Normalerweise sind 40 Jahre eine lange Zeit und eigentlich Grund zum Feiern. Bei einer politischen Gruppe, die sich bestimmte Ziele gesetzt hatte, ist das jedoch etwas Zwiespältiges. Einerseits ist es schon bedeutsam, so lange durchgehalten zu haben, über alle Zeitereignisse hinweg – zuerst mit Hoffnungen und dann mit schweren Enttäuschungen. Da liegen tausende Stunden Arbeit hinter manchem von uns, oft endlose Diskussionen, Streit und Demonstrationen. Wenn andere ihrem Vergnügen nachgingen, stand für uns die Aufgabe, uns zu informieren, Papiere zu studieren und Analysen zu erstellen. So kamen in den vier Jahrzehnten auch über 160 Ausgaben der Arbeiterstimme zustande. Sie mussten auch immer wieder gestaltet, verschickt und verkauft werden; nicht eine Nummer ist ausgefallen. Auf der anderen Seite waren die Verhältnisse nicht so, dass wir die gestellten Ziele annähernd erreichen konnten, im Gegenteil. Wir konnten so unsere Kleinheit und die Schwächen nicht überwinden. Eine ganze Generation von Mitgliedern ist in dieser Zeitspanne verstorben. Unser Wirken sollte ja auch dahin führen, die Voraussetzungen zu schaffen, um in etwas Größerem, Gemeinsamen aufzugehen – eben, uns als Gruppe überflüssig zu machen.
Zum Werdegang selbst: Im Mai 1971 erschien die erste Ausgabe der Arbeiterstimme. Ende das Jahres 1971 entstand die Gruppe Arbeiterstimme auf der Gründungsversammlung in Frankfurt, bei der sich 19 Genossinnen und Genossen zusammenfanden, das waren etwa zwei Drittel der in Frage kommenden künftigen Mitstreiter. Es ging darum, verschiedene Zirkel zu vereinen, ein Statut auszuarbeiten und unserer neu zu gründenden Gruppe und Zeitung Namen und Inhalt zu geben. Bei den Teilnehmern handelte es sich um die Genossinnen und Genossen der Gruppe Arbeiterpolitik Nürnberg und um den Kreis älterer KPO- und Arpo-Genossen um Unser Weg (Redakteur Hermann Jahn) und uns sonst politisch Nahestehende. Mit dabei waren auch die ersten Opponenten der Bremer Arpo-Gruppe um Schorse Stockmann. Ich hatte vorher die Fäden brieflich und telefonisch gezogen und so konnten wir uns der Unterstützung einiger Nichtanwesender sicher sein, was dann auch finanziell von Bedeutung war. Als Sitz der Redaktion und der Gruppenleitung wurde Nürnberg bestimmt. Hans Kunz zeichnete für das Impressum der Zeitung verantwortlich. Unter anderem waren anwesend: Junggewerkschafter aus Nürnberg, Hans Brechenmacher aus der Schweiz (KPO), Isi Abusch, Udo Winkel und Alfred Schmidt aus Frankfurt mit seinen 80 Jahren. Im Laufe der Zeit bestand die Redaktion in Nürnberg aus sechs bis sieben Mitgliedern, die im „Parteilokal“, der Wohnung von Hans Kunz, der auch die Gruppenadresse stellte, in der Peterstraße zusammenkamen, wöchentlich. Ich traf Hans Kunz fast jeden zweiten Tag. Die älteren Gründungsmitglieder der Arsti waren zuvor langjährige Mitglieder der Arbeiterpolitik, zum Teil auch der KPO, gewesen. Sie waren enttäuscht von der Gruppenleitung, manche waren inaktiv geworden, oft auch, weil sie nicht gebraucht wurden, was man ihnen in der Ära Günter Kuhlmann auch zu verstehen gab. Auf Interventionen und Briefe in der Arpo gab es selten eine Antwort, zu diskutieren war man nicht bereit, vielleicht auch arbeitsmäßig überfordert. Die Behandlung von Alfred Schmidt war nicht nur unzulänglich, sondern auch würdelos. Es war ja auch eine Tatsache, dass viele von den Altgenossen in der Weimarer Zeit und der Nazi-Zeit schwere Schicksalsschläge hinnehmen mussten und auch politisch enttäuscht wurden. Dickköpfigkeit und Sturheit mögen da manchmal zum Durchhalten nötig gewesen sein. Auch wir von der Redaktion der Arsti hatten mit ihnen manchmal einen harten Strauß auszufechten.
Auf die Abspaltung der Nürnberger Gruppe reagierte die verlassene Gruppe, die vor allem in Bremen und Hamburg weiterbestand, mit Ignoranz. Andererseits scheute Pep sogar vor Verleumdungen nicht zurück, wobei er in der Arpo-Jahreskonferenz 1971 von den anderen leider keinen Widerspruch erfuhr. Statt die politischen Streitpunkte aufzuzeigen, behauptete er u.a. laut Protokoll: „Am Beispiel der Entwicklung des Genossen Steigers muß man klar sehen, daß diejenigen Kräfte, die nicht aus dem Proletariat, nicht aus dem Kampf, sondern aus der intellektuellen Einsicht heraus zum Kommunismus kommen, immer durch ihre ursprüngliche Klassenlage gefährdet sind, die kommunistische Bewegung wieder zu verlassen. Die historischen Beispiele hierfür sind zahlreich. Die wirklichen kommunistischen Kerne kommen aus den Kämpfen, aus der Konfrontation mit der Gesellschaft zum Kommunismus. Andererseits müssen wir uns aber fragen, wie es kommt, dass in der gesamten Nürnberger Gruppe keine Genossen gegen deren Linie auftraten.“
Die Gründung der neuen Gruppe Arbeiterstimme war der Versuch, angesichts einer nicht mehr im Sinne der innerparteilichen Demokratie funktionierenden Arpo eine neue Arpo zu installieren und die zunehmenden ultralinken Tendenzen in der Gewerkschaftsfrage abzuwehren. Der politischen Streitfragen gab es eine Menge. In der Bremer Gruppe selbst entzündeten sich die Auseinandersetzungen an den Straßenbahndemonstrationen Jugendlicher, vor allem aber an der zweiten Liste bei der Betriebsratswahl in der Klöckner-Hütte (Bonno usw.). Die Nürnberger z. B. hatten eine andere Einschätzung der Entwicklung des „Prager Frühlings“, sie protestierten gegen die Verfälschung von Artikeln (SU, NPD, Gewerkschaft) und waren entsetzt über Peps weltpolitische Fehleinschätzungen in der Arpo, z. B. „Die USA in Agonie“, und das 1970!
Politisch bekannte sich die neue Gruppe zu Aufgaben, die schon die KPO und die alte Arbeiterpolitik sich stellten; so vor allem: Förderung der Entwicklung von Klassenbewusstsein, Klassenkampf anstelle von Sozialpartnerschaft, Betonung des wichtigen Stellenwerts taktischen Vorgehens, Propagierung des Sozialismus, Herausbildung kommunistischer Kader als Vorbereitung zur späteren Gründung einer kommunistischen Partei. Einig waren wir uns, dass der Bezug auf die Arbeiterklasse weiterhin gültig sei, trotz der Schwierigkeiten, die uns allen bewusst waren. Kritik und Selbstkritik und ein freundschaftlicher Umgang miteinander sollten in der neuen Gruppe bestimmend sein. Freilich, fünf Jahre später sollte sich zeigen, dass man so etwas zwar anstreben kann, doch die veränderten politischen Verhältnisse, das geänderte Umfeld, das auf eine Gruppe einwirkt, dann aber oft stärker sind. 1971 jedenfalls war der Nachklang der Studentenbewegung noch stark, hielt der linke Aufschwung in Deutschland und der Welt noch an. Bei den Differenzen zwischen der Arpo in Bremen und in Nürnberg spielte auch die Entfernung eine Rolle und noch mehr die unterschiedlichen politischen Gegebenheiten in Bayern und in den nördlichen Stadtstaaten. In Bayern regierte mit absoluter Mehrheit und mit harter Hand die CSU; die SPD war in der Diaspora. Unser Nürnberger Gewerkschaftsapparat, obwohl auch aus SPD-Mitgliedern bestehend, war linker geprägt, eine Anzahl der Gewerkschaftsführer war in der SAP gewesen, einige hatten sogar früher der Arpo nahegestanden. In Bremen andererseits herrschte seit Jahrzehnten die SPD, gab es traditionell ein Zusammenspiel zwischen Bürgertum und sozialpartnerschaftlichen Sozialdemokraten. Diese Unterschiede hatten ihre Auswirkung auf die unterschiedlichen Einschätzungen des Verhältnisses zwischen Gewerkschaftsbasis und Gewerkschaftsführung, wobei wir immer bestrebt waren, die regionalen Besonderheiten nicht als das Allgemeine anzusehen.
Ein anderes Element des politischen Auseinanderlebens waren die gruppeninternen Auswirkungen der Jugendbewegung und der sogenannten „Wilden Streiks“. Waren auf den Jahreskonferenzen früher etwa 25 bis 35 GenossInnen anwesend, die man meist kannte, so war ab ca. 1967 plötzlich der Saal voll, aber mit von Jahr zu Jahr wechselnden Anwesenden. 70 bis 80 Leute aus verschiedensten Zirkeln und Betrieben tauchten auf und verschwanden bis zum anderen Jahr wieder. Es war unklar, wer überhaupt zum Führungskern gehörte. Auf der Konferenz in Steinkimmen, als für mich zum ersten Mal Pep wieder in der Gruppe mitwirkte, wollte die Redaktion um Günter Kuhlmann die opponierenden Bremer Genossen und Hermann Jahn ausschließen lassen. Doch die Versammlung zeigte sich damit politisch völlig überfordert, auch wir Nürnberger. Die große Mehrheit wusste überhaupt nicht, um was es genau ging. Der Ausschluss ging dann mit sechs oder sieben Ja-Stimmen vor sich, alle anderen enthielten sich (!), auch wir Nürnberger.
Doch zurück zur neugegründeten Gruppe, die nun vor allem durch den Zusammenschluss der Genossen von Unser Weg und der Gruppe Arbeiterpolitik Nürnberg zustande kam. Diese Vereinigung von Altgenossen und Junggenossen war auf der einen Seite fruchtbar, da die Jüngeren aus Nürnberg die Tradition und die politischen Grundsätze der KPO meist erst oberflächlich aufgenommen hatten und nun dazulernen konnten. Die andere Seite war, dass viele Altgenossen, um mit Isi Abusch zu sprechen, „Gewesene“ waren; also durch die Niederlagen, durch KZ und Gefängnisse und durch die Enttäuschungen im eigenen Lager verbraucht waren. Die Folge war, dass manche an der Vergangenheit hängen blieben, querulantisch oder inaktiv wurden. Auch die Entfernungen spielten eine Rolle. Andere wiederum wie Hermann Jahn, Schorse Stockmann und Isi und Friedel arbeiteten, soweit sie konnten, gleich mit. In der Nürnberger Gruppe überwogen die neu Hinzugekommenen, vom alten Kern zu Karl Grönsfelders Zeiten waren nicht mehr Viele übrig geblieben.
Wir sollten uns den alten Ursprungskern noch mal vornehmen, um die Entwicklung besser zu verstehen. 1948 leitete Karl Grönsfelder die Nürnberger Ortsgruppe der Gruppe Arbeiterpolitik mit ca. 50 Personen. Als ich dort 1956 meine ersten Gehversuche in Richtung Marxismus machte, waren meist Arbeiter aus Metallbetrieben anwesend. Einige Jahre später waren wir nicht mehr als fünf, Karl Grönsfelder, Hans Kunz, Helmut Insinger und Erich Hansel. Es war die bleierne Zeit der Wirtschaftswunderjahre, als der Kalte Krieg auf dem Höhepunkt war, mit Antikommunismus, KPD-Verbot und Linkenverfolgung. Gleichzeitig verursachte der wirtschaftliche Aufschwung den Niedergang der sozialistischen Bewegung und der Arbeiterbewegung. Statt Klassenkämpfen überzog eine politische Friedhofsruhe das Land, die auch schwer auf den Gewerkschaften lastete. 1959, im Zuge der allgemeinen Entwicklung, löste sich die Gruppe Arbeiterpolitik, die unter der Führung von Rudi Hanke und dem BR-Vorsitzenden Söchtig stand, auf – im Werk Salzgitter hatte es 600 Leser der Arpo gegeben! Der Nürnberger Zirkel machte in bescheidenem Umfang weiter. Karl war auch in Verbindung mit Heinrich Brandler und anderen. Ich konnte durch meine Reisetätigkeit unserem kleinen Kreis mit der Zeit einige Sympathisanten zuführen. Inzwischen hatten einige Unentwegte um Schorse Stockmann und Heinz Kundel in Bremen wieder begonnen, im Geiste der Arpo ein hektographiertes Blatt herauszugeben, „Briefe an unsere Leser“, an dem wir mitarbeiteten. 1964 starb Karl Grönsfelder. Ich hatte acht Jahre von meinem Mentor lernen können, von einem bescheidenen und einfachen Menschen, der den Marxismus anzuwenden verstand, obwohl er nur vier Klassen Volksschule besucht hatte. Er war früher schon Führer des Spartakusbundes in Nürnberg gewesen, nach dem I. Weltkrieg in der Leitung der bayerischen KPD und in den 20er Jahren bayerischer Landtagsabgeordneter.
1966 flog ich zum ersten Mal zu einer Jahreskonferenz nach Hamburg, wo wir vorher in Heinrich Brandlers kleinem Krankenzimmer tagten. Das war der Beginn einer leider nur kurzen Beziehung, in der er dann brieflich mit mir verkehrte. Er starb 1967 im Alter von 86 Jahren.
Mitte der 60er Jahre änderte sich die Nürnberger Gruppe und sie fand heraus aus ihrer Isolation. Denn die Angst vor einem Atomkrieg hatte Teile der Bevölkerung ergriffen und stärkte die Übriggebliebenen in der Friedensbewegung. Vor allem Jugendliche beteiligten sich nun an den Ostermärschen, aber auch Gewerkschafter. Aus diesem Kreis lud Udo Winkel, den wir schon vorher gewonnen hatten, Interessenten zu unseren monatlichen Veranstaltungen ein; später kamen sie auch in die Arbeitskreise. Es waren unterschiedliche Leute, auch eine Anzahl Aktiver aus der IG-Metall-Jugend. Mehrere von ihnen waren an der Gründung der Arsti beteiligt. Einen weiteren Schub gab es dann mit dem Aufkommen der Studentenbewegung. Bei den monatlichen Treffen waren wir 20 bis 28 Teilnehmer im Wohnzimmer von Hans Kunz. Dort wurden sowohl die Büroarbeiten als auch die Versandarbeiten für die Arsti erledigt. Da müssen wir Pauline Braun-Höfler, die beim ASB arbeitete, ein Denkmal setzen, die nicht nur bereit war, zeitweise für das Impressum gerade zu stehen, sondern auch manchen Sonntag in der Baracke oder im Politkeller die Zeitungsadressen abrollte. Sie übernahm auch die Kassenbuchhaltung. Mit Ludwig gewannen wir einen Betriebsratsvorsitzenden eines Nürnberger Metallbetriebs; Bärbel kam von den Pfadfindern. Über viele Jahre entwarf die Gruppe zum 1.Mai Flugblätter und verteilte sie vor Großbetrieben.
Die Nürnberger Gewerkschaften hatten, wie fast überall, den 1. Mai schon viele Jahre in den Saal verbannt, doch 1971 schien die Zeit reif für eine Straßendemonstration, mit oder ohne Segen des DGB. Die Gruppe ergriff die Initiative, lud linke Gruppen und Parteien ein, die dann nach nervenaufreibendem Hickhack eine ansehnliche Demonstration zustande brachten. In einer Vorbereitungsdiskussion lernten wir Gabi und Achim kennen, die dann zu uns fanden. Auch Gabi sprang später beim Impressum ein. Beide waren in der Redaktion, ebenso wie Udo, Egon, Norbert, Kurt, Erich und ich; Linne und später B. tippten meistens die Artikel. Den Zeitungsumbruch hatte eine Zeitlang Herbert By. gemacht und dann lange Zeit unser Genosse H., später in Zusammenarbeit mit dem Plärrer-Verlag. Unsere Gruppenlokalität wechselte von der Peterstr. 18 zu den umgebauten Kellerräumen in der Bucherstr. 19 und dann in die Baracke am Flughafen. Nun sind wir schon 29 Jahre im feuchten Politikkeller Bucherstr. 20, im Karl Grönsfelder-Heim. Anfang der 70er Jahre gründeten wir einen Betriebsarbeitskreis, einen Montagsdiskussionszirkel und einen Freitagsschulungskreis. Aus letzteren gingen dann später die Fraktionierungen hervor. Die Jahreskonferenzen jener Zeit waren für uns vom Kern ein Problem. Es kamen da die Aktiven vom inneren Kreis mit Sympathisanten unterschiedlicher Niveaus zusammen, die oft vorgaben, besser zu wissen, was der Gruppe Erfolg bringen würde, als wir selbst. Manche ältere Genossen, die nur einmal im Jahr zu uns kamen, wollten ihr Statement einbringen oder von alten Kampfzeiten erzählen, auch von der POUM. Das sprengte oft den Rahmen oder führte zur Unzufriedenheit anderer Teilnehmer. So waren wir vom Gruppenkern manchmal froh, die Konferenz überstanden zu haben, um weitermachen zu können wie bisher. Der Versuch des Umfunktionierens war ja damals in der Linken Gang und Gäbe. Die Jahreskonferenzen in der 4., der jetzigen Phase der Gruppe, unterscheiden sich davon schon gewaltig, wo es sachlich und in freundschaftlicher Verbundenheit um Inhalte geht. Auch die politischen Niveaus von einst und heute unterscheiden sich. Das hängt auch zusammen mit der Sozialstruktur und dem Bildungsstand der Gruppe. Das einstige Vorherrschen des Arbeitermilieus hatte weniger Zielgerichtetheit, aber mehr Spontaneität im Gefolge. Der Aufschwung der Studenten- und Jugendbewegung brachte auch uns Zulauf; dies schlug sich jedoch nicht immer in Mitarbeit nieder. Es gab mehr Nehmer als Geber. Einige in der Gruppe waren zusätzlich noch Mitglieder der MG in Erlangen geworden, ohne das in der Gruppe zu hinterfragen. Die Integration der Neuzugänge in die Gruppe wurde schwierig, weil der alte Kern immer kleiner geworden war nach dem Tod von Hans Kunz und dem Teilrückzug von Helmut Insinger. Auf einer Jahreskonferenz in Erlangen, an der Peter und Hilde zum ersten Mal teilnahmen, waren über 72 Teilnehmer, mehr, als wir je wieder in der Hallerwiese erreichten.
1975 wurde offensichtlich, dass die Studentenbewegung gescheitert war, ein Wirtschaftsabschwung sorgte dafür, dass die betrieblichen Auseinandersetzungen abnahmen; der Staat verschärfte die Repression. Es wurde für manche klarer, dass ihre Erwartungen gegenüber der Gruppe und überhaupt überzogen waren. Auch in der Gruppenarbeit fehlten die Erfolgserlebnisse. Ein Streit um die Wichtigkeit von Theorie und Praxis entbrannte. Die Kritiker wollten die theoretische Arbeit zurückstutzen. Die Zeitung sollte vorwiegend Betriebs- und Gewerkschaftsthemen behandeln. Weltpolitik, Geschichte usw. sollten reduziert werden. Immer mehr kamen reformistische Tendenzen zum Vorschein. Über die Frage des Terrorismus gab es eine wirre Diskussion (s. Arsti 29.2.1972). Die Opposition war nun gegen „Dogmatismus“. Eine Aneignung des Marxismus „durch den Kopf“ wurde in Abrede gestellt. Auch emanzipatorische Elemente spielten eine Rolle. Die sich nun verbal für die „Basisarbeit“ einsetzten, hatten vorher in grotesker Weise unseren Betriebsarbeitskreis aufgelöst! Wir, die wir schon überlastet waren, sollten wohl machen, was sie selbst zu leisten nicht imstande waren.
Mit dem Montags- und dem Freitagsarbeitskreis hatte sich die Gruppe in der Praxis schon geteilt, bevor es zu Spaltung kam, die wir dann herbeiführten, als es keinen Weg aus der Sackgasse mehr gab. Wir hatten zwar die Mehrheit der Gruppe hinter uns, doch nicht in Nürnberg und nicht bei den jüngeren aktiveren Mitgliedern. Die Spaltung traf uns zutiefst und zeitweise waren wir, was den Neuanfang anbelangte, nur drei Aktive: Gabi, Achim und ich. Erich war damals krank. Unser Vorhaben eines Neuaufbaus schien manchmal am Rande des Scheiterns zu stehen. Natürlich halfen auch andere mit, auch der Freitagsarbeitskreis, und im Laufe der Zeit die Altgenossen von auswärts, soweit sie konnten. Wir gaben weiterhin die Zeitung heraus mit dem Vermerk „Mehrheitsgruppe“. Auch die Opposition brachte noch einige Nummern, teilweise auf niedrigem Niveau. An ihrer Wirrnis und Uneinigkeit ist sie dann zerfallen. Einige von ihnen wurden später wieder Abonnenten unserer Zeitung. Kein einziger Altgenosse war mit ihnen gegangen.
Aus diesem Tiefpunkt heraus entstand eine neue Phase des Gruppenaufbaus, den ja manche von euch dann miterlebt haben, wobei etwa 1991 mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus die Gruppe noch mal in ihren Grundfesten erschüttert wurde. In der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Montags- und Freitagsfraktion hatten die Leser der Arsti Gelegenheit, die Argumente zu verfolgen und sich eine Meinung zu bilden. Schneller als erwartet, erhielten wir nun von außen Zuspruch und neue Kontakte, z.B. von W. und E. aus München; Peter und Hilde näherten sich uns immer weiter an und gewannen für uns zwei Engagierte, die später Redaktionsmitglieder wurden und auch heute noch für das regelmäßige Erscheinen unserer Zeitung sorgen. Dann ist noch etwas Witziges passiert: „Ein“ Helmut Besold (Die Falken) hatte aus Straubing an die Arpo wegen Kontaktaufnahme geschrieben. Die Genossin Margret, die dort die Versand- und Büroarbeit machte, schrieb zurück, „Du wohnst zu weit weg von Bremen, wende Dich doch an Hans St. von der Arsti.“ Damit hatte sie die Arsti ein großes Stück vorwärts gebracht. Helmut, der an der Regensburger Uni hohes linkes Ansehen genoss und auch vor größerem Auditorium F.J. Strauß imitierte, hatte in jenen Jahren einen Kreis von Studenten und anderen um sich. Die Studentenbewegung war zwar in den Ballungszentren im Abklingen, doch in der Provinz gab es immer noch einen Nachtrab, der uns zugute kam. Dazu kam: Die entstandenen ultralinken K-Gruppen verloren immer mehr den Bezug zur Wirklichkeit. Helmut brachte zu den Nürnberger Monatsversammlungen eine ganze Schar mit, hin und wieder hielten wir auch in Regensburg eine Veranstaltung ab. Die Oberpfalz bescherte uns so eine ganze Anzahl neuer Genossen, die heute noch im inneren Kreis und in der Redaktion sind. Auch Intellektuelle aus Norddeutschland fanden zu uns. Die Wochenendseminare hielten wir mehrere Male in Hildesheim, in Kassel, in Osnabrück in Zusammenarbeit mit der Gruppe Hintergrund und auch in Berlin ab.
Nach der Wende waren wir an einem Wochenende in Rotterode, wo wir Manfred Behrend aus Berlin kennen lernten, der dann viele Artikel, besonders zur PDS, beisteuerte. Dann kam die Begegnung mit der Gruppe International in Landshut und in Dorfen, was den Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit legte. Um diese Zeit fanden einige jüngere Genossen aus dem süddeutschen Raum zu uns; auch in England und später in Österreich fanden wir Sympathisanten, die uns bei unserer Arbeit unterstützten. Die letzten Jahre waren die Seminare dann in München. Seit einigen Jahren sind wir mit einem Stand auf der Linken Literatur-Messe in Nürnberg vertreten. Mehrere Jahre hatten wir einen italienischen Großspender in Hamburg, der uns als großer Unbekannter am Jahresende immer 6.000 DM überwies.
Ohne die Opferbereitschaft von Gruppenmitgliedern könnten wir nicht bestehen. Wenn wir bundesweit in der Linken Deutschlands bekannt geworden sind und weiter Werbung in diesem Umfang betreiben können und das seit Jahrzehnten, dann beruht das auch auf der außergewöhnlichen Spendenbereitschaft des 1991 verstorbenen Isi Abusch, von dessen „Rentenüberweisungen“ wir heute noch zehren.
Wie schon erwähnt, brachte dann der Zusammenbruch des Realsozialismus für die Gruppe einen tiefen Einschnitt. Nicht schon 1989, aber ein bis zwei Jahre später verließen viele Genossinnen und Genossen die Gruppe oder reduzierten ihre Aktivität. Bezeichnend aber war, dass nun andererseits engere Sympathisanten und Leser die dringende Notwendigkeit erkannten, sich für die Gruppe zu engagieren, und zu Mitarbeitern wurden. Das erfuhren wir in München, in Baden Württemberg und anderswo.
Wir hatten stets im Nürnberger Gewerkschaftshaus eine Anzahl von Abonnenten und Sympathisanten, schon seit Karl Grönsfelders Zeiten, der auch bei manchen Gewerkschaftsfunktionären mit SPD-Parteibuch hoch geachtet war. Nach seinem Tod 1964 musste ich die Besuche übernehmen, bei denen auch immer wieder politisch diskutiert wurde. So konnte politischer Einfluss ausgeübt werden, aber auch Rückschläge und Enttäuschungen blieben nicht aus. Als manche von ihnen in den Ruhestand gingen, mussten die Nachfolger erst gewonnen werden. Das mache ich nun schon 47 Jahre lang, seit 1964, seit Karls Tod.
Die letzten 15 Jahre haben ja dann die meisten von uns, die bis heute durchgehalten haben, selbst erlebt und mitgestaltet. Einige unter uns sind ja schon 15, 20 Jahre dabei. Seit längerem hat Thomas das Impressum übernommen. Wir mussten immer wieder hinnehmen, dass treue und aktive Genossinnen und Genossen durch Tod ausschieden wie zuletzt Peter. Sie waren nicht zu ersetzen und nur ganz wenige finden neu zu uns in den aktiven Kreis.
Vor allem von Außen her wird immer wieder die Frage gestellt, ist das nicht unnützes Sektierertum, was ihr treibt? Es gibt doch trotz allem immer noch eine Anzahl kommunistischer Gruppierungen, die wesentlich größer sind als ihr, warum schließt ihr euch denen nicht an? Natürlich gibt es heute, im Gegensatz zu den Zeiten vor der Wende, Marxisten in der DKP, in der SOZ, in der Partei Die Linke usw. Genossinnen und Genossen, die ähnlich selbstständig und dialektisch denken und für demokratische Strukturen in ihrer eigenen Organisation stehen. Mit ihnen kann man enger zusammenarbeiten. Doch das war nicht immer so, als man sich kopflos von den Heilszentralen Moskau, Peking und Tirana usw. bestimmen ließ. Die KPD schloss nach dem Krieg unsere Vorgänger aus der Partei aus und verfolgte sie als „Titoisten“, „CIA-Agenten“ und „Verräter“. Im Ostblock wurden viele von ihnen ins Zuchthaus geworfen, in die schrecklichen Lager gesperrt oder gar umgebracht. Auch nach der DKP-Gründung wurde größtenteils die feindselige Haltung beibehalten, auch wenn es in der Basisarbeit „Bündnispolitik“ gab. Diese Zeiten einer unmarxistischen Versteinerung sind zwar endgültig vorbei, doch einen echten Neuanfang gab es auch in der DKP nicht. Wo blieben die parteioffizielle Selbstkritik, wo die heißen Diskussionen um die Fehler der Vergangenheit? Trotz der verheerenden Niederlagen der kommunistischen Bewegung wird zum Beispiel auch jetzt wieder an der Thälmann-Legende weitergestrickt. Zu den dort bereits laufenden Flügelkämpfen würden wir nur ein weiteres Streitfeld einbringen. Fruchtbare Kritik, das Lebenselixier des Marxismus, kann es nur im solidarischen Miteinander geben. Andere, besonders trotzkistische Gruppen, sind nach wie vor nicht frei von schädlichem Voluntarismus. Und, das gilt für alle Gruppen, auch für die uns nahestehende Arpo, wir müssten für einen Zusammenschluss die Gewähr einer Gleichberechtigung haben. Dies ist aber nirgendwo zu erkennen. Gibt es keine Ebenbürtigkeit, wird die Belastung größer statt kleiner.
Die Systemkrise des Kapitalismus weitet sich immer mehr aus, die zweite Bankenkrise wird noch gefährlicher als die vorhergehende. Die Zeiten werden härter, zuerst einmal auch für die revolutionäre Linke. Denn die Gegenbewegungen werden wohl anschwellen, doch auch manchmal in Sackgassen versanden. Die populistische und rechte Gefahr erhöht sich durch die politische Zuspitzung und allgemeine Ratlosigkeit.
Gerade in Deutschland, mit der jüngeren Geschichte der Teilung des Landes, haben wir in Richtung Sozialismus einen weiten Weg vor uns. Dafür ist Zähigkeit, aber auch Klarheit gegenüber linken „Modeerscheinungen“ notwendig. Vor allem anderen kommt es darauf an, dass der marxistische Funke nicht erlischt. Halten wir den Funken am Glühen!
Hans Steiger