Die Gruppe Arbeiterstimme ist eine kleine kommunistische Gruppe, die 1971 aus der Gruppe Arbeiterpolitik hervorgegangen ist. Zentrum und Redaktionssitz sind Nürnberg. Die Gruppe gibt die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Arbeiterstimme“ heraus. Die Gruppe Arbeiterstimme sieht sich – ebenso wie die Gruppe Arbeiterpolitik – in der Tradition der Kommunistischen Partei Opposition (KPD-O) der Weimarer Zeit. Diese entstand 1928/29 als Opposition gegen die ultralinke Politik der KPD unter der Thälmann-Führung. Die führenden Politiker und Theoretiker waren Brandler und Thalheimer, die die Einheitsfrontpolitik vertraten, während die KPD die RGO-Politik praktizierte und mit Stalins verhängnisvoller „Sozialfaschismustheorie“ die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung zementierte und damit ihre kampflose Niederlage gegen die Nazis mitverursachte.
Die Gruppe Arbeiterstimme knüpft seit ihrem Bestehen an dieses geistige Erbe und damit auch an den Spartakusbund, Rosa Luxemburg und andere an. Es war stets unser Bemühen, eine selbständige marxistische Position zu beziehen, in kritischer Solidarität mit den damals im Aufbau befindlichen sozialistischen Ländern, ohne Unterordnung unter die außenpolitischen Interessen der Sowjetunion oder der Volksrepublik China. Wir bemühten uns um eine eigenständige und internationalistische Einstellung. Wir wenden uns gegen jede Art von „Erneuerung“, die auf einen Ausverkauf kommunistischer Grundsätze und Ziele hinausläuft. Als kommunistische Gruppe ist für uns die Klassenfrage und die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit der Ausgangspunkt unserer Analysen und unseres Handelns.
Uns ist bewußt, daß es zur Herausbildung von Klassenbewußtsein in der deutschen Arbeiterklasse eines langen Atems bedarf. Der Zusammenbruch des Realsozialismus in der Sowjetunion, der DDR und im ehemaligen Ostblock, sowie die Rückkehr kapitalistischer und bürgerlich-„demokratischer“ Verhältnisse, hat nun eine neue Lage geschaffen. Die Erneuerung des Sozialismus war schon in den Ansätzen steckengeblieben, die Rechtskräfte triumphierten. Nicht nur die Stalinisten, sondern auch die kommunistische Bewegung allgemein haben weltweit eine schwere Niederlage erlitten. Der Imperialismus sieht sich als Sieger. Niemand kann ihm gegenwärtig ernstlich mehr ein Hindernis in den Weg legen. Doch heute gilt wieder, wie vor der russischen Oktoberrevolution: Der schlimmste Feind des Kapitalismus ist der Kapitalismus selber, mit seinen ökonomischen Widersprüchen, mit den antagonistischen Widersprüchen seines Gesellschaftssystems und den Spannungen, die sich aus dem Prozeß der Verelendung in großen Teilen der ausgebeuteten „Dritten Welt“ ergeben.
Alle Kommunisten treibt die Frage um: Wie geht es nun weiter mit der Weltrevolution? Oder geht es nicht mehr weiter? Ohne Zweifel, die weltgeschichtlichen Veränderungen der jüngeren Vergangenheit haben zu einer grundlegenden Umwälzung der objektiven Kräfteverhältnisse geführt: Nur durch eine tiefgreifende Veränderung der objektiven Verhältnisse, die bis in die Metropolen reicht, kann es einmal neue revolutionäre Chancen geben. Einerseits hat der Kapitalismus trotz aller Widersprüche und Krisen seine Entfaltungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. Andererseits treibt der größte Teil der Menschheit, der unterentwickelte kapitalistische Weltteil, in den ökonomischen und sozialen Niedergang. Die astronomische Höhe der Verschuldung verursacht immer schärfere Krisen in einzelnen Ländern und im internationalen Finanzsystem Aber auch die Industrieländer schieben unlösbare Finanzprobleme vor sich her, die nur solange ruhiggestellt werden können, wie noch wirtschaftliche Zuwachsraten zu erzielen sind. Um einen ökologischen Kollaps zu vermeiden, wären enorme Finanzmittel und große Umstellungen unumgänglich. Unabhängig davon bleibt die Kernfrage, ob der Kapitalismus eine große Überproduktionskrise, die einst (vor allem in den 30er Jahren) zur Geißel des Kapitalismus geworden war, auf Dauer vermeiden kann.
In diesem Zusammenhang tritt eine Reihe weiterer wichtiger Fragen auf, die wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausreichend beantworten können: Welche Folgen hat die „Globalisierung“? Was bedeuten tendenziell Automation und technologischer Fortschritt, sowie die zunehmende Massenarbeitslosigkeit vor diesem Hintergrund? Was bedeutet die zunehmende politische Instabilität in Teilen der Welt? Welche Rückwirkungen und Wechselwirkungen gehen von den Schattenseiten kapitalistischer Entwicklung aus? Wie lange noch kann der Eintritt einer großen kapitalistischen Krise hinausgeschoben werden? Wo und inwieweit werden von eventuellen Krisenausbrüchen objektiv revolutionäre Bedingungen entstehen? In welchem Zustand sind dann die subjektiven Bedingungen? Ist eine gleichzeitige oder getrennte Krisenentwicklung wahrscheinlich? Oder hat das kapitalistische Krisenmanagement inzwischen die Macht und die Möglichkeit, die Anarchie des Marktes, den Aufruhr der Ausgebeuteten und die Gegensätze der Wirtschaftsgiganten in den Griff zu bekommen – stets eine Kettenreaktion vermeidend? Hat der Kapitalismus die Möglichkeit der Zerstörung unserer ökologischen Grundlagen Einhalt zu gebieten oder treibt er sie aus Profitinteresse weiter voran?
Fragen über Fragen, die aber von Fakten und Tendenzen ausgehen, die entscheidend sein können, ob und wie der Sozialismus konkret wieder als Alternative auf die Weltbühne zurückkehrt. Erst eine verschärfte Krise des Kapitalismus könnte wieder den Boden für größere Klassenauseinandersetzungen bereiten und kann damit wieder ein Bedürfnis für sozialistische Politik schaffen. Um diese Lage dann zu nutzen und die in Bewegung Geratenen über einen ziellosen Spontaneismus hinauszuführen, ist ein aktives Eingreifen von Kommunistinnen und Kommunisten unumgänglich. Wir meinen, es gilt jetzt schon, die dazu notwendigen Kerne zu sammeln und zu qualifizieren und bei den sehr geringen Möglichkeiten von heute anzusetzen.
Das langfristige Ziel ist die Herausbildung einer kommunistischen Partei auf marxistischer Grundlage, jenseits von Reformismus, Dogmatismus und Voluntarismus. Nur die Arbeiterklasse kann das revolutionäre Subjekt sein In den Arbeiterklassen der entwickelten kapitalistischen Länder – besonders in Deutschland – ist Klassenbewußtsein kaum mehr anzutreffen. Die Mehrzahl verfügt seit Jahren über einen sozialen Standard, der eine Konsumfixierung ohnegleichen gefördert hat. Presse und Fernsehen – in der Hand mächtiger Konzerne – haben nachdrücklich dazu beigetragen, die Reste von Klassendenken und Geschichtsbewußtsein zu zerstören. Die Zahl der Handarbeiterinnen und -arbeiter geht ständig zurück, die berufsmäßige Differenzierung nimmt zu. Es gibt linke Kreise, die behaupten, es gäbe keine Arbeiterklasse mehr, weil derzeit nur noch von einer Klasse an sich, aber nicht für sich gesprochen werden kann. Wir sagen: Im Verhältnis von Kapital und Arbeit hat sich trotz aller Veränderungen nichts grundsätzlich geändert. Wir verstehen heute unter Arbeiterklasse alle abhängig Beschäftigten, vom Management abgesehen. Alle Lohn- und Gehaltsabhängigen unterliegen nach wie vor der Ausbeutung und Verfügbarkeit der Diktatur des Kapitals und sind Opfer der Krisen des kapitalistischen Systems. Arbeitslosigkeit und Lohndrückerei sind die Folgen.
Die gegenwärtigen Verhältnisse festzuschreiben wäre unmarxistisch. Nichts in der Welt bleibt auf Dauer wie es ist, dafür sorgen objektive Veränderungen. Diese bedürfen jedoch subjektiven Eingreifens, um in eine revolutionäre Richtung einzumünden. Man kann Klassenbewußtsein nicht künstlich schaffen, jedoch durch aktives Handeln und theoretische Bewußtmachung fördern. Darauf setzen wir langfristig. Nur durch anschwellende Klassenkämpfe kann sich wieder eine sozialistische Alternative auftun. Der gegenwärtige Niedergang der Gewerkschaften widerspiegelt die ökonomische, soziale und politische Situation. Trotzdem kommt ihnen im Prozeß der Entwicklung von Klassenkämpfen – sowohl im positiven wie im negativen Sinn – eine maßgebliche Rolle zu. Durch die Bindung an die Sozialdemokratie, die immer weiter nach rechts rückt, sind die Gewerkschaften politisch zum Anhängsel der besitzbürgerlichen Gesellschaft verkommen. Doch wir haben keine anderen Gewerkschaften als die bestehenden. Deshalb gilt es, solange dies noch sinnvoll erscheint, weiterhin in ihnen zu arbeiten und linke und kämpferische Regungen kritisch zu unterstützen. Das langfristige Ziel muß eine Umwandlung der gewerkschaftlichen Strukturen und politischen Ausrichtung sein, damit sie wieder Instrument des Klassenkampfes werden können. Das unterscheidet uns von ultralinken Gruppen, die den Doppelcharakter der Gewerkschaften nicht mehr wahrhaben wollen und darum keine Anknüpfungspunkte mehr ausmachen können. Eine Alternative können sie jedoch nicht benennen.
Der Unterschied von manchen kommunistischen Kreisen zu unserer grundsätzlichen Einstellung besteht auch darin, daß wir – wie auch schon früher – bemüht sind, Illusionen zu vermeiden. Regungen in der Arbeiterschaft und in der Gesellschaft müssen realistisch beurteilt werden, um so folgenschwere Überbewertungen zu vermeiden. Wir halten marxistische Analyse als Ausgangspunkt für politische Beurteilungen für unerläßlich. Das gilt auch für das Geschehen in der Welt und für die nüchterne Einschätzung sogenannter sozialistischer Parteien in anderen Ländern. Die notwendige Aufarbeitung der Geschichte geschah bisher unzureichend. Wir wollen zumindest einen Teil dazu beitragen. In Anbetracht des Niedergangs der Linken, auch in Deutschland, sind wir vom Erreichen unserer Ziele weit entfernt. In dieser schwierigen Situation muß der Diskussions- und Klärungsprozeß innerhalb der sozialistischen Linken fortgesetzt und vertieft werden. Dabei wäre es falsch, Gegensätze zu übertünchen. Gerade heute, in einer Zeit rechtsradikaler Aggressionen und deren Unterstützung durch die sogenannte bürgerliche „Mitte“, kommt es aber auch darauf an, in sinnvollen Vorstößen oder Abwehrreaktionen eine Aktionszusammenarbeit herzustellen.