Was macht ein bayerischer Ministerpräsident, wenn er merkt, dass die Lage brenzlig wird und er mit seiner Regierung angesichts der entstandenen Probleme ziemlich nackt dasteht? Man wird‘s kaum glauben, er wird fromm. So geschehen im April letzten Jahres. Die Pandemie hat auch Bayern fest im Griff. Man hat‘s versemmelt. Kaum Masken, zu wenig Schutzkleidung. Das Virus kann sich weitgehend ungehemmt ausbreiten. Die hektischen Maßnahmen halten es nicht auf. In dieser Situation kann nur noch Hilfe von ganz oben kommen. Schnell wird ein Bitt-Event organisiert. Nach den Plänen der Organisatoren soll es die größte Gebetsaktion werden, die Deutschland je gesehen hat. Als Schirmherr stellt sich kein geringerer als der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zur Verfügung. Eine ungewohnte Rolle für einen, der sich bisher als „harter Hund“ gefiel. Der fromme Söder, Wolf im Schafspelz? Söder sieht das anders: „Gemeinsam zu beten, verbindet über die Konfessionen, über die Religionen hinweg. Das Unterhaken im Glauben, das Bekenntnis zu den Werten des Glaubens, zu der Menschlichkeit, aber auch zur Göttlichkeit, ist das, was uns alle verbindet...“ und dann wird er noch persönlich:„Ich bete jeden Tag. Ich bete eigentlich immer.“ Kein Wunder, dass es für ihn mit diesem Bekenntnis im Ranking der Kanzlerkandidaten schnell aufwärts ging. An der Aktion „Deutschland betet gemeinsam“ sollen sich laut Veranstalter über eine halbe Million Menschen beteiligt haben. Der Unterstützerkreis umfasste viele, die man in diesem Land kennt. Die Bundesministerin Julia Klöckner, Abgeordnete fast aller Parteien, Bischöfe, Prominente aus dem Showgeschäft bis zu Samuel Rösch, Sänger, Gewinner von „The Voice of Germany“. “Ich kenne keine Parteien mehr…“ 1914 lässt grüßen. Linke mögen derartige Vorgänge belächeln. Es lohnt sich aber, genauer hinzuschauen. Während einerseits Parteien, Gewerkschaften und Großkirchen seit Jahrzehnten an Bindungskraft einbüßen, entwickelt sich eine Bewegung mit neuer, erheblicher Anziehung. Sie ist konservativ bis reaktionär und in Teilen nach ganz rechts offen. Schlauere Teile dieser Bewegung geben sich nach außen unpolitisch, nur religiös. Wer die organisierenden Personen aber genauer unter die Lupe nimmt, wird sofort Zusammenhänge erkennen, die weit über das Religiöse hinausreichen.

Hartls „Unternehmen“ in Augsburg

Herausragendes Zentrum der neuen Bewegung ist das Gebetshaus Augsburg mit seinem Leiter (Leader) Dr. Johannes Hartl, der auch die Aktion „Deutschland betet gemeinsam“ ins Leben gerufen und organisatorisch umgesetzt hat. Er ist ein katholischer Laientheologe, der u.a. in den USA bei den Evangelikalen das/sein Rüstzeug erworben hat. Hartls Augsburger „Unternehmen“ beschäftigt etwa 50 Hauptamtliche und 100 Ehrenamtliche. Die Hauptamtlichen werden zumeist über Spenden finanziert. Seine „Mitarbeiter“ bezeichnen sich als Jünger. Einer von ihnen, Simon G., ein sog. Gebetsleiter, stellt sich wie folgt vor:“Ich liebe es Reich Gottes und unternehmerisches Denken zu vereinen…“. Seit 2011 wird ununterbrochen 24 Stunden gebetet („We pray day and night.“). Höhepunkte sind seit Jahren die sog. ökumenischen MEHR-Konferenzen unter seiner Anleitung, zuletzt im Januar 2020 in der Messe Augsburg mit 12000 Teilnehmenden, vorwiegend Jugendliche. Worin besteht das Erfolgsmodell von Hartl? Um es kurz zusammenzufassen: Er weiß, wie man Massen mit Sprache und Gefühlen fesseln und lenken kann. Dabei vermeidet er es, zu konkret zu werden. „Gott ist gut“ und „Gott bzw. Jesus ist der Herr“ sind zwei Standardformulierungen in seinen Vorträgen. Er vermeidet Aussagen, die im konservativen christlichen Spektrum umstritten sind und spaltend wirken könnten. Als Charismatiker zielt er ab auf eine konfessionsübergreifende Strömung, die als Gegenbewegung zur Aufklärung entstanden ist und sich wertkonservativ definiert. Da wird nicht über unterschiedliche Standpunkte diskutiert. Auch die Arbeitswelt wird ausgeklammert. Wer ununterbrochen dabei ist, Jesus mit Lobpreis für sich einzunehmen, ist ausreichend beschäftigt. Neben seiner Tätigkeit in Augsburg ist Hartl noch Dozent für Neuevangelisierung und Mitglied des Instituts für Spirituelle Theologie und Religionswissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz. Dort tritt er häufig auf. Bei einer Tagung im Januar dieses Jahres referierte er zum Thema:„Brennen, um für Jesus zu entzünden. Praxistipps für Brandstifter.“ Trotz der Wortwahl kein Grund für den Staatsschutz, aktiv zu werden. Man weiß, wie es bei Hartl und Co. gemeint ist.

Ein Zisterzienserstift als Zentrum

Wer immer sich mit dem katholischen Fundamentalismus beschäftigt, stößt sehr schnell auf das Stift Heiligenkreuz. Ein Stift ist ein Kloster. Heiligenkreuz liegt 15 km westlich von Wien, inmitten des herrlichen Wienerwalds. Im Unterschied zu anderen katholischen Klöstern, die vorwiegend mit Zusammenlegung und Auflösung beschäftigt sind, haben die Zisterzienser in diesem Stift diese Probleme nicht. Mit etwa 90 Mönchen und einem ziemlich günstigen Altersdurchschnitt sind sie gut aufgestellt. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf Heiligenkreuz zu werfen, weil hier viele Fäden zusammenlaufen. So werden freiwerdende Bischofsstühle in Österreich gern mit Personen besetzt, die einen engen Bezug zu Heiligenkreuz haben. Hier ist eine Philosophisch-Theologische Hochschule angesiedelt, die nicht zufällig den Beinamen Benedikt XVI. trägt. Sie ist stolz darauf, die größte Priesterausbildungsstätte im deutschen Sprachraum zu sein. Die aktuell 323 Studierenden kommen zu jeweils einem Drittel aus Österreich, aus Deutschland und das letzte Drittel aus vielen Ländern der Welt. Nur 58 davon sind Frauen. Das Stift kann sich sehen lassen. Es besteht aus einem beeindruckenden Gebäudekomplex, dessen Finanzierung nicht ohne erhebliche Geldzuflüsse möglich wäre. Heiligenkreuz hat einflussreiche Freunde und natürlich auch Freundinnen, die sich sehr großzügig zeigen. Nehmen wir nur seine Durchlaucht Hans-Adam II. Fürst von und zu Liechtenstein, Herzog von Troppau und Jägerndorf, Graf zu Rietberg, Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein und seine Gemahlin Marie. Beide sind Ehrensenatoren der Hochschule. Sie verfügen über Wald-und Schlossbesitz auch in der Umgebung. Das Stift hatte bis vor wenigen Jahren einen Abt, der über beste Verbindungen verfügt, einen Henckel von Donnersmarck. Die Adelsfamilie Henckel von Donnersmarck war durch Handel und Bergbau in Oberschlesien zu großem Reichtum gekommen. Vor seinem Klostereintritt war Ulrich Maria Karl Graf Henckel von Donnersmarck als Diplomkaufmann Geschäftsführer der Speditionsfirma Schenker & Co. in Barcelona. In einer Kontroverse mit der Theologischen Fakultät der Universität Wien, grenzte er die Tendenz seiner Hochschule als „knieende Theologie“ ab. Was die Lage Europas anbelangt, sieht er sie pessimistisch: „Der Europäer hat sich durch Verhütung, Abtreibung, Ehescheidung, Gleichberechtigung anderer sexueller Lebensformen tatsächlich in einen Suizid gestürzt.“ Was will man da noch sagen? Äußerungen dieser Qualität, für die der gebürtige Graf bekannt ist, machen ihn auch nach seiner Demissionierung zu einem begehrten Referenten bei hochkarätigen Anlässen. Heiligenkreuz sieht sich nicht nur als eine Institution, die sich mit religiösen Fragen beschäftigt. Hier werden gesellschaftspolitische Entwicklungen beobachtet, analysiert und konkrete Handlungsmuster entwickelt. Die Dozenten an der Hochschule prägen den Geist von Heiligenkreuz. So zum Beispiel, die in extrem konservativen Kreisen hochgeschätzte Professorin Gerl-Falkovitz, über die in der Online-Ausgabe der katholischen Wochenzeitung Tagespost zu lesen war:„Unermüdlich schreibend und vortragend ist Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz wie ein Leuchtfeuer im Nebel der postmodernen Landschaft. Seit 2011 leitet die Philosophin an der „Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz“ das „Europäische Institut für Philosophie und Religion“ (EUPHRat). Frau Gerl-Falkovitz ist die Schwiegertochter des ehemaligen Familienministers im Kabinett Adenauer, Franz-Josef Wuermeling, der sein Ministerium bei Amtsantritt 1953 zur Abwehrinstanz gegen die Gleichberechtigung der Frau erklärt hatte. Als bekennende Antifeministin, lehnt Frau Professor nicht nur Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch Verhütung ab, bezeichnet nicht-heterosexuelle Beziehungen als Unzucht und vertritt ihre kruden Vorstellungen bei einschlägigen Veranstaltungen, die nach ganz rechts offen sind. Welches Welt-und Gesellschaftsbild die Studierenden von Heiligenkreuz vermittelt bekommen, kann man sich lebhaft vorstellen. Frau Gerl-Falkovitz trat im Februar 2016 in Stuttgart bei der DEMO FÜR ALLE (DFA) auf. Organisatorin dieser DFA ist die umtriebige Magdeburgerin Hedwig Freifrau von Beverfoerde. Sie kommt aus dem politischen Umfeld der Familie von Storch und betreibt das Projekt DFA offiziell eigenständig: „Weder die Partei AFD noch Beatrix von Storch“ seien „an der Organisation von DEMO FÜR ALLE beteiligt.“ Österreich war auf der Kundgebung nicht nur mit Gerl-Falkovitz vertreten, auch der Weihbischof Andreas Laun aus der Erzdiözese Salzburg - er gilt als deutschnational - ordnete die „Genderverschwörung“ als gesamteuropäisches Problem ein. Die Professorin und der Weihbischof trafen in Stuttgart auf einen Bruder im Geiste: Raphael Bonelli, ein österreichischer Psychotherapeut. Der vierfache Vater, verheiratet mit Victoria Fender (jetzt Bonelli), die bei kath.net, einer rechtskatholischen Online-Plattform beschäftigt war, ist in fundamentalistischen Kirchenkreisen gut vernetzt. 2009 organisierte er in Heiligenkreuz eine Tagung zu „Liturgie und Psyche“.

Hochadel, Regierung und viel Geld

Raphael Bonelli hat durch verwandtschaftliche Beziehungen auch einen guten Draht zur österreichischen Regierung, genauer gesagt zu Bernhard Bonelli, Kabinettchef bei Bundeskanzler Sebastian Kurz. Die Frau von Bernhard Bonelli, der vor seiner Heirat Adamec hieß, ist die Cousine von Raphael Bonelli. Er soll mit dem Opus Dei und den Legionären Christi (Regnum Christi) in Verbindung stehen. Bernhard Bonelli zählt zum Team Kurz, also zum innersten Zirkel der österreichischen Regierungspartei ÖVP. Über dieses Team schreibt der Journalist und Verfasser des Buches „Inside Türkis“, Klaus Knittelfelder: „Vor allem die inhaltlich relevanten Player haben teilweise erzkonservative Denkansätze und sind der katholischen Kirche sehr stark zugeneigt.“ Zu diesen relevanten Playern gehört Bernhard Bonelli, Absolvent eines Philosophie-und Business-Administration-Studiums, der vor seiner Tätigkeit für Kurz bei der Boston Consulting Group beschäftigt war. Der überzeugte Neoliberale betreut auch das vom Wiener Kardinal Schönborn mitbegründete International Catholic Legislators Network (ICLN), das sich zur Aufgabe setzt, christlich engagierte Politiker international zu vernetzen. Ein weiterer Player im Team Kurz ist der 1986 geborene Markus Gstöttner, Ex-Unternehmensberater, wirtschaftsliberal und auch er streng katholisch. Er ist stellvertretender Kabinettchef. Bleiben wir kurz bei der österreichischen Politik. Auch im Alpenland gibt‘s inzwischen eine Initiative, die als „Österreich betet gemeinsam“ auftritt und von Johannes Hartl unterstützt wird. Eine andere Unterstützerin ist Gudrun Kugler, Theologin und Juristin, außerdem Nationalratsabgeordnete der ÖVP. Dass sie aktive Schützerin des ungeborenen Lebens ist und alles vertritt, was in diesen Kreisen vertreten wird, versteht sich von selbst. Bekannt wurde Frau Kugler als Initiatorin der ersten katholischen Heiratsplattform kathTreff. Wie kommen katholische Singles korrekt zusammen? KathTreff bietet zwei Möglichkeiten: Eine sechstägige Singlewallfahrt nach Medjugorje mit Lobpreis und täglicher heiliger Messe in deutscher Sprache. Oder für Katholiken, die eher Italien affin sind: Eine Single-Wallfahrt zum Hl. Antonius nach Padua. Verheiratet ist die Chefin mit dem Historiker Martin Kugler, mit dem sie vier Kinder hat. Kinderreichtum ist ein Markenzeichen dieser Bewegungen. Zusammen mit seiner Frau leitet Martin Kugler die Kairos Consulting, ein Firmengeflecht, das sich über mehrere Länder erstreckt. Sie berät und unterstützt z.B. die Päpstliche Hochschule Heiligenkreuz in der Öffentlichkeitsarbeit und im Fundraising. Martin Kugler war früher Pressereferent von OPUS DEI. Als im Herbst 2020 die Pandemieentwicklung in Österreich bedenkliche Ausmaße annahm und sich in Regierungskreisen eine gewisse Hilf-und Ratlosigkeit breitmachte, luden der Parlamentspräsident Sobotka (ÖVP) und die Bundesratspräsidentin Eder-Gitschthaler (ÖVP) zu einer „adventliche(n) Gebetsfeier“, moderiert von Gudrun Kugler. Es wurde nicht nur gebetet, sondern auch referiert. Einer der beiden Referenten war Georg Mayr-Melnhof, Jugendleiter der Erzdiözese Salzburg und Gründer der sog. Loretto-Gemeinschaft. Apropos Mayr-Melnhof. Dieser fromme Mann kommt aus nicht gerade ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater war verheiratet mit einer Gräfin von Orsini-Rosenberg. Im Besitz der Familie sind 7000 ha Grund und Boden in Salzburg und Oberösterreich, dazu die Schlösser Glanegg und Kogl, Anteile an der Mayr-Melnhof Karton AG und an einer Wohnungsgesellschaft. Da hatten die alten Mayr-Melnhofs einiges zu vererben. Georg, das vierte von den zehn Kindern, sollte die geistliche Laufbahn einschlagen, was aber dann doch nicht zustande kam. Heute ist er Jugendleiter der Erzdiözese Salzburg und Gründer sowie führender Kopf der Loretto-Gemeinschaft. Diese Organisation, die sich charismatisch verortet, hat ihr geistliches Zentrum im bereits erwähnten Medjugorje, einem Dorf in Bosnien-Herzegowina, wo seit 1981 regelmäßig Marienerscheinungen stattfinden sollen. Seither entwickelte sich ein Tourismus, der dem Dorf und sonstigen Beteiligten durch inzwischen jährlich bis zu einer Million Wallfahrern aus ganz Europa nicht zum Schaden gereicht. Eng vernetzt ist Georg Mayr-Melnhof mit der Home Base Salzburg, einem Gebetshaus, das große Ähnlichkeiten mit dem Augsburger Gebetshaus des Johannes Hartl aufweist. Allerdings stehen die Salzburger auf noch solideren materiellen Füßen. Chef dieses Hauses ist nämlich der Unternehmer Patrick Knittelfelder. Zusammen mit einem Compagnon betreibt er die Firma „Network Touristik Management GmbH“ unter dem Motto: „Lass uns die Feste des Lebens feiern. Mehr Champagner braucht das Land!“ Sie betreiben mit 150 Angestellten Hotels und Resorts, Gasthäuser und Cafes. Insgesamt sollen es 15 Einzelunternehmen sein. In der Home Base Salzburg leben mit der Familie Knittelfelder 40 Jünger bzw. Jüngerinnen. Man mag sich fragen, wovon die alle leben. Vielleicht von den Einkünften Knittelfelders? Sicher nicht. Das Modell ist einfach. Auf der Website suche ich mir, sofern ich Bedarf habe, einen Jünger oder eine Jüngerin meiner Wahl aus und überweise monatlich für die ausgewählte Person einen Betrag ab 50 € aufwärts. Diese Person kann ich auch besuchen, sofern das Leitungsgremium zustimmt. Liebschaften werden nicht geduldet. Was läuft sonst noch so? Jährlich wird von Loretto in Salzburg zu Pfingsten ein Jugendfestival organisiert, an dem zuletzt mehr als 8000 Jugendliche teilnahmen. Außerdem expandiert das Konzept Home Base nach Passau. Dort residiert der katholische Bischof Stefan Oster, ehemaliger Moderator des Regensburger Senders Radio Charivari. Oster ist neben dem Regensburger Bischof Voderholzer ein großer Freund der bisher erwähnten Bewegungen und fördert sie, wo immer ihm das möglich ist. Er hat auch den in anderen katholischen Diözesen unerwünschten mexikanischen Orden der Legionäre Christi bei sich aufgenommen. Marcial Maciel, der Gründer der Legionäre, musste vom Vatikan wegen diverser sexueller Verfehlungen (es waren nicht wenige) aus dem Verkehr gezogen werden. Ein sicherlich schmerzlicher Akt, da er als militanter Antikommunist dem inzwischen heilig gesprochenen polnischen Papst Johannes Paul II. sehr ans Herz gewachsen war. Ein weiterer Ableger der Salzburger Home Base soll gerade in der Steiermark entstehen, wo auf Schloss Kindberg der blaublütige Loretto-Aktivist Eugen „Schani “Waldstein (acht Kinder) einen Gebetskreis betreibt. Hauptberuflich war der Jurist Pressesprecher von Missio-Österreich („Wir helfen unseren Brüdern und Schwestern in den ärmsten Ländern durch Gebet und Spende.“) Und wer ist Chef von Missio Österreich? Pater Karl Wallner, vormals Rektor der Hochschule in Heiligenkreuz. Wallner ist omnipräsent. Wenn Heiligenkreuz das geistliche Zentrum der neuen Bewegung ist, dann ist Wallner das personifizierte Zentrum. Es würde den Rahmen des Artikels sprengen, auf die Aktivitäten des umtriebigen Mönchs weiter einzugehen.

Laschets „Schatten“

Bleiben wir noch kurz bei Heiligenkreuz. Hier befindet sich ein modernes Filmstudio. Die Leitung von Redaktion und Projektmanagement liegt in der Hand von Elisabeth Doczy, die auch im Sprecherteam von Initiative Pontifex ist. Diese Organisation hieß bis 2013 Generation Benedikt (!) und wurde mitgegründet von Nathanael Liminski. Muss man sich diesen Namen merken? Ja. Denn Liminski (35) ist als Staatssekretär Leiter der NRW-Staatskanzlei und könnte für den Fall, dass Armin Laschet Bundeskanzler wird, als Laschets „Schatten“ Kanzleramtsminister in Berlin werden. Nathanael Liminski, ist Mitglied des OPUS DEI und war früher Redenschreiber für Roland Koch in der Hessischen Staatskanzlei. Sein Vater, der Journalist Jürgen Liminski (10 Kinder), schreibt in konservativen katholischen Zeitungen, aber auch regelmäßig in der „Junge Freiheit“. 2008 hielt er die Laudatio auf Ellen Kositza anlässlich der Verleihung des Gerhard-Löwenthal- Preises. Ellen Kositza ist die Lebensgefährtin des „gläubigen Katholiken“ Götz Kubitschek, der in der New York Times 1917 als „The Prophet of Germany‘s New Right“ bezeichnet wurde. So steht vieles mit vielem in Verbindung. Damit soll nicht alles in einen Topf geworfen werden. Viele Anhänger konservativer religiöser Gruppierungen würden sich vehement dagegen verwahren, als rechts bezeichnet zu werden. Es gibt aber – wie wir gesehen haben – nicht wenige inhaltliche und personelle Überschneidungen. In den USA soll es inzwischen etwa 300.000 Religionsgemeinschaften geben und deren gesellschaftliche und politische Bedeutung nimmt zu. Ohne sie hätte Trump 2016 die Wahl nicht gewonnen. Ohne die massive Unterstützung durch neue religiöse Massenbewegungen hätte in Brasilien Bolsonaro nicht Präsident werden können. 1982 war es zwischen dem US-Präsidenten und dem polnischen Papst zu einer „Heiligen Allianz“ gegen den Kommunismus gekommen. Bei der Gelegenheit wurde auch die in Lateinamerika aufkeimende Theologie der Befreiung ins Visier genommen und weitgehend beseitigt. Mag auch der gegenwärtige Papst in Rom gelegentlich harsche Worte gegen die Auswirkungen des Kapitalismus von sich geben („Diese Wirtschaft tötet“), stehen die Großkirchen und sonstige religiöse Gruppierungen fest auf dem Boden des Dogmas von der Unantastbarkeit des Privateigentums an Produktionsmitteln. Eugen Drewermann, einer der klügsten Köpfe in der katholischen Kirche, entwickelte sich vom kritischen Theologen zum Kapitalismuskritiker („Wie der Kapitalismus uns ruiniert“) und wurde aus seiner Kirche verdrängt. Schließen möchte ich mit Karl Kautsky, der in seiner 1908 erschienenen Schrift „Der Ursprung des Christentums“ das historische Grunddilemma treffend benennt: „Wir haben gesehen, dass das Christentum erst zum Siege gelangte, als es sich in das gerade Gegenteil seines ursprünglichen Wesens verwandelt hatte; dass im Christentum nicht das Proletariat zum Siege gelangte, sondern der es ausbeutende und beherrschende Klerus; dass das Christentum siegte nicht als umstürzlerische, sondern als konservative Macht, als neue Stütze der Unterdrückung und Ausbeutung, dass es die kaiserliche Macht, die Sklaverei, die Besitzlosigkeit der Massen und die Konzentration des Reichtums in wenigen Händen nicht nur nicht beseitigte, sondern befestigte. Die Organisation des Christentums, die Kirche, siegte dadurch, dass sie ihre ursprünglichen Ziele preisgab und deren Gegenteil verfocht.“ Die herrschenden Klassen haben sich das Christentum einverleibt und daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert.

hd Stand:23.2.1921