Die linke Hängepartie hat nun ein Ende: Mit Sahra Wagenknecht haben neun weitere Bundestagsabgeordnete der Linken ihren Parteiaustritt erklärt und ihr neues Projekt unter dem Übergangstitel Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) vorgestellt. Die inhaltlichen Eckpunkte formuliert ein sogenanntes Manifest, das auch auf buendnis-sarah-wagen-knecht.de zu finden ist. Das BSW hatte viele Monate Zeit sich inhaltlich aufzustellen und es ist davon auszugehen, dass dies mit ebensolcher Sorgfalt geschah, wie die Gründung des Vereins als Steuerungsmaßnahme für den eigentlichen Parteiaufbau. Auch wenn die vier Kernthemen des Manifests maximal-fluffig mit „Wirtschaftliche Vernunft“, „Soziale Gerechtigkeit“, „Freiheit“ und „Frieden“ betitelt sind, die jeweiligen Ausführungen deuten dann doch an, wohin die Reise gehen soll. Empfehlenswert sind dazu auch Blicke in die FAQ der Website. Wer Wagenknechts politische Entwicklung durch die Jahre verfolgt hat, dürfte nicht überrascht sein.

 

Es war einmal ...

Die Rahmenerzählung setzt in der Bundesrepublik am Vorabend der neoliberalen Zurichtungen an, also vor etwa 40 Jahren. Das war übrigens die Zeit, in der Wagenknechts heutiger Ehegatte Oskar Lafontaine als saarländischer Ministerpräsident der SPD und anschließend als Bundespolitiker große Popularität genoss. Damals, so der rosarote Blick zurück, habe sich der westdeutsche Sozialstaat noch am Gemeinwohl orientiert, Leistung habe sich noch gelohnt, Märkte hätten noch funktioniert und Politik wäre noch nicht von Konzernen gekauft oder beeinflusst gewesen. Letztlich müsse man wieder dorthin zurück, was nicht nur im Interesse der arbeitenden Bevölkerung sondern auch des sogenannten Mittelstands sei, den das Manifest wie der Bürgerliche Block von CSU bis Grüne als Lokomotive wirtschaftlicher Prosperität feiert. Folglich lesen sich die wirtschaftspolitischen Vorschläge des BSW wie Passagen aus Reden von Lindner, Merz, Scholz oder Habeck: „Noch hat unser Land eine solide Industrie und einen erfolgreichen, innovativen Mittelstand. Aber die Rahmenbedingungen haben sich ... dramatisch verschlechtert. ...Die deutsche Industrie ist das Rückgrat unseres Wohlstands und muss erhalten bleiben. Wir brauchen wieder mehr Zukunftstechnologien made in Germany, mehr hidden champions ... Wir brauchen Zukunftsfonds zur Förderung innovativer heimischer Unternehmen und Start-Ups ... und eine Außenwirtschaftspolitik ... die unsere Versorgung mit Rohstoffen und preiswerter Energie sicherstellt.“

 

Neue soziale Kraft?

Bei soviel nationalem „Wir“ und „unser“ stellt sich die Frage, ob das BSW die Interessen der arbeitenden und armen Bevölkerung tatsächlich besser gegen die des Kapitals vertreten wird als die Linke, schließlich gilt das neben der Friedensfrage ja als DAS Leitmotiv für die Gründung der neuen Partei. Im Manifest und begleitenden Äußerungen werden jedoch keine Anhaltspunkte dafür geliefert: So tritt das BSW wie die Linke für eine stärkere Tarifbindung und leichtere Allgemeinverbindlichkeit ein. Wie die Linke spricht sich das BSW gegen Privatisierungen in den Bereichen der Daseinsvorsorge aus und beim Thema Leiharbeit fällt das BSW mit der Position „In der Leiharbeit müssen mindestens die gleichen Löhne wie in den Branchen gezahlt werden, in denen die Leiharbeiter eingesetzt werden.“ sogar hinter das von der Linken geforderte Verbot von Leiharbeit zurück. Auch die vorläufigen BSW Ausführungen zur Bildung, zur stärkeren Besteuerung Vermögender oder zu Hartz IV und Grundsicherung lassen keine wesentlichen Unterschiede zwischen Linke und BSW erkennen. Das Image des BSW als neue soziale Kraft fußt also nicht auf ihr eigenen sozialpolitischen Positionen sondern darauf, dass sie Soziales neben Wirtschaft, und Frieden zu ihrem Schwerpunkt erklärt haben und der halt stärker hervortritt, wenn man andere Themen wie Klimawandel, Geschlechterfragen usw. ausblendet.

 

Klima retten gut und schön, aber...

Was sich die BSW-Autor:innen zum Thema Klimawandel einfallen haben lassen – oder besser was ihnen nicht eingefallen ist – ist nur noch beschämend. An der Klimapolitik der Ampel kritisieren sie nicht, dass sie weit hinter den Pariser Zielen von 2015 zurückbleibt, sondern dass diese „ ...Energie schlagartig teurer“ machte und damit „unserem Land der Verlust wichtiger Industrien und hunderttausender gutbezahlter Arbeitsplätze“ drohe. Deutschland solle anstelle von „Blinde[m] Aktivismus und undurchdachte[n] Maßnahmen“, die „unsere wirtschaftliche Substanz“ gefährden und „das Leben der Menschen“ verteuern sich auf „die Entwicklung innovativer Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale und naturverträgliche Wirtschaft der Zukunft“ konzentrieren. Oder wie sie es in einer FAQAntwort formulieren: „Wir befürworten Vorschläge, die mehr Klimaschutz bringen und gleichzeitig den Wohlstand unseres Landes nicht gefährden. Klimaschutzmaßnahmen, die die Menschen arm machen und den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, lehnen wir ab.“

An genau diesem Standortnationalismus der Länder des globalen Nordens scheitern bisher alle Klimakonferenzen.

 

Die Monopole der anderen

Eine wesentliche Ursache für viele Probleme in Deutschland wie marode Infrastruktur, Bildungsmisere, Pflegenotstand u.ä. sieht das BSW in der Entstehung von Monopolen, wobei Kartellbehörden versagt hätten und die Politik sich von Lobbyisten kaufen habe lassen. Deshalb wolle das BSW „Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten.“ Und weiter: „Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden.“ Was damit genau gemeint ist, wird wohl die Zukunft zeigen, sei es bei den ersten Programmdebatten oder einfach in der Praxis, wenn es z.B. darum geht, ob das Berliner Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen unterstützt wird oder nicht.

Klar erkennbar ist aber bereits, dass der Anti-Monopolismus des BSW stark nationale Züge trägt: „Die deutsche Industrie ist das Rückgrat unseres Wohlstands und muss erhalten bleiben.“ Sie solle gestärkt werden anstelle „Milliardensubventionen für Konzerne aus Übersee“ zu leisten. Insbesondere die deutsche Autoindustrie soll im internationalen Wettbewerb nicht durch ein baldiges Verbrennerverbot Schaden nehmen sondern möglichst weiter weltweit die Stärke der deutschen Wirtschaft absichern. Folgerichtig beklagt das Manifest explizit die Marktmacht der US-Giganten Amazon, Apple, Meta, Alphabet, Microsoft und Blackrock (natürlich zurecht), nicht jedoch die von deutschen Großkonzernen wie Siemens, SAP, Bayer oder Allianz. Hält das BSW Konzernmacht nur dann für schädlich, wenn deutsches Kapital nicht mit von der Partie ist?

 

Mehr Zusammenarbeit, Souveränität und Frieden“

Die Außenpolitik wird im Manifest zwar hauptsächlich im letzten Abschnitt abgehandelt, ist aber von zentraler Bedeutung für die Abspaltung von der Linken und dürfte die neue Partei mindestens auf Bundesebene erstmal als Koalitionspartner von CDU, SPD, FDP, Grüne ausschließen. Widerspricht das BSW doch – und das halte ich für den zustimmungsfähigsten Teil des Manifests – dem Aufrüstungskurs der NATO, Auslandseinsätzen der Bundeswehr und der Frontstellung gegen Russland. Damit könnte die neue Partei einem längst überfälligen Widerstand gegen den Aufrüstungskurs von Ampel und Christdemokraten auf die Beine helfen.

 

Einordnung und Ausblick

Es scheint, dass es sich bei der neuen Partei um ein im Kern sozialdemokratisches Projekt handelt, das eine etwas stärker regulierte Marktwirtschaft mit geringeren sozialen Unterschieden anstrebt. Privatkapitalistische Konkurrenz, Wirtschaftswachstum und Standortpolitik wird befürwortet wobei die Gesellschaft gegen schädliche äußere Faktoren besser abschirmt werden soll: Gegen mächtige internationale Konzerne, gegen die politisch-militärische Dominanz der USA, gegen zu viel Einfluss der EU und gegen zu viele Flüchtende aus Kriegs- und Armutsgebieten. Alles in allem eine Mischung an Positionen, die wohl fürs Erste mit „sozialkonservativ“ zutreffend bezeichnet ist.

Wie Andrej Hunko vom BSW jüngst in einem SoZ-Interview sagte, sei man bei dem Parteiprojekt auch inspiriert von der französischen Partei La France insoumis („unbeugsames Frankreich“), die als Nachfolgeorganisation der 2008 neu gegründeten Parti du Gauche („Linkspartei“) heute mit 72 Mandaten in der französischen Nationalversammlung sitzt und mit Jean-Luc Mélenchon eine mindestens so prägende Führungsfigur hat, wie das Bündnis mit Sahra Wagenknecht. Hunko weiter: „Auf dieser Grundlage sucht Mélenchon jetzt Bündnisse mit Kommunisten, Sozialisten oder auch den Grünen. Es erscheint mir auch in Deutschland sinnvoll, zumindest vorübergehend getrennt zu marschieren.“

Nun denn, wir werden sehen, welche Märsche in die gleiche Richtung gehen ...

SB