Kein großer Wurf

Stimmung in der Wirtschaft steigt, Reallöhne sinken“, so überschrieb die Sächsische Zeitung Ende November einen Artikel zur aktuellen wirtschaftlichen Lage im Lande. Danach sanken die Reallöhne gegenüber dem Vorjahr um 4,5 Prozent bei einer Inflationsrate von runden 10 Prozent. Die Zeitung vermutete deshalb, dass das zu einer „schlechten Stimmung bei den Arbeitnehmern“ führen könnte. Die Unternehmen dagegen blicken zuversichtlicher auf die kommenden Monate. Und das nicht nur in Sachsen.

Die IG Metall hat im Rahmen der diesjährigen Tarifbewegung eine Betriebsrätebefragung zur wirtschaftlichen Situation der Betriebe durchgeführt. Befragt wurden Betriebsräte in rund 3400 Betrieben der Metall- und Elektroindustrie. Dabei stellte sich heraus, dass die „Auftragsbücher randvoll“ sind und die Umsätze überwiegend gut. Auch werden gute, bis sehr gute Gewinne eingefahren. Nur eine Minderheit der Betriebe hat Probleme wegen Lieferengpässen und Preissteigerungen. Doch sind das weniger als zwei Prozent. Insgesamt will die Branche wegen der guten Wirtschaftslage sogar Arbeitsplätze aufbauen.

Hohe Erwartungen

Die Lage der abhängig Beschäftigten dagegen ist das genaue Gegenteil. Bei ihnen reißen die Inflationsentwicklung, Lebensmittel- und Energiepreise tiefe Löcher in die Haushaltskasse. Viele wissen nicht mehr wie sie ihre Mieten und Heizkosten bezahlen sollen. Sie spüren fast täglich, dass ihre Löhne und Gehälter an Wert verlieren. Schuld daran haben – und zwar bei allen Gewerkschaften - die vergangenen Tarifabschlüsse während der Corona-Krise. So erfolgte z.B. bei der IG Metall der letzte tabellenwirksame Tarifabschluss im Jahre 2018. In den Jahren dazwischen gab es verschiedene Sonderzahlungen und Kompromisse, bedingt durch die Corona-Krise. Die Entgelttabellen jedoch blieben auf dem Stand von 2018. Das sollte in diesem Jahr anders werden. Die Erwartungen der Beschäftigten waren deshalb entsprechend hoch, wie schon lange nicht mehr. Trotzdem wurde in allen Tarifbezirken der Gewerkschaft eine Forderung von nur 8 Prozent, bei einer Laufzeit von 12 Monaten aufgestellt. Angesichts der Inflationsentwicklung von 10 Prozent war das eigentlich schon zu wenig. Doch wurde sie in den bezirklichen Tarifkommissionen mit großen Mehrheiten aufgestellt und auch angenommen.

Unternehmergeschrei

Die Reaktion der Unternehmer auf die IGM-Forderung war so wie immer. Ein Riesengeschrei und Panikmache. Es drohten, so die Unternehmer, Firmenpleiten, Massenentlassungen und andere schlimme Dinge. Selbst das Märchen von der „Lohn-Preis-Spirale“ wurde aus der Mottenkiste geholt. Auf eine prozentuale Entgelterhöhung würden sie nur eingehen, wenn die IG Metall dagegen zu einer langen Laufzeit bereit wäre. Bei Gewinneinbrüchen müsste es mehr „Flexibilisierung“ und „Differenzierung“ von Tarifzahlungen geben. Das heißt im Klartext, dass sie einseitig etwa das Weihnachtsgeld oder andere Sonderzahlungen kürzen wollten. Der Vorsitzende von Gesamtmetall, Stefan Wolf, fiel durch besondere Unverschämtheiten auf. So forderte er längere Arbeitszeiten und eine Nullrunde bei Löhnen und Gehältern. Angesichts der teuren Energiepreise meinte er, die Beschäftigten könnten sich ja „dicke Pullover anziehen“.

Tarifeinigung

Mitte September begannen in den Bezirken die Tarifverhandlung. Zu Beginn kamen die Verhandlungen kaum voran. Die Unternehmer taktierten, stellten Gegenforderungen und legten kein ernstzunehmendes Angebot vor. Am 29. Oktober endete die Friedenspflicht und in massiven Aktionen und Warnstreiks zeigten die Belegschaften, dass sie zu einem größeren Konflikt bereit waren. Mehr als 900.000 Kolleginnen und Kollegen waren an den bundesweiten Aktionen beteiligt. Am 18. November schließlich kam es zu einer ersten Einigung in Baden-Württemberg.

Schwacher Abschluss

Unterm Strich stehen Entgelterhöhungen von 8,5 Prozent bei 24 Monaten Laufzeit. Das sind für einen Facharbeiter rund 7.000Euro mehr“, meinte in der Tagesschau zufrieden der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. Schaut man sich das Verhandlungsergebnis genauer an, sind schnell die Grenzen der Zufriedenheit sichtbar. Eine erste tabellenwirksame Entgelterhöhung gibt es erst im kommenden Jahr, in Höhe von 5,2 Prozent. Die Erhöhung erfolgt nach 8 Nullmonaten im Juni 2023. Fast eineinhalb Jahre später, im November 2024 erfolgt der zweite Schritt in Höhe von 3,3 Prozent. Für die gesamte Laufzeit der Vereinbarung gerechnet, beträgt die Erhöhung der Entgelttabellen knappe 4,2 Prozent.

Hinzu kommt eine steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie in Höhe von 3000 Euro, die ebenfalls zweigeteilt ist. Eine erste Zahlung in Höhe von 1.500 Euro ist zahlbar bis Ende Febr.2023. Die zweite Zahlung muss dann bis Anfang 2024 erfolgen.

Der IG-Metall-Bezirksleiter von Baden-Württemberg Roman Zitzelsberger, meinte in einer ersten Stellungnahme nach den Verhandlungen: „Wir haben hart gerungen und verhandelt, am Ende aber liegt ein akzeptabler Kompromiss auf dem Tisch. Die Kolleginnen und Kollegen bekommen nun endlich die dauerhafte prozentuale Entgelterhöhung, die ihnen zusteht“.

 

Tarifkompromisse drücken in der Regel die Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien aus. Bei dem vorliegenden Ergebnis muss man sich allerdings schon fragen, ob das auch für den vorliegenden Abschluss gilt. Noch in der aktuellen Mitgliederzeitung, die Anfang November erschien, kann man lesen: „Deutlich höhere Monatsentgelte müssen her. Befristete Prämien oder gar Einmalzahlungen reichen nicht…“. Der jetzt vereinbarte Vertrag straft die oben stehende IGM-Agitation Lügen. Höhere Monatsentgelte gibt es erst Ende Juni. Und das bei einer Inflation um die 10 Prozent. Die Preise steigen also weiter und sinken nicht. Nach Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums wird die Inflation im kommenden Jahr immer noch bei 7 Prozent liegen. Da werden die Erhöhungen und Sonderzahlungen bald aufgefressen sein und die Reallöhne sinken weiter.

Die Frage die man stellen muss, ist: Warum lässt sich die Gewerkschaft auf solch einen „Kompromiss“ ein, wenn 900.000 KollegInnen gezeigt haben, dass sie kampfbereit sind? In einem Erzwingungsstreik wäre bestimmt ein besseres Ergebnis zustande gekommen. Sicher hat die bevorstehende Transformation der Automobil- Industrie und die Gespräche in der „Konzertierten Aktion“ dabei eine Rolle gespielt. Hier war wieder einmal Sozialpartnerschaft an Stelle des Klassenkampfes angesagt. Wenn man in den Gewerkschaftsvorständen glaubt, eine solch butterweiche Haltung würde im Unternehmerlager auf Dank stoßen, so irrt man sich da. Diese Herrschaften werden auch in Zukunft versuchen ihre Interessen rücksichtslos durchzusetzen.

Gleichzeitig hat man bei der IG Metall eine Chance vergeben. Ein Streik hätte nicht nur ein besseres Ergebnis gebracht, sondern wäre auch ein positiver Beitrag zur Organisationsentwicklung gewesen. Ein nicht unwichtiger Nebeneffekt wäre außerdem gewesen, dass er der Rechtsentwicklung im Lande entgegengewirkt hätte.

In den Betrieben gibt es momentan hinsichtlich des Abschlusses überwiegend Akzeptanz. Offensichtlich sind sich große Teile der abhängig Beschäftigten der Tragweite dieser Vereinbarung nicht bewusst. Das kann sich aber in den nächsten Monaten rasch ändern. Es wird abhängig sein von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Inflation. Wir dürfen gespannt sein.