriebe. Hier hat vor allem die Treuhandanstalt ganze Arbeit geleistet. Durch ihr Handeln wurden die großen Kombinate systematisch in Einzelteile zerlegt und diese dann verscherbelt. So haben heute in Ostdeutschland 67,5 Prozent der Betriebe weniger als 500 Beschäftigte. Die meisten davon haben nicht nur keine Tarifbindung, sondern auch keinen Betriebsrat. Betriebsrats- und Gewerkschaftsengagement wird dort von den Unternehmern häufig massiv bekämpft. Die Folge davon ist, dass es in den Kleinbetrieben nur wenige Gewerkschaftsmitglieder oder oft gar keine gibt. Die IG Metall ist in solchen Betrieben natürlich nicht handlungsfähig. Aber auch in den größeren Betrieben sieht es nicht gut aus. Mit Organisationsgraden zwischen unter 30 und 40 Prozent ist ein Betrieb nicht streikfähig. Alleine in der Automobilindustrie in Zwickau, Chemnitz und Leipzig ist die Gewerkschaft so aufgestellt, dass sie zu einem Erzwingungsstreik in der Lage wäre. Das ist es wohl auch, was der Bezirksleiter Hövel mit dem „Kampf Betrieb für Betrieb“ meinte. Das Problem dabei ist, dass, würde die Arbeitszeitverkürzung in diesen Betrieben durchgesetzt, dann allerdings alle anderen Betriebe auf Dauer bzw. lange Zeit vollkommen von einer weiteren Arbeitszeitverkürzung abgehängt wären. Ein Teufelskreis, denn dann würde die Gewerkschaft in den verbleibenden Betrieben noch schwächer, als sie es ohnehin schon ist.
Mitte Oktober tagte die Tarifkommission des Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen. In der Metallzeitung wird berichtet, dass den Beschäftigten die Angleichung der Arbeitszeit weiter unter den Nägeln brennt. Dazu meinte die Bezirksleiterin Birgit Dietze (im Oktober gab es einen Wechsel in der Bezirksleitung):
„Wir tragen – auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 – eine gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung".
Dieser Satz kann nur als Appell an die Unternehmer und die Bundesregierung verstanden werden, in „gemeinsamer gesellschaftlicher Verantwortung“ dafür zu sorgen, dass die Entgelt- und Arbeitsbedingungen an die des Westens angeglichen werden. Das ist ein frommer Wunsch, denn das wird nicht geschehen. Für die abhängig Beschäftigten wird niemand etwas richten, schon gar nicht die Unternehmer oder die Bundesregierung. Das müssen die KollegInnen in den Betrieben schon selbst tun. Bei ihnen muss die Erkenntnis reifen, dass es an ihnen liegt, ihre Arbeits- und Entgeltbedingungen zu verbessern. Solange das nicht geschieht, wird auch die Arbeitszeitfrage eine offene Baustelle bleiben.
Denn: „es rettet uns kein höh'res Wesen…uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“
5. Okt.2020