Kommunal- und Europawahlen

 

Überraschend war das Wahlergebnis zur Europawahl nicht. Alle Prognosen hatten der AfD einen hohen Stimmenanteil vorausgesagt. Und den hat die Partei bei den Wahlen am 9. Juni auch bekommen. Auf Bundesebene erhielt sie 15,9 Prozent der Stimmen. In den ostdeutschen Bundesländern lag ihr Stimmenanteil teilweise doppelt so hoch. In Thüringen und Sachsen-Anhalt lag ihr Ergebnis bei rund 30 Prozent - in Sachsen sogar bei 31,8 Prozent. In allen drei Bundesländern liegt damit die AfD erstmals deutlich vor der CDU - eine völlig neue Erfahrung für die Unions-Christen.

Neben der Europawahl fanden am 9. Juni in Sachsen zusätzlich Kommunalwahlen statt. Auch diese unterschieden sich im Ergebnis nicht groß von den Ergebnissen der Europawahl. Da die Wahlergebnisse aber nach den einzelnen Stadtteilen und -bezirken ausgewertet werden, sind wegen der dort bekannten sozialen Strukturen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten der Menschen möglich.

Besonders hart war das Wahlergebnis bei beiden Wahlen – der Europawahl wie auch bei den Kommunalwahlen – für die „Linke“. Sie erhielt in Sachsen nur noch 4,9 Prozent der Stimmen, bei den Wahlen im Jahr 2019 waren es noch 10,4 Prozent. Die Partei musste einen großen Teil ihrer Wählerschaft an das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) abgeben. Die Gründe dafür sind sowohl die innerparteilichen Streitereien als auch die unklare Haltung der Linken zur Migrationspolitik und dem Krieg in der Ukraine. Das BSW erhielt aus dem Stand 12,6 Prozent der Wählerstimmen. Und das, obwohl von ihm ein kaum sichtbarer Wahlkampf geführt wurde.

Ebenfalls abgestraft wurden die Grünen und die SPD. Mit 5,9 Prozent und 6,9 Prozent liegen sie im einstelligen Bereich, knapp über der 5-Prozentgrenze und nähern sich damit dem Schicksal der FDP, die bei den Wahlergebnissen unter den „Sonstigen“ aufgeführt wurde.

 

AfD-Sieg bei den Kommunalwahlen

Auch bei den Kommunalwahlen ging die AfD als Siegerin hervor. In allen zehn sächsischen Landkreisen ist sie die stärkste Kraft. In Chemnitz und Dresden gewinnt die AfD die Stadtratswahlen und stellt damit im Rat die größte Fraktion. Auch in kleineren Gemeinden und Städten ist sie erfolgreich, so in Freital, Pirna, Bautzen und Görlitz. Aber nicht nur die AfD hat zahlreiche reaktionäre Kandidaten durchgebracht, auch die faschistischen „Freien Sachsen“ waren in einzelnen Gemeinden, mit Schwerpunkt Erzgebirge, erfolgreich. Sie waren mit mehr als 500 Kandidaten zu den Kommunalwahlen angetreten, darunter militanten Neonazis und ehemaligen NPD-Mitgliedern.

Die Wahlergebnisse in den ostdeutschen Bundesländern unterscheiden sich deutlich von denen im Westen. Zwar hat die AfD auch dort deutlich zugelegt, aber ihre Ergebnisse im Osten sind fast doppelt so hoch wie im Westen. Es stellt sich daher die Frage, warum das so ist. Warum weichen die Ostdeutschen so sehr in ihren politischen Einstellungen und ihrem Wahlverhalten von den Westdeutschem ab? Endgültige und eindeutige Antworten auf diese Fragen sind schwierig.

Ab und zu kann man in bürgerlichen Analysen lesen, diese Andersartigkeit der ostdeutschen Menschen würde an ihrer DDR-Sozialisierung liegen. Doch auch das ist wenig plausibel. Schließlich haben wir im Westen ein Wahlverhalten, das sich dem im Osten nähert.

Um die Frage zu beantworten, benötigt man deshalb detailliertere Einblicke in das Wahlverhalten der Menschen. Die stattgefundenen Kommunalwahlen lassen diese Einblicke zu. Betrachtet man dort die Wahlergebnisse, kann man die Frage teilweise beantworten, warum die AfD so stark wurde. Die „Sächsische Zeitung“ geht in einer ihrer Ausgaben auf die Wahlergebnisse für Dresden in den verschiedenen Stadtteilen und Wahlkreisen ein. Danach erhielt die AfD im gesamten Stadtgebiet 19,5 Prozent der Stimmen. Diese waren aber sehr unterschiedlich verteilt. Die besten Ergebnisse erzielte sie in den Stadtteilen Prohlis und Gorbitz-Süd. In diesen Stadtteilen leben viele Geringverdiener, Rentner, Arbeitslose und Flüchtlinge. Im Stadtteil Gorbitz-Süd erhielt die AfD mit 39.4 Prozent ihr höchstes Stimmenergebnis. Ganz anders sieht es in dem Wahlbezirk Äußere Neustadt aus. Dort waren für die AfD nur 3,9 Prozent der Stimmen erreichbar. Bei der Äußeren Neustadt handelt es sich um das Dresdener Szeneviertel mit vielen Kneipen, teuren Eigentumswohnungen und einer mehrheitlich jungen Einwohnerschaft. Daraus wird ersichtlich, die AfD ist und wird stark in den sozialen Brennpunkten. Dort, wo die Lebensverhältnisse der Menschen nicht gut sind, wo es Probleme über Probleme gibt. Dort wählen viele diese Partei, offensichtlich nicht wissend, dass sich ihre Probleme, sollte sie an die Schaltstellen der Politik kommen, eher noch vergrößern würden. Schließlich ist das wirtschaftspolitische Programm der AfD eindeutig neoliberal ausgerichtet.

 

Soziale Ungleichheit stärkt AfD

Die Wahlerfolge der AfD hängen, wie man sieht, mit der wachsenden sozialen Ungleichheit im Lande zusammen. Diese Entwicklung ist nicht auf Ostdeutschland beschränkt. Sie ist ein Phänomen, das man in der gesamten BRD, ja weltweit feststellen kann. Eine neuere Studie (Oxfam International, Januar 2024) zeigt die Vermögensentwicklung der letzten Jahre auf. Danach konnten alle Milliardäre ihr Vermögen seit dem Jahr 2020 um 3,3 Billionen US-Dollar steigern, während die ärmsten fünf Milliarden Menschen der Welt 20 Milliarden US-Dollar Vermögen verloren. Was schon lange bekannt ist, wird hier bestätigt: die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer! Auch auf die BRD trifft diese Entwicklung zu. So ist das Vermögen der fünf reichsten Deutschen seit dem Jahr 2020 um rund drei Viertel gestiegen, von circa 89 Mrd. auf rund 155 Mrd. US-Dollar.

Dieser Handvoll Reicher stehen rund 17,7 Millionen Arme im Lande gegenüber. Laut dem Statistischen Bundesamt sind so viele Menschen in Deutschland von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das sind 21.2 Prozent der Bevölkerung. Als armutsgefährdet gilt eine Person, wenn ihr Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt.

Dieser Personenkreis ist in den ostdeutschen Bundesländern relativ größer als im Westen. Der Grund liegt in der Politik der Bundesregierung, die von ihrer Treuhandanstalt die DDR-Betriebe an westdeutsche Konzerne und mittlere bis kleinere Unternehmer regelrecht verscherbeln ließ. Durch diese Politik wurde der Osten zu einem großen Niedriglohnsektor. Nur sehr wenige Unternehmer hielten sich an bestehende Tarifverträge oder sie umgingen diese, indem sie aus den entsprechenden Arbeitgeberverbänden austraten. Gleichzeitig zeigten sie sich in vielen Betrieben äußerst aggressiv gegen Gewerkschaften und auch gegenüber Betriebsräten. Die meisten Belegschaften nahmen die Maßnahmen ihres „Arbeitgebers“ hin. Diese Beschäftigten waren froh, überhaupt noch einen Arbeitsplatz zu haben. Schließlich hatten sie schlimme Erfahrungen gemacht. Die Übernahme eines DDR-Betriebes durch einen westdeutschen Unternehmer war immer mit einem radikalen Personalabbau verbunden. Wenn die Hälfte der ehemaligen Arbeitsplätze übrig blieb, konnte man von einem Glücksfall sprechen. Meist lagen die Zahlen deutlich darunter. Das alles geschah vor dem Hintergrund einer Massenarbeitslosigkeit von zeitweise mehr als 25 Prozent.

Inzwischen ist viel Zeit vergangen und die Unternehmen haben sich, wenn sie noch bestehen, konsolidiert. Verfestigt haben sich allerdings auch die negativen Dinge der Anfangszeit. So gibt es viele Betriebe ohne Betriebsrat. Dort ist alleine der Unternehmer der „Herr im Hause“ und entsprechend sind dann dort auch die Arbeitsbedingungen. Die abhängig Beschäftigen haben nur wenig zu sagen. Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist der Zustand der Gewerkschaften. Der Organisationsgrad in den meisten Betrieben ist sehr niedrig und in nur wenigen Betrieben ist eine Gewerkschaft mit einer solchen Belegschaft in der Lage, einen Erzwingungsstreik durchzuführen. Diese Zustände führen zu Missstimmungen und zu Verdruss in den Betrieben und in der Bevölkerung. Die Konsequenz aus dieser Situation ist eine Lohnlücke, die seit mehr als 33 Jahren besteht. Die Einkommensunterschiede und die soziale Ungleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland sind deshalb nach wie vor ziemlich groß. Im vergangenen Jahr verdienten Vollzeitbeschäftigte in Ostdeutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts durchschnittlich 824 Euro brutto pro Monat weniger als ihre Kollegen im Westen. Ein Jahr zuvor lag der Unterschied bei 842 Euro.

Diese Lohnlücke wäre relativ rasch und einfach zu beseitigen. Dazu müssten sich die Belegschaften nur in hohem Maße gewerkschaftlich organisieren und die Angleichung durchsetzen. Die Unternehmen sind im Osten genauso produktiv, wenn nicht sogar noch produktiver als im Westen. Sie würden sich schnell einer Forderung beugen, die sich auf eine große und starke gewerkschaftliche Macht stützt. Leider ist es den Gewerkschaften bis heute noch nicht gelungen, den arbeitenden Menschen im Osten diesen Zusammenhang zu vermitteln.

 

Abgehängte Rentner

Könnte die Lohnlücke durch die eigene Kraft der abhängig Beschäftigten verändert werden, ist es bei einer weiteren Personengruppe schon deutlich schwerer. Nämlich bei den Rentnerinnen und Rentnern. In der DDR war es üblich, dass die Menschen eine hohe und dauerhafte Erwerbstätigkeit aufwiesen. Eine kontinuierliche Vollzeitbeschäftigung in der Zeit zwischen Schulabschluss bis zum Renteneintrittsalter war die Norm. Dies Kontinuität wurde aber mit dem Anschluss an die BRD unterbrochen. Im Verlauf der 1990er Jahre gab es bekanntlich massive Arbeitsmarktprobleme. Deshalb erhalten die Jahrgänge, die heute in die Rente gehen, immer öfters nur noch niedrige Renten. Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit, Niedriglöhne, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und die sich ausweitende Teilzeitarbeit machen sich hier schmerzhaft bemerkbar. Für die Rentnerinnen und Rentner im Rentenbestand wie für die Neuzugänge aus den rentennahen Jahrgängen gilt, dass Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung so gut wie nicht vorhanden sind. Auch für die private Altersvorsorge gab es angesichts der Verhältnisse in der DDR und der Umwälzungen durch die Eingliederung in die BRD weniger Möglichkeiten. Im Ergebnis leben die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern nahezu ausschließlich von den Leistungen der Gesetzlichen Rentenversicherung. Daher kommt es, dass die Alterseinkommen von Älteren in den neuen Ländern geringer sind als im Westen. Nach Auskunft des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken liegen die Renten im Osten bei 1.403 Euro und im Westen bei 1.605 Euro. Wohlgemerkt, das sind die Durchschnittsrenten. Daraus folgt, dass es Rentenzahlungen gibt, die weit unter diesem Durchschnittswert liegen, mit denen viele Rentner zurechtkommen müssen. Es verwundert deshalb wenig, dass die Zahl der Rentner, die zusätzlich zu ihrer Rente Grundsicherung bekommen, gerade in Ostdeutschland steigt.

 

Frustration wächst an

Die Beispiele zeigen, dass ein nicht geringer Anteil der arbeitenden Bevölkerung, auch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben, äußerst frustriert ist. Nicht nur die niedrigen Einkommen und schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen alleine sind dafür der Grund. Es führen weitere Dinge zunehmend zu Verdruss. Es sind solche Faktoren wie die schwächelnde Wirtschaft, Inflation, hohe Mieten, steigende Energiekosten und nicht zuletzt die Migrationspolitik der Bundesregierung und deren Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Alle diese Faktoren sind Wasser auf die Mühlen der AfD und machen sie bei Wahlen stark. Dieser Teil der Bevölkerung wählt mehrheitlich die AfD nicht wegen ihrer politischen Programmatik, sondern wegen der Aufgeregtheit, mit der die Medien und etablierten Parteien auf das Erstarken der AfD reagieren. Man zeigt es „denen da Oben mal richtig“, indem man die AfD wählt.

Anfang des Jahres fanden in vielen bundesrepublikanischen Städten Demonstrationen gegen die AfD statt. Der Grund war ein Bericht der Recherchegruppe CORREKTIV über ein Treffen von AfDlern und Neonazis, bei dem die Möglichkeit der Deportation von Millionen Menschen mit ausländischem Hintergrund besprochen wurde. Die Empörung und Reaktion der Bevölkerung war gewaltig. Es kam zu Demonstrationen gegen die AfD in fast allen Großstädten, teilweise mit 100.000 und mehr Teilnehmern. Schnell klinkten sich SPD, Grüne und sogar die CDU/CSU in die Bewegung ein und riefen zur Teilnahme an den Aktionen auf. Auch in den ostdeutschen Bundesländern gingen die Menschen auf die Straße. So gab es beispielsweise in Dresden zwei Demos mit jeweils mehr als 30.000 Teilnehmern. Die erhoffte Wirkung blieb allerdings aus. Öffentliche Umfragen zeigten keinen Rückgang der Unterstützung der AfD in der Bevölkerung. Bestätigt wurde das durch die nachfolgenden Wahlen, nicht zuletzt durch die Kommunalwahlen in Sachsen und die zurückliegenden Europawahlen. Die Bewegung gegen die AfD hat ganz offensichtlich den abgehängten und frustrierten Bevölkerungsteil nicht erreicht.

Das ist die Ausgangslage für die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Aktuelle Umfragen zur Landtagswahl im Sachsen am 1. September deuten an, dass die AfD erneut die große Gewinnerin der Wahlen werden wird. Ziemlich sicher ist auch, dass die FDP an der Fünfprozentklausel scheitert. Weit abgeschlagen sind Grüne und SPD. Die SPD könnte bei der Wahl in Sachsen ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl einfahren. Und die Linke könnte sogar ganz aus dem Landtag in Sachsen fliegen. Zudem gibt es einen weiteren Trend: Das Bündnis Sahra Wagenknecht könnte hinter der AfD und CDU drittstärkste Kraft werden. Dies wäre ein Gegengewicht zur AfD.

Die Zeit nach den Wahlen wird interessant werden. Eine Regierungsbildung der CDU wäre wahrscheinlich nur möglich durch die Einbeziehung des BSW in eine Koalition oder eben direkt durch eine Koalition mit der AfD. Letzteres hat die CDU-Führung aber kategorisch ausgeschlossen. Was dann wirklich geschieht, wird sich nach den Wahlen zeigen, im Moment liegt alles noch im Bereich der Spekulation. Sicher aber ist, dass es zu vielen Veränderungen kommen wird, bis hin zum weiteren Bestand der jetzigen Bundesregierung.

Doch selbst wenn die AfD an einer Regierung beteiligt würde, bedeutete das nicht, dass sich die BRD in den nächsten Monaten zu einem faschistischen Staatswesen entwickelt, wie manche das befürchten. In der AfD gibt es zwar nicht wenige Faschisten, aber die gibt es auch in der CDU. Schließlich kommt ein nicht unbedeutender Teil der AfD-Mitgliedschaft aus der CDU. In der BRD besteht außerdem keine politische Lage, durch die die herrschende Klasse um ihre Macht bangen muss. Sie muss sich daher auch nicht einer faschistischen Macht unterwerfen, um ihre soziale Existenz zu erhalten. Sicher aber würde der schon bestehende Rechtsruck verstärkt. Das heißt: kein Ende der aktuellen Kriegspolitik, der weiteren Hochrüstung mit entsprechendem Sozialabbau und eine rigide Asylpolitik.

Für die linken Kräfte im Lande besteht der Auftrag, den Einfluss der AfD auf die abhängig Beschäftigten zu schwächen. Wichtig ist, diesen Menschen klare Perspektiven aufzuzeigen. Wichtig ist, die Zusammenhänge zwischen der Verschlechterung ihrer eigenen Lebensverhältnisse und der Politik der Regierung zu Gunsten der Kapitalisten aufzuzeigen. Dazu muss auch in den Gewerkschaften intensiver gearbeitet werden. Kurz, die bestehenden Klassengegensätze müssen wieder sichtbar werden. Nur dann können die damit verbundenen Kämpfe geführt werden.

Das ist sicherlich einfacher gesagt als getan. Aber es gibt keinen anderen Weg. Wir müssen ihn gehen.

 

(Stand: 5. August 2024)