Der folgende Text war als allgemeine Grundlage für die Diskussion auf der Jahreskonferenz gedacht. Er wurde danach in einigen Punkten überarbeitet und aktualisiert, so dass wir ihn als eigenständigen Artikel abdrucken.

Kurzer Abriss der Ereignisse

In den Darstellungen der Herrschenden und ihren Medien begann der Krieg mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Deren Aussagen nach ist es auch der erste Krieg in Europa nach dem 2. Weltkrieg. Klare Sache also: Russland war der Angreifer und die Ukraine das Opfer. Diesen Aussagen können wir nur so weit zustimmen, als dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Die Vorgeschichte wollen wir aber nicht ausklammern. Da ist der Krieg im Donbass, der seit 2014 nahezu unbeachtet stattfindet und der von der EU stillschweigend geduldet wurde. Die Ukraine hat ihn Ende 2021 massiv verstärkt. Dazu kommen die NATO-Osterweiterung, das permanente Ausschlagen der ausgestreckten Hand Russlands und das Ignorieren der russischen Sicherheitsinteressen. Russland übermittelte seine Positionen zur Entschärfung der Lage am 17. Dezember 2021. Sie beinhalteten u.a. die Forderung nach Rücknahme der sukzessiven Aufrüstung und der Eingliederung weiterer osteuropäischen Staaten in die NATO. Das Schreiben thematisierte die Sorge vor einer Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Osteuropa und davor, im Zuge immer häufigerer NATO-Manöver immer öfter und immer mehr NATO-Truppen an seinen Grenzen zu wissen. Ende Januar überreichte die NATO ihr Antwortschreiben: in keinem der von Russland kritisierten Bereiche wurde relevant auf Moskau zugegangen.

Das rechtfertigt natürlich in keiner Weise den russischen Angriff, soll aber Ursachen benennen, die in den Medien – wenn überhaupt – nur sehr am Rand abgetan werden.

Die geostrategische Bedeutung der Ukraine ist sowohl für die NATO als auch für Russland immens wichtig. Der Kampf um die Ukraine begann, wie schon gesagt, allerdings schon weit früher. Auslöser der Eskalation 2014 war die Ablehnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU, mit dem die Ukraine fest in den westlichen Block integriert werden sollte, durch den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Die unmittelbar darauf mit massiver westlicher Unterstützung – allen voran den USA – und unter reger Beteiligung faschistischer Kräfte einsetzenden Maidan-Proteste führten dann zur Flucht des gewählten Präsidenten. In der Folge wurde eine pro-westliche Regierung eingesetzt.

Umgehend kündigten die neuen Machthaber in Kiew an, schnellstmöglich die NATO-Mitgliedschaft anzustreben und den – eigentlich unkündbaren – bis 2047 laufenden Pachtvertrag für die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim aufzukündigen.

Dies alles ging der russischen Reaktion voraus, die vor allem in der Eingliederung der Krim und der Unterstützung separatistischer Kräfte in der Ostukraine bestand. Es folgte ein Bürgerkrieg, der in dem von der Ukraine, Russland, Frankreich und Deutschland ausgehandelten Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 mit einem wackligen Waffenstillstand endete. Es sah neben einem sofortigen Waffenstillstand unter anderem den Rückzug schwerer Waffen, einen Autonomiestatus für die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie Wahlen und den Abzug aller ausländischen bewaffneten Einheiten vor.

Die Umsetzung des Abkommens scheiterte in den Folgejahren, weil die ukrainische Regierung sich weigerte, es einzuhalten, was vom Westen (D+F) zumindest geduldet wurde.

In den folgenden Jahren wurde die Ukraine durch die USA und Europa massiv aufgerüstet und das ukrainische Rechts- und Wirtschaftssystem an die Bedürfnisse des EU-Binnenmarktes angepasst.

Der Westen hat es versäumt, Russland die geforderten Sicherheitsgarantien zu geben. Im Gegenteil: vom Kosovo 1999, über den Irak 2003 bis Libyen 2011 hat er das Völkerrecht und die Achtung vor der russischen Macht auf die leichte Schulter genommen. Moskau rächt sich mit denselben Waffen: Lügen, Umgehung internationaler Regeln, Gewalt statt Recht.“ (ARSTI 215, Der NATO-Prolog des Ukraine-Krieges)

 

Die deutschen Medien im Krieg

Die Stimmung in der deutschen Bevölkerung zur Kriegsbeteiligung der Bundeswehr war anfänglich zurückhaltend. Mit der Absicht, diese Zurückhaltung aufzubrechen, trommelten die bundesdeutschen Medien schon seit dem Maidan-Putsch, um das Feindbild Russland auch in der Bevölkerung wieder auferstehen zu lassen. Seit dem 24. Februar schießen sie nun auch aus allen Rohren.

Dabei steht „die Unmittelbarkeit der Berichterstattung von Beginn an im Zentrum, schließlich wollen all die Spezialformate und Sondersendungen gefüllt sein. Raketeneinschläge hier, flüchtende fassungslose Großmütter und schluchzende Kinder mit und ohne Kuscheltier dort: die visuellen Medien scheinen ihre Kameras in allen Kampfzonen aufgestellt zu haben. Zumindest für die ukrainischen Medien gilt dies und die hiesigen Sender und Printmedien verbreiten deren Material ungefiltert weiter. Verschämterweise ab und an mit dem Hinweis versehen, dass die Berichte nicht unabhängig geprüft werden konnten. Doch wen interessiert das schon? Allein die emotionale Wucht der Bilder und Interviews sorgt für das richtige Verständnis. Ab dem ersten Tag gibt es keinerlei Distanz zum berichteten Gegenstand, die Gesamtheit der Reporterinnen ist Partei, steht unkritisch auf der ukrainischen Seite und nimmt nicht weniger massiv Stellung gegen die russische.

Diese Parteilichkeit wird umstandslos vorausgesetzt und ist Grundlage der journalistischen Tätigkeit geworden. (… ) Die geltende Interpretation der Ereignisse steht längst fest und ist unter den Kriegsbedingungen Staatsraison.

Ursache und Wirkung sind nicht mehr zu trennen, alle Scharfmacher finden dankbare Medien zur Verbreitung steiler und steilster Kriegsrhetorik vor. Und alle Medienmacher wissen, dass sie mit ihrer Berichterstattung und der Kommentierung durch ihre Expertenschar umgehende Reaktionen der Politik auslösen. Was ist die Einflussnahme auf politische Entscheidungsfindung anderes?

Innerhalb von Tagen wird die bisherige Russlandpolitik abgeräumt. Wer sich nicht von seiner als falsch oder naiv diffamierten Sichtweise auf die Wirtschaftsbeziehungen zum großen Nachbarn im Osten distanziert, dessen Posten steht schnell zur Debatte. (ARSTI 216, Deutsche Medien und deutsche Parteien in Kriegszeiten)

 

Militarisierung

Von Politikern nahezu aller deutschen Parteien wurde der Angriff Russlands in der Folge dahingehend instrumentalisiert, die Aufrüstung voranzutreiben und die deutsche Bevölkerung auf Krieg einzustimmen.

Die „Zurückhaltung“ der deutschen Regierung im Irak und in Libyen war der Stimmung in der Bevölkerung geschuldet, die mehrheitlich gegen eine Kriegsbeteiligung der Bundeswehr eingestellt war. Nun scheint die Stunde günstig und wird auch genutzt, um die Menschen in Deutschland von der Notwendigkeit der Waffenlieferungen an die Ukraine und einer generellen Aufrüstung zu überzeugen. Dazu ein Zitat der Deutsche Welle von Ende August: „Zwei Weltkriege und zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert haben in Deutschland ein tiefes Misstrauen gegen alles Militärische wachsen lassen. Uniformen gehören bislang nicht zum Straßenbild. Dass jetzt uniformierte Soldaten als völlig normale Erscheinung im Alltag dargestellt werden, kann man als Zeichen einer tektonischen Verschiebung lesen: In Folge des Ukraine-Krieges macht Deutschland seinen Frieden mit dem Militär – und rüstet sich für künftige Konflikte.“

 

Die Regierung tischt das Märchen auf, dass Deutschland für Friedenspolitik, Abrüstung, Rüstungskontrolle, zivile Konfliktlösungen, Entspannung, Kooperation und Entwicklungszusammenarbeit stehe. Durch den russischen Angriff sei Deutschland aber nun zum Aufbau einer „militärisch wehrhaften Demokratie“ gezwungen.

Mit der Scholz‘schen Zeitenwende, dem Sondervermögen von 100 Mrd. € und der angestrebten Anhebung der Rüstungsausgaben auf 2 % des BIP soll Deutschland zur schlagkräftigsten Armee Europas ausgebaut werden. Hierbei handelt es sich um das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte. Wird das alles umgesetzt, dann verfügt Deutschland nach den USA und China über den drittgrößten Militärhaushalt der Welt.

Es handelt sich hier um eine fundamentale Abkehr von den Prinzipien bundesdeutscher Außenpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, insbesondere dem „Prinzip militärischer Zurückhaltung“.

 

Doch tatsächlich begann die Aufrüstung bereits 2014. Damals wurde sie mit der Annexion der Krim durch Russland sowie den Bedrohungen durch den „Islamischen Staat“ im Irak und in Syrien gerechtfertigt. Die Grundlage dazu war u.a. die Studie „Neue Macht – neue Verantwortung“ der Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund. Diese Studie war eine Reaktion auf die deutsche Enthaltung im Libyen-Krieg.

 

Die Sicherheitskonferenz 2014 in München markiert den Einschnitt. Damals sprachen der frühere Bundespräsident Gauck, die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen und Bundeskanzlerin Merkel von „neuen Bedrohungsszenarien“, die eine „reaktive Zäsur“ in der deutschen Außenpolitik erforderlich machten. Die bundesdeutsche „Politik der militärischen Zurückhaltung“ wurde zum Auslaufmodell erklärt; auch der Zugriff auf Atomwaffen winkte wieder. Deutschland solle in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen. Dafür müsse Deutschland von einem „Sicherheitskonsumenten“ zu einem „Sicherheitsproduzenten“ werden; in den Rüstungskonzernen rieb man sich die Hände.

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine bietet sich der NATO die perfekte Gelegenheit, aufzurüsten und die westliche Außenpolitik weiter zu militarisieren. Ihre Erweiterung um Finnland und Schweden wurde gerne mitgenommen. Mit erschreckenden Bildern werden die Leiden der ukrainischen Bevölkerung instrumentalisiert, um jahrzehntelang geltende Grundsätze zu entsorgen. Eine massive Hochrüstung der Armeen der europäischen Staaten schafft weder einen neuen und sichereren Frieden, noch hilft dies den Menschen in der Ukraine. Die Welt befindet sich in einem neuen globalen Wettrüsten, das die Welt nicht friedlicher und nicht sicherer macht.“ (ARSTI 217, Rüstung und Soziale Frage)

 

Die deutsche Linke

Schwer getroffen vom Krieg in der Ukraine wurde auch die deutsche Linke. Angeschlagen und gespalten war sie ja bereits im Gefolge der Corona-Krise. Hier war die Verwirrung groß, einerseits wurden die Maßnahmen der Regierenden befürwortet und unterstützt; es gab sogar Stimmen, die diese noch verschärfen wollten, z.B. durch Zero Covid. Wenige kritisierten die Regierung in diesen Fragen massiv. Letztere wurden dann in einen Topf mit den neu erfundenen, sogenannten Querdenkern geworfen. Die Grenzen zwischen rechts und links schienen in dieser Frage zu verschwimmen. Es gab also nicht nur keine Parteien mehr ….

In diese Phase der Verwirrung platzte nun der Krieg, mit dem natürlich auch auf Seiten der Linken niemand gerechnet hatte. Einig war sich die Linke in der Ablehnung des russischen Angriffs. Das war dann aber auch alles an gemeinsamem Nenner. Die Vorgeschichte, wie die NATO-Osterweiterung, das Nichteingehen auf russische Sicherheitsinteressen oder verstärkte Manöver an der russischen Grenze schienen bei einigen Gruppen gar keine Bedeutung zu haben. Bei anderen wiederum wurde das so in den Vordergrund gespielt, dass Russland scheinbar gar keine andere Wahl hatte, als mit einem Präventivangriff zu reagieren. Auch in Bezug auf Waffenlieferungen für die Ukraine gibt es keine einheitliche Meinung. Der Wirrwarr ist groß. Wir dokumentieren dazu einen Auszug aus der internationalen: Die Vierte Internationale versteht in ihren Stellungnahmen

den russischen Besatzungskrieg als Ausdruck des großrussischen Chauvinismus und Imperialismus, der die Existenz einer ukrainischen Nation bestreitet und eine unabhängige Ukraine nicht akzeptiert. Das Putin-Regime hat den Krieg begonnen und wiederholt eskaliert. Der ukrainische Widerstand hat einen antikolonialen Charakter und muss deshalb unterstützt werden. Die Niederlage des Putin-Regimes ist Voraussetzung für eine demokratische Entwicklung sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Ein Sieg Putins wäre gleichbedeutend mit der Zerstörung der Zivilgesellschaft in der Ukraine und in Russland. Er würde die internationale Kriegsgefahr ansteigen lassen. „Brüder im Geiste“ Putins würden ihre Expansionsvorhaben kriegerisch durchsetzen wollen. Erst der erfolgreiche Widerstand der Ukraine brachte die NATO-Staaten in Zugzwang, dem Widerstand militärisch massiv unter die Arme zu greifen, die aber selbstverständlich ihre eigenen imperialistischen Interessen verfolgen.“ (die internationale 6.22, debatte).

Die Frage, ob Russland imperialistisch ist, haben wir in der ARSTI 217 ausführlich behandelt. Es gibt sogar anarchistische Gruppen, die zum bewaffneten Kampf in der Ukraine aufrufen.

Die Partei „Die Linke“ wird durch den Krieg zusätzlich zerrissen. Das Gespenst einer Spaltung geistert herum. Nach der Einschätzung von Ekkehard Lieberam markiert der Erfurter Parteitag von Ende Juni 2022 und die Zeit danach eine deutliche Zäsur in der Geschichte der Partei.

Ihre inhaltliche und personelle Anpassung an den Politikbetrieb nahm eine neue Qualität an. Die Linkspartei ist keine Wahlalternative zu den anderen Bundestagsparteien mehr. Sie ist allenfalls noch »das kleinere Übel«. Inhaltlich wurde in Erfurt scharf gegen Russland Kurs genommen. Außenpolitisch erfolgte somit eine fast vollständige Anpassung an die Ampelkoalition. Die Linkspartei hat die Kritik am US-Imperialismus und an der NATO im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg so gut wie eingestellt. Ihr Verständnis des sozialpolitischen Kampfes im »heißen Herbst« hat kaum noch Bezug zum Friedenskampf.

Der Parteitag negierte den Doppelcharakter bzw. die Janusköpfigkeit des Ukraine-Krieges. Dieser Krieg begann als Verteidigungskrieg der Ukraine gegen einen Angriff Russlands. Er wurde sehr schnell primär zum Stellvertreterkrieg von USA und NATO gegen die Russische Föderation »bis zum letzten Ukrainer«. Er eskaliert. Er steht zusehends für Kriegshysterie, Hochrüstung und Militarisierung der Außenpolitik in Deutschland. Er ist zum lange andauernden Abnutzungskrieg mit dem Ziel der Destabilisierung bzw. Zerschlagung Russlands und der Schwächung Chinas geworden. Es droht ein nuklearer Super-GAU.

All diese Aussagen sind kaum noch bei der Linkspartei zu finden. Sie werden oft sogar als »unvereinbar mit den Positionen des Erfurter Parteitages« hingestellt. Auch die Vorgeschichte dieses Krieges, die NATO-Osterweiterung und die Negation der Sicherheitsinteressen Russlands durch den »Westen«, ist kein Thema mehr. Die Befürwortung der Sanktionsmaßnahmen gegen Russland und von Waffenlieferungen an die Ukraine durch Linkspolitiker ist seit Erfurt zur »legitimen Position« innerhalb der Partei im Rahmen der »Solidarität mit der Ukraine« geworden.“ (junge Welt, Gegen die Wand)

 

Wir sind in allen Ausgaben der ARSTI in diesem Jahr auf den Krieg eingegangen. – auch auf unserem Seminar in München hatten wir ihn zum Thema. Angesichts unserer Zahl und unserer Einflussmöglichkeiten mag es vermessen klingen, aber es wäre schon gut, wenn aus den Diskussionen auf dieser Jahreskonferenz eine Orientierung für Linke entwickelt werden könnte.

Zurzeit scheint eine der brennendsten Frage auf linker Seite zu sein, wie wir uns auf den Demonstrationen gegen die kriegsbedingten Teuerungen von rechts abgrenzen können und müssen. Das kann dann zu der grotesken Situation führen, dass Zehntausende gegen die Teuerung und die unzureichenden Maßnahmen der Bundesregierung demonstrieren und weit weniger Gegendemonstranten versuchen diese zu verhindern.

 

Friedensbewegung

Die Friedensbewegung war in den ersten Monaten des Krieges wie paralysiert. Nur die Standhaftesten unter ihnen hielten noch an ihren Zielen fest – das lag sicherlich auch an der üblen medialen Hetze, mit der sie überzogen wurden. Dabei wurde sie ja – ähnlich wie die SPD – für die russische Invasion verantwortlich gemacht. Auch Tolstoi, Puschkin und andere russische Schriftsteller haben in den Augen ukrainischer Nationalisten dazu beigetragen, dass die russische Politik so ist wie sie ist; deswegen wurden ihre Werke verbrannt. Je länger der Krieg dauert, umso deutlicher wird immer mehr Menschen bewusst, dass es keine militärische Lösung geben kann.

Die Ankündigung von Manövern, in denen erprobt werden sollte, wie ein (begrenzter) Atomkrieg führbar gemacht werden kann, hat allerdings einige Menschen wachgerüttelt. Es ist Wahnsinn, einen Atomkrieg nicht mehr vermeiden zu wollen, sondern als Ziel auszugeben, ihn nun zu führen. Das findet seinen Niederschlag auch in der verstärkten Beteiligung an Aktionen der Friedensbewegung. Die Stellungnahmen des Kassler Friedensratschlags sprechen eine deutliche Sprache. So beginnt die Abschlusserklärung vom Bundesausschuss Friedensratschlag zum 29. bundesweiten Friedensratschlag am 10./11. Dezember 2022 in Kassel mit den Worten: Die alte unipolare, von den USA dominierte Weltordnung geht zu Ende. Die USA und ihre Verbündeten versuchen, diese Entwicklung mit allen Mitteln aufzuhalten. Auf die Gefahr eines großen Krieges hin intensivieren sie ihren Stellvertreterkrieg in der Ukraine gegen Russland und zündeln gleichzeitig mit gegen China gerichteten militärischen Aktivitäten im Pazifik und Provokationen um Taiwan. Der ab Februar ausgeweitete Wirtschaftskrieg verschärft weltweit Hunger und soziale Ungleichheit und konterkariert den Kampf gegen den Klimawandel.“

 

Zur Sozialen Frage

Die Finanzierung der Aufrüstung durch das „Sondervermögen“ und die Umsetzung des 2%-Ziels wird zwangsläufig Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich nach sich ziehen. Zurzeit sind zwar noch keine konkreten Zahlen und Vorhaben bekannt geworden, aber nach allen Erfahrungen werden wohl auch diesmal „die kleinen Leute“ für die Kosten der Kriege und deren Folgen aufkommen müssen. Ein weiterer Abbau des Sozialstaats angesichts des Ukraine-Krieges und der Klimakatastrophe wird kommen. Das trifft die von Armut betroffenen und bedrohten Teile der Gesellschaft, - nach neuesten Umfragen bereits 25% -, besonders hart. Angesichts explodierender Miet- und Lebensmittelpreise reicht ihnen das Geld heute schon hinten und vorne nicht. Die Folgen der Aufrüstung und des Krieges drohen alle Lebensbereiche zu dominieren.

 

Vom DGB und den Einzelgewerkschaften wird „die dauerhafte Aufstockung des Rüstungshaushalts zur Erfüllung des 2 %-Ziels der NATO kritisch beurteilt. Notwendige Zukunftsinvestitionen in die sozial-ökologische Transformation und in die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates dürfen nicht zur Disposition stehen.“ (DGB klartext 12/2022, 1.4.2022). Nicht in Frage gestellt werden von der DGB-Führungsriege allerdings die „militärische Friedenssicherung“ und die Fähigkeit Deutschlands, „sich zu verteidigen und seine Bündnisverpflichtungen zu erfüllen“. Auch bei der Zustimmung zu den Wirtschaftssanktionen konnte die Regierung auf die DGB-Führung zählen. So befürworten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die scharfen wirtschaftlichen Sanktionen, die von der Bundesregierung, der Europäischen Union und den westlichen Bündnispartnern gegen Russland verhängt worden sind“, obwohl ihnen bewusst war: die nachteiligen Folgen dieser Sanktionen werden auch an uns selbst nicht spurlos vorübergehen.“ (DGB, 2.3.22) Genauso ist es gekommen – mit tatkräftiger Unterstützung der Chefetagen der DGB-Gewerkschaften. Von der eigenen Verantwortung versucht man abzulenken und Putins Angriffskrieg dafür haftbar zu machen.

 

Der Unmut in der Bevölkerung wächst, das weiß auch die Regierung. Zur Ruhigstellung der Bevölkerung schnürte die Bundesregierung Entlastungspakete, die von Sarah Wagenknecht treffend als „Päckchen“ bezeichnet wurden. Die angekündigten „zielgenauen“ Hilfen für Arme sind in den Paketen deutlich zu vermissen. Im Gegenteil, eine pauschale Erhöhung bekommen alle, auch diejenigen, die nun wirklich nicht darauf angewiesen sind. Wer hat, dem wird gegeben! Der Armutsforscher Christoph Butterwegge kritisierte, dass die Umverteilung von unten nach oben durch das dritte Entlastungspaket in keiner Weise gelindert werde. Für viele Menschen werde es im Winter nur um die inhumane Alternative gehen: hungern oder frieren. (junge Welt, 12.9.2022).

Die Kriegsgewinne der Mineralölkonzerne, der Rüstungsindustrie und anderer Bereiche scheinen in Deutschland tabu zu sein und sollen nicht angetastet werden.

Da ist die Empfehlung der Wirtschaftsweisen in ihrem Jahresgutachten schon eine Überraschung. Sie raten der Bundesregierung zu Steuererhöhungen für einkommensstarke Haushalte. Um die teuren Maßnahmen im Kampf gegen die Energiekrise zu finanzieren, solle der Spitzensteuersatz angehoben oder alternativ ein Energie-Soli für Besserverdienende eingeführt werden.

Diesem Ratschlag wurde von der Regierungskoalition allerdings eine Absage erteilt.

 

In den Tarifverhandlungen konnten die Gewerkschaften in den letzten Monaten bessere Ergebnisse erstreiten. Zur anstehenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie erklärte der erste Vorsitzende Jörg Hofmann, dass man auf eine „kräftige Lohnerhöhung“ dränge. „Warnstreiks sowie weitere betriebliche Aktionen seien möglich, um den Forderungen, wenn nötig, Nachdruck zu verleihen.“ Das 8 %-Ziel der IG Metall in der anstehenden Tarifrunde stellt schon eine Steigerung dar, bedeutet aber bei den Teuerungen immer noch einen deutlichen Reallohnverlust. DGB-Vorsitzende Fahimi erklärte im Spiegel, man werde sich angesichts der steigenden Preise „genau Gedanken machen, wie wir unserer Stimme noch mehr Gewicht verleihen – in den Betrieben oder auf Demonstrationen.

An diesen Demonstrationen, die von einem Bündnis aus DGB, Verdi, BUND und dem Online-Kampagnennetzwerk Campact organisiert worden waren, beteiligten sich weit weniger Teilnehmer als erwartet. Bei den Aktionen wurde gegen Preissteigerungen, explodierende Energiekosten und soziale Not demonstriert, wobei versucht wurde, den Krieg als Problem auszublenden. Wer aber gegen soziale Not demonstriert, muss auch gegen den Krieg demonstrieren, beziehungsweise für ein Ende des Krieges. Den Krieg als die Quelle des Übels prangern die Veranstalter nicht an, sein sofortiges Ende wird nicht gefordert. Sie interessiert nur, wer angefangen hat, nicht, wer den Krieg mit Geld, Waffen und Menschenleben befeuert und ihn in Wahrheit gar nicht beenden will.

 

Mit einem Zitat aus Sahra Wagenknechts Rede im Bundestag möchte ich schließen: „Aus Russland kommt kein Gas mehr, und die Energiepreise sind so hoch, dass es vielen Betrieben das Genick bricht und Millionen Menschen in Armut und Verzweiflung getrieben werden. Daran ändert auch das neue Entlastungspäckchen wenig, das die Bevölkerung mit Kleinbeträgen und vagen Versprechungen ruhigstellen soll. Die Ampel steuert unser Land in eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe“ (junge Welt, 9. 9. 2022) Die Distanzierung des Linken-Vorstands von Wagenknechts Rede und die erneuten Forderungen nach ihrem Ausschluss sagen vieles über die Bewusstseinslage und den Zustand der Linkspartei in dieser Frage aus.

 

 

Diskussion

In der Diskussion nach den Referaten zeigte sich, dass auch bei uns in einigen Punkten Unsicherheit herrscht. So lässt sich nicht einschätzen, wie sich die Lage entwickeln wird – denn da kommt es darauf an, wie lange der Krieg noch andauert. Auch die Folgen, die der „russische Winter“ nach sich zieht, sind unklar. Eventuell kann es zu einer Massenflucht kommen.

In Deutschland kommen die Menschen wegen der Teuerungen in Schwierigkeiten. Die Wohnungsnot wird sich weiter verschärfen, Mieterhöhungen sind bereits angekündigt. Wie wird sich die Energiekrise auf die Wirtschaft auswirken? Noch sind diese Probleme nicht mit aller Härte eingetreten, die realen Auswirkungen werden erst nach und nach deutlich werden. Werden die Menschen dann in Bewegung kommen? In welche Richtung wird das dann gehen? Der Umgang mit der Teilnahme von Rechten an Sozialprotesten ist eine schwierige Frage. Die anstehenden Verwerfungen im sozialen Bereich werden auch Menschen auf die Straße bringen, die sich sonst nicht an linken Demonstrationen beteiligen würden. Diese Menschen, egal wo sie politisch zu verorten sind, dürfen wir nicht den Rechten überlassen. Natürlich dürfen keine rechten Gruppierungen oder bekannte Rechte unter den Veranstaltern sein. Rechte Parteien und Symbole auf Demonstrationen haben auf linken Demonstrationen und Kundgebungen nichts zu suchen.

 

Die Verunsicherung bei Linken und der Friedensbewegung ist groß. Ihre Parolen scheinen in Unordnung geraten zu sein. Sie wurden von PolitikerInnen und den Medien mit regelrechten Hetzkampagnen überzogen. Wir sind der Meinung, dass ein, – auch von den Medien geschürter –, rigoroser Moralismus vorherrscht. Es scheint nur noch Schwarz und Weiß und Gut und Böse zu geben – die Außenministerin macht es vor. Wir, der Westen und die NATO sind die Guten – Russland ist das Böse. Darunter fällt auch alles, was russisch ist. Wer einem so rigorosen Moralismus verfangen ist, möchte natürlich nicht auf Seiten des Bösen stehen, nicht als „Putinversteher“ gebrandmarkt werden. Oft sind Diskussionen, die dieses Schema aufbrechen wollen, sinnlos, wenn eine Partei darauf beharrt, „aber Russland hat doch den Krieg angefangen“.

Ähnliches gilt für die Waffenlieferungen. Wir billigen jedem Land das Selbstbestimmungsrecht und das Recht, sich bei einem Angriff zu verteidigen, zu. Das kann aber doch nicht automatisch die Lieferung von Kriegswaffen und die weitere Aufrüstung bedeuten, was mit dem fadenscheinigen Argument, „unsere Freiheit und Demokratie wird dort verteidigt“, begründet wird. (Man erinnere sich, zwanzig Jahre früher wurde am Hindukusch verteidigt.) Hier müssen wir doch auf die Vorgeschichte und die Ursachen des Krieges blicken. Der begann eben nicht am 24. Februar, sondern hat u.a. seine Ursache im Maidan-Putsch und der darauffolgenden Militarisierung der Ukraine, der Diskriminierung der russischen Bevölkerung dort und der immer weiteren Annäherung des Landes an die EU. In der Ukraine führen die USA mit der NATO im Schlepptau einen Stellvertreterkrieg gegen Russland. Nebenbei wird die europäische Wirtschaft, allen voran die deutsche, als Konkurrenz auf dem Weltmarkt geschwächt. Hat sich aus Sicht der USA am alten NATO-Ziel „to keep the Russians out, the Americans in and the Germans down“ wirklich so viel geändert?

Waffenlieferungen müssen – ganz besonders in Kriegsgebiete – ein Tabu sein. Sie verlängern Leid und Elend und bringen nichts als Tod und Verderben.

Die Frage, wie die Wirtschaft, sowohl die europäische als auch die globale, von den Folgen des Krieges betroffen sein wird und wie sie sich entwickelt, wurde breit diskutiert. Allerdings fielen da einige Beiträge ins Reich der Spekulation, da lässt sich noch zu wenig Genaues sagen. Ein Genosse wird auf Grundlage der Diskussion die weitere Entwicklung verfolgen und plant dazu in der nächsten Nummer der ARSTI einen Artikel, der unter der Überschrift „Gibt es auch eine Zeitenwende für die Wirtschaft?“ stehen könnte.

 

Wir werden uns nicht auf die Seite Russlands oder die der NATO stellen. Unsere Aufgabe ist die Kritik an dem, was passiert und wie darüber berichtet wird.

Der Krieg ist ein neues Abstecken imperialistischer Einflusszonen. Länder, die ausgebeutet werden sollen, lassen sich die Bedingungen nicht mehr so leicht diktieren. Dieser Krieg nützt nur den Herrschenden und ihren Interessen. Krieg ist immer gegen die Interessen und Bedürfnisse der Arbeiterklasse gerichtet. Es wird keinen Siegfrieden geben, deswegen muss das vorrangige Ziel ein Waffenstillstand sein, gefolgt von der Aufnahme von Verhandlungen. Dieser Krieg birgt immer noch das Potenzial, in einer weltweiten atomaren Katastrophe zu eskalieren. Die Wirtschaftssanktionen scheinen weniger Russland zu ruinieren, – Gasprom hat dieses Jahr einen Rekordgewinn verzeichnet –, als vielmehr die Menschen und die Wirtschaft – nicht nur - in Deutschland und müssen beendet werden.

Verhängnisvoll wird wieder deutlich, dass der Kapitalismus nichts anzubieten hat als den Dreisatz: Aufschwung – Krise – Krieg. Die alte Erkenntnis „Sozialismus oder Barbarei“ ist brandaktuell. Es kann nur eine Parole geben: Arbeiter aller Länder, vereinigt euch.