Auf dem Parteitag am 26. und 27. Februar wurden Janine Wissler, die hessische Landtagsfraktionschefin, und die thüringische Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow zur neuen Doppelspitze der Partei Die LINKE gewählt. Auf dem coronabedingt mehrfach verschobenen Online-Parteitag erhielt Wissler 84,2 Prozent der Stimmen. Hennig-Wellsow brachte es auf 70,5 Prozent (sie musste sich allerdings gegen zwei Gegenkandidaten durchsetzen). Auch die stellvertretenden Vorsitzenden und der Parteivorstand wurden neu gewählt. Katja Kipping und Bernd Riexinger traten, entsprechend den Statuten der Partei, nach neun Jahren Parteiführung zurück.
Janine Wissler ist dem linken Spektrum der Partei zuzurechnen. Sie engagierte sich in ihrer Jugend bei Attac, später bei der trotzkistischen Gruppe Linksruck, inzwischen Marx 21. Wissler ist aus dem trotzkistischen Netzwerk ausgetreten, was sie nicht als Distanzierung verstanden wissen will. Aber als Parteichefin sei es einfach nicht üblich, Mitglied einer solchen Organisation zu sein. Einem bundesweiten Regierungsbündnis aus der LINKEN, der SPD und den Grünen steht sie eher skeptisch gegenüber, wobei sie jedoch nicht grundsätzlich gegen Regierungsbeteiligungen ist. Zur Friedenspolitik spricht sie deutliche Worte und gibt sich beim Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr kompromisslos.
Wissler ist bündnisorientiert; sie weiß, dass die LINKE auch außerparlamentarisch agieren muss. Deswegen sucht sie die Verbindung zu außerparlamentarischen Gruppen und Bewegungen, den Gewerkschaften und auch zu Klima-, Mieter- oder migrantischen Bewegungen.
Wissler gehört zu den Politikerinnen, die vom sogenannten NSU 2.0 Morddrohungen bekommen haben, die rechtsextremen Polizeibeamten zugeschrieben werden.
Susanne Hennig-Wellsow steht für die Bereitschaft der LINKEN zur Regierungsbeteiligung im Bund und bringt Regierungserfahrung mit. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagte sie dazu am 26.2. „, … es lohnt sich, dass die LINKE da mitmischt, ich möchte, dass die LINKE darauf vorbereitet ist … Rot-Rot-Grün hat mehr Gemeinsamkeiten als Schwarz-Grün.“ Erst nach mehrmaligem Nachfragen des Moderators, wie sie es denn mit der Forderung der LINKEN zum Austritt aus der NATO halte, rang sie sich zu einem „ich will das auch“ durch. Aber es muss auch möglich sein, über neue Bündnisse nachzudenken, man muss es verhandeln können und dürfen.“
In einigen Kommentaren linker Zeitschriften ist zu lesen, dass vor allem die Wahl Hennig-Wellsows ein deutliches Signal dafür sei, dass die Weichen nun verstärkt auf „Rot-Rot-Grün“ im Bund gestellt werden. Hoffnung, dass die „Basis“ das so nicht mitträgt, ziehen die Kommentatoren aus der Tatsache, dass Hennig-Wellsow nur 70,5 Prozent der Delegiertenstimmen erhalten hat, wobei ihre beiden Gegenkandidaten häufig nicht erwähnt werden.
Über die Zusammensetzung des neuen Parteivorstands zeigt sich die „Sozialistische Linke“ in der Partei besorgt. Wir zitieren aus der Erklärung vom 4. März 2021:
„… Denn dieser spiegelt weder die Pluralität der Partei noch die realen Kräfteverhältnisse in der Partei adäquat wider. Die Strömung der „Bewegungslinken“, die gemeinsam mit der AKL und dem linksliberalen Lager der Partei ein paar Dutzend Stimmen mehr mobilisieren konnte, konnte alle ihre 20 KandidatInnen für den Parteivorstand durchsetzen. Dem gegenüber sind die Vertreter der Sozialistischen Linken, der Kommunistischen Plattform oder der BAG Hartz IV sowie von Cuba Si nicht mehr in dem 44-köpfigen Gremium des Parteivorstands vertreten. … müssen wir bedauernd feststellen, dass die traditionell marxistischen, früher linkssozialdemokratischen und reformkommunistischen Kräfte, die bei der Bildung der LINKEN eine zentrale Rolle spielten, im jetzigen PV weitgehend ausgegrenzt sind.“
In der weiblichen Führungsspitze sieht die Führung der LINKEN-Bundestagsfraktion ein Signal des Aufbruchs. Dietmar Bartsch sagte der Deutschen Presse Agentur, die Chancen seien gestiegen, bei der Bundestagswahl im September zweistellig zu werden. Amira Mohamed Ali meinte, man gehe geschlossen und mit neuem Mut in das Wahljahr. Umfragen sehen die LINKE derzeit bei sieben bis acht Prozent.
Mit den Neuen in die Regierungsbeteiligung?
Katja Kipping gab der Partei noch eine deutliche Empfehlung und rief sie auf, die Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zu klären. „Denn die Zeiten verlangen von uns mehr, als einfach an der Seitenlinie zu stehen und das schlechte Spiel der anderen zu kritisieren“, sagte sie.
Die Frage ist, wie die neue Doppelspitze zu einer Regierungsbeteiligung im Bund steht. Susanne Hennig-Wellsow ist hier sehr deutlich, was kein Wunder ist, steht sie doch für das Thüringer Modell einer linken Regierungs-„macht“. Auf dem Parteitag warb sie dafür mit den Worten „Lasst uns nicht mehr warten! Die Menschen haben keine Zeit, auf uns zu warten.“ Sie sprach auch davon, CDU und CSU aus der Bundesregierung zu „vertreiben“ und meinte: „Ob schwarz-grün kommt oder rot-rot-grün, liegt auch an uns.“ Hennig-Wellsow agierte an der Seite von Bodo Ramelow, dem bis heute einzigen Ministerpräsidenten der Partei. Seit sieben Jahren führt Hennig-Wellsow den thüringischen Landesverband, seit sechs Jahren auch die Fraktion im Landtag.
Janine Wissler klingt in dieser Frage noch nicht so festgelegt. Sie hält eine Regierung aus Grünen, SPD und LINKEN für eher unwahrscheinlich und hat die Einstellung, „wir mobilisieren damit von uns weg.“ Beim Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr – dem größten Streitpunkt bei etwaigen Koalitionsverhandlungen – gibt sie sich kompromisslos. In ihrem Redebeitrag auf dem Parteitag plädierte sie dafür, anstatt eines rot-rot-grünen Koalitionsbündnisses mit SPD und Grünen viel eher die Oppositionsarbeit in den Fokus zu stellen. Grundsätzlich ist sie jedoch nicht gegen eine Regierungsbeteiligung. Sie hat in Hessen selber schon zweimal über eine rot-rosa-grüne Regierungsbeteiligung verhandelt. Allerdings gab es bei ihr dabei ganz klare Grenzlinien, die nicht verhandelbar waren.
Die Redebeiträge auf dem Parteitag machten die Uneinigkeit der Partei in dieser Frage deutlich. Es wurde davor gewarnt, Regierungspolitik mit Gestaltungsmacht zu verwechseln; oder wie man denn in einer Bundesregierung mit der SPD zusammenarbeiten könne, die man jetzt aus der Opposition heraus scharf kritisiere und die in dem Augenblick, in dem man mit ihr regiere, doch keine andere Partei sei als jetzt. Die Vorstellung als kleinste Regierungspartei Einfluss auf den Kurs einer solchen Regierung nehmen zu können, wurde als „Hochstapelei“ bezeichnet. „Wir werden nicht umgestalten, wir werden umgestaltet werden“. Andererseits gab es allerdings auch genügend Beiträge, die sich dafür aussprachen, diese Debatte zu beenden und nun zu verändern statt nur zu kritisieren.
Die alte Diskussion ist wieder die neue. Welchen Weg die LINKE in diesem „Superwahljahr“ letztlich einschlägt, soll in parteiinternen, sachbezogenen und hoffentlich solidarisch geführten Diskussionen geklärt werden, ohne dass die Partei dabei allzu großen Schaden erleiden muss. Die bürgerlichen Parteien und ihre Medien liegen schon auf der Lauer.
Zum Wahlprogramm der LINKEN
Für den Bundestagswahlkampf haben die beiden Ex-Vorsitzenden der neuen Parteiführung ein neues Wahlprogramm mit auf den Weg gegeben. Sie hatten den maßgeblich von ihnen erstellten ersten Entwurf für ein Wahlprogramm der LINKEN Anfang Februar in Berlin vorgestellt. Er steht unter der Überschrift „Zeit zu handeln: Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit!“.
Dieser Entwurf soll nach einem genau aufgestellten „Fahrplan“ in den Organisationen der Partei auf verschiedenen Treffen und Konferenzen (online) möglichst breit in der Partei diskutiert und weiterentwickelt werden. Nach abschließenden programmatischen Debatten auf einer Kreisvorsitzenden- und Aktionskonferenz im April in Bielefeld wird der Entwurf als Leitantrag veröffentlicht und damit beginnt das Antragsverfahren. Auf einem Bundesparteitag am 19./20. Juni 2021 soll das Wahlprogramm dann abschließend beraten und beschlossen werden.
In der Einleitung zum Wahlprogramm wird angekündigt, was das Ziel sein soll:
„Wir gehen in die Bundestagswahl mit einem Plan für eine gerechte Zukunft. Wir haben die Ideen für eine funktionierende, solidarische und klimagerechte Gesellschaft. Das sind für uns die Maßstäbe, in eine Regierung einzutreten oder sie zu unterstützen. Wir kämpfen dafür, einen sozial-ökologischen und friedenspolitischen Politikwechsel einzuleiten, statt die CDU weiter an der Macht zu belassen. Der Kampf um neue soziale Mehrheiten in der Gesellschaft und im Bundestag beginnt jetzt. Die LINKE ist bereit. Wir wissen, was wir ändern müssen und wie wir es bezahlen. Wir arbeiten mit allen, die Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wollen. Wir machen uns auf den Weg mit allen, die bereit sind, für ein demokratisches Land, für ein gerechtes Land, für ein solidarisches Land zu streiten. Für ein Land für alle. Auf uns kommt es an, auf jeden und jede. Lassen Sie uns gemeinsam das Land verändern.“ (Einleitung zum Wahlprogramm)
Leitlinien des Programmentwurfs
Unter dem Motto „Zeit zu handeln“ werden Leitlinien aufgestellt, die eine Zukunft im Zeichen von „Solidarität und sozialer Sicherheit, von Frieden und Klimagerechtigkeit“ gewährleisten sollen.
Eckpfeiler sind der Kampf gegen Armut und der ökologische Umbau der Wirtschaft, der „linke Green New Deal“
Dem Ausbau des Sozialstaates wird breiter Raum eingeräumt. Niemand in der Bundesrepublik soll künftig unter ein Einkommen von 1.200 Euro fallen. Anstelle von Hartz IV soll ein garantiertes Mindesteinkommen und eine sanktionsfreie Mindestsicherung eingeführt werden. Hinzu kommen eine Mindestrente und eine Kindergrundsicherung.
Der Mindestlohn soll auf 13 Euro angehoben werden. Damit geht die Linke einen Euro über die Forderungen von SPD und Grünen hinaus. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sollen zurückgedrängt werden, Leiharbeit und sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft werden. Die LINKE wirbt für ein neues Normalarbeitsverhältnis von 30 Wochenstunden mit flexibleren Arbeitszeiten.
Pflegeberufe sollen attraktiver werden. 200.000 Pflegekräfte mehr werden für Krankenhäuser und Pflegeheime gefordert. Eine gesetzliche Personalbemessung wird angestrebt sowie 500 Euro mehr Grundgehalt. Mit attraktiven Arbeitsbedingungen sollen die vielen Ausgebildeten zurückgewonnen werden. Krankenhaus- und Pflegekonzerne müssen von der Börse genommen und zurück in die öffentliche Hand geführt werden.
Im gesamten Bundesgebiet soll ein Mietendeckel nach Berliner Vorbild eingeführt werden. Das Ziel ist, die Explosion der Mieten nicht nur zu bremsen, sondern zu beenden und rückgängig machen. Der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau soll mit zehn Milliarden Euro im Jahr gestärkt werden. Mietwucher-Konzerne wie beispielsweise Vonovia und Deutsche Wohnen sollen vergesellschaftet werden.
Die LINKE will die Wirtschaft bis 2040 klimaneutral machen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird ein „linker Green New Deal" propagiert, der die ökologische Frage mit der sozialen verbindet. Mit einem staatlichen Industrie-Transformationsfonds über 20 Milliarden Euro/Jahr soll der notwendige ökologische Umbau in der Industrie, insbesondere in der Auto-Zuliefererindustrie, unterstützt werden. Von diesem Fonds sollen nur Betriebe profitieren, die Arbeitsplätze sichern, gute Löhne und flächendeckende Tarifverträge haben.
In einer "Mobilitätsrevolution“ soll der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und stufenweise kostenfrei werden. Dabei wird angestrebt, durch Investitionen von 38 Milliarden Euro jährlich in den öffentlichen Verkehr, für Radwege, Bahn und Stadtumbau mindestens 200.000 sinnvolle und gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen.
Finanziert werden soll das Umbauprogramm durch Kreditprogramme der Europäischen Zentralbank, eine Abschaffung der Schuldenbremse und durch einen Umbau des Steuersystems. Die Kosten für die gegenwärtige Krise und den notwendigen Transformationsprozess sollen Vermögende und Spitzenverdiener zahlen. Außerdem soll endlich eine Steuerpflicht für Digitalkonzerne eingeführt werden. Hinzu kommt eine Vermögensteuer, die Einkommen über eine Million Euro mit fünf Prozent belastet.
Die LINKE macht sich für eine „solidarische Einwanderungsgesellschaft" stark. Kein Mensch ist illegal und Einwanderung soll solidarisch gestaltet werden. An der Seite zahlreicher Bewegungen und antirassistischer Initiativen, wie Seebrücke und Black lives matter, steht die LINKE gemeinsam gegen unsoziale Spaltung und rechte Hetze.
Die Friedenspolitik der LINKEN steht unter der Leitlinie „Für Frieden und Abrüstung“ und einem klaren „Nein zum Krieg“. Als einzige im Bundestag vertretene Partei fordert sie eine deutliche Reduzierung des deutschen Militäretats und lehnt auch weiterhin Rüstungsexporte und bewaffnete Drohnen ab. „Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden". Die NATO muss, als ein „Relikt des Kalten Krieges", aufgelöst und „durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands“ ersetzt werden, welches die Abrüstung als zentrales Ziel verfolgt.
Soweit zum Entwurf des Wahlprogramms. Er ist auf der Homepage der LINKEN nachzulesen.
Alles in Allem ein respektables Programm mit klaren linkssozialdemokratischen Schwerpunkten, das in die richtige Richtung weist.
Die Diskussion ist eröffnet
Die Frage nach der Regierungsfähigkeit im Bund wird sich aber sicherlich nicht am „Plan für eine gerechte Zukunft und den Ideen für eine funktionierende, solidarische und klimagerechte Gesellschaft“ entscheiden, sondern an den außenpolitischen Positionen der LINKEN. Wie steht sie zur NATO, wie steht es mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr und mit der Aufrüstung der EU?
Bernd Riexinger ist der festen Überzeugung: „Die LINKE ist und bleibt die Friedenspartei im Bundestag"; aber beim Bestreben, die LINKE regierungsfähig zu machen, gibt es Kräfte, die sich vor lauter Anpassung an SPD und Grüne schier überschlagen und dabei bereits im Vorfeld wesentliche Prinzipien der Partei aufgeben und außenpolitische Grundpositionen schleifen; dabei wird nicht einmal das Alleinstellungsmerkmal als Friedenspartei verschont.
Der Sicherheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Matthias Höhn, hat sich Ende Januar für einen Kurswechsel in der Außenpolitik ausgesprochen. So sollen die Bereitschaft zu Blauhelmeinsätzen, zu einer europäischen Armee, zu einem festen Budget für die Bundeswehr und gleichen Standards im Umgang mit allen Staaten – insbesondere Russland – auf die Tagesordnung. Er hat damit eine breite Debatte losgetreten. Sevim Dagdelen hält es für „eine Zumutung, unsere friedenspolitischen Positionen schleifen zu wollen“… „Der Markenkern der LINKEN steht und fällt mit der Friedenspolitik. Gebe man das auf, brächen Dämme, bald auch in der Sozialpolitik“.
Riexinger fühlte sich auf erste Kritiken am Programmentwurf hin zu der Aussage genötigt: „Wir sind gegen jegliche Auslandseinsätze der Bundeswehr, und wir werden uns an keiner Regierung beteiligen, die aufrüstet und auf Militarisierung setzt.“
Auch bei der Ausrichtung auf den „linken Green New Deal“ gibt es Diskussionsbedarf. Die grünen Roten, als Konkurrenz für die Grünen? Manche Genoss:innen können dem nicht allzu viel abgewinnen. Im Bereich Klimaschutz hat Die LINKE ihrer Ansicht nach noch zu wenig Glaubwürdigkeit.
Die Mitgliedschaft der LINKEN ist aufgerufen, sich in der weiteren Programmdebatte keinen Sand in die Augen streuen zu lassen, sondern auf die deutliche Benennung linker Grundsätze zu pochen.
Zur Umsetzung der Ziele setzt die LINKE auf den „Kampf um neue soziale Mehrheiten in der Gesellschaft und im Bundestag“ und begibt sich damit ins Land der Träume von einer „linken“ Regierung gemeinsam mit der SPD und den Grünen. In den Augen der Befürworter könnte die LINKE zum ersten Mal in ihrer Geschichte das ganze Land mitregieren. Trotz anderslautender Umfrageergebnisse scheint die „Macht“ im Bund so greifbar wie nie. Auch für die Grünen ist es eine Verlockung, mit Hilfe der Linkspartei erstmals ins Kanzleramt einzuziehen.
Die schlechten Umfragewerte der LINKEN sind laut Kipping auch auf die Unklarheit in der Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung zurückzuführen, weil eine hierin „unentschiedene“ Partei insgesamt weniger beachtet werde.
Nach dem Maßstab von Meinungsumfragen in der bundesdeutschen Bevölkerung ist ein solches Bündnis keine Option und ein grün-rosa-rotes Bündnis ist weit von einer Mehrheit entfernt.
Möglich könnte dagegen eine Koalition der Grünen mit der Union sein. Die Grünen haben dazu ihr einstiges Profil bereits abgeschliffen und sind so sehr von dem Wunsch beseelt, wieder an die „Macht“ zu kommen und im Bund mitregieren zu dürfen, dass selbst einer schwarz - grünen Koalition nicht mehr allzu viel im Wege stehen dürfte. Bedenkt man, was bereits eine Schröder-Fischer Regierung aus SPD und Grünen angerichtet hat, so kann einem vor einer schwarz-grünen Koalition nur grausen.
Allerdings sind solche Spekulationen besonders in Corona-Zeiten reines Kaffeesatzlesen. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben Möglichkeiten für andere Regierungsbündnisse eröffnet und gezeigt, wie schnell sich Stimmungen ändern.
Die Linkspartei ist in dieser Frage offensichtlich tief gespalten. In der Partei gab und gibt es sehr unterschiedliche und deutlich gegensätzliche Meinungen zur Fokussierung linker Gesellschaftsstrategie auf Regierungsteilhabe.
Mit der Diskussion in der LINKEN werden wir uns auch in den nächsten Ausgaben beschäftigen.
Linkes Wunschdenken
In ihrem Aufsatz „Linkes Wunschdenken“ setzen sich Volker Külow und Ekkehard Lieberam mit dem Strategiepapier „Zukunft nach Corona. Vorschläge zur strategischen Positionierung der LINKEN“ von Katja Kipping, Bernd Riexinger, Jörg Schindler und Harald Wolf auseinander. Dieser Text ist die Grundlage für die Diskussion in der LINKEN über eine Regierungsbeteiligung.
Lieberam und Külow bescheinigen den Verfassern „Linkes Wunschdenken“ und weisen ihnen „eine oberflächliche Krisenanalyse und erstaunliche Regierungsversessenheit, die die realen Verhältnisse ausblendet“, nach.
Der sehr empfehlenswerte Aufsatz ist nachzulesen unter: https://www.jungewelt.de/artikel/379357.positionen-der-linkspartei-linkes-wunschdenken.html
Im Folgenden einige Auszüge:
„ „Die LINKE sollte bei zukünftigen Bundestagswahlen offensiv das Ziel eines Politik- und Regierungswechsels vertreten.“ (Kipping, Riexinger, Schindler und Wolf) Damit soll der Partei Die LINKE ein abenteuerlicher Richtungswechsel aufgezwungen werden, der des Übergangs zu offensiven Bundestagswahlkämpfen für „R2G“ (rot-rot-grüne Koalition; jW).
Die Linkspartei soll in diesem Umbruch „solidarischer Lotse“ sein. Sie müsse „für einen gesellschaftlichen Neuanfang“ streiten. Gefordert werden die „Demokratisierung des Sozialstaates“, „soziale Garantien und Sicherheit“, ein starker „öffentlicher Sektor“ und „gute Arbeit“. Soweit durchaus akzeptabel.
Nicht widersprochen wird der Illusion, der Staat und dessen Politik bewältigen das alles.
Der Bewertung der Krise im Sinne des „Mainstreams“ folgt die Übernahme des herrschenden Politik- und Demokratiebegriffs. Wie die tägliche Propaganda in der Bundesrepublik es suggeriert, geht es dabei um die „Herrschaft des Volkes“ als politische Realität. Gesprochen wird im Strategiepapier von der „geballte(n) Macht der großen Konzerne“, gegen die man den „linken Green New Deal“, die „sozial-ökologische Transformation“ durchsetzen müsse. Damit hat es sich dann aber auch. Denn zugleich wird diese Macht in der „demokratischen Republik“ eben nicht, wie von Lenin definiert, als „denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus“ angesehen, von der das Kapital „Besitz ergriffen hat“. Die „Hülle“ wird für das Eigentliche genommen: „Gesetze werden durch Parlamentsmehrheiten verändert.“
Ähnlich verhält es sich dann mit dem „Zukunftspfad“ zu einem „sozial-ökologischen“ Umbruch oder Systemwechsel. … Den Pfad gibt es real nicht. Er ist Teil des linken Wunschdenkens. Ein solcher „Pfad“ bedarf völlig anderer gesellschaftlicher und machtpolitischer Verhältnisse.
Voraussetzung ist, dass „aus der Gesellschaft Druck kommt“. Ein wunderschönes Konzept! … Aktuell bestehen nirgendwo in Europa die im Strategiepapier herbeiphantasierten Verhältnisse gesellschaftlichen Drucks.
Eine LINKE, die sich in „Regierungsverantwortung“ einbinden lässt, wird zu solchen Verhältnissen nicht beitragen können. Sie wird vielmehr blockieren. Und, wenn sie tatsächlich im Bund an die Regierung kommen sollte, wird man sie abschieben, wenn sie den Herrschenden im Wege ist.
Die Partei Die LINKE hat sich im Illusionstheater des „täuschenden Scheins“ (Karl Marx) fest eingerichtet. Sie verwechselt permanent die Machtfrage mit der Regierungsfrage. Gepflegt werden die Trugbilder vom „linken Lager“ und der „politischen Gestaltung in Regierungsverantwortung“. Ihre politische Handlungsorientierung folgt damit Wunschvorstellungen, die unweigerlich in die Sackgasse der Anpassung und politischen Zähmung führen.“
Tabubruch in der Kuba-Solidarität
Regierungsfähigkeit zu demonstrieren und Hürden zu einem Regierungsbündnis mit SPD und Grünen aus dem Weg zu räumen, das steckt auch hinter einem Parteivorstandsbeschluss vom 23. Januar 2021. Er trägt den Titel „Solidarität mit Kuba“ und war von der „emanzipatorischen Linke“ eingebracht worden, die Arnold Schölzel in der „jungen Welt“ als eine „Art Katja – Kipping - Stiftung“ bezeichnete. Der Antrag umfasste fünf Punkte, deren letzterer lautete: „Für die LINKE gilt, Menschenrechte sind universell, sie gelten für jede und jeden - überall! Wir treten ein für eine Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstlerinnen und Künstlern sowie Aktivistinnen und Aktivisten zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft.“ Er wurde von den bürgerlichen Medien hocherfreut aufgenommen und als Richtungswechsel der Partei in ihrer Einstellung gegenüber Kuba gefeiert. Tenor war, die deutsche Linke trifft eine historische Entscheidung und unterstützt Kritiker des kubanischen kommunistischen Regimes; sogar im „Neuen Deutschland“ war von einem „guten Tabubruch“ zu lesen.
Ulla Jelpke hat diesen Beschluss in einem Gastkommentar in der „jungen Welt“ zu Recht „Vergiftete Solidarität“ genannt. Wir geben den Kommentar hier wieder:
Vergiftete Solidarität
„Solidarität mit Kuba“ lautet ein Beschluss des Parteivorstandes der Linken vom 23. Januar 2021. Die Linke verurteilt die Verschärfung der US-Sanktionen gegen Kuba und drückt Unterstützung für die Kampagne »Für ein Ende der Blockade gegen Kuba!« aus. Verurteilt werden Versuche, die Regierung Kubas durch Regime-Change-Aktivitäten aus dem Ausland zu stürzen. Doch genau darauf läuft der letzte Absatz des Beschlusses raus. Denn dort heißt es scheinbar harmlos: „Für Die Linke gilt, Menschenrechte sind universell, sie gelten für jede und jeden – überall! Wir treten ein für eine Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstlerinnen und Künstlern sowie Aktivistinnen und Aktivisten zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft.“
Irritierend ist die Arroganz, mit der der kubanischen Gesellschaft hier unterstellt wird, nicht demokratisch zu sein. Erinnert sei an die breite gesellschaftliche Debatte über eine neue, im Februar 2019 in einem Referendum mit 86,8 Prozent der Stimmen angenommene kubanische Verfassung, zu der die Bevölkerung mit fast 800.000 Vorschlägen beitrug, aus denen sich schließlich 760 Änderungen des ursprünglichen Dokuments ergaben. Dass diese Verfassung, in der Menschenrechte und der sozialistische Rechtsstaat verankert sind, mit Leben gefüllt werden muss, dass es bürokratische Hemmnisse und Fehlentwicklungen gibt, dass die sozialistische Demokratie ausgebaut werden muss, dafür brauchen die Kubaner keine Nachhilfe aus Europa. Denn das lässt sich jeden Tag in der Tageszeitung der kubanischen Kommunistischen Partei, der Granma, nachlesen.
Ein Kommentar in der Tageszeitung ND unter der bezeichnenden Überschrift „Ein guter Tabubruch“ macht klar, wer die „kritischen Künstler“ sind, mit denen der Linke-Vorstand den Dialog einfordert. Es geht um die von der abgewählten Trump-Regierung und dem venezolanischen Putschisten Juan Guaidó unterstützte San-Isidro-Bewegung (MSI), deren Anhänger zum Teil in sozialen Netzwerken die US-Regierung offen zu einer Invasion Kubas aufgerufen haben.
Als „kritischer Künstler“ gilt offenbar auch ein vom ND als „oppositioneller Rapper“ bezeichneter Trump-Anhänger namens Denis Solís. Ob dessen Inhaftierung auf Kuba rechtsstaatlich und taktisch klug ist, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Dass ein Dialog mit einem rabiaten Antikommunisten, der laut den kubanischen Behörden Kontakte zu terroristischen Gruppen in den USA unterhalten soll, für die kommunistische Regierung wenig Sinn macht, ist dagegen offensichtlich. Die kubanische Regierung ist um den Dialog mit kritischen Künstlern bemüht und hat diesen bereits im November mit protestierenden Kulturschaffenden begonnen. Doch dessen Fortsetzung zwei Monate später wurde durch Provokateure unter anderem aus der San-Isidro-Bewegung mit Störaktionen vereitelt, die auf medienwirksame Bilder für das Ausland abzielten.
Der Linke-Beschluss zur Solidarität mit Kuba erweist sich als Trojanisches Pferd des Antikommunismus. Denn es ist nicht möglich, gleichzeitig solidarisch zu sein mit dem sozialistischen Kuba und mit denjenigen, die einer US-Invasion das Wort reden. Dass nicht allen Vorstandsmitgliedern die Hintergründe bewusst waren, ist anzunehmen. Doch auch der Vorwurf, dass es einigen weniger um Solidarität mit Kuba ging als darum, gegenüber der olivgrünen Regime-Change-Partei und der SPD Regierungsfähigkeit zu demonstrieren, steht im Raum. Um diesen Verdacht einer vergifteten Solidarität zu entkräften, sollte es jetzt für die Partei Die Linke höchste Zeit sein, mit ganzer Kraft für ein Ende der Blockade gegen Kuba einzutreten. (Ulla Jelpke jW vom 4.2.21)
Es hagelte Kritik. Die AG Cuba sí geißelte das Vorgehen als eine Abkehr von „der Solidarität mit dem sozialistischen Kuba“ und der Parteivorstand sah sich am 14. Februar zu einer Richtigstellung und folgendem Zusatzbeschluss gezwungen: „Der Parteivorstand weist die Interpretation einer Neuausrichtung der Kuba-Politik der Partei DIE LINKE, die aufgrund des Beschlusses vom 23. Januar 2021 stattgefunden haben soll, entschieden zurück. Im Beschluss hat es keine Unterstützung der sog. San-Isidro-Bewegung, wie in einigen Medien kolportiert, gegeben. DIE LINKE unterstützt den mit der Verabschiedung der neuen Verfassung von 2019 ausgelösten breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess zur weiteren demokratischen Entwicklung Kubas im Rahmen seines sozialistischen Gesellschaftssystems. DIE LINKE war, ist und bleibt solidarisch mit dem sozialistischen Kuba und seiner Revolution.“
Das zeigt, dass innerhalb DER LINKEN noch nicht alle Grundsätze geschleift und der Regierungsfähigkeit geopfert wurden; ein Zeichen der Hoffnung!