Rezession: Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey: „Gekränkte Freiheit“ – Suhrkamp-Verlag, 3. Auflage, 2022, 449 Seiten.

Der Titel des hier besprochenen Buchs müsste eigentlich lauten:“ Die Saat ist aufgegangen“, stattdessen lautet er: „Gekränkte Freiheit“, ohne dass expliziert wird, was der Begriff Freiheit bedeutet bzw. bedeuten soll, und ob Freiheit gekränkt werden kann und wenn ja, von wem und wie? Da sagt der Untertitel der Studie von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, beide lehrende Soziologen an der Uni Basel, „Aspekte des libertären Autoritarismus“, mehr über den Inhalt aus. Die beiden Autoren stützen sich dabei auf Interviews mit verschiedenen Querdenker*innen und einer weiteren Auswertung einer fragebogengestützten Befragung von zu Querdenker*innen, Verschwörungsteoretiker*innen, Coronaleugner*innen und auch zu Querfrontler*innen gewordenen ehemaligen Nutzer*innen und Unterstützer*innen der Internetplattform Campact. Auch wenn statistisch nichts gesichert, lässt sich doch einiges aus der Studie ableiten. Eine der vertretenen Thesen: „Querdenker*innen, Coronaleugner*innen, Verschwörungstheoretiker*innen“ vertreten meist einen „libertären Autoritarismus“, der u.a. aus einem nicht eingelösten Freiheitsversprechen und einer daraus erfolgten Kränkung resultiert. Dabei wird Freiheit bzw. Liberalität als individuelles Recht und Merkmal begriffen, das zunehmend, nicht zuletzt durch die Covid-19-Maßnahmen, stark bzw. unverhältnismäßig beschnitten wird. Interessant auch, dass die Anhänger*innen dieses libertären Autoritarismus, den Autoren zufolge, zentralen Werten, die Jahrzehnte lang propagiert wurden, anhängen und deren Einhaltung einklagen. Dieses individuelle Recht wieder herzustellen, erlaubt auch gemeinsame Sache mit ausgewiesenen „Antidemokraten“ zu machen, sich der AfD zuzuwenden, auch wenn vormals die Linke die Partei der Wahl war. Auffallend, dass es sich bei vielen Interviewten um Menschen mit mittlerer und guter Bildung in guten Stellungen handelt, die z.B. einen „antiautoritären Erziehungsstil“ befürworten. Ihr Autoritarismus speist sich aus dem Bewusstsein, im Besitz der eigentlichen Wahrheit zu sein, die von allen akzeptiert und durchgesetzt werden muss, eben auch mit dieser Wahrheit akzeptierenden Bündnispartner*innen jedweder politischen Couleur, gegen die (politischen) Eliten und die von ihnen präsentierten, angeblichen Expert*innen.

„Wir haben zwar (…) keine Patentlösung für die von uns analysierten Probleme. Wir verstehen unser Buch eher als einen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Diskussion über die Malaise, in der wir uns befinden.“ Das Fehlen von Patentlösungen ist den Autoren nicht vorzuwerfen, wohl aber, dass die systemische Herkunft des Problems (im Sinn des vorgeschlagenen Titels) nicht bzw. kaum angesprochen und analysiert wird. Stattdessen werden seitenlang die Inhalte und Erkenntnisse des IfS Frankfurt von Adorno und Horkheimer rezipiert. Ist es deren komplizierter Ausdrucksweise geschuldet, dass im Buch zahlreiche Fremdwörter verwendet werden? Und bringt es wirklich etwas für die Entwicklung einer Gegenstrategie, die Anhänger*innen des „libertären Autoritarismus“ in unterschiedliche Untergruppen einzuteilen? „Sicherlich, die Querdenker: innen und Coronarebellen sind nur eine gesellschaftliche Minderheit, aber sie treffen auf einen relativ großen Resonanzraum.“ Eine Gegenstrategie scheint notwendig, das Buch kann bloß eingeschränkt helfen.

Frank Rehberg, im März 2023