Bereits Ende des Jahres 2019, noch vor dem Ausbruch der Corona Pandemie hierzulande, war eine beginnende konjunkturelle Abschwächung in der Industrie spürbar. Besonders in der Autoindustrie gingen die Verkaufszahlen stark zurück. Die konjunkturelle Schwäche ist inzwischen zur handfesten Krise geworden. Sichtbar hat das jetzt die Pandemie gemacht. Sie hat alle Branchen der bundesdeutschen Industrie in eine tiefe Krise gestürzt. Der Automobilsektor aber ist mit am stärksten davon betroffen.

Die Betriebe stehen vor der Transformation durch Digitalisierung, Klimawandel und der Forderung nach Dekarbonisierung, konkret etwa dem Umstieg auf Elektrofahrzeuge. Die IG Metall errechnete, dass alleine in dieser Schlüsselindustrie, die Zulieferbetriebe nicht mitgerechnet, rund 300.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Aus diesem Grunde sollte die Tarifrunde in diesem Frühjahr unter der Zielstellung der Arbeitsplatzsicherung stehen.

Sicherung der Arbeitsplätze

Gefordert wurde ein sogenanntes Zukunftspaket mit Regelungen zur Sicherung der Arbeitsplätze. Nach Auffassung der IG Metall sollte das durch die Absenkung der Arbeitszeit geschehen, wobei durch Aufzahlungen des Betriebes die Beschäftigten möglichst wenig Geld verlieren sollten. Die Gewerkschaft wollte deshalb eine verbindliche Reihenfolge von Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung: zuerst sollten die Arbeitszeit-Konten und Kurzarbeit mit Aufzahlungen genutzt werden. Bei Auslastungsproblemen der Betriebe werden so Entlassungen verhindert.

Ein weiterer Forderungspunkt waren die sogenannten „Zukunfts-Tarifverträge“. Diese wollte man in den einzelnen Verbandsbetrieben bilateral abschließen. Eine Rahmenvereinbarung mit dem Arbeitgeberverband, wonach sich die einzelnen Unternehmen auf Verlangen der Gewerkschaft auf Zukunfts-Tarifverträge einlassen müssen, würde das ermöglichen. In diesen Zukunfts-Tarifverträgen wollte die IG Metall Investitionen, Produktionsperspektiven und die Qualifizierung der Beschäftigten festschreiben, um so die Arbeitsplätze in der Zukunft zu sichern.

Neben der Forderung nach Arbeitsplatzsicherung, d.h. dem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, standen die Forderung nach Erhöhung der Löhne und Gehälter (ohne Bezifferung eines Geldbetrags) und die Angleichung der Arbeitszeit der Ost-Metall- und Elektroindustrie an die des Westens. In den Ost-Tarifgebieten gilt nach dem verlorenen Streik im Jahr 2003 noch immer die 38-Stunden-Woche.

Krisenpaket und Tariffrieden

Am 19. März kam es dann zu einer überraschenden Wende. Im Tarifbezirk NRW wurde ein Abschluss getätigt, der mit den Vorstellungen zu einem Zukunfts-Tarifvertrag nichts mehr zu tun hatte. Die Tarifeinigung wurde dann sehr schnell in alle anderen Tarifbezirke übernommen.

Mit diesem sogenannten Krisenpaket wurde die laufende Tarifrunde unterbrochen. Nach dem Pandemie-Ende, so der IGM-Vorsitzende Jörg Hofmann, wird das Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Mit dem „Krisenpaket“ sollen die Beschäftigten und ihre Einkommen geschützt und die Möglichkeit der Kinderversorgung während der Pandemie, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind, geschaffen werden. Auf der Internet-Seite des Arbeitgeberverbandes „Gesamtmetall“ wird das Ganze als „vernünftiger“ Abschluss bezeichnet. Ohne Streikphase und klassische Verhandlungsrunden sei ein Kompromiss gefunden worden, der den Unternehmen Tariffrieden bis Ende 2020 bietet, ohne groß neue Belastungen zu schaffen, so Gesamtmetall.

Und in der Tat, betrachtet man den Abschluss genauer, so stellt man fest, dass der Tarifvertrag weitgehend von den Beschäftigten selbst bezahlt wird. Inhalt der Tarifregelung ist, dass das Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf die Monate April bis Dezember umgelegt wird. Hinzu kommt ein Arbeitgeberzuschuss von 350.- Euro. Durch die Umlegung erhöht sich das Monatseinkommen und dadurch auch das Kurzarbeitergeld. In verschiedenen Tarifgebieten (z.B in BW) gibt es noch einen zusätzlichen tariflichen Zuschuss zum Kurzarbeitergeld, so dass die Beschäftigten auf bis zu 90 Prozent ihres Nettoeinkommens kommen. Der Abschluss wurde in den Betrieben weitgehend akzeptiert, was nicht verwundert, wenn man sieht, dass das gesetzliche Kurzarbeitergeld bei 60 Prozent des Nettoeinkommens liegt.

Trotzdem bedeutet dieser Abschluss, dass er von den Beschäftigten weitgehend selbst bezahlt wird und mit beachtlichen Lohn- und Gehaltsverlusten verbunden ist.

 

Nichtsdestotrotz wird der Abschluss in Baden-Württemberg vom dortigen Bezirksleiter Roman Zitzelsberger lobend kommentiert. „Damit wird gezeigt, was eine durch starke Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände getragene Tarifpartnerschaft für Menschen bewegen kann“, so Zitzelsberger.

Hier haben wir wieder einmal die alte sozialpartnerschaftliche Kungelei. Dabei müssten die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften es eigentlich besser wissen. Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze.

Soll eine Tarifforderung durchgesetzt werden, die für die Beschäftigten wirklich eine substanzielle Verbesserung ihrer sozialen Verhältnisse bringt, geht es nie ohne massiven Druck. Es war doch auch in diesem Frühjahr nicht anders. Die Überlegungen der IG Metall, die Zukunfts-Tarifverträge betreffend, haben alle Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie brüsk abgelehnt. Was für ein Geschrei gab es da. Verwunderlich ist allerdings nicht das Geschrei, sondern der Umstand, dass es in der IG Metall- Führungsebene Funktionäre gibt, die ungeachtet aller Erfahrungen an der Sozialpartnerschaft festhalten. Bereits im Januar des Jahres haben die Unternehmer die Überlegungen der IG Metall zur Transformation zurückgewiesen und der Gewerkschaft mitgeteilt: „Einen formellen, rechtlich wirksamen Verzicht auf Maßnahmen wie Personalabbau, Ausgliederungen oder Standortverlagerungen mit Wirkung für die einzelnen Betriebe können wir aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen weder im Vorfeld noch nach Abschluss der Verhandlungen abgeben“ und “die von der IG Metall mit dem Angebot gemachten inhaltlichen Vorgaben betrachten wir als Themenvorschläge oder Denkanstöße“. Soweit also Gesamtmetall.

Neu ist diese Haltung nicht. Sie gab es schon immer. Forderungen nach Mitbestimmung über Investitionen durch Betriebsräte und Gewerkschaften stoßen bei den Unternehmern auf eine Mauer der Ablehnung. Dasselbe gilt für Forderungen nach einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich. Diese Mauer der Ablehnung kann nur durch einen Erzwingungsstreik durchbrochen werden. Es ist kaum vorstellbar, dass sich der IG Metall-Vorstand dessen nicht bewusst ist.

Vier-Tage-Woche

Der aktuelle Tarifabschluss hat eine Laufzeit bis zum Jahresende. Doch wird wohl nicht das bereits beschriebene Zukunftspaket auf die Tagesordnung gesetzt werden können. Die Krise wird bis dahin nicht vorbei sein, sondern sich eher noch verschärfen. Hofmann hat angesichts der zunehmenden Ankündigungen von Personalabbau der Betriebe im Sommer die Einführung einer Vier-Tage-Woche ins Gespräch gebracht.

Im August des Jahres gab Hofmann der Süddeutschen Zeitung ein Interview, in dem er auf die kommende Tarifrunde einging. In einer Vier-Tage-Woche sah er für die Betriebe eine Option, einen Stellenabbau zu verhindern. Damit würden sich Industriejobs halten lassen, statt sie abzuschreiben. Allerdings soll diese Arbeitszeit-Verkürzung nicht mit vollem Lohnausgleich erfolgen, sondern, so Hofmann, nur „mit einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten“. Hofmann greift hier auf ein Beispiel zurück, das VW im Jahr 1993 geliefert hat. Dort wurde damals die Verkürzung der Arbeitszeit von 36 Stunden auf 28,8 Stunden, verteilt auf vier Tage, vereinbart. Dadurch wurden Entlassungen vermieden. Die Einkommen wurden allerdings um 10 Prozent gekürzt.

Gesamtmetall verhält sich bis jetzt sehr zurückhaltend gegenüber den Äußerungen Hofmanns und wollte dessen Vorstoß nicht kommentieren. Offensichtlich weiß man noch nicht, wie man mit dem Vorschlag umgehen soll, haben doch schon bedeutende Mitgliedsfirmen des Verbandes wie Bosch, ZF und Daimler im Sommer betriebliche Vereinbarungen zur Reduzierung der Arbeitszeit getroffen. Der Hauptgeschäftsführer des bayerischen Verbandes meinte allerdings dazu im Handelsblatt, dass die Absenkung der Arbeitszeit „generell ein sinnvolles Instrument“ sei, allerdings nur bei gleichzeitiger Absenkung der Lohnkosten. Genau das wird der springende Punkt sein, sollte die IG Metall die Vier-Tage-Woche als Forderung aufstellen.

Im Moment ist noch nicht bekannt, ob das Unternehmerlager überhaupt grundsätzlich bereit ist, über dieses Thema in Verhandlungen einzutreten. Doch sollte diese Bereitschaft bestehen, dann nur wenn bei dieser Arbeitszeitverkürzung die Lohnkosten kompensiert werden und es zu einer weitgehenden Flexibilisierung der Arbeitszeit kommt. Entsprechende Flexibilisierungswünsche der Unternehmer liegen schon lange auf dem Tisch. So fordern sie beispielsweise ein „zeitgemäßes Arbeitsrecht“, in dem der 8-Stunden-Tag aufgehoben ist, Pausen und Erholungszeiten flexibilisiert und dereguliert sind.

Die nächsten Wochen werden zeigen, welche Pläne Gesamtmetall für die Tarifrunde in der Schublade hat.

 

Ökonomie wirkt gegen die Gewerkschaft

Für die IG Metall dagegen sind die ökonomischen Voraussetzungen für diese Tarifbewegung denkbar schlecht. Trotz der Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung sind die Einbrüche bei Aufträgen und Produktion in der Industrie von bis zu 40 Prozent gravierend. Betroffen davon sind alle Betriebsgrößen, Regionen und Zweige der Metall-und Elektroindustrie. In der gesamten Branche befinden sich fast 50 Prozent der Beschäftigten in Kurzarbeit (im Juni 2,3 Mio.). Eine weitere Auswirkung der Krise ist, dass nicht wenige Betriebe massive Liquiditätsprobleme haben oder noch bekommen. Das zeigt sich auch immer stärker an der Ankündigung von Personalabbau, Betriebsschließungen und der Absicht, die Produktion ganz oder teilweise zu verlagern.

Natürlich sind nicht alle angekündigten Maßnahmen der Krise geschuldet. Vielmehr dient sie in manchen Betrieben als Vorwand, um bereits vorhandene Kahlschlagpläne aus der Tasche zu ziehen und umzusetzen. Trotzdem: die Corona-Krise ist real.

So erwägt beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie im Südwesten jede zweite Firma Stellenabbau (StZ, 8. Mai). Inzwischen wird das auch sichtbar.

Mahle, Bosch, Schäffler, Continental, Norma, BMW, Audi, Daimler, um nur einige zu nennen, erscheinen in den Schlagzeilen der Presse. Überall gibt es Aktionen, in denen sich Beschäftigte gegen Stellenabbaupläne wehren. Es ist zu befürchten, dass in den nächsten Wochen die Probleme wegen fehlender Liquidität der Betriebe noch zunehmen werden.

Unter solchen Rahmenbedingungen kann eine Gewerkschaft nicht den notwendigen ökonomischen Druck entwickeln, um Blockadehaltungen der Unternehmer zu brechen. Das gilt allerdings nicht für den politischen Druck. Eine von Arbeitsplatzverlust bedrohte Belegschaft ist immer mobilisierbar. Das zeigen die vielen Einzelbeispiele in der jüngsten Vergangenheit.

Ob die IG Metall aber zu einem großen gesellschaftlichen Konflikt bereit ist, ist aktuell schwer einschätzbar. Das wird nicht zuletzt von der weiteren Entwicklung der Krise und deren Auswirkungen auf die Ökonomie abhängig sein. Möglich ist auch, dass die Gewerkschaft dazu gezwungen wird, wenn ihre sozialpartnerschaftliche Politik ins Leere läuft. Interessante Zeiten liegen vor uns.

18. Oktober 2020