Unser Alt-Genosse Hans Steiger ist im Alter von 95 Jahren gestorben.

Hans war maßgeblich an der Gründung der Gruppe Arbeiterstimme beteiligt und hat sich lange Zeit federführend für eine bessere, sozialistische Welt eingesetzt. Wir möchten sein Leben und Werk mit diesem Nachruf würdigen.

Hans hatte in den letzten Jahren Artikel zu seinem Leben und zum fünfzigjährigen Bestehen der Gruppe Arbeiterstimme verfasst. Wir haben Auszüge aus diesen Artikeln zusammengefasst und mit Teilen von Interviews, die wir mit ihm gemacht haben, ergänzt.

Hans Steiger soll in dieser Ausgabe der Arbeiterstimme noch einmal selber zu Wort kommen.

Gedanken eines alten Genossen während der Pandemie (Arsti Nr. 208)

Ich wurde 1929, zehn Jahre nach dem Sturz der Monarchie, in einem eisigen Frühjahr in Nürnberg geboren und bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Als Kleinkind konnte ich natürlich nichts mitbekommen von der Bedeutung der fünf Monate später einsetzenden kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, eine der wesentlichen Ursachen für die Machtübertragung an den Faschismus und den von ihm angezettelten II. Weltkrieg. Es war im Leben der geschichtliche Verlauf, der mich in etwa vier Phasen jeweils zwang, damit fertig zu werden, obwohl die Familie zeitweise auseinandergerissen war. Da waren Schicksalsschläge, die manchmal schlimmer waren als die gegenwärtige Pandemie-Gefährdung und die Quarantäne-Vorschriften im Jahr 2020.

Da musste z.B. die Familie in der angeschlagenen Weimarer Republik mit der Massenarbeitslosigkeit und der sozialen Verarmung zurechtkommen. 1933 folgten zwölf Jahre Nazi-Herrschaft mit Diktatur und sechs Jahre Krieg und Zerstörung. Auf die Niederlage des „Tausendjährigen Reiches“ folgte die Militärdiktatur der USA-Besatzungsarmee mit schweren Not- und Hungerjahren, bis 1949 die D-Mark kam und die BRD gegründet werden konnte.

Es kann sein, dass in der Geschichte Deutschlands keine Generation solche gewaltigen und raschen Umbrüche erlebt hat wie die meine. Die Veränderungen waren umfassend in Zivilisation, Kultur, Technik und Politik. Darunter habe ich auch sprunghafte Fortentwicklungen erlebt: von der Petroleumlampe zum elektrischen Licht, von der Pferdekutsche zum Auto, von der preußischen Marschmusik zum Jazz, vom massenhaften Tuberkulosetod – meine halbe Verwandtschaft starb daran – zur Herzoperation, vom unumschränkten Patriarchat zu den heutigen Kinder- und Frauenrechten, von der Handarbeit zur Industrie-Automatisierung.

So waren meine Lebensabschnitte unterschiedlich gefährlich zu bewältigen: in der Kindheit mit vielen Krankheiten, in der Jugend war ich in Gefahr, an Gelbsucht zu sterben, im Krieg kamen die Bombenangriffe bis in die nächste Nachbarschaft und der Luftschutzkeller bebte; mit 14 zum „Schnellkommando“ einberufen, Schläuche legen vor brennenden Häusern und andere Einsätze. Die Schulergebnisse sahen entsprechend aus. Der Vater und der vier Jahre ältere Bruder waren im Krieg, da war ich mit meiner mich sehr umsorgenden Mutter allein. Das hieß auch bis Ende 1948 mit dem Alltag fertig zu werden: das hieß Organisieren, Tauschen, Hamstern, eine Kaninchenzucht aufziehen, mitten in der Trümmerstadt. Das nahm die ganze Kraft in Anspruch.

Es gab auch riskante Situationen, die lebensgefährlich hätten werden können: Stabbrandbomben durchschlugen das Dach, die Blindgänger warf ich auf den Hof. Neben unserm Haus ging eine Bombe auf eine Bäckerei nieder und zerstörte das Nachbarhaus. 30 Meter weiter riss eine Granate das Hauseck weg. Kurz vor der Einnahme Nürnbergs erhielt ich den Gestellungsbefehl zum Volkssturm, das war drei Wochen, bevor ich sechzehn wurde. Nach der Vereidigung in Rummelsberg desertierte ich mit einem Schulkameraden über die Bahngleise nach Nürnberg. Wir wollten uns nicht mehr verheizen lassen. Hätte die SS uns erwischt, wären wir aufgeknüpft worden.

In den Nachkriegsjahren wäre dann fast die ganze Familie verhungert, da wir, wie etwa die Hälfte der Bevölkerung, keine Beziehungen zu Bauern und Produzenten hatten.

Politisch bin ich erst in den letzten Kriegsjahren „aufgewacht“, als die Kriegsereignisse das Misstrauen verstärkten und das Abhören der „Feindsender“ (Radio Beromünster, Soldatensender Kiew) Lügen der Nazipropaganda entlarvten. Die erste Phase der Besatzung durch die GIs war auch brisant, sie nahmen unsere Wohnung als Stützpunkt. Wir hausten dann im Keller, mitsamt den Großeltern, die im Januar ausgebombt worden waren.

Das Wichtigste für uns war, dass im Krieg niemand aus der Familie umgekommen war. Alles andere an Schrecken, Verlusten und Entbehrungen hatten wir, auch mit viel Glück, überstanden.

Aus den Erfahrungen dieser 19 Jahre entstand langsam die Erkenntnis der Wichtigkeit von Politik; aber ohne, dass es zur Begegnung mit Menschen gekommen wäre, die sich für Humanismus und Sozialismus einsetzten, hätte ich mich wohl kaum nach links engagiert. Es war ein zäher Prozess, bis ich zum Marxismus fand, verbunden mit einem langen Selbststudium. Angefangen hatte es nach dem Krieg mit der „Ohne mich-Bewegung“ der Organisierung 1951 bei den Kriegsdienstverweigerern, der Teilnahme an der Antiremilitarisierungsbewegung und der Mitwirkung bei Gustav Heinemanns GVP. Nach deren Scheitern fand ich schließlich zur Arbeiterbewegung und damit 1956 zur Annäherung an die „Gruppe Arbeiterpolitik“.

Nun im Alter spüre ich die Notwendigkeit, soweit die Kräfte reichen, weiter an den sozialistischen Zielen mitzuarbeiten und meine politischen Erkenntnisse weiterzugeben.

H.S.

Auszug aus einem Interview vom Juli 2011

1956 war Hans durch Zufall über eine Friedensfreundin aus Ziegelstein an die Zeitschrift Arbeiterpolitik gekommen. Deren Mann war auch als SPD-Funktionär im KZ gewesen und hat sie ihm in die Hand gedrückt.

Na ja und da habe ich dann ungefähr ein Jahr die Arpo gelesen. Dann habe ich noch mal an die Redaktion geschrieben, ob es in Nürnberg auch Leute von der Arpo gibt. Und die gab es dann in Nürnberg - damals waren es ja noch mehr - als der kleine Kreis dann danach.

1956 habe ich dann die Adresse gekriegt von Karl Grönsfelder. Die sind immer bei einem oder anderen zusammengekommen und dann haben sie mir die Einladung geschickt, aber dann wollte ich doch nicht so richtig. Das Ganze war mir noch ein bisschen zu haarig und dann habe ich mir gedacht, da machst du doch lieber einen Besuch bei der Adresse, die du hast. Karl Grönsfelder, der wohnte in einer Nebenstraße der Fürther Straße, weil er noch bei den Triumph Werken beschäftigt war. Er war in der IG-Metall und Betriebsrat bei Triumph und obwohl er Kommunist war, war er auch bei vielen Sozialdemokraten, die noch klassenkämpferisch waren, angesehen. Dort war ja auch Helmut Inzinger beschäftigt, und Horst Klaus war zu der Zeit auch noch bei den Triumph Werken. Dann habe ich da mit Karl Grönsfelder so gesprochen und seine Frau war auch da, die war ja auch im Zentralkomitee, die war mir zu hart, die hatte Haare auf den Zähnen und die ist auch nicht so mit dem Karl umgegangen, wie es eigentlich sein sollte. Seine Tochter war auch da, die war auch mit in der KPO-Gruppe dabei. Und dann hat es sich so ergeben, dass ich einige Zeit immer mal wieder zu ihm hingegangen bin. Der hat mir dann immer wieder gesagt, das was du gerade gesagt hast, das hat nicht gestimmt und das sehe ich anders. Ich war da schon hellhörig. Karl war ein einfacher Mensch, er war sympathisch, er war kein Theoretiker, aber er hat halt Bescheid gewusst. Und er hat auch persönlich einen guten Eindruck gemacht. Dann hat er mich doch überredet, einmal mitzukommen zum Hans Kunz und da bin ich dann hin und da waren Helmut Inzinger und Erich Hansel, das war so die kleine Zusammenkunft.

Das Meiste habe ich mir allerdings autodidaktisch angeeignet. Es gibt ja diesen Satz von Bert Brecht, dass man, um den Marxismus auch nur ansatzweise zu verstehen, ungefähr 1000 Stunden braucht. Also, die 1000 Stunden habe ich wahrscheinlich zusammengebracht, aber man lernt ja da nie aus. Und die Ökonomie ist ja ein Gebiet für sich und doppelt schwer.“

 

Genossinnen und Genossen der Günderversammlung

Rückblick auf 50 Jahre Arbeiterstimme (Arsti Nr. 214)

Die erste „Arbeiterstimme“ erschien am 30. Mai 1971. Die Gründung der „Gruppe Arbeiterstimme“ erfolgte am 21. November 1971 bei einer Vereinigungskonferenz der Gruppe Arbeiterpolitik Nürnberg mit der Gruppe „Unser Weg“ auf einer Konferenz in Frankfurt, an der auch Genossinnen und Genossen aus anderen Regionen teilnahmen. An der Gründungsversammlung nahmen 19 Genossinnen und Genossen teil und die Beschlüsse wurden ohne Gegenstimme angenommen. Alle Altersgruppen waren vertreten, vom ehemaligen KPO-Abgeordneten des preußischen Landtags, Alfred Schmidt, dem Redakteur von „Unser Weg“, Hermann Jahn, von Isi Abusch bis zu den Jüngeren aus der Nürnberger IG-Metall-Jugend, aus der Arpo Nürnberg auch Hans Kunz und Hans Steiger, die alles organisiert hatten. Einige aus der Nürnberger Gruppe konnten nicht teilnehmen. Der theoretisch und historisch beschlagene Genosse Udo Winkel war dabei sowie Schorse Stockmann, der Gewerkschaftsfunktionär aus Bremen, dem nach dem Krieg die Leitung der Bremer Gruppe Arbeiterpolitik zusammen mit Heinz Kundel oblag.

Zurück zu den Wurzeln: Der Werdegang der Gruppe und deren Zustand wurden wesentlich mitbestimmt von den politischen Entwicklungen in Deutschland und der Welt und von den Bewegungen, die dadurch entstanden, auch wenn diese wieder niedergingen. So haben die Gruppen, die die Arsti gründeten, auch später insgesamt vier Phasen, wie ich meine, durchschritten und durchlitten, meist in der Reihenfolge: mühsamer Aufbau – Konsolidierung – politische Enttäuschungen – Spaltungen – schwieriger Neuanfang. Der kleine Zirkel in der Wohnung von Hans Kunz, in der die Sitzungen stattfanden, umfasste anfangs meist nicht viel mehr als zehn Personen; später waren es nicht selten 28. Bei Jahreskonferenzen war die Zahl der Teilnehmenden höher, 50 bis 60, 1971 in der Wörlmühle Erlangen sogar 74.

Die Grundlagen einer neuen, marxistischen Orientierung nach Faschismus und Krieg und der verheerenden Stalinisierung in der Sowjetunion versuchten eine Anzahl kleinerer Gruppen zu legen, die meist erfolglos blieben, aber eine Zeitlang durchhielten mit der vagen Hoffnung auf eine Besserung für sozialistische Politik. Die Ära des Antikommunismus versperrte jede Möglichkeit, in der breiten Bevölkerung Anklang zu finden.

Auch die KPO-Überlebenden in Nürnberg gehörten dazu, die sich in der Gruppe Arbeiterpolitik gesammelt hatten. Karl Grönsfelder, Revolutionär und ehemaliger Vorsitzender der KPD Nordbayern, sammelte nach seinem Ausschluss aus der KPD Anfang der fünfziger Jahre eine Anzahl jüngerer Genossen um sich: Übrig geblieben waren Hans Kunz, Erich, Helmut und Hans, der 1956 dazukam (erst als Hörer, dann als „Marxismus–Lehrling“). Die Haupttätigkeiten des kleinen Kreises waren Diskussionen und die Behandlung und Erstellung von Artikeln der Arpo. Auf Außenwirkung wurde wohl auch auf Grund der schlechten Erfahrungen verzichtet. Es war auch eine gewisse Erschöpfung in ihnen, da sie als Übriggebliebene tief enttäuscht waren, nicht nur wegen ihrer Misserfolge, sondern auch über ihre eigene Vergangenheit, die kampflose Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus und über das Versagen der KPD, die die Einheitsfrontpolitik bis ganz kurz vor dem Ende der Weimarer Republik abgelehnt hatte. Da war eine gewisse Lähmung nicht zu vermeiden für jene Minderheit, die den Widerstand gegen die Faschisten geleistet hatte. Von Stuttgart aus versuchte der ehemalige Arpo-Redakteur Theodor Bergmann (Ted) uns für seine Sammlung zu gewinnen. Die Zeitschrift „Sozialismus“, die er herausgab, war aber für uns nach marxistischen Maßstäben ungenügend. Als sich nach den sogenannten Wirtschaftswunderjahren wieder ein bisschen mehr bewegte, gab es bei manchen linken Gruppen etwas mehr Auftrieb. Die Demonstrationen, an denen wir teilnahmen, häuften sich, die sozialen Proteste und die Proteste gegen die Aufrüstungspolitik, aber vor allem die Ostermärsche waren von Bedeutung. Nun war ein Teil der Jugend politisch etwas mehr in Bewegung gekommen, auch aus der Gewerkschaftsjugend. Wir vom Grönsfelder-Kreis hatten Udo Winkel für uns gewonnen, der an unseren Treffen teilnahm und dessen Wissen und Diskussionsbereitschaft auch in der Friedensbewegung für uns Früchte trug. Wir luden die Interessierten zu unseren Versammlungen ein, zu den Diskussionsabenden in Hans Kunz‘ Wohnung und zu den beginnenden Aktivitäten. Vor allem in der IGM-Jugend fanden wir Anklang. An der Durchsetzung, den gewerkschaftlichen 1. Mai zurück zur Demonstration und auf die Straße zu bringen, hatten wir wesentlichen Anteil, allein deshalb, weil wir vorher die zerstrittenen linken Gruppen zum gemeinsamen Handeln brachten. Wir konnten neue Mitglieder gewinnen. Der Durchbruch erfolgte dann durch Helmut von den Falken im Regensburger Umkreis, wo sein Einfluss auch bei den dortigen Studierenden beträchtlich war. Mit Linken in der Studentenbewegung wie in Erlangen waren wir zwar in Kontakt, aber es waren meist die Erwartungshorizonte dann doch zu verschieden. Die 68er Bewegung an den Universitäten und die großen Friedensdemonstrationen und die gegen den Vietnamkrieg hatten längst Adenauers reaktionäre Restaurationspolitik gebremst, vor allem im kulturellen Bereich. Die 1967/68er Bewegung von Teilen einer jungen Generation war indirekt auch Ausdruck einer Veränderung des weltpolitischen Kräfteverhältnisses, dem sich der Westen anpassen musste. In Bonn regierte eine „sozialliberale“ Regierung, außenpolitisch geprägt von Willy Brandts Ostpolitik, dem „Wandel durch Annäherung“ und innenpolitisch wurde 1968 wieder eine kommunistische Partei, die DKP, zugelassen. Das KPD-Verbot von 1956 wurde freilich nicht aufgehoben und auch auf die Verfolgungen von Kommunisten wurde nicht verzichtet (Berufsverbote). Doch als die Auflösungsprozesse der Außerparlamentarischen Opposition (APO) fortschritten, konnte die DKP, die zu einer echten Erneuerung und dem Bruch mit dem Stalinismus nicht bereit und fähig war, nur wenig dazu gewinnen. Es bildeten sich kommunistische Miniparteien, wie die KPD/ML, Maoisten usw., die meist ultralinks waren.

Auch die Zusammenarbeit unserer Nürnberger Arpo-Gruppe mit der Bremer und Hamburger Redaktion der Arpo blieb nicht frei von Meinungsverschiedenheiten und Richtungsstreit. Innerhalb der dortigen Gruppen gab es schwere Auseinandersetzungen über die Einschätzungen und später vor allem über die Streikstrategie auf der Klöckner-Hütte. Dabei ging es hauptsächlich um die Einschätzung und Bewertung des Kräfteverhältnisses und um die grundsätzliche Beurteilung von hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären. Der Zwist wurde so heftig, dass er zur Spaltung der Bremer Gruppe führte. Schorse Stockmann und vor allem einige ältere Genossen verließen die Gruppe. Sie wandten sich gegen deren voluntaristische Tendenzen und gaben eine hektographierte Zeitschrift heraus. 1971 gehörten sie mit zu den Gründern der „Arbeiterstimme“.

Die Nürnberger Arpo-Gruppe hatte als Begleiterscheinung des Niedergangs der APO Zuwachs erhalten, auch den äußeren Kreis erweitert und Arpo-Leser im Gewerkschaftsbereich gewonnen.

1966 war ich zu einem Besuch bei Heinrich Brandler in Hamburg und habe das verbunden mit der Teilnahme an der Arpo-Jahreskonferenz in Hamburg (Heinz Kundel / Bonno Schütter). Später hat die Nürnberger Gruppe mit einer Delegation an nachfolgenden Jahreskonferenzen teilgenommen, dabei kam es dann in Steinkimmen und später zu heftigem Streit. Es ging dabei auch um die von uns beanstandeten Streichungen und Verunstaltungen von Artikeln, ja sogar bis zu Verfälschungen, durch die dortige Redaktion. Besonders die Analysen und Gewerkschaftseinschätzungen von Pep, der nach dem Tod Brandlers wieder mitwirkte, konnten wir nicht mehr teilen. Es kam zur Spaltung der Gruppe Arbeiterpolitik und wie eingangs beschrieben zur Gründung der Gruppe und Zeitschrift Arbeiterstimme. Wir hatten auch eine Anzahl Altgenossen, meist aus der KPO, gewonnen und konnten so auch die finanzielle Basis herstellen. Besonders Isi Abusch hat für Jahrzehnte das finanzielle Fundament gelegt. Die Gruppe hatte nun, alters- und zahlenmäßig gestärkt, mehr Einfluss gewonnen. Wir konnten vor jedem 1. Mai vor den meisten Großbetrieben Nürnbergs unsere Flugblätter verteilen und den Anschein eines roten 1. Mai in Nürnberg aufrechterhalten. Von Gewerkschaftsseite wurde manches mitgetragen oder geduldet. Einige Funktionäre waren vor 1933 in der SAP gewesen. Der damalige DGB-Vorsitzende Ranzenberger war ein Zögling des KPO-Genossen Brechenmacher. Es gab in dieser Zeit viele Demonstrationen, die wir mittrugen und auch beim Zeitungsvertrieb konnten wir zulegen. Politisch hatte sich auch die Weltkarte ein Stück verändert; aber bald stellte sich heraus, dass dieser Linksruck auf zu schwachen Füßen stand. Die Stagnation im Ostblock, besonders in der Sowjetunion und in der DDR, ließen Hoffnungen auf Erneuerung im sozialistischen Sinn schwinden und in Westdeutschland ging die Aufnahmebereitschaft noch mehr zurück. Auch in der Gruppe wurden die Zweifel stärker, ob die Hoffnung auf eine sozialistische Perspektive in Deutschland noch angebracht sei. In der Gruppe ließ das Erkennen der Notwendigkeit einer theoretischen Arbeit mit marxistischer Herangehensweise zu wünschen übrig. Vielleicht konnte eine geteilte Schulung weiterhelfen. Nun gab es wöchentlich zwei Möglichkeiten: den meist unvorbereiteten Montagskreis mit allgemeinen Diskussionen, der die größere Besucherzahl auswies. Der Freitagskreis, dem ich angehörte, stellte die marxistische Schulung in den Vordergrund. Statt einer Annäherung beider Kreise stellte sich heraus, dass der Montagskreis wenig Fortschritte dabei machte, das marxistische Niveau zu erhöhen. So lief es in die falsche Richtung und die Ansprüche wurden noch mehr zurückgeschraubt. Es lief darauf hinaus, dass die Artikel an marxistischer Substanz einbüßten. Wir stellten uns dagegen und sahen die Gefahr, dass Gruppe und Zeitung ihren Hauptsinn dann verloren hätten. Die Auseinandersetzungen wurden immer schärfer und führten schließlich zur Spaltung der Gruppe. Weil diese auch in der „Arbeiterstimme“ ausgetragen worden waren, konnten wir nach der Spaltung 1975 Zugang zu ganz neuen Mitkämpfern finden. Nach einiger Zeit anstrengender Bemühungen, wo die Gefahr bestand, dass für die Gruppe alles zu Ende ist, haben wir noch einmal einen Neuanfang fertiggebracht, mit Zuwachs aus der Oberpfalz und anderswo.

Der Charakter der jetzigen Gruppe ist etwas verschieden von früher. Wir haben nun mehr Akademiker in unseren Reihen, aber die Arbeiterstimme hat fast keine Arbeiter mehr. Wir haben weiterhin Beziehungen mit der Gruppe International Dorfen und auch seit einigen Jahren wieder mit der Gruppe Arbeiterpolitik, mit der wir auch Artikel austauschen. Was darüber hinaus geht, würde strukturell an unsere Grenzen stoßen. Trotz unserer personellen Schwäche meine ich: Auch wenn es mühsam ist, wir sind auf dem richtigen Weg!

Hans Steiger

Diesen Weg werden wir in der Gruppe Arbeiterstimme auch im Sinne von Hans Steiger fortsetzen. Er wir uns unvergessen bleiben.