Nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg

 

Am 1. September haben in Sachsen und Thüringen, am 22. September in Brandenburg Landtagswahlen stattgefunden. Diese Wahlen wurden allgemein mit großer Spannung erwartet, manche Medien sprachen sogar von Schicksalswahlen. Letzteres ist zwar eine übermäßige Dramatisierung, aber unbestreitbar werden diese Wahlen Auswirkungen haben, die über die direkt betroffenen Bundesländer hinausgehen.

Im wesentlichen haben die Landtagswahlen die Tendenzen bestätigt, die bereits bei den Europa- und Kommunalwahlen zu erkennen waren. Wie in (fast) allen Wahlen hatten auch hier die Themen der großen Politik und die Beurteilung der Bundesregierung erheblichen Einfluss auf Stimmungen und Entscheidungen der Wähler. Es ging keineswegs nur um die landespolitischen Themen im engeren Sinne.

Die AfD konnte ihre Position weiter ausbauen. In Thüringen bildet die AfD nun die stärkste Fraktion im neuen Landtag. Dort stellt sie mit ihren 32 (von 88) Sitzen mehr als ein Drittel der Abgeordneten und kann damit Entscheidungen, die einer Zweidrittel-Mehrheit bedürfen, blockieren bzw. in ihrem Sinne beeinflussen. In Brandenburg erreichte sie (30 von 88 Sitzen) ebenfalls diese Blockadestärke, während sie in Sachsen (bei 40 von 120 Sitzen) nur denkbar knapp verfehlt wurde.

Es sind aber nicht nur die Handlungsmöglichkeiten der größer gewordenen Landtagsfraktionen, die den AfD-Erfolg ausmachen. Die wichtigsten Auswirkungen sind indirekter Art. Erkennbar wird das durch die teils hektischen Profilierungsversuche der anderen Parteien bei Themen der AfD, z.B. die jüngsten Forderungen des CDU-Vorsitzenden Merz zur Zurückweisung von Migranten an den Grenzen und die Ankündigungen der Bundesregierung zur Verschärfung der Migrationsregeln.

Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) hat sich auf Anhieb mit zweistelligen Resultaten in den drei Bundesländern bei der Wählerschaft etabliert. Mit ihm ist auch bei der nächsten Bundestagswahl zu rechnen.

Die CDU hat unterschiedlich abgeschnitten. Vermutlich war sie als Oppositionspartei im Bund nicht so stark von der allgemeinen politischen Unzufriedenheit betroffen. Einen wirklichen Erfolg konnte sie aber nicht erzielen. In Thüringen erreichte sie einen Zuwachs von 1,9 Prozentpunkten, in Sachsen musste sie einen Rückgang um 0,2 Prozentpunkte hinnehmen. In Brandenburg sogar einen um 3,5 Prozentpunkte (jeweils im Vergleich zu den letzten Landtagswahlen).

Wenig überraschend haben die an der gegenwärtigen Bundesregierung beteiligten Parteien schlechte bis katastrophale Ergebnisse erzielt. Die FDP ist in allen drei Landtagen nicht mehr vertreten und hat die 5%-Hürde jeweils deutlich verfehlt. Die Grünen haben nur noch in Sachsen die 5% knapp geschafft.

Für die SPD hat sich in Sachsen und Thüringen der negative Bundestrend ausgewirkt und sie konnte letztlich froh sein, dort wieder in die Landtage einzuziehen, in Thüringen mit nur noch 6,1 % der Stimmen. Brandenburg dagegen ist eine Ausnahme. Dort kündigte Ministerpräsident Dietmar Woidke an, nur Ministerpräsident bleiben zu wollen, wenn die SPD wieder stärkste Partei wird. Und das Pokerspiel ist aufgegangen. Die SPD konnte im Schlussspurt des Wahlkampfs noch zusätzliche Stimmen mobilisieren und lag am Ende mit 30,9 % vor der AfD (29,2 %). Offensichtlich haben viele außerhalb der engeren SPD-Wählerschaft, die verhindern wollten, dass die AfD die stärkste Fraktion wird, diesmal SPD gewählt. Allerdings bedeutete dieser Erfolg der SPD gleichzeitig eine Schwächung ihrer Wunschpartner für eine Koalition.

Die Partei „Die Linke“ (PDL) musste starke Einbrüche hinnehmen. In Sachsen ist sie nur noch wegen zweier Direktmandate im Landtag, in Brandenburg gar nicht mehr. Auch wenn das nicht ganz überraschend kam, die Partei muss diese gravierende Niederlage erst einmal verdauen. Noch ist unklar, welche weiteren Konsequenzen für die Partei daraus folgen werden.

Alle anderen Formationen waren weitgehend erfolglos. Die „Freien Wähler“ gewannen in Sachsen (Leipzig Land 3) ein Direktmandat, blieben aber landesweit mit 2,3 % deutlich unter der 5%-Hürde, ebenso wie in Thüringen (1,3%) und Brandenburg (2,6 %). Die „Werteunion“ von Hans-Georg Maaßen blieb bedeutungslos (Sachsen 0,3%, Thüringen 0,6 %, Brandenburg 0,26 %). Anzumerken ist noch, dass in Sachsen mit den „Freien Sachsen“ eine weitere Rechtsaußen-Partei immerhin 2,2 Prozent erzielte.

Wenn man einmal annimmt, dass die Aussage der CDU, nach der es „keine Zusammenarbeit mit der AFD“ geben soll, auch nach den Wahlen noch gilt, wird die Bildung einer Koalition oder eventuell auch nur einer einigermaßen stabilen Minderheitsregierung in den drei Bundesländern schwierig werden. In Brandenburg erreichen SPD und CDU gemeinsam nur ein Patt bei den Abgeordneten (44 von 88). Eine absolute Mehrheit würde das Zusammengehen von SPD und BSW erfordern. In Sachsen und Thüringen ist eine Mehrheit gegen die AfD ohne eine Übereinkunft mit dem BSW bzw. der PDL nicht mehr möglich. In Thüringen ist für eine absolute Mehrheit im Landtag sogar die Einbeziehung von BSW und PDL, notwendig (CDU 23 Sitze + SPD 6 + BSW 15 = 44 Abgeordnete, es fehlt noch 1 Stimme zur absoluten Mehrheit von 45). Eine Zusammenarbeit über ein so breites Spektrum hinweg wäre für alle Beteiligten Neuland, es müssten sehr große politische Differenzen überbrückt oder irgendwie neutralisiert werden. Die Fragilität von solchen Regierungen ist offensichtlich.

Andererseits erwarten die Wähler von den Parteien gangbare Lösungen. Das erzeugt Druck, offen für eine Regierungsbeteiligung zu sein. Besonders für das BSW ist der Wahlerfolg deshalb auch zweischneidig. Denn es wird dadurch, sehr früh in seiner Entwicklung, zu Koalitionsverhandlungen „gezwungen“ und das unter sehr schwierigen und komplizierten Rahmenbedingungen. Wie die Partei damit konkret umgeht und welche Folgen daraus entstehen, wird sich zeigen. Auch bei den anderen Parteien bleibt abzuwarten, mit welcher Strategie und Taktik sie an solche Zweckbündnisse herangehen werden. Sollten die jeweiligen Regierungen nicht funktionieren, geht es nicht nur um deren Bestand im betreffenden Bundesland. Auch innerhalb der sie tragenden Parteien könnten dadurch Entwicklungen mit erheblichen Langzeitfolgen angestoßen werden.

Zur Zeit zeichnen sich die künftigen Regierungen noch nicht konkret ab, weder die Form noch die Inhalte. Die Verhandlungen werden wohl noch etwas dauern.

Ganz allgemein machen die Wahlergebnisse die fortschreitenden Verschiebungen im Parteienspektrum deutlich. Mit einem wichtigen Aspekt dieser Verschiebungen befasst sich der folgende Beitrag in diesen Heft „Die Früchte der Krise: Warum die AfD im Osten profitiert“.

Ein zweiter wichtiger Aspekt betrifft die linke Seite des Parteienspektrums, sprich die Situation bezüglich PDL und BSW.

Die PDL ist aus einem Zusammenschluss der PDS mit der von der SPD abgespaltenen WASG entstanden. Viele andere Linke, Gruppen und Einzelpersonen mit sehr unterschiedlichen politischen Erfahrungen und Biographien haben sich seitdem mehr oder weniger engagiert an der PDL beteiligt. Bei aller Kritik, die auch an dieser Partei geübt wurde, bestand der weitgehende Konsens: Es ist sinnvoll, eine linke parlamentarische Vertretung zu haben. Eine solche eröffnet Möglichkeiten und Spielräume.

Allerdings ist ihr Charakter als breite Sammelbewegung auch ein Teil des Problems der PDL. Denn dadurch war und ist die PDL in sich politisch sehr heterogen, auch was grundsätzliche Fragen anbelangt. Dementsprechend konnte sich die Partei als Ganzes nie wirklich darauf einigen, was die wichtigsten Aufgaben der Partei sind bzw. sein sollten und welche Schwerpunkte zu setzen sind. Was ebenfalls nicht stattfand, war ein (allmähliches) Zusammenwachsen der Strömungen, verbunden mit einer Vereinheitlichung ihrer Positionen. Auch die weniger anspruchsvolle Variante des Zusammenwirkens, die Verständigung auf einen Minimalkonsens, der in der Öffentlichkeit vertreten wird, bei sonstiger Beibehaltung der verschiedenen Positionen, hat höchstens mehr schlecht als recht funktioniert. Die harsche Diskussionskultur innerhalb der Partei war und ist berüchtigt. Durch den Austritt von Sahra Wagenknecht und ihren Unterstützer:innen hat eine besonders virulente Ursache von innerparteilichem Streit ein Ende gefunden. Aber das war bei weitem nicht der einzige Streitpunkt. Die Heterogenität in der verbleibenden PDL ist weiterhin groß.

Die jüngsten Landtagswahlen haben betätigt, das BSW hat zur Zeit den größeren Wählerzuspruch. Die zukünftigen Wahlchancen der PDL sind dagegen ungewiss. Es ist fraglich, ob sie bei den nächsten Bundestagswahlen den Einzug ins Parlament schaffen kann.

Beim BSW gibt es noch viele offene Fragen. Der gewählten Vorgehensweise einer Parteigründung von oben herab kann man zwar ein gewisses Verständnis entgegenbringen, weil dadurch chaotische und lähmende Diskussionsprozesse vermieden werden konnten. Andererseits stellt sich dadurch auch die Frage, was eigentlich die Substanz dieser Partei ist, was sie wirklich darstellt, wenn man einmal von ihrer Galionsfigur und Namensgeberin absieht.

Ein Parteiprogramm mit ausführlichen Begründungen der eigenen Positionen wurde noch nicht vorgelegt. Im Wahlkampf wurden die vorhandenen Probleme der Menschen vom BSW aufgegriffen, die Aussagen und Lösungsvorschläge dazu bleiben aber oft vage. Die bisher propagierten Inhalte bieten durchaus Anlass für ein erhebliches Maß an Skepsis gegenüber den Vorstellungen des BSW. Dazu nur ein Beispiel. Es ist sehr oft lobend von der „sozialen Marktwirtschaft“ die Rede, von der Förderung des Mittelstandes, von „unserer Wirtschaft“. Man fragt sich, welche Gesellschaftsanalyse solchen Aussagen zu Grunde liegt.

Das BSW bezieht sich mit seiner Rhetorik und den konkreten Forderungen auf das gegenwärtige Bewusstsein vieler arbeitender Menschen und kann damit bei Wahlen punkten. Deswegen ist es aber noch keine Klassenpartei, insbesondere keine Klassenpartei, die die konsequente Vertretung der Interessen der Arbeiterklasse leisten kann und will.

Die oben kurz skizzierte Entwicklung stellt alle Linken (innerhalb und außerhalb von Parteien) vor schwierige Aufgaben. Einerseits macht die Rechtsentwicklung, wie sie im Erstarken der AfD zum Ausdruck kommt, eine linke Alternative in der Politik immer dringlicher. Andererseits wird die Lage durch die Aufspaltung in PDL und BSW nicht einfacher. Insbesondere, weil in beiden Parteien auch unklare und problematische Positionen vertreten werden. Bei aller Vorsicht in der Beurteilung einer noch jungen Partei, das BSW ist sicher nicht die konsequent linke Partei, die sich Marxisten wünschen würden. Aber es geht nicht um Wünsche. Die Lage ist so wie sie ist und das politische Bewusstsein der Menschen ist auch so wie es ist. Wegen der ungünstigen Ausgangslage ist nicht auszuschließen, dass die weitere Entwicklung zuerst einmal zusätzliche Verwirrung stiftet und neue Illusionen erzeugt. Notwendig ist in dieser Situation die nüchterne und illusionslose Beurteilung der real stattfindenden politischen Auseinandersetzungen, welche Entwicklung sie nehmen und welche Widersprüche dabei auftreten. Vielleicht eröffnen sich dadurch neue Chancen für konsequent antikapitalistische Kräfte.

(Stand 24.09.2024)