Der aktuelle Zustand der Partei Die Linke (DL) könnte besser sein, aber dann wäre dieser Text nicht nötig bzw. kürzer. Sich Gedanken über den Zustand der Linken zu machen, wird bei vielen befördert durch das Wahlergebnis der Partei bei der Bundestagswahl 2021 und den Ergebnissen bei den folgenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen (NRW), dem bevölkerungsreichsten Bundesland, aber auch mit den Vorwürfen über „Sexismus“ und „Machismo“ in der Partei, die u.a. in den vom Spiegel kolportierten Äußerungen aus dem Jugendverband Solid, die Partei Die Linke müsse zerstört werden, kulminieren, und nicht zuletzt mit dem Rücktritt von Henning-Welzow, einer der beiden Parteivorsitzenden. Das alles mögen auch Gründe bzw. Anlässe für die Krise der DL sein, meiner Ansicht nach liegen aber die Gründe bereits in der Gründung der Partei und ihrer Vorgänger. Insofern greifen die kritischen Anmerkungen und Analysen z.B. von Ekkehard Lieberam in der Jungen Welt vom 22.11.2021, nachgedruckt auch in der Zeitschrift „Arbeiterpoliltik“, Nr. 1, 2 - Februar 2022, S.4-7, zu kurz.

Die Partei Die Linke ging 2007aus einer Vereinigung der Parteien WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) und Linkspartei.PDS hervor. Die DL war nie eine Partei, die dem Marxismus anhing. Historisch ist sie vergleichbar mit der USPD. Werden die Bundestagswahlergebnisse (BTW) seit 2005 betrachtet (4,9% (2021); 8,6% (2013); 11,9 (2009) 8,7 (2005)), kann die DL als parlamentarisch erfolgreich betrachtet werden, auch wenn 2021 der Wiedereinzug in den Bundestag in Fraktionsstärke drei Mandaten von Direktkandidaten zu verdanken ist1.

2004 wurde die Initiative, der Verein „Arbeit & soziale Gerechtigkeit (“ ASG“) gegründet. Eine Reaktion auf den Kurs der SPD, deren neoliberale Wende, auf den Mitglieder- und Wähler*innenschwund, die zunehmende „Zerrüttung“ des Verhältnisses zu den Gewerkschaften, insbesondere die Agenda 2010, die sogenannten Hartz-Gesetze, die „Rentenreform“ und das „Blair-Schöder-Papier“. Programmatische Grundlage war der „Aufruf der Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Erstunterzeichner*innen und Gründer*innen waren v.a. hauptamtliche Gewerkschafter*innen der IGM aus Süddeutschland (meist 1. Bevollmächtigte), in ihrer überwiegenden Mehrheit SPD-Mitglieder2 (vgl. „Aufruf“ in: Ernst, Händel, Zimmermann ,2012, S. 181 ff..). Mit “Wir gehen diesen Weg (der Politik der SPD-Grünen-Regierung, d. Verf.) nicht mehr mit! (…) Aus diesem Bündnis könnte bei der nächsten Bundestagswahl eine wählbare soziale Alternative entstehen.“ (ebenda, S.182 f.) schließt der Aufruf und sagt damit auch aus, dass die Erstunterzeichner*innen in den bislang vorhandenen Parteien keine Alternative sehen.

Daneben entstand im Norden die „Wahlalternative“, begründet und getragen insbesondere von Mitarbeiter*innen der Zeitschriften Sozialismus und SPW, von ver.di und der Memorandum Gruppe (vgl. Krämer; Entwurf: Für eine wahlpolitische Alternative; In: Ebenda, S.184ff.). Axel Troost aus der Memorandum-Gruppe verweist darauf, dass die Wahlalternative in ihrer Zusammensetzung „bunt gemischt“ war, Gewerkschafter, aber auch viele Intellektuelle und sogenannte Bewegungslinke beheimatete (vgl. Troost, 2014, S.123)

Helge Meves (2016, S.22 – 57) wiederum lenkt den Blick in seiner Analyse der Entstehungsgeschichte von ASG, Wahlalternative, WASG auf die neuen Problemkonstellationen, z.B. im Zusammenhang mit der sogenannten Wende und dem sich ändernden gesellschaftspolitischen Klima sowie dessen Hintergründe v.a. zu Anfang der 2000er Jahre, die große Demonstrationen gegen den Sozialabbau und die Hartz IV – Gesetzgebung sahen. Hartz IV wurde im Jahr 2004 zum „Unwort des Jahres“ gekürt (ebenda, S. 50). Auffällig sind in dieser Zeit auch Rückgänge der Wahlbeteiligung sowie der SPD-Stimmen bei Landtags- und Europawahlen 2004 in Ost-, aber auch in Westdeutschland (vgl. ebenda, S. 51).

Nach z.T. heftigen inhaltlichen, aber auch persönlichen Differenzen der jeweiligen Gründer*innen, die in zahlreichen Treffen und Diskussionen ausgetragen wurden, schlossen sich die ASG und die Wahlalternative zur Partei “Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ (WASG) zusammen. Oben benannte Differenzen setzten sich mit z.T. anderen Vorzeichen auch in zahlreichen Kreisverbänden der WASG fort, v.a. mit Mitgliedern „linker“ Kleinparteien, die glaubten, in der WASG das Potential zu finden, um ihre Revolutionsträume zu realisieren. Über die lästerte das Vorstandsmitglied der WASG und spätere Vorsitzende der Partei Die Linke, Klaus Ernst, sie könnten ihre Bundesmitgliederversammlung in einer Telefonzelle abhalten. Die WASG hielt im selben Jahr ihren ersten Parteitag ab.

Der Landesverband NRW, der mitgliederstärkste Landesverband der WASG, setzte den Antritt der neu gegründeten Partei bei der Landtagswahl in NRW am 22.5.2005 durch. Trotz des Neuzuschnitts der Wahlkreise, wohl um manche Parteien aus dem Landesparlament herauszuhalten, andere zu schwächen, gelang es der WASG in allen Wahlkreisen Kandidat*innen aufzustellen. Nach einem finanziell beschränkten, aber sehr engagiert geführten Wahlkampf erhielt die WASG 2,2 % der Stimmen. Für die bescheidene finanzielle Lage der WASG war die Wahlkampfkostenrückerstattung bedeutsam.

Auch wegen des Wahlergebnisses in NRW wurde die BTW auf den Herbst 2005 vorgezogen. Rückblickend resümiert Axel Troost, der sich auf die Seite der Befürworter des Wahlantritts in NRW schlug: „Die ganze WASG ist eigentlich eine Kopfgründung. (…) Natürlich gab es immer Diskussionen oder eine demokratisch zustande gekommene Beschlusslage. Aber die wesentlichen Impulse kamen immer von oben. Der Orientierungspunkt waren die Bundestagswahlen 2006 (regulärer, alter Wahltermin; der Verf.)“ (Troost,2012, S.123).

Das ist einer der wesentlichen Eckpunkte der Programmatik der WASG, die Fixierung auf die Bundestagswahlen, um den insbesondere wegen der Politik der SPD weggelaufenen Wähler*innen eine Wahlalternative anzubieten, aber auch um ein parlamentarisches Sprachrohr für die zahlreichen Initiativen, Demonstrant*ínnen („Montagsdemonstrationen“, Demos gegen den Sozialabbaubau allgemein), und Gewerkschaften zu geben. Die WASG betonte das Aufgreifen und Initiieren betrieblicher und gesellschaftlicher Aktivitäten. Letzteres findet sich auch im Programm der Partei Die Linke wieder: „Linke Politik muss sich stets, auch und gerade in Regierungen, auf die Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen und die Mobilisierung außerparlamentarischen Drucks stützen können, um nicht der strukturellen Macht von Kapitalinteressen und parlamentarischer Logik zu unterliegen. Wir wollen die Menschen ermutigen, selbst für ihre Interessen in Aktion zu treten“ (Erfurter Programm, 21./23.10.2011, S.75).

Die WASG forderte Veränderungen in der Gesellschaft, die aus ihrer Sicht v.a. Veränderungen und ein Mehr an Mitbestimmung in den Betrieben erzwingt. Und daraus ergibt sich auch die Wichtigkeit und Notwendigkeit von Gewerkschaften und Betriebsräten. Auch und gerade angesichts der Hartz IV-Gesetze und der Rentenpolitik wurde „soziale Gerechtigkeit“ eingefordert, ohne aber, etwa beim namensgebenden Faktor Arbeit zu explizieren, wie er gestaltet werden kann und welche Rolle dieser neben der Sicherung einer „angemessenen“ Reproduktion für Mensch und Gesellschaft spielt. Gerade letzteres Manko droht nunmehr der Partei Die Linke bei Diskussion und Entscheidung über das „bedingungslose Grundeinkommen“ auf die Füße zu fallen.

»Die eigentliche Schlacht sind die Bundestagswahlen. Da spielt die Musik!« (Klaus Ernst, auf 1. Bundesparteitag WASG, in Dortmund, 7.5. 2005). Wer Klaus Ernst kennt, weiß, dass diese Aussage nicht nur auf die Landtagswahl in NRW bezogen war.

Axel Troost, eines der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder stellte klar: „Das Programm (der WASG, der Verf.) stellt nicht die »Systemfrage«, sondern enthält konkrete Forderungen, deren Umsetzung zu einer erheblichen Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse für die große Mehrheit der Bevölkerung führt. Bereits in den einleitenden Leitlinien des Programms wird formuliert, dass die WASG die Unterwerfung des Menschen unter die Interessen der Wirtschaft ablehnt und sich für eine Demokratisierung der Wirtschaft und für den Ausbau der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in den Unternehmen einsetzt. Eine Demokratisierung der Wirtschaft sind das Ziel und die Bedingung für einen nachhaltigen Politikwechsel. Die Macht des Kapitals müsse beschränkt werden“ (Axel Troost auf dem 1. Parteitag der WASG in Dortmund, 7.5.2005)

Die WASG unterschätzte wohl die Veränderungen in Betrieben und Gewerkschaften, auch den „Siegeszug“ des Neoliberalismus, den Rückgang der Mitgliederzahlen. Dazu kam eine Krise der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, und die „Standortvereinbarungen“ zeigten eine Abkehr von einer betriebsübergreifenden Gewerkschaftspolitik. Hinzu kam der demographische Wandel und es wurde immer deutlicher, dass das Versprechen eines „immer weiter so“, eines naturwüchsigen Aufstiegs „aus eigener Kraft“ zerbrach, weshalb zwar die „Wut“ auf die SPD zunahm, aber auch Inaktivität und zunehmende Wahlenthaltung.

Frank Deppe, emeritierter Professor der Politikwissenschaften an der Universität Marburg, zur WASG mit einem optimistischen Schluss: „Die Gewerkschaftsfrage hat für die gesamte Partei nicht jene Bedeutung gewonnen, die sich die Gründer der WASG erhofft hatten. Das hatte und hat verschiedene Gründe. Der Wechsel von linken, hauptamtlichen Gewerkschaftern in Führungsfunktionen der Partei ging einher mit einer Schwächung linker Positionen vor allem in den großen Industriegewerkschaften. Die Gewerkschaften waren in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in eine Position der Defensive geraten. Der Siegeszug des Neoliberalismus ging mit Mitgliederverlusten der Gewerkschaften, Machtverlust und einer erhöhten Bereitschaft zur Kooperation mit Kapital und Staat einher. Im Bereich der (vor allem exportorientierten) Industrie setzte sich unter dem Druck der »Globalisierung«, der hohen Arbeitslosigkeit sowie der Ausweitung des prekären Sektors und aufgrund von Rationalisierungsprozessen der »Wettbewerbskorporatismus« durch. Dieser zwang Betriebsräte und Gewerkschaften in ein Bündnis mit den Unternehmensleitungen zur Sicherung des »Standortes« in der globalen Konkurrenz. Gleichzeitig boten Vorsitzende von Gewerkschaften ein »Bündnis für Arbeit«, d.h. Lohnverzicht im Austausch für Beschäftigungssicherung, an. Auf der anderen Seite entstand die große Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die im staatlichen Sektor mit den Folgen der Privatisierungspolitik (bei Post, Verkehr, Gesundheitswesen) und der Austeritätspolitik konfrontiert ist. Gleichzeitig werden die Gewerkschaften mit der Feminisierung der Erwerbsarbeit, mit prekären Beschäftigungsverhältnissen – vor allem im Einzelhandel, im Erziehungs- und Pflegebereich – mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die sich kaum mit den Methoden traditioneller Gewerkschaftspolitik lösen lassen. Seit der großen Krise von 2008 gibt es jedoch aufgrund von Mitgliederzuwächsen, von Erfolgen auf dem Feld der Tarifpolitik, der Durchsetzung des Mindestlohns und einer erhöhten Streiktätigkeit Anzeichen für ein »Comeback« der Gewerkschaften. Für diesen Aufschwung sind auch jüngere Kolleginnen und Kollegen verantwortlich, die sowohl in den Gewerkschaften als auch in der Partei aktiv sind.“ (Deppe, 2016, S. 16).

Zur BTW 2005 kam es zu einem Wahlbündnis von WASG und Linkspartei.PDS, die hierin bestimmend war, und das mit 8,7% und 54 Mandaten in den Bundestag einzog.

2007 vereinigten sich beide Parteien zur Partei „Die Linke“.

Gründe waren u.a. die Einschätzung, dass in Deutschland ein gemeinsame, eben auch wählbare Linke notwendig sei und dass „Stimmenwilderei“ verhindert werden müsse. Hinzu kam, dass die Linkspartei.PDS im Osten nach Stimmen noch stark war, noch viele Mitglieder (ca. 60.000: Stand 2007) hatte und finanzkräftig schien. Sie hatte zwar einen eigenen Apparat und war in Landtagen und Landesregierungen vertreten. Allerdings war sie nicht in Betrieben, Gewerkschaften und in Westdeutschland verankert, anders als die WASG. Die wiederum war parlamentarisch nicht vertreten, hatte wenige Mitglieder (11.500, Stand 4/2007), war finanzschwach (auch aufgrund der Mitgliederstruktur und einer schlechten „Zahlungsmoral“ vieler Mitglieder) verfügte über keinen Parteiapparat und war in Ostdeutschland kaum vertreten (vgl. Weichhold, 2016, S.192). Soziologisch gesehen war die WASG das Projekt einer Generation. Das typische WASG-Mitglied war männlich, hatte einen linkssozialdemokratischen, gewerkschaftlichen Hintergrund, war in den westdeutschen Bundesländern beheimatet und zwischen 41 und 60 Jahre alt (vgl. Weichhold, 2016, S. 193).

So unterschiedlich ihre organisatorischen Voraussetzungen waren, so unterschiedlich ihre programmatischen Ansätze. Für die Linkspartei.PDS gehörte der Sozialismus zur Identität3, ebenso bedeutsam war die Einhaltung bzw. der Ausbau von Freiheitsrechten, die Gleichstellung der Geschlechter und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland. Die Linkspartei galt als die Vertreterin der ostdeutschen Interessen und als „Kümmerin“. Für die WASG spielte der Begriff Sozialismus keine Rolle. Sie setzte auf Änderungen im System, u.a. durch Brechung der Macht des Kapitals und die Ausweitung der Mitbestimmung. Sie vertrat eine starke Ausrichtung auf Gewerkschaften und Betriebe, forderte soziale „Gleichstellung“ und wollte Wachstum durch kreditfinanzierte Konjunktur- und Zukunftsprogramme anschieben. Die WASG vertrat also in weiten Bereichen einen Linkskeynesianismus.

Die programmatischen Unterschiede, die bei manchen noch wirksame westdeutsche Staatsdoktrin des „Antikommunismus“ und das Misstrauen in die Linkspartei.PDS als“ Nachfolgepartei“ der SED hatten schon beim Eingehen des Wahlbündnisses zu erheblichen Diskussionen und Zerwürfnissen innerhalb und zwischen beiden Parteien geführt. Axel Troost, der den Vereinigungsprozess aktiv mitgestaltete: „(…) im Detail waren die Unterschiede (…) teilweise (…) recht groß. (…) Ohne eine sehr große Kompromissbereitschaft wäre dieser ganze Prozess nicht möglich gewesen.“ (Troost, 2012, S.131, 132).

Aber es waren bzw. sind diese Unterschiede nicht allein wesentlich, sondern auch die Wirkungen des Einzuges der neuen Partei in Parlamente und der Aufbau und Betrieb einer Partei. Nochmals Frank Deppe: „Die Gewerkschaftsfunktionäre aus der WASG, die in Die Linke wechselten, mussten schnell feststellen, dass die Partei ein eigener Apparat mit seinen Regeln, Widersprüchen und Zwängen ist, die durch den Primat der Ausrichtung auf Wahlen und die parlamentarische Arbeit, mehr noch: auf Regierungsbeteiligungen, oftmals noch verstärkt werden. Die Beteiligung an Landesregierungen im Osten bzw. in Berlin verschoben die Auseinandersetzung um »Arbeit und soziale Gerechtigkeit« auf die Regierungsebene, auf der die Partei einerseits (mit Ausnahme von Thüringen) Juniorpartner ist, auf der andererseits die Zwänge der Austeritätspolitik, der knappen Kassen usw. respektiert werden. Die Ergebnisse sind daher gerade für Gewerkschafter oftmals enttäuschend. Auf der anderen Seite setzt sich die Partei im Bundestag (und auch auf der Landesebene bzw. auf der kommunalen Ebene) für Forderungen der Gewerkschaften ein. Bei der Durchsetzung des Mindestlohns z.B. hat sie als Opposition eine positive Rolle gespielt. Die Partei versteht sich zugleich als Partner der sozialen Bewegungen, in denen – vielfach berechtigte – auch kritische Positionen gegenüber der Politik der Gewerkschaftsführungen vertreten werden: Sie muss den Spagat zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen parlamentarischer und außer-parlamentarischer Interessenvertretung, zwischen Fraktionen und Richtungen in der Partei bewältigen, für die entweder die Regierungsbeteiligung oder die Stärkung der Oppositionsrolle und der außerparlamentarischen Bewegungen Priorität besitzt. Das produktive Austragen solcher Spannungen – eingebettet in die Regeln und Zwänge des politischen Systems, in dem man agiert – bestimmt nun einmal das Alltagsleben der Partei.“ (Deppe, 2016, S.17): Christine Buchholz, die von der Gruppe Linksruck zur WASG kam und in den Bundestag, weist auf zwei weitere, bedenkenswerte Punkte hin: „(…) eine parlamentarische Partei hat immer eben auch eine Schlagseite zu den Personalfragen, zu den Apparaten und zu inneren Auseinandersetzungen um Macht und Einfluss. (…) Wenn Politik von Menschen gemacht wird, die dafür bezahlt werden, als Abgeordnete oder Mitarbeiter, dann stehen immer auch Fragen nach der Zukunft einzelner Personen im Raum“. (Buchholz, 2012, S.44). Sabine Lösing4 benennt, auf ihren Rückzug aus dem WASG-Parteivorstand angesprochen, noch einen Aspekt, der wohl auch heute für den Zustand der DL eine Rolle spielt: „Es wurde aus meiner Sicht schwieriger, den Bewegungscharakter aufrechtzuerhalten.“ (Lösing, 2012, S. 153)

Wer den Zustand der DL als schlecht einschätzt, die Partei, die dieses Jahr 15 Jahre alt wird, als am Ende befindlich, oder gar als obsolet ansieht, sollte bedenken, dass es mit der DL das erste Mal in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik gelungen ist, eine auch im Bundestag und zahlreichen Landtagen vertretene linke Partei zu etablieren. Dass die DL Chancen hat, wieder parlamentarisch größer zu werden, zeigt eine Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie sieht das Linke-Wähler*innenpotential bei 18 Prozent (vgl. Junge Welt, 24.5.2022, S. 2). Allerdings müssen sich einige Dinge ändern. Was und wie, können Blicke in die Entstehung der Partei zeigen.

Egal, wie der Parlamentarismus eingeschätzt wird, ist es notwendig aufzuzeigen, was Parteien in Parlamenten bewirken können und was nicht. Natürlich gibt es mehr Öffentlichkeit, wenn der parlamentarische Dienst aufgrund einer Anfrage der Fraktion der Partei DL Zahlen veröffentlichen muss, die zeigen, dass und bei wem z.B. in der Bundesrepublik die Armut stetig zunimmt. Aber dabei darf es nicht stehen bleiben, es muss auch gezeigt werden, wie dem Zustand nachhaltig wirksam begegnet werden kann. Damit muss die systemische Frage nicht umgangen werden, aber sie allein in den Vordergrund zu stellen, wird nicht genügen. Vielmehr sollte aufgezeigt werden, was jede und jeder tun kann und muss. Und diese Vorschläge sollten als realistisch bzw. realisierbar erscheinen. Der Eindruck und das Angebot einer „Stellvertretungspolitik“ sollte vermieden werden, das gilt auch für die Gewerkschaften. Die Partei DL ist u.a. gegründet worden, um den (notwendigen) außerparlamentarischen Bewegungen eine parlamentarische Stimme zu geben. Sie mit anzustoßen und zu stabilisieren, ist eine Grundvoraussetzung der DL. Aber auch die Kritik sollte nicht vernachlässigt werden, und damit meine ich nicht die Kritik an der These der „Lfestylelinken“ der in zahlreichen Talkshows auftretenden, Rosa Luxemburg kopierenden Sahra Wagenknecht, sondern die Subtexte ihrer zahlreichen Publikationen, z.B. das 2002 erschienene Buch „Freiheit statt Kapitalismus“. Der Kapitalismus versagt vor seinen eigenen Ansprüchen, schreibt sie zurecht. Aber dann nimmt sie sich des CDU/CSU-Altkanzlers Ludwig Erhard („der Dicke mit der Zigarre“, „Erfinder“ der „Sozialen Marktwirtschaft“) an und fordert, was der versprach: „Wohlstand für alle!“ Sie plädiert für politische Handlungsfähigkeit als Grundvoraus-setzung für echten Wettbewerb, echtes Unternehmertum und echte Leistung. Damit adelte sie indirekt das „Modell“ der sozialen Marktwirtschaft – ein den Kapitalismus feierndes System. „Wenn eine Linke schon die „soziale Marktwirtschaft“ feiert, muss ja etwas dran sein. Kleine Korrekturen und schon gewinnen Alle! Kapitalismus und Konkurrenz sind unverzichtbar und klasse!“, werden sich einige gedacht haben. Verirrungen und Verwirrung von links? Das ist kein Plädoyer für die in der DL offensichtlich und medial ausgeschlachtete „Ausschließeritis“, sondern für die inhaltliche Auseinandersetzung. Die Forderung nach Ausschluss erinnert an den Witz, den Kurt Tucholsky erzählt haben soll: „Treffen sich Zwei Ende der zwanziger Jahre. Der eine ehemaliges KPD-Mitglied, der andere ist noch Mitglied. Sagt der nach einer Diskussion: Schade, dass du schon ausgetreten bist, sonst könnte man dich jetzt ausschließen.“ Konsequente Friedenspolitik ist ein weiteres wesentliches Alleinstellungsmerkmal der DL. Genauso wie „soziale Gerechtigkeit“ muss es aber „übersetzt“ werden. Auch was Arbeit für die Menschen und die Gesellschaft ist, wie und von wem sie gestaltet werden soll, muss verstärkt expliziert werden, gerade auch um zu verhindern, dass die Forderung nach dem „bedingungslosen Grundeinkommen“ (BGE) als Forderung/Programmpunkt Eingang ins Parteiprogramm der Partei DL findet. Der Hinweis auf dessen hohe Kosten, um das BGE zu verhindern, wird nicht genügen.

Der letzte Satz gehört zwei Mitbegründern der ASG, WASG und Die Linke: „Die Linke in Deutschland, wie die Linke in den anderen europäischen Ländern – wie die Gewerkschaftsbewegungen – haben in den vergangenen Jahren nur wenig Korrekturen durchsetzen oder Grenzen halten können. Es bleibt noch ein weiter Weg zu gehen. Auch dieser führt nicht am Grundkonflikt von Kapital und Arbeit vorbei, sondern geradewegs hindurch.“ (Ernst, Händel, 2012, S.174)

Frank Rehberg,2022

Mitbegründer der WASG, langjährig im Kreisvorstand der WASG und der Partei Die Linke in München

 

Anmerkungen:

 

1. Es sei daran erinnert, dass die PDS alleine bei der BTW 2002 4,0% erreichte.

 

2. Bis zur Jahrtausendwende war der Besitz des SPD-Parteibuches bei den meisten Gewerkschaften Voraussetzung einer „Hauptamtlichkeit“

 

3. Unterstellt werden kann, dass es mit dem Bekenntnis zum „Sozialismus“ nicht weit her war, dass viele Mitglieder nur deshalb in dieser Partei bzw. ihrer "Vorgängerin“ der SED waren, weil diese die politische Macht im Staate innehatte und eine Mitgliedschaft häufig Voraussetzung war, bestimmte Posten zu bekommen oder Positionen zu erreichen.

 

4. Sabine Lösing war/ist seit 2001 bei Attac, 2004 Gründungsmitglied der WASG und ab 2009 für die DL Abgeordnete im Europaparlament.

 

Literaturverzeichnis:

Buchholz, Christine (2012): „Gespaltene Linke hatten wir schon genug“; In: Ernst, Klaus; Händel, Thomas; Zimmermann, Katja (Hrsg.): Ebenda; S. 33 - 46

Frank, Deppe (2016): „Einleitung“; In: Troost, Axel; Händel, Thomas (Hrsg.); Ebenda; Hamburg; S.8 - 21

Ernst, Klaus; Händel, Thomas (2012): „Immer noch und immer wieder: Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Kein Epilog; In: Ernst, Klaus; Händel, Thomas; Zimmermann, Katja (Hrsg.); Ebenda; S.169 -18

Ernst, Klaus; Händel, Thomas; Zimmermann, Katja (Hrsg.);“ Was war? Was bleibt? – Wege in die WASG, Wege in Die Linke“; Hamburg

Lieberam, Eckard (2022): „Der versteckte Sozialismus“, In: Arbeiterpolitik, Nummer 1/2, Februar 2022; S.4 - 7

Lösing, Sabine (2012): “Wir waren ein wilder Haufen“; In: Ernst, Klaus; Händel, Thomas; Zimmermann, Katja (Hrsg.); Ebenda; S. 145 – 156

Meves,Helge (2016): „Ein Gespenst kehrt zurück“; In: Troost, Axel, Händel, Thomas (Hrsg.); Ebenda, S. 22 – 54

Troost, Axel; Händel; Thomas (Hrsg.):“ Von der Sozialstaatspartei zur neuen LINKEN - Eine Geschichte der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG)“; Hamburg

Wagenknecht, Sahra (2002): „Freiheit statt Kapitalismus“; Hamburg

Weichold, Jochen: (2016): Von der Gründung der WASG bis zur Bundestagswahl 2005; In: Ebenda; S. 58 – 110

Weichold, Jochen (2016): „Vom Sieg bei der Bundestagswahl 2005 bis zur Gründung der Partei DIE LINKE.“; In: Troost, Axel; Thomas, Händel (Hrsg.); Ebenda; S. 111 – 201