Noch ein Partisan!

Ein Remscheider Kommunist, Klempner, Spanienkämpfer und Bürgermeister

Es gibt inzwischen eine kaum noch überschaubare Zahl von Büchern von und über Antifaschisten, ehemalige KZ-Häftlinge, Teilnehmer am Widerstandskampf in den von deutschen Truppen besetzten Ländern und Spanienkämpfer. Darunter auch viele Frauen. Und jetzt noch so ein dickes Buch. Ist nicht schon alles gesagt und geschrieben? Vieles sicherlich, alles bei weitem noch nicht. Ein Beispiel dafür ist das vor kurzem im Bonner Dietz Verlag erschienene Buch von und über den Remscheider KPD-Funktionär Gustav Flohr. Ein Buch für hartnäckige, an historischen Details interessierte Menschen? Ja und nein. Das Besondere an dieser Biografie ist, dass sie sich aus drei Teilen zusammensetzt und drei Autoren hat. Teil eins ist ein autobiographischer Text von Gustav Flohr, in dem er auf etwa 50 Seiten seinen Werdegang von den Anfängen in einer bescheidenen Remscheider Klempnerfamilie bis zu den Erlebnissen in der französischen Resistance sehr detailreich und spannend schildert. Im Jahr 44 bricht sein Bericht ab.

Prof. Jörg Becker, der den umfangreichen Nachlass Flohrs im Verlauf von zwölf Jahren bearbeitete, ergänzt Flohrs weiteren Lebensweg anhand von Briefen und Dokumenten. Im Anschluss daran kommentiert Becker die Entwicklung des Remscheider Arbeiterjugendlichen „Von der Geburt bis zur Emigration in die Niederlande (1895-1936)“.

Was für ein Leben! Seit 1910 Mitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes, 1916/17 in der USPD, dann 1920 Übertritt zur KPD. Aktiv bei den Märzkämpfen desselben Jahres in Remscheid. 1923 nahm er an einem Betriebsaufstand teil und wurde illegalisiert. Zwischendurch war er Landessekretär der Internationalen Arbeiterhilfe und Sekretär der Gesamtbetriebsräte von Rheinland und Westfalen. Kurzzeitig inhaftiert war er, nach einer Amnestie bis 1930 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von Remscheid. Im November 1932 wurde er für die KPD im Wahlkreis Düsseldorf zum Reichstagsabgeordneten gewählt. Damit gehörte er schon eher zu den Spitzenfunktionären der KPD. Mitte März 33 ging‘s los mit „Schutzhaft“. Es folgen weitere Gefängnisaufenthalte, unterbrochen durch Einweisungen in mehrere Konzentrationslager. 1934 kam es zu einem überraschenden Freispruch. Zwischendurch konnte er in der Eisenindustrie Arbeit finden. Als aber eine weitere Verhaftung unmittelbar bevorstand, flüchtete er 1936 in die Niederlande. (Frau und Tochter kamen später nach.) Noch im gleichen Jahr reiste er nach Spanien weiter und schloss sich den Internationalen Brigaden an. Bereits beim ersten Gefecht – nach nur 13 Tagen an der Front – wurde er verwundet, was seine weitere Verwendung bestimmte. Nach Auflösung der Internationalen Brigaden erlebte er diverse Lageraufenthalte in Frankreich. Nach gelungener Flucht reihte er sich ab Sommer 1944 in die bewaffnete Resistance ein und konnte als Bataillonskommandant seine militärischen Kenntnisse aus dem 1. Weltkrieg zur Geltung bringen. Ab Herbst 44 bis zum Kriegsende war er Mitarbeiter beim US-amerikanischen Geheimdienst (OSS) in Paris. Diese Tätigkeit dürfte in seiner KPD- Kaderakte nicht so gut angekommen sein. Zurückgekehrt nach Remscheid, war er bis Ende 46 Bürgermeister und dann Oberbürgermeister seiner Stadt. Als er bei der Kommunalwahl 1947 für die KPD kandidierte, wurde er nicht gewählt.Im selben Jahr noch trat er aus der KPD aus, um einem Ausschluss zuvorzukommen. Waren es seine engen Kontakte in diesen Jahren zu jugoslawischen Kampfgefährten, die ihm den Vorwurf des „Titoismus“ einbringen mussten? Diese Frage konnte im Buch nicht vollends geklärt werden.

In einer Resolution des Sekretariats des Parteivorstandes der KPD vom Dezember 1948 ist bezüglich Jugoslawien die Rede von „Verrat“. Die KP Jugoslawiens befinde sich „in den Händen einer Clique von Mördern und Spionen“. Bei manchen KPD-Funktionären, die in der Westemigration waren, reichten schon geringere Verdachtsmomente, um zumindest alle Funktionen zu verlieren. Später ersuchte er um Wiederaufnahme in die Partei, was ihm aber verweigert wurde. Trotzdem war er in der zweiten Hälfte der 50er Jahre Geheimer Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR. Gustav Flohr, ein Mann mit Ecken und Kanten, starb 1965 in Remscheid.

Eine wahre Fundgrube für alle, die sich mit dem Spanischen Bürgerkrieg beschäftigen, ist der Beitrag „Gustav Flohr im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1938)“ des Historikers Dr. Werner Abel. Akribisch vergleicht er die Aufzeichnungen von Flohr mit der aktuellen Quellenlage und weist auf einige Widersprüche und offensichtliche Fehler im Narrativ von Flohr hin. Nicht unerwähnt und unkommentiert lassen will Abel die her-abwürdigende Einschätzung Flohrs des iberischen Anarchosyndikalismus und vor allem des Partido Obrero de Unificacion Marxista (POUM), einer Partei, die von den Stalinisten in Spanien gnadenlos verfolgt worden war. Abel geht auf diesen Konflikt genauer ein und äußert sein Unverständnis darüber, dass Flohr und „das Jahre nach dem 2. Weltkrieg und den Problemen, die er mit seinen Genossen hatte, wie ein unbelehrbarer kommunistischer Dogmatiker niederschreibt.“(S.318/19) Der Aufenthalt Flohrs in Spanien ist für Abel unter verschiedenen Gesichtspunkten einer genaueren Betrachtung wert. So sei er „Informant der KPD-Abwehr“ gewesen und habe sich als Angehöriger der XIV. Brigade im Umfeld von Erich Mielke bewegt.

Dass Jörg Becker das von ihm editierte Werk trotz der eh schon 500 Seiten noch mit einem Personenregister versehen hat, erleichtert die Arbeit mit dem Buch erheblich.

Hoffentlich findet das Buch, zu dem Marco Röhrig, Geschäftsführer der IG Metall Remscheid-Solingen, das Vorwort geschrieben hat, auch Eingang in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit und nicht nur in Remscheid.

H. E.

 

Gustav Flohr  Noch ein Partisan!

Ein Remscheider Kommunist, Klempner, Spanienkämpfer und Bürgermeister

Ediert von Jörg Becker
Mit einem Beitrag von Werner Abel

504 Seiten, Klappenbroschur, 32,00 Euro

ISBN 978-3-8012-0546-1

Februar 2020