Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiter selbst sein!
Arbeiterstimme
Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis
Die Niederlage der spanischen Republik 1939 war eine Niederlage für die spanische und internationale Arbeiterbewegung und ist bis heute Thema ungezählter Bücher.
Die Aufsätze in dem vorliegenden Buch sind erstmalig in der Arbeiterstimme in den Ausgaben September 1986 bis Oktober 1987 veröffentlicht und später in einer Broschüre zusammengefasst worden.
Der letzte Ausweg der „bürgerlichen Mitte“: Schwarz-Rot plus neue Schulden ohne Bremse
Knapp vier Wochen vor der Wahl hat Friedrich Merz einen Vorstoß zur Migrationsfrage gestartet. Mit Verweis auf die stattgefundenen Anschläge behauptete er, jetzt müsse sofort gehandelt werden, eine Schließung der Grenzen und die Zurückweisung aller Menschen ohne gültige Einreisepapiere sei unbedingt notwendig. Ihm sei es völlig egal, wer diesem Vorschlag zustimme, wenn nur endlich das Richtige entschlossen angepackt würde. Konkret bestand das Handeln der Unionsfraktion darin, einen Entschließungsantrag und einen bisher in den Ausschüssen behandelten Gesetzesentwurf zur Abstimmung in den Bundestag einzubringen. Der Entschließungsantrag fand mit Hilfe der Stimmen der AfD eine Mehrheit im Bundestag, das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz jedoch nicht, obwohl auch hier die AfD zusammen mit den Unionsparteien stimmte. Auch FDP und BSW stimmten mehrheitlich dem Gesetz zu. Die Mehrheit im Bundestag wurde aber verfehlt, weil es aus der FDP zwei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen gab und 16 Abgeordnete von der FDP, 12 von CDU/CSU und drei vom BSW nicht an der Abstimmung teilnahmen. Einige Abgeordnete blieben vermutlich aus politischen Gründen der Abstimmung fern.
Nach dem Scherbenhaufen, den die Ampelkoalition hinterlassen hatte, sollte die Neuwahl des Bundestages einen Neustart in die Normalität bürgerlichen Regierungshandelns ermöglichen. Ein längerer Beitrag in diesem Heft beschäftigt sich mit den wesentlichen Aspekten der Wahl. In großer Eile begannen die Koalitionsgespräche zwischen CDU/CSU und der SPD. Noch vor der Bekanntgabe von Eckpunkten des Vertrages hatten sich die künftigen Regierungsparteien darauf verständigt, der Aufrüstungsindustrie einen Blankoscheck für alle weiteren Bedarfe auszustellen. Ohne zeitliche Befristung, ohne finanzielle Limits. Die von Merz im Wahlkampf umtanzte Schuldenbremse versenkte man über Nacht im Mülleimer der Geschichte, stattdessen wurde ein neues „Sondervermögen“ in der Höhe einer halben Billion Euro aufgelegt für „Infrastrukturmaßnahmen“. Was auch immer das bedeutet. Die GRÜNEN lassen sich kaufen, ihre Zustimmung zur Grundgesetzänderung bringt 100 Milliarden für den „Klimaschutz“. Was immer das auch bedeutet. Der alte Bundestag soll, bevor er verröchelt, noch eine Zweidrittelmehrheit für die Rekordschulden zusammenkratzen, denn die neue Sitzverteilung macht eine Grundgesetzänderung von der Zustimmung der AfD abhängig. Ob dem Kanzler in spe dies auch „völlig egal“ ist?
Der gewachsene Teil der Bevölkerung, der sich von der herrschenden Art der bürgerlichen Politik abgewandt hat, wird sich durch die zu erwartende Politik keiner anderen Meinung befleißigen, im Gegenteil.
Die Europäer und vor allem die Deutschen erleiden gegenwärtig eine massive Zeitenwende, die ihnen ihre mangelnde weltpolitische Bedeutung schmerzlich vor Augen führt. Die neue US-Administration arbeitet im Rekordtempo ihren Maßnahmenkatalog ab. Politik wird nicht mehr nach nachvollziehbaren, realen Gesichtspunkten und Erfordernissen gemacht, sondern nach persönlichen Stimmungen und Befindlichkeiten. Kriege können im Handumdrehen beendet werden, es gibt keine Verbündeten mehr, Verträge und bestehende Rechte haben keine Geltung mehr. Auf Länder, von denen sich die USA Vorteile erwarten, erhebt der Präsident Anspruch und übt gewaltigen Druck aus, um seine Sichtweise durchzusetzen . So ist eine „Riviera des Nahen Ostens“ im Gazastreifen der Nachkriegszeit vorgesehen, die palästinensischen Bewohner sollen, weil sie stören, wieder einmal vertrieben werden.
Die USA und Russland verhandeln über die Beendigung des Ukrainekrieges, gerne auch ohne Selenskyi, ohne die Ukraine und am liebsten auch ohne die Europäer. Damit ist der Angriff Russlands kein Thema mehr, die Rolle der USA und der NATO, die diese Konfrontation befeuerten, braucht nicht mehr behandelt zu werden. Dessen ungeachtet werden der Krieg und seine Folgen auf lange Zeit den Lauf der Geschichte mitbestimmen. Wir werden demnächst näher darauf eingehen.
Am 19. Dezember fand die Beisetzung unseres verstorbenen Alt-Genossen Hans Steiger in Nürnberg statt. Genossinnen und Genossen der Gruppe und befreundeter Gruppen erwiesen ihm die letzte Ehre. Ein Genosse hielt zur Würdigung von Hans und seines Wirkens eine eindrucksvolle Gedenkrede, die wir hier abdrucken. Wir bedanken uns für die Anteilnahme und Würdigung, die ihm in Zuschriften entgegengebracht worden ist. Wir werden ihn nicht vergessen und unsere Arbeit in seinem Sinn fortsetzen.
Mit dem neuen Armuts- und Reichtumsbericht von Oxfam befasst sich ein Artikel, der, über die bloßen Vermögenszahlen hinaus, die zunehmende Macht von Milliardären und ihre unmittelbaren Eingriffe in die Gesellschaften untersucht.
Der neuen weltpolitischen US-Agenda widmen wir uns in einer kurzen Glosse.
Wir veröffentlichen in dieser Nummer eine ausführliche Analyse der Situation von Venezuela, der, bereits auf der Jahreskonferenz vorgestellt, in der Winternummer keinen Platz mehr gefunden hatte.
Zur Regierungsbildung in Österreich hat ein befreundeter Genosse aus Österreich seine Gedanken in einem Artikel zusammengefasst.
Georg Aurnheimer hat uns dankenswerter Weise einen Beitrag zur Verfügung gestellt, mit dem der Umsturz der Assad-Regierung Syriens in die gewaltsamen Umbrüche des gesamten Nahen Ostens eingeordnet werden kann. Wer präzise Informationen schätzt, wird aus diesem Artikel großen Gewinn ziehen.
Unser Seminar in München findet heuer am 10.und 11. Mai statt. Anmeldungen werden gerne entgegengenommen
Wir bedanken uns bei den Leserinnen und Lesern, die uns bereits seit Beginn des neuen Jahres finanziell unterstützt haben! Wir sind dringend darauf angewiesen. Deswegen legen wir auch dieser Frühjahrsnummer einen Überweisungsträger bei und hoffen auf reichliche Zuwendungen.
IV und WKÖ scheitern mit maximaler Mehrwertabschöpfung
Nach 151 Tagen, der längsten Regierungsbildungsdauer in Österreich bisher, fand am 7. März die Regierungserklärung der neuen Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS im Parlament statt. Andy Babler (SP), Beate Meinl-Reisinger (NEOS) und Christian Stocker (VP) einigten sich. Was lange dauert, funktioniert nun wohl zum Zweiten. Anfang Jänner stiegen die NEOS aus eher undurchsichtigen Gründen aus den Verhandlungen aus, obwohl bereits über 80 Prozent ausverhandelt waren, weil angeblich Leuchtturmprojekte fehlten. Welche das waren, wurde nie erläutert. Massive Verschlechterungen bei Pensionen blockte die SP ab. Anschließend verhandelten VP und SP weiter, sie verfügen allerdings nur über eine Stimme Mehrheit im Parlament. Die Konservativen taten dies nur zum Schein, die Würfel waren längst gefallen. Als Vorwand für die Aufkündigung der Verhandlungen diente Bablers Forderung nach einer Bankensteuer.
Die ´Oberösterreichischen Nachrichten´ berichteten von einem Treffen der mächtigen Landeshauptleute von Oberösterreich und Salzburg mit den Spitzen der IV (Industriellenvereinigung) und der WKÖ (Wirtschaftskammer). Sie beschlossen aus den Verhandlungen auszusteigen und die Gelegenheit zu nutzen, um mit den Rechtsextremen in einer Regierung maximale Profite zu erzielen. Der bisherige Bundeskanzler und Verhandlungschef, der stets betont hatte, mit Kickl nicht zu koalieren, wurde kalt abserviert, ähnlich wie einst Mitterlehner durch die Intrigen des Sebastian Kurz.
Es gibt Neuigkeiten von der regelbasierten Ordnung. Wir waren noch im Herbst 2024 davon ausgegangen, dass in Panama „unsere Interessen“ bereits hervorragend sichergestellt seien (Arbeiterstimme 225, S. 11). Und wenn nicht, gibt es ja noch die US-Navy ganz in der Nähe. Die deutschen Freiheitsbemühungen per Flotte dürften kaum nachgefragt werden. In Teilen sieht das der neue US-Präsident, der gleichzeitig sein eigener Nach-Nachfolger ist, erheblich anders. Die Deutschen sind aus dem Spiel, das bleibt dabei.
Neu ist, dass er den Panama-Kanal zurückhaben möchte. Denn die USA in ihrer unendlichen Güte hätten ihn Panama „geschenkt“ und Panama habe sich undankbar gezeigt: „Wir wurden … sehr schlecht behandelt.“ (Die Aussagen in Anführung sind nach dem Faktencheck der DW zitiert.) Dass die Rückgabe der Kanalzone inklusive des Kanals auf den Torrijos- Carter-Verträgen beruht, die 1977 unterzeichnet wurden und nach über zwanzig Jahren gemeinsamer Verwaltung mit dem völkerrechtlich verbindlichen Besitzwechsel zum Abschluss kamen – geschenkt. Die Fans des Völkerrechts und der regelbasierten Ordnung hierzulande nahmen die Ansagen einfach zur Kenntnis, ohne auf einem der vorgesehenen diplomatischen Kanäle angemessen zu reagieren. Die Europäische Kommission, die NATO, die deutsche Bundesregierung mitsamt der großen Völkerrechtlerin im Außenministerium schweigen und tauchen ab, bis der Präsident das nächste Schwein durchs Dorf treibt.
gehalten bei der Beerdigung unseres Genossen Hans Steiger
Werte Trauernde,
Am 15. November starb unser Genosse Hans Steiger in Nürnberg. Er war Mitgründer der Gruppe Arbeiterstimme und damit der letzte seiner Generation in unseren Reihen.
Hans hat die vielen Brüche des 20. und des beginnenden 21.Jahrhunderts in der deutschen Geschichte miterlebt. Den Faschismus, der sein junges Leben in den Jahren des Hungers und der Bomben bedrohte, und die sogenannten Wirtschaftswunderjahre, in denen die meisten Menschen von der Politik nichts mehr wissen wollten – es ging ja aufwärts, auch bei den Tätern, ohne die ein so umfassendes Menschheitsverbrechen nicht möglich gewesen wäre. Den Aufbruch der Jahre um 1968, die das Versprechen abgaben, dass eine andere Politik durchsetzbar wird, mit anderen gesellschaftlichen und persönlichen Freiheiten und einem anderen, unbelasteten Personal und die Restriktionen der späteren 1970er Jahre mit ihrer bleiernen Zeit und den Berufsverboten.
Die Verschärfung der militärischen Spannungen im Europa der 1980er und das Ende der sozialistischen Staatenwelt, inklusive der Sowjetunion.
Hans, wie uns alle in der Gruppe Arbeiterstimme, hat dieses Ende sehr getroffen, auch wenn wir dem existierenden Sozialismus stets kritisch, aber auch solidarisch gegenüberstanden. Wir wussten immer von den unzureichenden Voraussetzungen nach dem Weltkrieg, um ein antikapitalistisches System aufzubauen und waren doch erschüttert, als die Staaten nacheinander implodierten. Ich erinnere mich, dass Hans, inmitten des politischen Desasters, seiner Befriedigung Ausdruck gab, dass dieses Ende eines Staatensystems weitgehend unblutig verlief. Welchen Wert diese Tatsache hatte, mussten wir ohne weltgeschichtliche Pause zuerst außerhalb Europas, bald aber auch in Europa selbst miterleben. Den äußerst blutigen Krieg um Kuweit und die US-Invasion im Irak, die Sezessionskriege in Jugoslawien, das in blutige Stücke gerissen wurde, den NATO-Krieg gegen Serbien, in dem auch die Bundeswehr aktiv war.
Uns Jüngeren, die wir zwar die Fakten kannten, aber kein Erleben damit verbinden mussten, gelang es leichter, Distanz zu bewahren. Hans hatte es da viel schwerer, alle Kriege und Katastrophen wirkten nochmals so bedrückend, weil sie auf den Resonanzboden seiner Kindheits- und Jugenderinnerungen trafen.
Trotz alledem oder gerade deswegen: Hans war davon überzeugt, dass sich der Kampf für eine bessere, eine sozialistische Zukunft lohnen wird. Dafür trat er bereits als junger Erwachsener ein: zuerst in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung, dann in der Arbeiterbewegung. Seine Hinwendung zum Sozialismus erfolgte in der Gruppe Arbeiterpolitik, wo er mit Genossinnen und Genossen Kontakt bekam, die seit langer Zeit politische Erfahrung hatten. Die für ihre Überzeugungen Verfolgung, Haft und Exil erleiden mussten und die ihn prägten. Er schärfte seine Überzeugungen in vielen Diskussionen und Aktionen. Mit Schulungsabenden und im Selbststudium gewann er neues Wissen und größere Sicherheit bei der Beurteilung gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Daraus resultierte auch seine Herangehensweise an Probleme, seine Art zu diskutieren und vor allem seine typische Zähigkeit, wenn er Ziele verfolgte.
Zu Beginn der 1970er Jahre wagte er mit einigen Genossen der alten Gruppe einen Neuanfang mit der Gruppe Arbeiterstimme, deren Mitgründer er war. Man war auseinandergegangen, weil die politischen Differenzen nicht mehr anders zu überbrücken waren. Die Aufgaben mit dem Aufbau einer neuen Stimme im linken Lager waren vielfältig und sicher sehr belastend. Neben der Festigung der eigenen Gruppe in Diskussionen und Auseinandersetzungen wollte man nach außen wirken. Die Gruppe gab eine eigene Vierteljahreszeitschrift, die gleichnamige Arbeiterstimme, heraus. Über lange Zeit prägten seine Artikel das Bild in der Öffentlichkeit. Entlastung bekam er erst, als die jüngere Generation stärker Verantwortung übernehmen konnte.
Sein über viele Jahre gewonnenes Wissen, seine unschätzbare Erfahrung und sein nimmermüder Einsatz für eine bessere, eine sozialistische Zukunft prägten unsere Gruppe nicht nur über die Jahrzehnte, sondern halfen uns, Rückschläge und Enttäuschungen, die unsere Arbeit begleiteten, zu analysieren und in produktiver Weise umzusetzen. Seine Art, den Menschen zugewandt zu sein und zu bleiben, war für uns und unsere politische Reifung essenziell. Diskussionen und Auseinandersetzungen, die in der Sache auch hart sein konnten, führten nicht zur persönlichen Verletzung. Auch wenn sich die politischen Wege trennten, konnte man sich immer noch ins Gesicht sehen. Der tiefe, gelebte Humanismus, der so stark mit seinen Kindheits- und Jugenderfahrungen im und nach dem Krieg zu tun hatte, war uns Anschauung und Vorbild zur gleichen Zeit.
Wir werden ihn nicht vergessen.
Am 28. Juli 2024 haben in Venezuela Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Nach dem amtlichen Ergebnis wurde Nicolas Maduro mit 51,2 % der Stimmen als Präsident wiedergewählt. Die Opposition sieht das ganz anders. Sie reklamierte den Sieg für ihren Kandidaten, Edmundo Gonzales, und spricht von massiven Wahlfälschungen des Regimes. Diese Kontroverse hat Venezuela wieder einen prominenten Platz in den Nachrichten verschafft.
Auch unabhängig von diesem aktuellen Anlass stellt sich die Frage: Wo steht Venezuela heute ? Was ist geblieben von der „bolivarischen Revolution“ und dem Aufbruch in Richtung „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Auch bei uns wurde die Rede vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ von vielen Linken zustimmend aufgenommen und Hugo Chavez galt als Hoffnungsträger für Lateinamerika. Es gibt also Potenzial für enttäuschte Hoffnungen und dergleichen. Die hiesige Debatte bildet auch die Motivation, sich mit Venezuela zu beschäftigen. Wir sollten das Thema nicht der anti-sozialistischen Propaganda in dem Sinne, dass „Sozialismus noch nie funktioniert hat, nicht im 20. und auch nicht im 21. Jahrhundert“ - überlassen.
Sofort nach dem Sturz des Assad-Regimes wurde über die Abschiebung von Flüchtlingen aus Syrien debattiert, soweit sich die nicht hier nützlich machen und zum Beispiel den Personalmangel im Gesundheitswesen mildern helfen. Die Politiker:innen zeigten sich hoch zufrieden über das Ende der „Schreckensherrschaft“ von Assad. Man hofierte den Anführer der multinationalen Dschihadistenmiliz, die nun den größten Teil Syriens kontrolliert. Es dauerte etwas, bis bei europäischen Politiker:innen, darunter sogar der Protagonistin einer „feministischen Außenpolitik“, Ernüchterung eintrat.
Das Alltagsleben war und ist für die Menschen in Syrien nach wie vor bedrückend. Es gab selten Strom. Der Brotpreis war um das Zehnfache gestiegen. „Syrische Städte sind von Zerstörung, Plünderung und improvisierter Ordnung geprägt“, so die Korrespondentin Karin Leukefeld Anfang Januar.i Ämter wurden in Brand gesetzt. Vor allem wissen die Menschen nicht, was die Zukunft unter dem neuen Regime bringen wird.
Die religiösen Minderheiten (Alawiten, Drusen, Christen verschiedener Konfessionen und Schiiten) waren von Anfang an besorgt, und das offenbar zu recht. Nach Angaben der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ (SOHR) sollen bereits Ende Dezember in der Küstenregion um Latakia, einem stark von Alawiten besiedelten Gebiet, vierzehn Menschen getötet worden sein. Ende Januar las man von einem ersten Massaker in einem alawitischen Dorf, gestützt auf den Bericht einer libanesischen Journalistin. Bewaffnete seien mit Pick-ups in den Ort eingefallen, hätten um sich geschossen und geplündert. Es seien die Leichen von Dutzenden Männern aus dem Dorf gefunden worden, andere in einem Krankenhaus abgeladen worden. Ähnliches wurde der Journalistin über ein anderes Dorf erzählt. Die SOHR zählte in der vorletzten Januarwoche 35 getötete Alawiten, Schiiten und Murschidija, Anhänger einer islamischen Sekte, und außerdem 40 verschleppte und vermisste Personen.ii Anfang Februar zeigte sich der Menschenrechtsverein Tüday e. V./Köln alarmiert über die Gefährdung der religiösen Minderheiten in Syrien, vor allem, aber nicht nur, der Alawiten. Auch Drusen hätten „erhebliche Sicherheitsprobleme“. Die christlichen Glaubensgemeinschaften stünden „unter massivem Druck“.iii
Weiterlesen: Der Nahe Osten wird bis zur Unkenntlichkeit verändert
Die Arbeiterbewegung von gestern durchlebt ihren Wandel ins Morgen
Denn der Niedergang überholter Zuordnungen wie Bindungen verlangt neue organisatorische wie aktionistische Formen, die den Emanzipationskampf aus der Lohnabhängigkeit weitertreiben, weil die soziale Lage des Verdingens der Arbeitskraft gegen Lohn zur Gewährleistung ihrer Reproduktion bislang keine dauerhafte Aufhebung erfuhr.
Die im 19. Jahrhundert u.Z. auf Basis industrieller Produktion sich durchsetzende kapitalistische Produktionsweise rief zugleich eine wachsende Arbeiterbewegung in Europa wie Nordamerika mit Konsumgenossenschaften, Gewerkschaften und Arbeiterparteien hervor.
Im direkten Gegensatz von Kapital und Arbeit, zudem auch staatlichen Institutionen als Beschäftigungssektor konnten sich seitdem Gewerkschaften mit schwankender Konflikt- somit Durchsetzungsfähigkeit bis heute behaupten. Der Zweig preisgünstiger Konsumgenossenschaften unterlag jedoch dominierender Marktmacht kapitalistischer Handelskonzerne und auch die reformistisch ausgerichteten sozialdemokratischen Arbeiterparteien erlagen ideologisch entkernt letztlich ihren Erfolgen sozialstaatlicher Absicherungen, die sie unter verringerten ökonomischen Wachstumsraten bei Rücksicht auf leichtere Verwertungsbedingungen des Kapitals nicht verstetigen können oder wollen.
Gemessen an der Zahl der weltweiten Lohnarbeit leistenden Beschäftigten sind gewerkschaftliche Zusammenschlüsse von höchstens 200 Millionen Mitgliedern aber auch nur etwa sechs Prozent von 2,9 Milliarden Lohnarbeitern. Und die Masse der gewerkschaftlich Organisierten ist zudem nach wie vor in den entwickelten kapitalistischen Metropolen vorzufinden. Gesellschaftliche Modernisierungsansätze in ökonomisch zurückgebliebenen Regionen wie Russland um 1900 oder Asien mit staatlich-planwirtschaftlicher Zielsetzung stagnierten nach Anfangserfolgen und gingen in mehr oder weniger staatlich regulierten Kapitalismus über, sodass an ihnen orientierte kommunistische Parteien in den kapitalistischen Metropolen ihren Rückhalt verloren und sich derzeit mit einer Randexistenz begnügen müssen.
Daher kann in seinem Buch „...Erkämpft das Menschenrecht“ Marcel v. d. Linden momentan konstatieren: „Der Niedergang der Arbeiterbewegung scheint fast umfassend zu sein“. Darin liegt der Wert dieser kritischen Vergegenwärtigung der Erfolge wie Niederlagen, dann aber auch heutiger eher passiven Phase einer Bewegung, die aktuell vor allem in Lohnkämpfen aufgeht und für Beschäftigungserhalt in von Schließung bedrohten Betrieben mobilisiert, nicht jedoch die „Systemfrage“ dahingehend stellt, ob die kapitalistische Produktionsweise noch eine Zukunft hat und dann welche? Ein noch relativ hoher Konsumstandard selbst bei Erwerbslosen oder Rentnern zwingt nicht zu „Visionen“.eines besseren Lebens und belässt es dabei, sich mit den Verhältnissen bei allen Unannehmlichkeiten abzufinden. „Wenn der Sozialismus überleben soll, wird er daher wohl Ansätze „von unten“ und „von oben“ kombinieren müssen, indem er Regierungspolitik, Selbstorganisation und groß angelegte Mobilisierung strategisch miteinander verbindet. Ein solcher Wandel wird sehr viel Zeit, in Anspruch nehmen.“ M. v. d. Linden /S. 207. Zusammen mit greifbaren Titeln zur Geschichte der Arbeiterbewegung (Abendroth / Sozialgeschichte d. europäischen Arbeiterbewegung, Klönne / Die deutsche Arbeiterbewegung, oder reflektiert autobiographisch Paul Elflein „Immer noch Kommunist?“ erhältlich über Arbeiterstimme) ist die Abhandlung von M. v. d. Linden bestens geeignet, gerade jüngeren Aktivisten in Gewerkschaften, Initiativen oder Parteien einen Zugang zu den wesentlichen Fragen des Klassenkampfs gestern wie heute für eine illusionslose Praxis zu eröffnen.
Auf die durchgängigen entnervenden Gender-Hinweise, auch Frauen könnten hier und da in der Arbeiterbewegung eine Rolle inhaben, sollte der Verlag im Hinblick auf Lesefluss und sozialer Kompetenz der Interessenten bei hoffentlich weiteren Auflagen des Buchtitels verzichten.
Hubert Zaremba Göttingen, 5.3.2025
Marcel van der Linden
„... Erkämpft das Menschenrecht“
Vom Aufstieg und Niedergang klassischer Arbeiterbewegungen
2024 ProMedia-Verlag, Wien, 216 S. 25,- Euro