Oder: Bohnenkaffee für alle!
Bohnenkaffee für Alle! - So war der Spiegel-Artikel über den sozialdemokratischen Landrat von Hanau betitelt, der Anfang der 70er Jahre gegen allerhand Widerstand den Bau eines klassenlosen Krankenhauses im Landkreis Hanau vorantrieb, in dem Kassen- und PrivatpatientInnen völlig gleich gut behandelt werden sollten. Schon in der Bauplanung wurde auf die Errichtung einer Privatstation verzichtet, für alle sollten Ein- oder Zweibettzimmer zur Verfügung stehen und nicht nur die Privatversicherten sollten Bohnenkaffee zum Frühstück bekommen, sondern auch die KassenpatientInnen sollten in den Genuss kommen – Bohnenkaffee statt wie bisher Muckefuck!
Fast 50 Jahre ist es her! Landrat Woythal scheiterte zwar letztlich mit seinem Plan eines klassenlosen Krankenhauses, heute denkt die SPD stattdessen über Schließung, Kosteneffizienz und Privatisierung von Krankenhäusern nach. Lauterbach versichert, dass sein ‚Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz‘ gerade dazu beitragen soll, das Schlimmste abzuwenden und dafür zu sorgen, dass weniger Häuser dichtmachen müssen. Was ist dran an diesen Aussagen?
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Die Entwicklung der Krankenhauslandschaft – Ein kurzer Blick zurück
Es ist ein kurzer Rückblick nötig, um die aktuellen Vorgänge richtig einordnen zu können. Die Anzahl der Krankenhäuser ist in Deutschland seit langem rückläufig. Seit 1991 hat sich ihre Zahl um etwa 20 % verringert, von 2400 auf aktuell ca. 1900 Krankenhäuser mit knapp 500.000 Betten und einer Belegung von etwas über 70%. Bezogen auf die Krankenhausbetten liegt das Minus mit rund einem Viertel noch etwas höher. Die Reduktion entfiel dabei praktisch ausschließlich auf die öffentlichen Krankenhäuser, während die privaten Betreiber ihre Bettenzahl ausbauen konnten.
Die Anzahl der behandelten Patienten ist im gleichen Zeitraum von 1991 bis 2019 um etwa ein Viertel gestiegen auf knapp 20 Millionen behandelter PatientInnen und 2022 wieder auf etwa 17 Millionen gesunken. Das war nur durch eine erhebliche Arbeitsverdichtung für die MitarbeiterInnen und durch eine deutliche Verkürzung der Aufenthaltsdauer der PatientInnen im Krankenhaus zu erreichen. Die sog. Liegedauer sank von durchschnittlich etwas mehr als 13 Tagen (1991) auf etwas über 7 Tage (2023).
Von den og. 1900 sind nur noch etwas mehr als 500 Krankenhäuser in öffentlicher Hand und verfügen über knapp die Hälfte der Betten (226.000), 650 sind freigemeinnützig (150.000 Betten) und 750 privat (100.000 Betten).
Der Anteil der privaten Krankenhäuser hat sich seit dem Jahr 2000 von etwa 20% auf etwa 40% verdoppelt. (Alle Zahlen nach den Angaben des Bundesamtes für Statistik)
Zu den vier größten privaten Klinikbetreibern in Deutschland zählen Helios (Fresenius), Rhön-Kliniken, Asklepios und Sana. Dabei sticht der zum Fresenius-Konzern gehörende Klinik-Betreiber Helios mit knapp 12 Mrd. Euro Umsatz in 2022 heraus, 10 Jahre davor lag der Umsatz erst bei 3,2 Mrd., also beinahe eine Vervierfachung in 10 Jahren. An zweiter Stelle liegen die Asklepios-Kliniken mit 5,3 Mrd. Umsatz und fast einer Verdoppelung der Umsätze seit 2012. (Zahlen nach Statista.com)
Krankenhausprivatisierungen und Krankenhausschließungen gibt es also bereits am laufenden Band - auch ohne Krankenhausreform. Das wohl prominenteste Beispiel für eine Privatisierung war das Universitätsklinikum Marburg / Gießen, das 2006 für 112 Mio. Euro mit dem Argument der ‚klammen Kassen‘ an den Rhön-Konzern veräußert wurde. 2022 erhielt der Rhön-Konzern dann einen öffentlichen Investitionszuschuss von 500 Millionen! (https://www.jacobin.de/artikel/kliniksterben-gesundheitssystem-oekonomisierung)
Ein aktuelles Beispiel aus Bayern für Krankenhausschließung ist der Standort Mainburg der Ilmtalkliniken in kommunaler Trägerschaft. Es handelt sich um ein kleines Akutkrankenhaus. Nach einem aktuellen Gutachten durch den Wirtschaftsprüfer PriceWaterhouseCoopers wird darin eine Umwandlung des Krankenhauses in ein MVZ empfohlen. Wie wir noch sehen werden, entspricht das ganz dem Trend des KVVBG. Der zuständige Landrat Neumeyer und die Kreistagsmehrheit verfolgen nun die Umsetzung dieser Empfehlung. Eine laufende Petition dagegen findet zwar viel Zuspruch, Chancen, die Schließung des Krankenhauses zu verhindern, gibt es jedoch kaum. (https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-das-krankenhaus-mainburg)
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Wie hat sich die Finanzierung der Krankenhäuser entwickelt?
Es gab in den letzten Jahrzehnten eine Fülle von Gesetzen und Gesetzesänderungen zur Finanzierung im Gesundheitswesen. Mit dem
Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) von 1972 und der Bundespflegesatzverordnung von 1973 wurde die ‚Duale Finanzierung‘ der Krankenhäuser und eine Vergütung der Krankenhausleistungen nach dem Selbstkostendeckungsprinzip festgelegt. Die Bundesländer und Gesetzlichen Krankenkassen tragen seitdem die Kosten für die Krankenhäuser auf der Basis der tatsächlich entstandenen Kosten. Die Kassen finanzieren die laufenden Betriebskosten und die Länder (zumindest in der Theorie) die Investitionskosten.
Seit den 90er Jahren unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) wurden dann leistungsbezogene Finanzierungsinstrumente eingeführt (Gesundheitsstrukturgesetz 1993, Änderung der Bundespflegesatzverordnung 1995) und zunächst ein Teil der Leistungen über Fallpauschalen vergütet. Es besteht seitdem die Möglichkeit, dass Krankenhäuser Gewinne (oder Defizite) erwirtschaften, was erst die Voraussetzungen für die og. Privatisierungswelle der Krankenhäuser geschaffen hat.
Seit langem wird gerade bei den Investitionskosten enorm gespart, so dass die Krankenhäuser gezwungen sind, einen Teil der unumgänglichen Investitionen aus den Betriebsmitteln zu decken. Darüber hinaus besteht ein erheblicher Nachholbedarf bei den Investitionskosten. Das beklagt auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft, sie spricht von einem - alle Krankenhäuser zusammengenommen – stündlichen Defizit von knapp 600.000 Euro. Die sog. Defizituhr zeigt (Stand Mitte Juli 2024) deutlich mehr als 11 Mrd. Euro. (https://www.dkgev.de)
Seit etwa 20 Jahren (2003) werden die Krankenhäuser zu einem großen Teil über das sogenannte DRG-System entlohnt – Diagnose Related Groups, auch bekannt unter dem Stichwort Fallpauschalen. Der wichtigste Berater der damaligen SDP-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt war der damalige Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie der Uni Köln, Karl Lauterbach. Die Entlohnung des ‚Leistungserbringers‘ - also eines Krankenhauses - erfolgt mittels einer Pauschale, die über die Diagnose, mit der ein Patient behandelt wird, ermittelt wird. Berücksichtigt werden dabei auch vorhandene chronische Erkrankungen und andere Besonderheiten, die eine Behandlung aufwändiger machen.
So ergibt sich dann ein bestimmter Fallwert. Der Fallwert liegt z.B. für die operative Versorgung einer Leistenhernie zwischen 1600 und 2020 Euro. Für die Behandlung eines Patienten mit Lungenentzündung (ohne äußerst schwere Komplikationen), mit mäßigem Behandlungsaufwand und einer ‚Liegedauer‘, gemeint ist damit der Krankenhausaufenthalt von 4 - 20 Tagen, erhält das Krankenhaus eine Basis-Pauschale von 4210 Euro. Natürlich ist die Realität komplexer und andere Faktoren spielen eine Rolle.
Der Kern der Sache ist aber:
-Je kürzer die Liegedauer, desto häufiger kann vom Krankenhaus eine Fallpauschale abgerechnet werden.
-Je besser codiert wird, je kränker ein Patient in der Realität oder auf dem Papier ist, desto lukrativer ist es.
Gerade die Fallpauschalen haben zu viel Unmut und Kritik auch innerhalb der Beschäftigten des Gesundheitswesens und bei PatientInnen-Vertretungen geführt. Das Schlagwort der ‚Blutigen Entlassung‘ machte die Runde, also einer übereilten Entlassung ohne die notwendige medizinische Sorgfalt, allein aufgrund ökonomischer Interessen.
Diesen Unmut hat Lauterbach wohl im Blick, wenn er davon spricht, nun den ‚Irrweg‘ der DRG-Vergütung wieder verlassen zu wollen. Bei dieser Ankündigung handelt es sich aber um einen reinen Bluff.
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Internationaler Vergleich
Die Gesundheitssysteme sind international nur schwer vergleichbar. Eine ausführliche Analyse würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Daher möchte ich nur ein paar wenige Einzelheiten herausgreifen.
Zahl der Krankenhausbetten
Laut OECD gab es im Jahr 2007 durchschnittlich 3,8 Akutbetten je 1000 EinwohnerInnen in den Krankenhäusern aller OECD-Länder (1995 noch 4,7). Überdurchschnittlich war die Bettenzahl in Japan (8,2), (Süd-)Korea, Österreich, Deutschland (5,7), Tschechien, Slowakei, Polen Luxemburg, Belgien, Ungarn und Griechenland. In vielen anderen OECD-Ländern lag sie niedriger, Schlusslicht ist Mexiko mit 1,0. Für die Vergleichbarkeit spielt auch die Auslastung, also die Belegung der Betten mit PatientInnen, eine wesentliche Rolle.
Die Belegung der Betten lag OECD-weit durchschnittlich bei 75% (Deutschland 76%). Hier liegen Kanada, Norwegen und Irland ganz vorne mit knapp 90% Belegung, in Mexiko, den Niederlanden, der Türkei und den USA sind nur etwa zwei Drittel der Betten belegt. (OECD (2010), “Krankenhausbetten (Verfügbarkeit und Auslastung)”, in Health at a Glance 2009: OECD Indicators, OECD Publishing, Paris)
Laut og. OECD-Veröffentlichung war in beinahe allen Ländern die Zahl der Betten rückläufig. Eine Ausnahme bildet Süd-Korea. Hier stieg die Bettenzahl deutlich an, was mit dem fast ausschließlich privatwirtschaftlich organisierten Gesundheitssystem erklärt wird. Diverse Eigenheiten in einzelnen Staaten schmälern die Vergleichbarkeit der Zahlen.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft verwendet geringfügig abweichende Zahlen, es ergibt sich aber fast das gleiche Bild. Hier wird auch die personelle Ausstattung der Krankenhäuser untersucht:
Personalausstattung
Demnach liegt Deutschland bezüglich der Personalausstattung der Krankenhäuser trotz der höheren Bettendichte eher im Mittelfeld. In deutschen Krankenhäusern arbeiten etwa 2,4 Ärzte pro 1000 EinwohnerInnen. Deutlich mehr sind es in der Schweiz (3,2) auch in Litauen, Dänemark, Österreich, Island, Frankreich und Norwegen arbeiten mehr Ärzte in Krankenhäusern. Deutlich weniger in Belgien (0,7), USA und Kanada (je 1,0), etwa gleich viele in Tschechien, Portugal, Estland, Griechenland, Spanien und Italien.
Betrachtet man die Anzahl der Pflegefachkräfte, liegt Deutschland (5,6 pro 1000 EinwohnerInnen) ebenfalls im Mittelfeld, zusammen mit den USA, Frankreich, Tschechien und Irland. An der Spitze liegt hier Norwegen (9,1), am Ende Chile (0,9).
Gesundheitsausgaben
Noch schwerer vergleichbar sind die Gesundheitsausgaben aufgrund der großen internationalen Unterschiede der Gesundheitssysteme. Während beispielsweise das südkoreanische Gesundheitssystem weitgehend privatwirtschaftlich organisiert ist, wird das britische System weitgehend über Steuern finanziert, in vielen anderen OECD-Ländern gibt es ebenfalls große Unterschiede.
In Deutschland lagen dabei die Ausgaben für den Krankenhaussektor bei etwa 30% (entspricht 88 Mrd. Euro) der gesamten Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) 2022. Die jährliche Steigerung lag seit 2017 zwischen 1,5% und 5.3%.
Zusammenfassend sind die Ausgaben für den Gesundheitssektor im internationalen Vergleich in Deutschland zwar insgesamt hoch, für den stationären Bereich gilt das aber keineswegs. Hier liegen die Kosten eher im Mittelfeld.
Soweit also die Vorrede. Was steht nun drin im Gesetz mit den 41 Buchstaben?
Ende Juni fand im Bundestag die erste Lesung des Gesetzestextes statt, der in vielen Punkten noch vage bleibt, so dass eine abschließende Beurteilung noch nicht zur Gänze möglich ist.
‚Bessere Behandlungsqualität, weniger Bürokratie sowie der Erhalt eines lückenlosen Netzes von Krankenhäusern in ganz Deutschland‘ – so benennt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf seiner website die Ziele der Krankenhausreform, dem sogenannten KHVVG – Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Alles nicht wahr – drei glatte Lügen! Die Behandlungsqualität wird sinken, die Bürokratie wird mehr werden und das Netz an Krankenhäusern in Deutschland wird weitere Lücken bekommen.
Level
Weitgehend weggefallen ist nach dem Widerstand der Bundesländer offensichtlich die Einteilung der Krankenhäuser in drei Versorgungsstufen (Level), nur das Level Ii ist als ‚Sektorenübergreifende Versorgung‘ erhalten geblieben. Der Level
Ii- Versorgung wird eine Art Brückenfunktion zwischen stationärer und ambulanter Versorgung zugeschrieben. Es ist mehr oder weniger gleichbedeutend mit einem Medizinischen Versorgungszentrum mit zusätzlichen Betten, aber ohne strukturierte Notfallversorgung im Sinne einer rund um die Uhr besetzten Notaufnahme.
Unterm Strich heißt das, dass ein Teil der kleineren Akutkrankenhäuser mittels Level Ii in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) umgewandelt werden und an den entsprechenden Standorten nur noch ambulante medizinische Leistungen erfolgen. Diese Entwicklung ist nicht ganz neu (siehe das og. Beispiel des Krankenhauses Mainburg), wird aber nun quasi per Gesetz vorangetrieben. Während die bereits erwähnten Krankenhausprivatisierungen durch große private Krankenhauskonzerne wie Helios durchgeführt werden, wird mit der Versorgungsstufe Level Ii eine mundgerechte Zubereitung kleiner Krankenhäuser für einen anderen wichtigen Akteur der Privatisierung im Gesundheitsbereich vorgenommen. Privat Equity Fonds, also nicht an der Börse notierte Fonds, die zu Renditezwecken Geld von Anlegern einsammeln und nichts mit Medizin zu tun haben, sind seit einigen Jahren verstärkt im ambulanten Sektor der medizinischen Versorgung aktiv. Insbesondere betreiben sie Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Aus rechtlichen Gründen müssen sie aber dafür unter Umständen ein kleines Krankenhaus erwerben: Level Ii. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird gerade hier die Privatisierung der neu entstehenden ‚Sektorenübergreifenden Versorgung (Level Ii)‘ durch Privat Equity Fonds rasch voranschreiten.
DRG und Vorhaltepauschale
Im neuen Gesetzesentwurf soll die DRG-Finanzierung nur noch 40% betragen, 60% werden durch eine Vorhaltepauschale vergütet, die unabhängig von den Fallpauschalen sein soll. Da sich aber die Vorhaltepauschale an den Fallzahlen der Vorjahre orientiert, ist doch ziemlich unklar, wo diese Unabhängigkeit herkommen soll. Vielmehr wird auch hier statt der Bedarfsorientierung das DRG-System über einen Umweg beibehalten. Neue Bürokratie entsteht durch diese Parallelstruktur. Darüber hinaus gibt es noch eine Deckelung der Ausgaben. ‚Von einer fallmengenunabhängigen oder kostendeckenden Finanzierung kann nicht die Rede sein.‘ Die Vorhaltefinanzierung ist ein ‚Etikettenschwindel‘ und ein ‚Bürokratiemonster‘ (https://www.jacobin.de/artikel/kliniksterben-gesundheitssystem-oekonomisierung) Sprich: weder wird der ‚Irrweg‘ des DRG-Systems wirklich verlassen, noch wird Bürokratie abgebaut. Im Gegenteil! Die Krankenhäuser sind gezwungen, mit neuen Controllern neue Wege zu finden, aus dem neuen (gedeckelten) Topf der Vorhaltepauschalen in Konkurrenz mit den anderen Krankenhäusern Gelder zu generieren. Ein Irrsinn.
Leistungsgruppen
Qualität und Ausstattung der Krankenhäuser sollen in 65 Leistungsgruppen erfasst werden. Solche Kriterien wurden und werden von der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften) entwickelt und sollen dafür Sorge tragen, dass die Behandlung auf einem hohen medizinischen Niveau stattfindet. Festgelegt ist z.B., wie viele Fachärzte im jeweiligen Krankenhaus angestellt sind. Anwesenheit und Rufbereitschaft, apparative Ausstattung und ähnliches sind darin geregelt. Nur wenn ein Krankenhaus alle Bedingungen erfüllt, darf es eine bestimmte Leistungsgruppe (LG) anbieten. Das allein genügt aber nicht, dem entsprechenden Krankenhaus muss von den Ländern die Leistungsgruppe auch zugewiesen werden. Solche Leistungsgruppen sind z.B. Endoprothetik (Gelenkersatz), Herz- oder Wirbelsäulenchirurgie, Diabetes, Geriatrie (Altersmedizin) usw.
Die Leistungsgruppen orientieren sich an einem in NRW bereits etablierten Modell. Hier wird pro Leistungsgruppe der Bedarf mit einer gewissen Schwankungsbreite ermittelt und entsprechend werden die LGs nach den zu erwartenden Fällen auf die Krankenhausstandorte verteilt. Klingt schon so richtig nach Bürokratieabbau.
In NRW hat sich inzwischen mit dem ‚Bündnis für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen‘ beachtlicher Widerstand gegen die Krankenhausschließungen auf Länderebene organisiert.
Für die Zuordnung der Leistungsgruppen an einzelne Krankenhäuser sind also bestimmte Fallmengen und Ausstattungskriterien nötig. Diese strukturellen Vorgaben führen daher für zahlreiche Krankenhäuser – angeblich im Zuge der Qualitätsverbesserung – zur Einschränkung des Behandlungsspektrums und in der Folge zum Entzug von finanziellen Mitteln. Letztlich also eine Schließungsmaßnahme. (siehe auch: https://www.jacobin.de/artikel/kliniksterben-gesundheitssystem-oekonomisierung)
Das og. Bündnis für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen in NRW hat inzwischen die NRW-Pläne unter die Lupe genommen und an verschiedenen Beispielen aufgezeigt, welche teilweise grotesken Folgen auch die Zuordnung der Leistungsgruppen an bestimmte Krankenhäuser haben wird. Nach den Plänen der Landesregierung soll die Leistungsgruppe zur operativen Versorgung eines Bauchaortenaneurysmas (Lokale Erweiterung der großen Bauchschlagader) nur wenigen großstädtischen Kliniken zugewiesen werden. Hat nun ein Mensch das Pech, notfallmäßig ein Problem mit seinem Bauchaortenaneurysma zu bekommen, hängt sein Leben bereits am seidenen Faden. Befindet er sich dann noch weit weg von einer zur Versorgung seines Leidens ermächtigten Klinik, verlängert sich die Zeit, bis der Rettungswagen die Klinik erreicht, laut den Angaben auf bis zu 40 Minuten. Ähnliches gilt auch für andere operative Notfälle oder auch für die Geburtshilfe, die in besonderem Ausmaß reduziert wird. (jW vom 12.8.24)
Ziele der Krankenhausreform
Tatsächlich soll es durch die Krankenhausreform zu einem weiteren Bettenabbau und zu weiterer Standortschließung kommen. In welch enormem Umfang dieser Abbau angedacht ist, zeigt eine Untersuchung des rwi. Laut dem Krankenhausratingreport 2023 des rwi – Leibnitz Institut für Wirtschaftsforschung -, auf den sich auch Bundesgesundheitsminister Lauterbach beruft, verfolgt die große Krankenhausreform mehrere Ziele: „Vor allem soll die fallmengenunabhängige Vorhaltefinanzierung den Mengenanreiz des DRG-Systems reduzieren, die Daseinsvorsorge stärken und über noch zu definierende Leistungsgruppen einen Anreiz zur Optimierung der Krankenhausstrukturen schaffen. Damit wird ein starker Anreiz gesetzt, Standorte zu größeren Einheiten zusammenzulegen, um damit ein höheres Versorgungslevel zu erzielen.“
Was hier noch ähnlich schön klingt wie die Darstellung auf der website des Ministeriums, wird im „Zielbild“ dann konkret: Durch fortschreitende Ambulantisierung und eine bessere Auslastung der vorhandenen Bettenkapazität auf 85% soll nur noch ein Bedarf an 316.000 Krankhausbetten an 1.200 Standorten bestehen. (www.rwi-essen.de - Schlagwort: krankenhaus-rating-report-2023)
Zur Erinnerung: Aktuell gibt es fast 1.900 Standorte mit beinahe 500.000 Betten!
So schreibt denn auch das rwi weiter: „Der Weg vom Status quo zum Zielbild ist mit erheblichen Veränderungen verbunden.“ Das kann man wohl sagen!
Die Notwendigkeit der Krankenhausreform wird von Lauterbach und vom rwi gleichermaßen u.a. damit begründet, dass sonst eine ungeordnete Insolvenzwelle droht. Laut rwi wären ohne Reform bis 2030 etwa 44% der Krankenhäuser im roten Rating-Bereich, also von Insolvenz bedroht, aktuell sind es 11%.
Innerhalb kürzester Zeit soll also die Krankenhauslandschaft nochmal um 700 Standorte und 180.000 Betten (jeweils mehr als ein Drittel!) bereinigt werden.
Bedenkt man, dass in den vergangenen 35 Jahren „nur“ etwa 20 – 25 % der Bettenkapazitäten und Standorten geschlossen wurden, ist hier eine gigantische Beschleunigung geplant.
Die Berater
Eine umfassende Untersuchung, welche Stichwortgeber bei der Krankenhausreform im Speziellen und beim Umbau des Gesundheitswesens im Besonderen die Finger im Spiel haben, wäre natürlich interessant, aber doch relativ aufwändig. Einige wichtige ‚Berater‘ und ‚Experten‘ sind im Folgenden aufgeführt.
Der RWI-Gesundheitsexperte Prof. Boris Augurzky – er wünscht sich die ‚schöpferische Zerstörung‘ des Gesundheitswesens - ist federführend für den Krankenhaus Rating Report. Er ist auch Vorstandsvorsitzender der Rhön-Stiftung, die wiederum vom Gründer der Rhön-Klinik-Kette, dem Betriebswirtschaftler Eugen Münch, ins Leben gerufen wurde. Auch Prof. Lauterbach saß laut seinem Wikipedia-Eintrag lange Jahre im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken und ebenso die Bertelsmann-Gesellschafterin Brigitte Mohn.
Die Bertelsmann-Stiftung hat 2019 eine vielbeachtete Studie mit dem Titel ‚Zukunftsfähige Krankenhausversorgung‘ veröffentlicht, in der die Schließung von 30 – 50% der Krankenhäuser in Deutschland vorgeschlagen wurde. Zum Autoren-Team zählte u.a. Reinhard Busse, Professor für Gesundheitsökonomie an der TU Berlin, ebenfalls ein einflussreicher ‚Experte‘. Er findet: „Ein Großteil der Krankenhäuser in Deutschland ist überflüssig.“ (https://www.jacobin.de/artikel/kliniksterben-gesundheitssystem-oekonomisierung)
Gerade die Bertelsmann-Stiftung und die Rhön-Stiftung sind sehr aktiv bezüglich des Umbaus des Gesundheitswesens. Auf ihren websites bieten sie zahlreiche Publikationen und Diskussionsrunden zum Thema zum kostenlosen download an. Ihre ‚Expertenrunden‘ zeigen die enge Verzahnung von TeilnehmerInnen aus den Ministerien, der Politik, der Krankenkassen, privater Klinikbetreiber und der Hochschulen. Somit handelt es sich um einflussreiche Thinktanks des Gesundheitswesens mit ausgeprägter Scharnierfunktion zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
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Kritik an der Krankenhausreform
Kritik an der geplanten Krankenhausreform kommt von linken Parteien, von den Gewerkschaften und PatientInnenvertretungen.
Verdi fordert völlig zurecht an erster Stelle die vollständige Abschaffung des DRG-Systems und stattdessen eine bedarfsgerechte Finanzierung. Aber scheinbar gibt es von gewerkschaftlicher Seite die Hoffnung, dass diese Krankenhausreform zumindest ein bisschen in die richtige Richtung gehen könnte und so gibt es lobende Worte von Sylvia Bühler aus dem verdi-Bundesvorstand dafür, dass der Reformbedarf jetzt erkannt worden sei. Eines der ganz großen Risiken dieser Reform, die weitere Öffnung insbesondere der Level-Ii-Ebene für private Investoren, hat offenbar auch verdi im Blick, hier fordert die Gewerkschaft „Gesetzliche Schutzmaßnahmen gegen den Einstieg renditegetriebener Investoren“ (https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/themen/krankenhausreform) und, ein weiterer wichtiger Kritikpunkt, eben nicht die geplante Abkoppelung der Level-Ii-Kliniken von der Notfallversorgung.
Insgesamt bleibt die Kritik der Gewerkschaften aber eher im Bereich der konstruktiven Ausgestaltung und Verbesserung wichtiger Details.
Jorinde Schulz vom Berliner Landesvorstand der Linkspartei und auch aktiv im ‚Bündnis Klinikrettung‘ hat im ‚Jacobin‘ vom Februar 2024 einen ausführlichen Bericht zur Krankenhausreform veröffentlicht. Schulz beschreibt die Reform darin als „Wegbereiterin einer kapitalfreundlichen Umgestaltung des Gesundheitswesens“ und weiter: „Die geplanten massenhaften Schließungen verkauft Lauterbach als qualitätsfördernde Spezialisierung“. Schulz kritisiert die Reform engagiert in ihrer ganzen verheerenden Bandbreite und kommt folgerichtig zu vernichtenden Ergebnissen.
In einem Beitrag auf der Linken-website wird die Reform von Ates Gürpinar dagegen lediglich als ‚halbherzig‘ bezeichnet und in einem Parteibeschluss vom 8.7.2023 hat die Linkspartei umfangreich Ansprüche an eine tatsächliche Reform der Krankenhäuser und Kritik an den Vorschlägen Lauterbachs zusammengetragen. Der Etikettenschwindel der Vorhaltepauschalen und damit der letztlich ungebrochene Finanzdruck auf die Krankenhäuser werden darin klar benannt, die Linkspartei fordert stattdessen eine bedarfsorientierte Finanzierung. Im 14-seitigen Papier des Parteivorstandes heißt das ‚Selbstkostendeckung 2.0‘. Auch fordert sie den ‚Irrweg‘ der Privatisierung im Gesundheitswesen zu verlassen und stattdessen eine Entprivatisierungsinitiative. Als eigene Vision setzt sie auf integrierte Versorgung und Planung und empfiehlt kommunale Versorgungszentren als Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass – bezeichnenderweise – eine Bezugnahme auf die Arbeitsbedingungen und diesbezügliche Verbesserungsvorschläge völlig fehlen. (https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand-2022-2024/detail-beschluesse-pv/linke-anforderungen-an-eine-krankenhausreform-integrierte-versorgung-statt-kahlschlag-in-der-krankenhauslandschaft/)
In einem Antrag vom 15.Mai dieses Jahres hat die Gruppe BSW den sofortigen Stopp der Krankenhausreform gefordert und eine kostendeckende Finanzierung und bessere Arbeitsbedingungen für das Personal gefordert. Auch kritisiert das BSW den Schwindel mit der Vorhaltepauschale. (https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1007366)
Am Ende bleibt nicht mehr viel zu sagen. Die Lauterbach’sche Krankenhausreform reiht sich ein in die bisher praktizierte Ökonomisierung der Krankenhäuser, sie wird Schließungen, Privatisierungen und Zusammenlegungen weiter beschleunigen, Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern fehlen. Der Maßstab dabei wird nicht die medizinische Notwendigkeit, das Wohl der PatientInnen und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung sein. Krankheit ist ein großes Geschäft und die Stichwörter werden weiterhin Rentabilität, Profitinteresse und Sparpotential heißen.
Effektiver Widerstand ist derzeit nur punktuell in Sicht. Vielfach gibt es lokale Initiativen gegen die Schließung der örtlichen Krankenhäuser. Hier ist aber zu befürchten, dass sich im Falle eines – zu erwartenden – Misserfolges keine dauerhaften Strukturen etablieren.
Bundesweit agiert seit 2020 das ‚Bündnis Klinikrettung‘ des Vereins ‚Gemeingut in BürgerInnenhand‘. Hier haben sich verschiedene lokale oder regionale Initiativen zum Krankenhauserhalt zusammengeschlossen. Auch von gewerkschaftlicher Seite und attac wird das Bündnis unterstützt. In NRW ist das bereits genannte ‚Bündnis für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen‘ aktiv und findet eine relativ breite Unterstützung u.a. durch verdi, DKP, linksjugend, ÖDP, MERA25 und verschiedene Sozialverbände.
Noch ein kleiner optimistischer Ausblick zum Schluss:
Die der Belgischen Arbeiterpartei PTB/PvdA nahestehende Gesundheitsorganisation MPLP (Medizin für das Volk) (siehe auch Arsti 220) hat die folgenden Ziele zur medizinischen Versorgung in Belgien aufgestellt. Im Wesentlichen können diese auch für die deutschen Verhältnisse gelten.
-Kostenlose Gesundheitsversorgung von hoher Qualität für jedeN
-Abschaffung der Leistungsmedizin und der leistungsabhängigen Vergütung. Festgehälter für alle im Gesundheitswesen Beschäftigten
-Einrichtung eines nationalen Gesundheitsdienstes mit PatientInnen-Beteiligung und transparenter Beschlussfassung
-Erhaltung aller öffentlicher Krankenhäuser
-Allgemeine Zugänglichkeit aller Krankenhäuser
-Änderung der Arzneimittelpolitik und kostenfreie Medikamentenabgabe an die PatientInnen
-Vorrang einer sehr umfassend verstandenen Prävention: gute soziale Sicherheit, gesunde Umwelt, gute Unterkunft, verbesserter Arbeitsschutz
-Abschaffung der Ärztekammer, stattdessen Einsetzung einer Ethikkommission
Dr. K.B. 12.August 2024