In diesem Beitrag geht es nicht um den Anspruch, die Außenpolitik der neuen US-Administration in ihrer Gesamtheit darzustellen. Das wäre auch verwegen. Schließlich ist seit der zweiten Amtszeit von Donald Trump viel Bewegung entstanden, wobei noch kaum erkennbar ist, wohin diese führen wird. Was sich jedoch schon deutlich abzeichnet, sind Veränderungen der US-Politik gegenüber den anderen NATO-Staaten. In der Winterausgabe der ARSTI von 2024 ist ein Artikel überschrieben mit „Vor der zweiten Amtszeit von Donald Trump“. Darin wird auch kurz auf zu erwartende Schwerpunktsetzungen der neuen Administration in der Außenpolitik hingewiesen: „Außenpolitisch wird die Konfrontation mit China weitergehen und eher noch an Schärfe zunehmen. Ebenfalls wird die Unterstützung Israels fortgesetzt werden, noch bedingungsloser als jetzt. Die europäischen NATO-Verbündeten werden größerem Druck ausgesetzt sein, sich bei Militär und Rüstung finanziell stärker zu engagieren.“ Leider scheinen sich alle Befürchtungen zu bestätigen. Trumps Vorgehen im Nahen Osten im Zusammenhang mit dem Agieren Israels ist ein eigenes Thema, das einer gesonderten Einschätzung bedarf. Hier nur soviel: Die israelische Luftwaffe darf Nachbarländer mit und ohne Unterstützung durch die USA nach Belieben angreifen: Gaza, Libanon, Syrien, Irak, Jemen, Iran, Katar. Wer glaubt, dies geschieht vorwiegend ohne Zustimmung der US-Administration, liegt falsch. Der Schwanz wedelt nicht mit dem Hund. Skrupellos kann die israelische Regierung die Vertreibung der Palästinenser propagieren, und die genozidalen Verbrechen in Gaza können ernsthaft von niemandem mehr bestritten werden. Auch wenn in Gaza das aktuelle Waffenstillstandsabkommen etwas Entspannung gebracht hat, ist die Situation der palästinensischen Bevölkerung dort weiterhin desaströs und perspektivlos. Der deutschen Regierung fällt nach wie vor nichts Besseres ein, als auf die Staatsräson zu verweisen und die kurzzeitig gestoppten Waffenlieferungen an Israel wieder aufzunehmen. Mit dieser Haltung hat sich die deutsche Regierung international isoliert. Was den Russland–Ukraine–Krieg betrifft, ist Trumps Verhalten schwankend. Jederzeit ist eine Kehrtwende möglich. Ob der sog. 28 bzw. inzwischen 19-Punkte-Plan der USA ein Schritt zur Beilegung des Konflikts sein kann, werden die nächsten Wochen zeigen. Die europäischen NATO-Staaten wollen sich dafür nicht begeistern. Schon zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ließ Donald Trump keinen Zweifel darüber aufkommen, in welche Richtung sich seine Außenpolitik unter MAGA-Vorzeichen entwickeln wird. Drohungen in alle Richtungen gehören dabei zum Geschäftsmodell. Manche davon haben eine kurze Halbwertszeit. Auch das muss man wissen. Unbestritten dürfte sein: Die Konfrontation mit China hat oberste Priorität. So drohte er bereits in den ersten Amtstagen Panama die gewaltsame Übernahme des Kanals an, falls der Einfluss chinesischer Firmen nicht eingedämmt werde. Die Monroe-Doktrin lässt grüßen! Warum gerade das kleine Panama? Panama war das erste lateinamerikanische Land, das der Belt and Road Initiative (BRI) bzw. Neuen Seidenstraße im Jahr 2017 beigetreten war. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Panama nach einem Besuch des US-Außenministers Marco Rubio im Februar dieses Jahres die Teilnahme kündigte, d.h. kündigen musste. Besonders aggressiv verhält sich die US-Administration gegenüber den beiden südamerikanischen Staaten Venezuela und Kolumbien. Vor der Küste werden regelmäßig Boote samt Insassen versenkt. Die Begründung, es handle sich um Drogenboote, greift nicht, da es sich um extralegale Hinrichtungen handelt. Venezuela bereitet sich auf eine Invasion vor und kann sich dabei auf Aussagen des US-Präsidenten beziehen, die dieser bereits mit einem entsprechenden Truppenaufmarsch unterfüttert hat. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro haben die USA das US-Visum entzogen. Immerhin ist Kolumbien als einziges lateinamerikanisches Land mit der NATO assoziiert. Auch Trumps Äußerungen zu Grönland und Kanada sorgten für internationale Aufmerksamkeit. Zu Grönland, das immer noch völkerrechtlich Teil Dänemarks ist, bemerkte er vor dem US-Kongress unverblümt: „Ich denke, wir werden es so oder so bekommen, wir werden es bekommen.“ Im Gegensatz zu Grönland schloss er bei Kanada militärische Gewalt aus. Dass beide Staaten Gründungsmitglieder der NATO sind, stört Trump offensichtlich nicht. Vielleicht weiß er es auch nicht. Man darf US-amerikanische Präsidenten intellektuell nicht überschätzen. Wer Trumps einstündige Rede vor der UNO-Vollversammlung aufmerksam verfolgt hat, wird mir Recht geben. Jeffrey Sachs bezeichnete sie „von Anfang bis Ende ein wirres, lügenhaftes Geschwafel zu allen nur erdenklichen Themen“. Womit wir bei der NATO, der Nordatlantischen Vertragsorganisation, sind.
Ist die NATO ein Verteidigungsbündnis?
Gegründet wurde die NATO im Jahr 1949 mit 12 Staaten. Heute gibt es 32 Mitgliedsstaaten. Es hat also fast eine Verdreifachung der Mitgliedsstaaten stattgefunden. Die BRD ist am 6. Mai 1955 dem Bündnis beigetreten und komplettierte damit ihre Westbindung. Wer könnte diese Frage, ob die NATO ein Verteidigungsbündnis ist, besser beantworten als ihr Generalsekretär Mark Rutte. Er sieht das so: „Die NATO ist das mächtigste Militärbündnis in der Geschichte der Menschheit. Es ist sogar mächtiger als das Römische Reich. Und mächtiger als Napoleons Reich.“ Wer wollte ihm da widersprechen? Die Fakten geben ihm Recht. Das Zitat geht aber noch weiter. Und darin steckt ein Widerspruch, der meistens nicht zur Kenntnis genommen wird: „Wir sind das mächtigste Verteidigungsbündnis der Welt.“ Was nun, Herr Rutte? Militärbündnis oder Verteidigungsbündnis? Weder das Römische Reich noch Napoleons Reich waren Verteidigungsbündnisse. Oder vielleicht doch? Immerhin ging es auch zu damaligen Zeiten um die Verteidigung der Interessen der herrschenden Klassen. Noch eine gewichtige Stimme zum Thema. Christian Badia, bis vor kurzem ranghöchster NATO - General der Bundeswehr stellte klar: „Die NATO ist kein defensives Verteidigungsbündnis und hat nur defensive Waffen. Wir müssen offensiv gehen.“ Natürlich alles für die Sicherung des Friedens. Dafür werden die NATO und ihr Generalsekretär Mark Rutte den hochdotierten Westfälischen Friedenspreis 2026 erhalten. Halten wir also fest: Die NATO ist ein Militärbündnis, und der Feind der europäischen NATO-Staaten ist Russland. Eine Meldung der Berliner Zeitung vom 25. August ließ aufhorchen. Unter der Überschrift „Trump will Pentagon in Kriegsministerium umbenennen“, wurde von Plänen berichtet, das Verteidigungsministerium in „Department of War“ umzubenennen. So hieß es auch schon bis 1949. Damals wollte Präsident Harry S. Truman die militärische Ausrichtung weniger aggressiv erscheinen lassen. Seitdem heißt es „Department of Defense.“ Am 5. September unterzeichnete Donald Trump ein Dekret, das dem Verteidigungsministerium erlaubt, den Zweittitel Department of War zu verwenden. Für eine formelle Umbenennung ist noch ein Beschluss des Kongresses erforderlich. Pete Hegseth, dem aktuellen Fachminister, scheint es auch ein persönliches Anliegen zu sein, sich als Kriegsminister bezeichnen zu dürfen. Apropos Pete Hegseth. Er ist ein hochdekorierter Militär mit Einsätzen in Guantanamo, im Irakkrieg und in Afghanistan. Er ist ein anderes Kaliber als sein Chef Donald Trump, der sich zur Zeit des Vietnamkrieges mit fünf fadenscheinigen Wehrdienstbefreiungen der Einberufung entzogen hatte. Er war auch auf keiner Militärakademie, wie manchmal behauptet wird. Pete Hegseth stellte am 31.Mai klar; „Präsident Trump hat mir einen klaren Auftrag gegeben: Frieden durch Stärke zu erreichen. Um diese Mission zu erfüllen, waren unsere übergeordneten Ziele klar: das Ethos der Krieger wiederherzustellen, unser Militär wieder aufzubauen und die Abschreckung wiederherzustellen.“ Was meint er damit? „Wir rüsten amerikanische Jäger so aus, dass wir die stärkste und tödlichste Kampftruppe der Welt haben.“ Wobei nach Hiroshima und Nagasaki an dieser Absicht schon bisher nie ein Zweifel bestand. Nicht zu vergessen: Hegseth ist Chef von 3,4 Millionen Soldaten und verfügt über ein Jahresbudget von ca. 850 Milliarden Dollar. Und spätestens seit dem Krieg gegen den Terror, wie sie es nennen, halten sich die US-Streitkräfte mit ihrem Drohnenkrieg noch weniger an das Völkerrecht gebunden als bisher. Zwar hatte sich die NATO im Artikel 1 des NATO-Atlantikvertrages verpflichtet, „nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen alle internationalen Streitigkeiten, an denen sie beteiligt sein könnte(n), mit friedlichen Mitteln beizulegen“, aber Papier ist geduldig, und die Geschichte der NATO hat damit nichts zu tun. Um es an einem Beispiel festzumachen. Portugal war Gründungsmitglied und bis 1975 eine faschistische Diktatur. Als Kolonialmacht führte das Land einen blutigen Krieg in Angola, Moçambique und Guinea-Bissau. Fast die Hälfte der Gründungsmitglieder waren Kolonialmächte ( fünf von sechs). Ein Problem für die NATO? Keineswegs.
Kommen wir zurück zur aktuellen Geopolitik. Die USA ist ein Imperium im Niedergang. Man hat sich offensichtlich übernommen. Darüber wurde schon viel geschrieben. Eine gefährliche Baustelle ist die Staatsverschuldung. Und auch die neue US-Administration hat sich diesem Problem zu stellen. Betrachtet man die Entwicklung der Staatsverschuldung, ist eine klare Tendenz festzustellen: Sie wurde seit den 1980er Jahren kontinuierlich ausgeweitet. Vor allem seit 2008 stieg das Defizit sprunghaft an und erreichte im Jahr 2009 erstmals einen Wert von fast zwei Billionen USD. Hier spielten neben der Finanzkrise auch die Irakkriege und der 20 Jahre dauernde Afghanistankrieg eine wichtige Rolle. In der Coronapandemie kam es zu einem historischen Spitzenwert von über drei Billionen USD. Die Gesamtschulden beliefen sich im Jahr 2024 auf 35,25 Billionen USD. Das Verhältnis von Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt betrug 120,8 Prozent. Angesichts dieser desaströsen Entwicklung müsste jeder US-Präsident, egal ob Republikaner oder Demokrat, Maßnahmen ergreifen. Ob nun die Fixierung auf die Zölle und die stärkere Belastung der NATO-Partner zum gewünschten Ergebnis führen, wird die Zukunft zeigen. Der Sprung von zwei auf fünf Prozent ist reine Willkür mit Ansage
Kaum war Donald Trump zum zweiten Mal ins Weiße Haus eingezogen, setzte er eine Zahl in die Welt, die aufhorchen ließ: fünf Prozent für‘s Militär. Es hätten auch vier oder sechs Prozent sein können. Nein, Trump hatte sich für die Zahl fünf entschieden. Bei welcher Gelegenheit setzte Trump diese Zahl in die Welt? Es war der 23. Januar 2025, der dritte Tag seiner neuen Amtszeit. Ein Journalist wies ihn darauf hin, dass die Vereinigten Staaten selbst keine fünf Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben. Trump, um keine Antwort verlegen, erwiderte: „Ich bin nicht einmal davon überzeugt, dass wir irgendetwas ausgeben sollten, aber wir sollten ihnen helfen.“ Dann kam von ihm noch eine klare Ansage: „Sie müssen ihren Standard von zwei auf fünf Prozent anheben, ja.“ Generalsekretär Mark Rutte, vormals langjähriger niederländischer Ministerpräsident, konnte sich für das Diktum des US-Präsidenten durchaus erwärmen. Noch mehr Geld für die Rüstungshaushalte? Warum nicht. Noch vor dem NATO-Gipfel tat er der Öffentlichkeit kund: „Ich erwarte, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Alliierten (!) auf dem Gipfel in Den Haag darauf einigen, fünf Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben. Es wird eine NATO-weite Verpflichtung und ein entscheidender Moment für das Bündnis sein.“ Eine Verpflichtung? Eine rechtlich zwingende gibt es nicht. Der Nordatlantikvertrag von 1949 enthält keine bindenden Vorgaben. Von daher entscheidet jeder Mitgliedsstaat autonom. Man geht allerdings vom Konsensprinzip aus, zumindest auf dem Papier, und hofft auf eine Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten. Vorreiter will die deutsche Bundesregierung sein, die den Beschluss bereits bis 2029 umzusetzen gedenkt. Spanien z.B. wird den 5-Prozent-Standard nicht umsetzen. Ministerpräsident Pedro Sanchez lehnte in einem Brief an Rutte die Unterschrift als „unangemessen“ und „kontraproduktiv“ ab. Trump reagierte auf die Unbotmäßigkeit in gewohnter Art mit Beschimpfungen und Drohungen in Richtung höherer Zölle. Das war‘s dann aber auch. Was die Zolldrohungen betrifft, sind die einzelnen EU-Staaten nicht die Verhandlungspartner der USA. Das wird und wurde bereits auf EU-Ebene ausgehandelt. Das Ergebnis ist bekannt. Donald Trump ist mit Drohungen großzügig. Im Februar 2024 drohte er bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei damit, NATO-Staaten, die das zwei-Prozent-Ziel nicht einhielten, nicht mehr vor Russland zu schützen. Er hat schon während seiner ersten Amtszeit gelegentlich Äußerungen getätigt, er könne sich aus Europa zurückziehen. Das hat zu öffentlichen Spekulationen geführt und diente zur Beschleunigung der Aufrüstungseuphorie in den europäischen NATO-Staaten.
Was wurde auf dem NATO-Gipfel in Den Haag am 24./25. Juni beschlossen?
Das 5-Prozent-Ziel wurde in aufgesplitterter Form beschlossen. Man sprach jetzt von Kernverteidigungsaufgaben, auf die 3,5 Prozent entfallen sollten und von verteidigungsrelevanten Investitionen, für die 1,5 Prozent vorzusehen seien. Außerdem verpflichteten sich die europäischen Staaten und Kanada, künftig über 60 Prozent der konventionellen NATO-Fähigkeiten zu stellen, wobei Deutschland das zweitgrößte Paket hinter den USA übernimmt. Unter NATO-Fähigkeiten versteht man alles, was für den militärischen Einsatz notwendig ist: Kampf- und Cyberfähigkeiten, Logistik und Infrastruktur, Sanitätsdienste, Kommunikation und Führung, Spezialkräfte und Resilienz. Und wenn Deutschland schon das zweitgrößte Paket übernimmt, ist es nur logisch, dass die Bundeswehr eine besondere Stellung innerhalb der NATO bekommt. Sie ist ja auch zentrales Element der NATO-Ostflankenstrategie. Wie sagte doch Friedrich Merz am 14. Mai im Bundestag: „Die Bundeswehr muss die stärkste Armee in Europa werden.“ Um das Realität werden zu lassen, soll ein „Personalaufwuchs“ auf 460 000 Soldatinnen und Soldaten (einschließlich Reserve) erfolgen. Ebenso der Aufbau industrieller Kapazitäten im Rüstungsbereich, sprich eine starke Rüstungsindustrie. Als Beispiel dient das neue Werk der Firma Rheinmetall im niedersächsischen Unterlüß, das ab 2027 jährlich 350 000 Granaten produzieren soll. Das sind Geschosse mit einer Reichweite von bis zu 40 km. Mit dem Anspruch, stärkste Armee Europas zu werden, steht Deutschland allerdings nicht allein. Auch die polnische Regierung hat diesen Anspruch und unterfüttert ihn mit dem massiven Ankauf von US-amerikanischen und südkoreanischen Panzern.
Europäische Rüstungsindustrie: Theorie und Praxis
Widerspricht dieser Ankauf nicht der Absicht der europäischen NATO-Staaten, eine eigene gesamt-EU-europäische Rüstungsindustrie zu entwickeln und damit auch die Wirtschaftskrise im Rahmen eines Rüstungskeynesianismus in den Griff zu bekommen? Ja und nein. Die gemeinsame europäische Rüstungsindustrie steckt noch in den Anfängen und kämpft mit diversen Schwierigkeiten. Außerdem sind Rüstungsgüter seit dem Russland-Ukraine-Krieg Mangelware. Der Markt kann derzeit nicht genügend Rüstungsgüter liefern. Am besten aufgestellt ist der militärisch-industrielle Komplex der USA mit den fünf größten Rüstungsfirmen der Welt. 78 Prozent der neuen Rüstungskäufe erfolgen außerhalb der EU, schwerpunktmäßig in den USA. Diese Abhängigkeit von den US-amerikanischen Rüstungsfirmen wird sich nicht so schnell verringern. Dafür spricht auch die Erfahrung mit europäischen Projekten, die nur langsam vorankommen. Einige Beispiele: Ein Projekt, das die europäische Rüstungsintegration voranbringen sollte, ist der Kampfhubschrauber Tiger, ein Joint Venture der französischen Firma Aerospatiale und der deutschen MBB. Der aktuelle Stand beim Tiger ist für Rüstungsfetischisten unerfreulich. Technische Probleme wie undichte Treibstofftanks führen zu niedriger Einsatzbereitschaft. Im Jahresdurchschnitt sollen von den 53 vorhandenen Tigern 11,6 einsatzbereit gewesen sein. Man hätte sich auch weiterhin auf den weltweit bewährten Boeing AH-64 Apache verlassen können. Sein Anschaffungspreis beträgt ca. 20 Millionen USD, während der Tiger ca. 31 Millionen USD kostet. Ähnlich desaströs gestalten sich die Vorhaben bei der Marine. Auch hier ist von Pannenprojekten die Rede. Insgesamt sieben neue Fregatten F 126 harren der Produktion. Sie sind mit über acht Milliarden Euro veranschlagt. Von Softwareproblemen ist beim niederländischen Konsortium die Rede. Keines der Schiffe ist bisher ausgeliefert. Beim Future Combat Air System (FCAS), einem überaus ambitionierten, integrierten Luftkampfsystem, an dem Firmen aus verschiedenen europäischen Ländern, vor allem Deutschland, Frankreich und Spanien, arbeiten, gibt es ein Gerangel um die Führungsrolle und um die prozentuale Aufteilung der Industrieanteile. FCAS soll das Leuchtturmprojekt der europäischen militärischen Zukunftstechnologie werden. Greenpeace schätzt die Kosten auf etwa zwei Billionen, wobei man mit Zahlen vorsichtig sein sollte. Ein Projekt wie dieses kann niemand kostenmäßig realistisch einschätzen. Einig sind sich alle nur, dass es sich hier um irrsinnig hohe Ausgaben handeln wird. Seit einem Vierteljahrhundert wird am Konzept gearbeitet. Aber es hakt regelmäßig. Noch kaufen NATO-Staaten Kampfflugzeuge in den USA. Wenn die Truppe von Herrn Pistorius möglichst schnell „kriegstüchtig“ werden will, wird das mit FCAS nicht zu machen sein.
Wie reagierte die NATO auf die Annexion der Krim durch Russland?
Am 18. März 2014 hatte Wladimir Putin offiziell den Anschluss der Halbinsel an die russische Föderation verkündet. Das war eine Steilvorlage für die NATO, der Öffentlichkeit eine neue Runde der Aufrüstung schmackhaft zu machen. Im September desselben Jahres trafen sich die NATO-Vertreter auf ihrem Gipfel in Wales und verabschiedeten die Wales Summit Declaration mit dem Schwerpunkt, mindestens zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung auszugeben. Staaten, die dieses Ziel noch nicht erreichten, sollten sich innerhalb von zehn Jahren darauf zubewegen. 2014 hatten nur die USA, Griechenland und Großbritannien die zwei Prozent bereits erfüllt. Zehn Jahre später erreichten lt. NATO-Angaben 23 von 32 Mitgliedsstaaten das Ziel. Spitzenreiter war Polen mit vier Prozent. Es folgten Estland mit 3,43 Prozent, die USA mit 3,38 Prozent, Lettland mit 3,15 Prozent, Griechenland mit 3,08 Prozent und Litauen mit 2,54 Prozent. Deutschland erreichte mit 2,1 Prozent den 10. Platz. Die hinteren Plätze belegten Spanien mit 1,4 Prozent, Belgien mit 1,3 Prozent und Luxemburg mit 0,96 Prozent. In Spanien sind linke Parteien an der Regierung beteiligt. So z.B. die Izquierda Unida (IU), die den Austritt aus der Regierungskoalition androhte, sollte sich die Regierung dem 5-Prozent-Ziel verpflichten. Auch Podemos und Sumar lehnen den Aufrüstungskurs ab. In Belgien ist die Mitte-Rechts-Regierung in der Aufrüstungsfrage gespalten. Teile der Regierung befürchten eine Verschärfung der Haushaltsprobleme. Die EU hat 2024 gegen Belgien ein Defizitverfahren eingeleitet, weil es gegen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstößt. Erlaubt ist ein Haushaltsdefizit von 3 Prozent, Belgien hat 4,4 Prozent. Außerdem ist die Staatsverschuldung zu hoch. Die Schuldenquote liegt bei ca. 106,1 Prozent des BIP, erlaubt ist ein Grenzwert von 60 Prozent. Belgien muss jetzt bis November einen Haushaltsplan vorlegen, der belegt, wie eine Defizitreduzierung erreicht werden kann. Und das bei massiver Steigerung der Rüstungsausgaben? Eine Rechnung, die nicht aufgehen kann, außer man nimmt eine Anleihe in kreativer Haushaltsführung beim Nachbarn Deutschland. Belgien ist zwar eines der kleinen Länder, aber Brüssel ist die Zentrale der NATO. Seit 1967 befindet sich das Hauptquartier der NATO in der belgischen Hauptstadt. Ebenso ist hier der Sitz des Nordatlantikrats, des höchsten politischen Entscheidungsgremiums mit dem Generalsekretär. Jeder Mitgliedstaat unterhält eine nationale Delegation mit einem Botschafter, der seinen Staat im Nordatlantikrat vertritt. Mit diesen Institutionen nimmt Belgien eine Sonderstellung ein.
Wie soll nun die neue Arbeitsteilung im NATO-Bündnis aussehen?
877 Militärstützpunkte (Stand Mitte 2025) in 95 Ländern mit etwa 190 000 Soldaten bringen den US-Haushalt in immer größere Schieflage. Um hier Abhilfe zu schaffen, sollen die übrigen NATO-Staaten in die Pflicht genommen werden. Pete Hegseth, Trumps Verteidigungs- bzw. Kriegsminister, machte dazu eine aufschlussreiche Bemerkung: „Wir glauben immer noch, dass das „N“ für Nordatlantik steht und dass unsere europäischen Verbündeten ihren komparativen Vorteil auf dem Kontinent maximieren müssen. Und dank Präsident Trump tun sie das. Und weil unsere Verbündeten die Last teilen, können wir uns verstärkt auf den Indopazifik konzentrieren, denn das ist unser vorrangiger Schauplatz“. Was heißt das? Die USA werden sich – und das ist bereits erkennbar – peu a peu vom ukrainischen Kriegsschauplatz verabschieden, nachdem die Wirtschaftsverträge für die Nachkriegszeit unter Dach und Fach sind. Natürlich liefert man weiterhin Kriegsgerät, das von den europäischen „Freunden“ zu bezahlen ist. Die weitere Finanzierung des Krieges - sollte er nicht zeitnah zu beenden sein - wird den europäischen NATO-Staaten überantwortet. Diese nehmen ihre Rolle ohne großes Murren an, wie den Worten von Generalsekretär Rutte zu entnehmen war: „Also geben wir mehr aus, damit die USA sich Schritt für Schritt zum Beispiel dem Indopazifik zuwenden können“. Noch vor dem NATO-Gipfel in Den Haag ließ Rutte den US-Präsidenten wissen:“Du wirst etwas erreichen, was kein amerikanischer Präsident in Jahrzehnten geschafft hat.“ Aber Trump wäre nicht Trump, wenn er mit diesem sehr vorteilhaften Ergebnis vollends zufrieden wäre. Wenn schon die europäischen NATO-Staaten plus Kanada (außer Spanien) dem Fünf-Prozent- Standard beipflichten, warum nicht auch die anderen Verbündeten der USA? Elbridge Colby ist Hegseths Stellvertreter, darf sich also jetzt stolz stellvertretender Kriegsminister nennen. Auf X führte er dazu aus: „Es gibt eine sehr starke Verpflichtung der NATO, das Ziel des US-Präsidenten von fünf Prozent der Verteidigungsausgaben zu erreichen. Dies ist der neue Standard für unsere Verbündeten auf der ganzen Welt, insbesondere in Asien.“ (31.Mai, also vor dem NATO-Gipfel). Man mag sich wundern. Gibt es da nicht Regierungen, die man erst befragen müsste, ob die einen so weitreichenden Einschnitt in ihren jeweiligen Haushalt akzeptieren wollen? Oder betrachtet man die Verbündeten als Vasallen, die das zu tun haben, was ihnen das Weiße Haus und das Pentagon vorschreiben? Die Staaten, um die es geht, sind von dem Fünf-Prozent-Standard weit entfernt. Am weitesten Japan und die Philippinen mit 0,93 bzw. 1,0 Prozent. Aber auch Neuseeland mit 1,5 Prozent und Australien mit 1,9 Prozent liegen unter der Zwei-Prozent- Marke. Nur Südkorea leistet sich mit 2,7 Prozent deutlich mehr für‘s Militär. Mit der Insel Taiwan meint es Trump besonders gut und fordert gleich das Doppelte, nämlich 10 Prozent des BIP. Nach aktuellem Stand wären das etwa 78 Milliarden USD bei einem Haushalt von etwa 97 Milliarden. Setzen sich die USA mit diesen Vorstellungen durch – und vieles spricht dafür - rollt in den nächsten Jahren eine ungeheure Aufrüstungswelle, manche sprechen auch von einem Tsunami, über die nationalen Haushalte aller am globalen Konflikt beteiligten Staaten hinweg. Im Jahr 2024 gaben die NATO-Staaten zusammen 1506 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus. Wenn das Fünf-Prozent-Ziel umgesetzt ist, verdoppelt sich diese Zahl in etwa. Zahlen dieser Größenordnung übersteigen unsere Vorstellungskraft. Vieles spricht dafür, dass dieser Wahnsinn in einem großen Krieg enden wird, wie es der Historiker Eric Hobsbawm (1917-2012) vor 16 Jahren schon befürchtete: „Meine geschichtliche Erfahrung sagt mir, dass wir uns...auf eine Tragödie zubewegen. Es wird Blut fließen, mehr als das, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde.“ Kein erfreulicher Ausblick, aber es hat keinen Sinn, die Augen vor der bitteren Realität zu verschließen. Trotz alledem ist Resignation nicht angesagt. Noch besteht die Möglichkeit, das Ruder herumzureißen. Wie realistisch es ist, sei dahingestellt.
hd (aktualisierte Fassung: 27.11.2025)