Die Coronakrise hat inzwischen die gesamte Weltwirtschaft fest im Griff. Alleine in Deutschland arbeiten momentan 10 Millionen Beschäftigte kurz und 2,6 Millionen befinden sich in der Arbeitslosigkeit. Verglichen mit den USA und anderen Ländern sind die Zahlen hierzulande natürlich deutlich geringer. Doch das muss nicht so bleiben. Im weiteren Verlauf der Krise kann sich das schnell ändern, denn das Instrument der Kurzarbeit wird nicht unbegrenzt aufrecht zu erhalten sein. So verschlechtert sich zunehmend die wirtschaftliche Situation der Unternehmen. Hat sich bereits vor Corona eine Überproduktionskrise abgezeichnet, so wird diese jetzt durch Corona zusätzlich befeuert. Alleine in der Metall-und Elektroindustrie befinden sich 77 Prozent der Betriebe in einem kritischen Zustand, d.h. sie arbeiten nur teilweise bzw. gar nicht. Betroffen davon sind rund 2 Millionen Beschäftigte, mit dem Schwerpunkt Kraftfahrzeugbau und Zulieferindustrie. Da dieser Industriebereich in der BRD zu den Schlüsselindustrien gehört, hat die anhaltende Krise massive Auswirkungen auf weitere Industriebranchen. Die Mehrzahl der Betriebe hat im April die Kurzarbeit für drei Monate beantragt. Das bedeutet, dass im Juli wieder normal gearbeitet werden würde. Die aktuelle konjunkturelle Entwicklung sieht aber nicht so aus, als ob das bis zu diesem Zeitpunkt möglich ist. So vermeldete das Statistische Bundesamt den stärksten Exporteinbruch der letzten 30 Jahre. Nach Auffassung der Deutschen Industrie-und Handelskammer kommt „das Schlimmste“ erst noch. Auch die Welthandelsorganisation (WTO) sieht schwarz. Sie rechnet mit einem Absturz des Welthandels von bis zu 32 Prozent und prognostiziert das „hineinrutschen“ in eine Weltwirtschaftskrise. Sollte das eintreffen, wird auch kein noch so großes nationales Konjunkturprogramm die Krise überwinden können.

Wie geht es weiter?

Die IG Metall stand beim Ausbruch der Pandemie mitten in Tarifverhandlungen zur Regelung der bereits angelaufenen Digitalisierung und Transformation der Industrie. Ein Kern der Forderungen war unter anderem die Mitbestimmung bei Investitionen der Unternehmen, also der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheit. Was sich so einfach anhört, ist in Wirklichkeit aber sehr kompliziert. Für die Unternehmer ist diese Forderung ein Sakrileg; die Mitbestimmung der Betriebsräte und Gewerkschaft wäre wohl ohne heftigen Arbeitskampf nicht zu bekommen gewesen. Doch die Pandemie änderte alles. Anstelle des Klassenkampfes kam es zur Klassenkooperation. Der IGM-Vorstand setzte die Tarifverhandlungen zur Mitbestimmungsfrage aus und schloss alternativ einen „Solidartarifvertrag“ ab. Auf einer Pressekonferenz am 20. März sagte dazu Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall: „In dieser Krise sind solidarische Lösungen gefragt. Jetzt kommt es darauf an, dass die Beschäftigten Sicherheiten bekommen“. Und er fügte an: „Die großen Herausforderungen der Transformation bleiben weiter auf der Tagesordnung. Nach der Bewältigung der akuten Probleme werden wir uns wieder den Zukunftsthemen zuwenden“

Der Solidartarifvertrag sichert nach Auffassung des IGM-Vorstands die Einkommen der Beschäftigten und sorgt dafür, dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern können. Dadurch sei Millionen von Beschäftigten mit diesem Abschluss die Angst vor massiven Einkommensverlusten durch Kurzarbeit genommen.

Lohn-und Gehaltsabbau

Im Wesentlichen beinhaltet der Tarifvertrag folgende Punkte:

Regelungen zur Kurzarbeit, die die Nettoentgelte der Beschäftigten für die ersten Monate auf dem Niveau von etwa 80 Prozent absichern können. Dies geschieht durch eine Abschmelzung der Sonderzahlungen und einen Arbeitgeberzuschuss von 350 € je Vollzeitbeschäftigtem.

Bei Schließungen von Kitas und Schulen können Eltern mit Kindern bis zu zwölf Jahren acht freie Tage für die Kinderbetreuung nehmen anstatt des tariflichen Zusatzgeldes.

Nicht vereinbart wurden tabellenwirksame Lohn-und Gehaltserhöhungen. Nicht einmal ein Inflationsausgleich kommt in diesem Jahr zum Tragen. Es mag sein, dass Teile der Mitgliedschaft mit diesem Tarifvertrag zufrieden sind, doch wird für jeden sichtbar, dass mit den vereinbarten Regelungen auch ein Lohn- und Gehaltsabbau vereinbart wurde, denn das zusätzliche Urlaubs- und Weihnachtsgeld wird „abgeschmolzen“. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis zum Jahresende.

Schnelle Krisenüberwindung?

Inzwischen hat die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm in Höhe von 130 Milliarden Euro aufgelegt. Damit sollen kurzfristig Nachfrageimpulse ausgelöst werden und damit soll die Wirtschaft wieder in Gang kommen. Ob das gelingt, ist angesichts der Entwicklung der Weltwirtschaft und der meisten Prognosen der Wirtschaftswissenschaftler eher fraglich. Doch alle Hoffnungen von Bundesregierung, Industrie und Gewerkschaften klammern sich daran. Gleichzeitig wird von allen Akteuren die Sozialpartnerschaft beschworen. So erwartet Hofmann von den Unternehmern ein Bekenntnis zu ihrer „gesellschaftlichen Verantwortung“. Er fordert, dass möglichst alle Beschäftigten mit den vorhandenen Instrumenten der Kurzarbeit und Arbeitszeitflexibilisierung in den Betrieben zu halten sind. Finanzielle Unterstützungen aus öffentlichen Mitteln seien an solche Zusagen zu koppeln. Außerdem dürften Entlassungen bei Staatshilfen nicht stattfinden. Hofmann wird hier bereits von der Realität überholt. Zwar werden zurzeit (noch) nicht die Stammbelegschaften in großem Maße angegriffen, doch der prekär beschäftigte Teil der Belegschaften schon. So werden seit Beginn der Krise 37 Prozent der Leiharbeiter nicht weiterbeschäftigt, 15 Prozent der Werkverträge sind gekündigt und 32 Prozent der befristeten Arbeitsverträge wurden nicht verlängert. Auch das Beispiel der Lufthansa sei hier erwähnt. Trotz der staatlichen Hilfe von 9 Milliarden Euro will man jetzt dort mehr als 20.000 Stellen streichen. Ähnliche Ankündigungen werden in den nächsten Wochen in der Industrie wohl vermehrt auf die Tagesordnung gesetzt. In der Gastronomie und im Tourismusbereich ist das bereits der Fall. Hier steigt die Arbeitslosigkeit täglich. Auch der Kulturbereich ist schwer betroffen. Die meisten Kulturschaffenden, rund 200.000 an der Zahl, sind Selbständige. Sie haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Aber selbst dort, wo das gezahlt wird, reicht das Geld für die Familien nicht Hinten und nicht Vorne. Selbst dort, wo das Kurzarbeitergeld tariflich aufgestockt wird, bedeutet das für die Familien eine drastische Kürzung des Einkommens um 10 oder 20 Prozent. Aber es kommt noch schlimmer für diejenigen, die in einem Betrieb ohne Tarifbindung arbeiten. Dort gibt es nur Kurzarbeitergeld und sonst nichts. Alleine im Bereich der IG Metall gibt es 38 Prozent tariffreie Betriebe. Dort geht das Familieneinkommen um 40 Prozent zurück. Von dieser drastischen Lohnkürzung ist die Mehrheit der Werktätigen im Lande betroffen. Im Jahr 2019 arbeiteten 55 Prozent der ostdeutschen und 47 Prozent der westdeutschen Beschäftigten ohne Tarifvertrag.

Sie wittern Morgenluft

Wie in jeder Wirtschaftskrise sieht das Kapital auch in dieser die Chance, sich auf Kosten der abhängig Beschäftigten zu sanieren. Gab es schon vor der Pandemie „Warnungen“ der Arbeitgeberverbände vor zu hohen Lohnabschlüssen, so werden diese jetzt lauter. So präsentierte die „Fraktionsarbeitsgruppe Wirtschaft“ der CDU ein Konzept, in dem der CDU-Fraktion empfohlen wird, den Mindestlohn abzusenken, „mindestens aber eine Erhöhung für 2021 auszusetzen“.

Auch die Arbeitsbedingungen hat das Kapital im Blick. Gerne knüpft es an die gelockerten Arbeitszeitregelungen durch die Bundesregierung an. Im Rahmen der Coronakrise wurde für bestimmte Branchen die geltenden Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes in Bezug auf Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten sowie Beschäftigungsverbote an Sonn- und Feiertagen aufgehoben. So soll künftig eine Arbeitszeit bis zu 12 Stunden, bei einer Verkürzung der täglichen Ruhezeiten auf bis zu 9 Stunden angeordnet werden können. Möglich soll das sein in der Produktion und dem Transport von Waren des täglichen Bedarfs und Arzneien, in den Gesundheitsdiensten, sowie bei Behörden und Energieversorgern. Und das auch an Sonn- und Feiertagen. Das Ganze hat eine Gültigkeit bis Ende Juni. Aber was geschieht, wenn sich die Pandemie wieder verschärft oder eine andere krisenhafte Erscheinung auf die Tagesordnung gesetzt wird? Welches plausible Argument wirkt dann gegen eine Wiederholung dieser Verschärfung der Arbeitsbedingungen durch das Gesetz? Keine! Das wäre dann gelebte Sozialpartnerschaft oder, vielleicht anders ausgedrückt, gelebte „Volksgemeinschaft“.

Die Hilfspakete, die im Zusammenhang mit der Coronakrise verabschiedet wurden, gehen in die Billionen. Da stellt sich die leicht zu beantwortende Frage: „Wer soll das bezahlen?“ Leicht zu beantworten deshalb, weil davon auszugehen ist, dass die Herrschenden die Kosten auf die werktätige Bevölkerung abwälzen wollen und das auch tun, erfolgt kein wirklich breiter gesellschaftlicher Widerstand. Zwar hat Merkel erst einmal die Forderung nach Steuererhöhungen zurückgewiesen, doch das gilt nur für „den Stand von heute“. Und was morgen ist, werden wir sehen! Soviel zur Sozialpartnerschaft.

Gewerkschaften in der Krise

Die Gewerkschaften und insbesondere die IG Metall befinden sich in einer schwierigen Situation. Die Forderungen des Vorsitzenden Hofmann, die Beschäftigten durch Kurzarbeit und Arbeitszeitflexibilisierung in den Betrieben zu halten, kann nur durchgesetzt werden, wenn die Gewerkschaft die dazu erforderliche Kampfkraft entwickelt. Die Kräfteverhältnisse dazu sind aber alles andere als günstig. Willi Bleicher, der legendäre IGM-Bezirksleiter in Stuttgart, sagte einmal in einem TV-Porträt seiner Person sinngemäß: „In der Wirtschaftskrise können Gewerkschaften keine Erfolge durchsetzen“. Er knüpfte dabei an seine Erfahrungen in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an. Anders als heute waren damals aber Teile der Arbeiterschaft klassenbewusst. Heute gibt es zwar noch immer die Arbeiterklasse an sich, aber kaum noch die Klasse für sich, d.h. eine Klasse, die sich ihrer gesellschaftlichen Stellung bewusst ist. Und das hat Auswirkungen: Die abhängig Beschäftigten identifizieren sich weitgehend mit dem kapitalistischen System und auch mit dem Betrieb, in dem sie arbeiten. Eine Alternative dazu ist für die meisten nicht vorstellbar. Ein Beispiel dafür ist ein offener Brief der Vertrauensleute bei VW gegen ihren Chef Herbert Diess, der inzwischen von seinen Aufgaben abgelöst ist. Da schreibt also der betriebliche Funktionärskörper der IG Metall, dass sich immer mehr Mitarbeiter sich „für ihren Arbeitgeber schämen und ihn teilweise sogar verleugnen“. Klarer kann nicht gezeigt werden, wo diese KollegInnen bewusstseinsmäßig stehen. Sie verstehen sich als Sozialpartner und sind bereit, alles, was dem Unternehmen dient, zu unterstützen. Denn geht es dem Betrieb gut, geht es auch ihnen gut. Diese Haltung der betrieblichen Gewerkschaftsfunktionäre wirkt sich auch auf die Haltung der Funktionäre im Apparat aus. Die Betriebsräte und Vertrauensleute der Automobilfirmen sind eine Macht innerhalb der IG Metall. Sie sind auch stark im Vorstand der Gewerkschaft vertreten, weshalb sich auch kaum einmal ein hauptamtliches Vorstandsmitglied öffentlich gegen sie wendet. Deutlich hat sich das jetzt gezeigt, als Jörg Hofmann, im Zusammenhang mit dem Konjunkturprogramm, die SPD wegen ihrer Verweigerung einer Abwrackprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren laut öffentlich kritisierte.

So wie die betrieblichen Funktionäre denken, denken in der Regel auch die meisten Beschäftigten. Sie zeigen einerseits Verständnis für betriebswirtschaftliche Maßnahmen des Unternehmens, andererseits aber fürchten sie diese auch. Schließlich betreffen sie ja oft ihre materielle Existenz. Die Folge ist, dass sich Belegschaften gegenüber Arbeitsplatzabbau, sofern dieser nicht die Mehrzahl der Arbeitsplätze betrifft, meist passiv verhalten.

Gewerkschaftliche Perspektiven

Der Verlauf der Wirtschaftskrise ist aktuell schlecht einzuschätzen. Niemand weiß, wie das Konjunkturprogramm der Bundesregierung wirken wird und niemand weiß, wie stark die Einflüsse von außen auf die deutsche Wirtschaft wirken. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass Arbeitsplätze in großem Maße vernichtet werden. Die bislang gepflegte Sozialpartnerschaft wird damit durch die Unternehmer aufgekündigt. Dem müssen die Gewerkschaften offensiv etwas entgegensetzen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Ein Patentrezept dafür gibt es nicht. Aber sie sollten überall dort, wo es von der betrieblichen Struktur her möglich ist, dem Stellenabbau mit Streikmaßnahmen begegnen. Wie der Streik bei Voith in Sonthofen zeigt, kann dadurch eine bestimmte Außenwirkung erzielt werden, die auch andere Belegschaften zu Widerstandsaktionen ermuntert. Dabei sollten auch Betriebsbesetzungen in Erwägung gezogen werden. In den 90er Jahren war das im Osten von Deutschland häufig ein Kampfmittel, über das sich die Unternehmer und die Politik nicht so einfach hinwegsetzen konnten. Und schließlich sollte die Finanzierungsfrage der Krise aufgeworfen werden. Das Immobilienvermögen, das private Finanz- und Betriebsvermögen liegt inzwischen hierzulande bei 20 Billionen Euro. Die Reichen und Superreichen müssen deshalb über einen Lastenausgleich zur Kasse gebeten werden. Auch das wird nicht einfach sein. Aber im Bündnis mit anderen gesellschaftlichen Organisationen kann eine solche Kampagne betriebliche Kämpfe begleiten und unterstützen.