Die gegenwärtigen Beziehungen zwischen den entwickelten Ländern des Westens und der VR China
Wenige weltpolitische Themen werden gegenwärtig so intensiv besprochen wie die Beziehungen zwischen "dem Westen" und China. Und wenige Themen sind so vielschichtig besetzt. In dieser Darstellung sollen die Konfliktlinien aufgezeigt und geordnet werden, so dass die Ursachen für die Auseinandersetzungen zu erkennen sind. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben, eine Prognose zum weiteren Verlauf wird nicht gestellt. Dazu ist die Situation noch zu wenig gefestigt, die Folgewirkungen sind unklar und enthalten viele Unwägbarkeiten. Vor allem ist, schon jetzt im Vorfeld der Darlegung, davor zu warnen, den Konflikt, besser: d i e Konflikte, als den Beweis eines Systemkampfes, als Beleg des Abstiegs einer Weltmacht oder gar des Aufstiegs einer neuen Supermacht zu sehen. Die genannten Einschränkungen verbieten eine solche Interpretation, zumal damit der Weg zur Analyse eher verbaut als geebnet wird.
Dem Verfasser ist bei der Recherchearbeit deutlich geworden: jeder angesprochene Aspekt kann wesentlich tiefer ausgeleuchtet werden, als dies in diesem Rahmen möglich und sinnvoll ist. Es ging deshalb darum, die Verkürzungen so zu formulieren und miteinander zu verknüpfen, dass das Wesen der Auseinandersetzung von wirtschaftlich, politisch und militärisch potenten Akteuren im weltweiten Maßstab erkennbar wird.
Der Ausgangspunkt
Ursache der erkennbaren Verschärfung in den Auseinandersetzungen zwischen - verkürzt gesagt - dem Westen und China ist die chinesische Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte. Wenige Jahre nach dem Tod Maos 1976 beschließt die KP, die Wirtschaftsstrukturen des Landes genauso wie die bisherigen Grundlagen der Gesellschaft radikal zu verändern. Keine Reform war angedacht, sondern ein Kurswechsel, der tief in das Zusammenleben der Menschen eingreifen sollte. Die Zahlen aus der Tabelle für das Jahr 1982 spiegeln die Situation der Volksrepublik am Beginn dieser Veränderung wider.
Wirtschaftsvergleich |
1982 |
1999 |
2009 |
2019 |
Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Mia. $ |
VRC: 303 |
VRC: 991 |
VRC: 4900 |
VRC: 14140 |
|
USA: 3047 |
USA: 8709 |
USA: 14256 |
USA: 21440 |
BIP VR China im Verhältnis BIP der USA |
ca. 10 % |
ca. 11,5 % |
ca. 34,5 % |
ca. 66 % |
Anteil am BIP: Landw./Ind./Dienstleist. |
VRC:37%/41%/kA. |
VRC:17/50/33 |
VRC:11/47/43 |
VRC:7,4/39,2/53,4 |
|
USA: 3/33/kA. |
USA:1,6/25,2/73,2 |
USA: 1/18/81 |
USA: kA. |
Beschäftigungsrate Landw./Ind./Dienstl. |
VRC: 69%/19%/kA. |
VRC:49,8/23,5/26,7 |
VRC: k.Angabe |
VRC: kA. |
|
USA: 2/32/ kA. |
USA:2,6/23,3/74,2 |
USA:1,4/21/78 |
USA: kA. |
Das niedrige Bruttoinlandsprodukt, das einem rechnerischen Pro-Kopf-BIP von 290 $ im Jahr entspricht, weist auf die Verhältnisse eines typischen Entwicklungslandes hin. Entscheidender als die niedrige Produktivität sind noch die Angaben zur Beschäftigung. Fast 70% der Arbeitenden leben in und von der Landwirtschaft, nur 20% umfasst die Industriearbeiterschaft. Ein dritter Sektor bleibt marginal. Bei der Wertschöpfung kehrt sich das Verhältnis beinahe um. Die parallelen Angaben zu den USA zeigen ein hoch entwickeltes Industrieland dieser Jahre, das allerdings schon den Weg eingeschlagen hat, die Bedeutung der Industrieproduktion zu verringern.
Fast zwanzig Jahre später hat sich China deutlich verändert. Die Industrie ist mit sehr großem Abstand zum wichtigsten Faktor der Wertschöpfung geworden. Die Produktivität der industriellen Fertigung übertrifft die anderen Sektoren bei weitem. Doch arbeitet die Hälfte der Erwerbstätigen noch immer in der Landwirtschaft.
2001 wird die Volksrepublik in die Welthandelsorganisation aufgenommen. Dieser Schritt ist im Westen, aber auch in China umstritten. In der Volksrepublik müssen Gesetze, Regelungen und Normen an die Bestimmungen der WTO angepasst werden. Die Befürchtungen, damit die Wirtschaftsordnung dem bestehenden neoliberalen Regelwerk unterzuordnen, somit noch erpressbarer zu werden und unkontrollierbare Verwerfungen im Sozialgefüge auszulösen, stehen gegen die Erwartung, dass die Märkte der Welt, vorzugsweise des entwickelten Westens, geöffnet sind. Die Exportindustrie drängt auf diesen Schritt, damit der Umbau der chinesischen Wirtschaft, ebenso wie der der chinesischen Gesellschaft, an Fahrt gewinnt.
Im ersten Jahrzehnt der Mitgliedschaft verfünffacht sich, angetrieben vom internationalen Handel, das nationale BIP, der Anteil der Landwirtschaft sinkt deutlich, der tertiäre Sektor entwickelt sich mit überdurchschnittlichen Zuwachsraten.
Diese Entwicklungen setzen sich nach 2011 bis 2019 rasant fort. Bis zur Mitgliedschaft in der WTO bewegten sich die chinesischen Wachstumsraten im Rahmen des Wachstums der Vereinigten Staaten, in den Folgejahren gewinnen sie aber eine außerordentliche Dynamik. Das BIP der Volksrepublik lag 1999 noch bei ca. 11,5% des BIP der USA und hatte sich, verglichen mit den Zahlen für 1982, nicht substanziell erhöht. 2009 liegt die Vergleichsziffer bei 34,5%, 2019 sogar bei 66% der US-Wirtschaftszahlen. Die chinesische Wirtschaft profitiert eindeutig von der Liberalisierung des Weltmarktes. Deren Marktanteile sind, gerade weil sie auf kapitalistischer Grundlage fußt, gewachsen. Aus diesem Grund wird die chinesische Politik zum Verteidiger des Freihandels und der liberalisierten Handelsordnung.
Nebenbei: Damit gibt es ein gemeinsames Interesse mit anderen Profiteuren des Systems, speziell der Bundesrepublik, während etwa das Kernland des Kapitalismus, die USA, wie bekannt, heftig gegen die Handelsungleichgewichte auftritt. Die breitflächigen Strafzölle durch die US-Regierung gegen die Volksrepublik und in geringerem Maße auch gegen Europa sorgen für "Turbulenzen" und "Verstimmungen", wie das die hiesigen Medien gerne bezeichnen.
Die chinesische Strategie
Man kann diesen Aufholprozess als Erfolgsgeschichte werten. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass diese Entwicklung höchst gefährdet ist, wenn die Grund-lagen des Erfolgs nicht gegen mögliche Gegenmaßnahmen abgesichert werden. Motor der chinesischen Wirtschaft war der Export. Das Ziel bestand in hohen Bilanzüberschüssen, die weitere Investitionen befeuern konnten. Das chinesische Exportvolumen hatte jetzt eine Größenordnung erreicht, die von den USA oder der EU ernst genommen wurde. China war ein Konkurrent auf Augenhöhe geworden. Diese Erkenntnis veranlasst die chinesische Regierung im letzten Jahrzehnt zu neuartigen und spektakulären Initiativen.
Weil das Lohnniveau in den exportorientierten und technologisch hochwertigen Firmen der Volksrepublik gestiegen ist und weiter steigen wird, wird die Warenproduktion mit einem höheren Anteil an manueller Arbeit in Billiglohngebiete ausgelagert. Die Qualifikation der Arbeiterklasse wird immer wichtiger, schließlich soll die Fertigung in den Leitbranchen Elektronik und Kommunikation auf der Wertschöpfungsleiter nach oben steigen. Schlüsseltechnologie soll nicht nur verbaut, sondern entwickelt und auf den Weltmarkt gebracht werden. Nur so kann die Abhängigkeit von technisch unverzichtbarer Zulieferung verringert werden. Die Querelen der letzten Monate um Huawei machen die Gefahren deutlich.
Mit Hilfe des auf zehn Jahre projektierten Planes "Made in China 2025", der vom Staatsrat 2015 aufgelegt wurde, strebt das Land eine Spitzenstellung in zehn Zukunftssparten an. Der technologische Durchbruch ist notwendig, um die Rolle als verlängerte Werkbank der Welt hinter sich zu lassen und damit die "Mittelstandsfalle", das bedeutet das zwangsläufige Verharren im mittleren Teil der Fertigung auf Dauer, zu überwinden. Erst die technischen Spitzenfähigkeiten ermöglichen ein gleichberechtigtes Auftreten bei den westlichen Konkurrenten.
Nach Angaben der OECD stieg zwischen 2003 und 2013 der Anteil der Volksrepublik an den weltweiten Ausgaben für Forschung und Entwicklung von 7% auf 21% an. Dagegen nahmen die Anteile der USA im genannten Zeitraum von 37% auf 29%, diejenigen der EU von 27% auf 22% ab (BRD: leichte Abnahme von 7,5% auf 6,5%; aus: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2015).
Zwei Jahre zuvor, 2013, verkündete der chinesische Staatspräsident Xi Jinping die Absicht seines Landes, Transport- und Infrastrukturinvestitionen auf mehreren Kontinenten zu tätigen, und lud alle potenziellen Investoren, Staaten wie Konzerne, dazu ein, an diesem Geschäft teilzuhaben. Die "One Belt, One Road – Initiative" (BRI, "Die neue Seidenstraße", dt.) wurde von Beginn an von chinesischer Seite ausgestattet mit einem bis zur Corona-Krise kaum vorstellbaren Finanzrahmen von über 1000 Milliarden $, die mindestens eine weitere Billion $ an nichtchinesischen Investitionen auslösen soll.
Die von der Volksrepublik zu diesem Zweck gegründete Asiatische Infrastrukturbank (AIB) stellt, ebenso wie die chinesisch dominierte Bank der BRICS-Staaten, ein Kreditvolumen von je deutlich über 100 Milliarden $ zur Verfügung. Dass dies keine bloßen Versprechungen für die Zukunft sind, zeigt, dass nach Schätzungen seit 2013 über 200 Milliarden $ an Krediten im Zusammenhang mit der BRI ausgereicht wurden. Diese gewaltigen Finanzmittel speisen sich aus einer steigenden Binnenverschuldung, mehr noch aber aus einem Auslandsvermögen Chinas, das 2018 eine Größenordnung von 3 Billionen € erreicht hatte. Damit übertreffen die Guthaben die chinesischen Verbindlichkeiten im Ausland bei weitem. Etwa ein Drittel dieses Vermögens hält China in US-Staatsanleihen, als zweitgrößter ausländischer Gläubiger nach Japan. Dieses Kapital sucht nach Rendite, zumal die chinesischen Direktinvestitionen in USA und der EU deutlichen Restriktionen unterliegen. Das Gezerre um die Übernahme der Fa. Kuka in Augsburg ist nur ein Beispiel. So war eine der größten Sorgen der Bundesregierung 2020, zu Beginn der Lock down-Maßnahmen im Frühjahr, dass China den Wirtschaftseinbruch in der BRD zu (unterstellt böswilligen) Technologieübernahmen durch den Erwerb einschlägig aufgestellter Firmen nutzt. Ein schnelles Gesetz dagegen musste her.
Die existierenden Zahlen vermitteln einen anderen Eindruck: nach Angaben aus dem Jahr 2017 erreichen chinesische Investitionen in der BRD eine Höhe von 3,3 Milliarden €, während bundesdeutsche Konzerne in China 81 Milliarden € angelegt haben, bald das 25-fache. Als strategisch notwendig wird von der chinesischen Regierung erachtet, das Handelsrisiko, das jenseits der Statuten der WTO existiert, dadurch einzudämmen, dass die Beziehungen mit anderen Ländern und Wirtschaftsräumen diversifiziert werden. Selbst wenn diese Räume erst entwickelt werden müssen. Dazu kommt die Verwundbarkeit durch die Meeresroute, die nach möglichen, perspektivisch noch zu entwickelnden Alternativen über Land suchen lässt.
Der Wirtschaftskonflikt
Wer erinnert sich nicht an die hierzulande mit viel Eigenlob und Schadenfreude geführte Debatte über "unsere" Handelsbilanzüberschüsse? Griechenland sollte sogar seine Urlaubsinseln in Zahlung geben, um seine Bilanz aufzuhübschen. Die deutsche Politik wie der sich über die fremdländische "Faulheit" erregende Teil der Bevölkerung feixten jedenfalls darüber, bevor den Südeuropäern die Daumen-schrauben festgezogen wurden.
Das waren die guten Überschüsse, weil es die "unseren" waren. Die bösen und betrügerischen Überschüsse, die auf mangelnder "Fairness" beruhen, die haben die Chinesen. So jedenfalls lautet der Vorwurf aus den USA, der inzwischen weitere Kreise gezogen hat. Handelsungleichgewichte haben ihre Ursachen im Grad der Entwicklung eines Landes, im Stand der Güterproduktion, in der Kalkulation der Hersteller, in der Bedeutung der Waren für die Importeure und damit in der Macht derjenigen, die entsprechende Preise durchsetzen können. Nach fair oder unfair wird dabei ebenso wenig gehandelt wie nach gerecht oder ungerecht. Das sind die Regeln, welche die großen Wirtschaftsblöcke für sich und alle anderen gesetzt haben. Erst seitdem China zum beachtenswerten Konkurrenten geworden ist, mäkeln die USA und inzwischen auch die EU an den Handelsbestimmungen, ebenso am Schlichtungs- und Strafverfahren der WTO herum, die unbedingt "reformiert" werden müssten. Sie würden der veränderten Praxis nicht mehr gerecht.
Das Kalkül des Westens, der mit der WTO-Mitgliedschaft der Volksrepublik dem sozialdemokratischen Muster des Wandels durch Annäherung folgte, war nicht aufgegangen. Eine nach kapitalistischen Maßstäben erfolgreiche Wirtschaft beseitigt offenbar nicht zwangsläufig eine sozialistisch legitimierte Regierung mit dem Führungsanspruch der KP. Das hätte man gerne anders gesehen, aber es gab keine Implosion des chinesischen Systems. Und vor allem: es ist auch keine "Demokratisierung" in Sicht, weder ein chinesischer Gorbatschow noch ein Jelzin. Der Westen vermag aber weitere Register zu ziehen. Die primitivsten, aber auf Dauer gesehen durchaus wirksame Begleitmittel hat in den letzten vier Jahren die US-Regierung eingesetzt. Sie verhängte einseitig Zölle in jederzeit steigerbarer Höhe, anwendbar auf beliebige Produkte, die aus der Volksrepublik bezogen wurden. Die WTO, deren Grundlagen damit schwer erschüttert waren, sah dem Treiben zu.
Mit der engen Verflechtung der beiden nationalen Wirtschaften allerdings haben Zölle und Gegenzölle eine begrenzte Wirkung, vor allem kurzfristig. So zeigt sich die Handelsbilanz USA - China recht stabil. Von 2009 bis 2014 betrug das US-Defizit im Jahresdurchschnitt 234 Milliarden $, von 2015 bis 2019 erreichte dieses Defizit jahresdurchschnittlich 460 Milliarden $. Allein 2019 wies es 422 Milliarden $ aus, mehr als das Doppelte des gesamten Handelsvolumens China – BRD. Chinesische Firmen aus den westlichen Märkten auszuschließen und dabei geltende Verträge zu brechen, so wie dies unter anderem mit Huawei vorexerziert wird, hebt den Konflikt auf die nächst höhere Stufe. Die Begründung kann nicht fadenscheinig genug sein. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die Datenkraken von Facebook und Co. mit ihren Milliarden von Kundendatenlieferanten. Ein Bollwerk gegen den Datenhunger der diversen Dienste aller Westregierungen stellen sie nicht gerade dar.
Gefährlich für die chinesischen Wettbewerber ist dabei, dass sie aus einem Zukunftsmarkt gedrängt werden sollen. Die Zulieferungen für die chinesische Handyproduktion werden limitiert oder sogar eingestellt, gerichtliche Klagen dagegen sind, wenn nicht zwecklos, so zumindest unübersichtlich und zeitaufwändig. Darüber hinaus ist der Erpressung Tür und Tor geöffnet, wie das Beispiel Tiktok vor Augen führt. Ein kommerziell erfolgreiches und technologisch bisher nicht erreichtes Produkt wird von der US-Regierung in ihrem erweiterten Herrschaftsbereich einfach verboten, sollte die Herstellerfirma die Rechte an interessierte US-Konkurrenten nicht verkaufen.
Man mag solche und ähnliche Übergriffe beklagen und die westlichen Vorwürfe des "unfairen Handels" und des "ungleichen Marktzugangs" mit Recht zurückweisen. Tatsache ist jedoch, dass diejenigen, die die Regeln aufgestellt haben, dies immer noch tun. Im anderen Fall würden diese Organisationen, wie z.B. die WTO, zuerst desavouiert, dann zerstört werden.
Der strategische Konflikt
Die Neue Seidenstraßen-Idee entstammt ursprünglich der Obama - Administration. Allerdings diente sie dieser nur dazu, einen Ring um China herum zu organisieren. Vor allem asiatische Länder sollten näher an die USA herangeführt werden. Geld sollte für diese Anstrengungen aber hauptsächlich im militärischen Sektor fließen, das genügte den Umworbenen nicht.
Seitdem die Volksrepublik selbst, auf anderer Grundlage, das Projekt auflegte und finanzierte, gibt es den westlichen Einwand von USA und der EU gemeinsam, China locke die Kredit nehmenden Länder in die Schuldenfalle und lasse sich Kreditausfälle mit dem Zugriff auf das jeweilige "Tafelsilber" absichern. Abgesehen davon, dass die Rückzahlungsquoten bei den Krediten bisher kaum Grund zur Beunruhigung geben und notleidende Kredite die Ausnahme darstellen, sollten sich die Trägerstaaten von Weltbank und Internationalem Währungsfonds mit ihren Vorwürfen eher zurückhalten. Was die Unterwerfung von säumigen Zahlern und die Einmischung in deren innere Verhältnisse betrifft, macht dem Westen schließlich so schnell keiner etwas vor. Ein wichtiges Anliegen von EU und den USA ist auch, die Versuche Chinas in Misskredit zu bringen, eigene politische und ökonomische Formate und Institutionen für den Umgang mit Partnerländern zu etablieren. Denn damit würde der Einfluss des Westens auf viele wenig entwickelte Länder sinken, wenn diese eine Entwicklungs- und Finanzierungsalternative erhalten.
Die ideologische Begleitung des Konflikts
Dieser Faktor ist für die westlichen Staaten deshalb von Bedeutung, weil er dazu dient, die eigenen Reihen kostengünstig zu schließen. Der Verweis auf die chinesischen Verletzungen der Menschenrechte ist wohlfeil, schließlich unter-scheiden sich die gesellschaftlichen Grundlagen im Westen deutlich von denen in China. Dies ist nicht zu bestreiten, ermöglicht aber andauernde Vorhaltungen. Damit wird die chinesische Politik Tibet und Xinjiang betreffend weder gerechtfertigt noch gut geheißen. Es würde darum gehen, den Umgang mit und in diesen Gebieten erst einmal zu verstehen, bevor er bewertet wird. Offensichtlich geht es darum aber zuletzt, wichtig allein sind die Vorwürfe. Auf dieser Grundlage existiert die "Wertegemeinschaft des Westens" (Position der SPD-Bundestagsfraktion zu China, 30.06.2020) noch am besten und am wenigstens zerstritten. Andere gemeinsame Positionen sind wesentlich schwerer zu erreichen. Schutzzölle gegen Handelsdefizite wurden und werden nicht nur gegen China, sondern wechselseitig gegen andere Wirtschaftsräume erhoben. Die deutsche Automobilindustrie stand ja auch schon auf der Strafliste. Die Menschenrechte dagegen sind gefahrloses Terrain.
Es muss nicht weiter gegengerechnet werden, dass die Anwendung der Menschen-rechte in der EU und in den USA auch mal ins Stottern geraten kann. Der Umgang mit Millionen von Flüchtlingen und eigenen Minderheiten sind dafür wirklich nur wenige Beispiele. Doch wer die Deutungsmacht besitzt, gibt den Ton vor.
Die Menschenrechtsfrage besitzt die Qualität von Begleitmusik, mit der ökonomische, politische oder militärische Sanktionen orchestriert werden. Das war bislang so gewesen und es gibt keine Signale, dass dies künftig anders gehandhabt werden wird. Für China ändert sich daher auf absehbare Zeit nichts. Dies gilt auch für die postkoloniale Einmischung des Westens in Hongkong.
Der militärische Konflikt, verbunden mit einem kurzen Resümee
Beunruhigend ist es ja, dass von möglichen militärischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Volksrepublik wieder und wieder, wenn auch höchst spekulativ, die Rede ist. Noch beunruhigender ist, wenn Politstrategen im Auftrag ihrer Regierung und des Militärapparates einen militärischen Konflikt in ihr Kalkül einbeziehen, sozusagen einpreisen, weil sie sich "Lösungen" von Problemen zwischen den größten Global Playern nur so vorstellen können. Ein kurzer Blick in die Vergangenheit der Militärinterventionen sollte eigentlich abschrecken ...
Wahr ist, dass der militärische Konfliktbereich so schwerwiegend wie kein anderer, aber auch so spekulativ wie kein anderer ist. Denn selbst die zigfache Überlegenheit der USA, stellvertretend für den gesamten Westen, garantiert kein zufrieden stellendes Ergebnis. Und selbst der Schauplatz einer möglichen Auseinandersetzung im Vorfeld der Volksrepublik hätte weltweite Verwerfungen im nicht kalkulierbaren Bereich zur Folge.
Bisher sollte aus der Darstellung erkennbar geworden sein: alle angesprochenen Konfliktfelder bergen Untiefen und Risiken. Aber China ist beim jetzigen Stand der Entwicklung nicht wehrlos. Das Land ist weiterhin in der Lage, ganz im Gegensatz zu den anderen ostasiatischen Aufsteigerstaaten, sich nicht in die Obhut des Westens, vor allem der USA zu flüchten. Der Preis der "Tigerstaaten" ist ihre Existenz als Schmusekätzchen der imperialistischen Staaten. Die Volksrepublik dagegen kann aus eigener Kraft ihren Kurs abseits der europäisch-nordamerikanischen Hegemonie weiter halten. Mit seiner Stabilität, der ökonomischen Innovationsfähigkeit und nicht zuletzt dem Einverständnis der Bevölkerungsmehrheit mit diesem Kurs ist das Land nicht einfach zu erschüttern. Dabei bestehen zahlreiche Risiken und Hindernisse, von denen bisher die Rede war.
Selbst wenn China aus Teilen des Weltmarktes zu drängen wäre, könnte es wegen seines riesigen Binnenmarktes und seiner umfassenden Handelsverbindungen, seiner überragenden Bedeutung für ungezählte Lieferketten sowie seiner Rolle als kaum verzichtbarer Absatzmarkt einiges dagegen setzen. Eine harte Konfrontation würde unabsehbare Krisen in den Ländern des Westens selbst auslösen. Deren Erpressungen und Strafmaßnahmen haben denn auch bisher die Ebene der Nadelstiche wohlweislich nicht verlassen. Für weitere Maßnahmen gibt es bisher (und hoffentlich auf Dauer) keinen Konsens, weder politisch noch gesellschaftlich.
Militärische Aggression allerdings würde jede Kalkulationsfähigkeit zunichte machen. Klug ist es, die US-Provokationen ernst zu nehmen. Klüger ist aber, sich nicht auf den Weg locken zu lassen, mit den USA und der NATO militärisch gleichziehen zu wollen. Da muss die Antwort intelligenter ausfallen. Das rational begründete und längerfristig motivierte Verhalten der Führung Chinas gibt in diesem Punkt Anlass zur Hoffnung, dass die gegenwärtigen wie künftigen Konflikte beherrschbar bleiben.