von Georg Auernheimer

 

August Thalheimer (1884 – 1948), der theoretische Kopf der KPO, hat zwar in der parlamentarischen Demokratie die Plattform für den Klassenkampf gesehen, aber erkannt, dass diese Demokratie durch die „Verselbständigung der Exekutivgewalt“ in der Weimarer Republik nicht mehr ihrem Anspruch gerecht wurde. Ob Thalheimer auch um die Machenschaften der damaligen „Eliten“ hinter verschlossenen Türen gewusst hat, kann offen bleiben. Die Vertreter von Großindustrie und Großbanken planten am Ende der Weimarer Republik in ihren Villen und den Konferenzräumen von Banken den Übergang zur NS-Herrschaft. Die aus den Reihen der Harzburger Front initiierte „Arbeitsstelle“, der von der NSDAP initiierte „Keppler-Kreis“, der „Herrenclub“ oder die „Ruhrlade“, wo die führenden Vertreter der Stahl- und Elektroindustrie, des Bergbaus, der chemischen Industrie und der Banken mit Regierungsmitgliedern, sonstigen Vertretern der Exekutive und der Führung der NSDAP zusammenkamen, dienten der Organisation des Umsturzes.1

Auch in der Bundesrepublik und vor allem innerhalb der EU haben sich Konzerne und Banken im Lauf der Zeit wieder große Einflussmöglichkeiten verschafft, wobei der Unterschied zwischen damals und heute nicht verkannt werden soll. Damals diente die Politik des Kapitals unter Missachtung demokratischer Verfahren dem gezielten Umsturz. Heute dienen die runden Tische und Councils der Durchsetzung der Kapitalinteressen in der Krise des Systems, wobei die demokratischen Institutionen und Formalia auf lange Sicht beibehalten werden sollen, weil man gut damit auskommen kann. Im Fokus stehen dabei vielfach die transatlantischen Bindungen. Dem Souverän überlässt man noch einige Einflussmöglichkeiten.

Die transnationalen Institutionen, die auf globaler Ebene der Durchsetzung der neoliberalen Agenda dienen, nämlich Welthandelsorganisation (WTO), Weltwirtschaftsforum (WEF) und die G7, lassen wir mit Rücksicht auf den Umfang des Artikels unberücksichtigt. Erwähnt seien nur die von der WTO etablierten Streitschlichtungsverfahren, die die gewachsene Macht des Kapitals beleuchten. Mit ihnen können sich Konzerne gegen schwindende Gewinnerwartungen durch neue Umweltgesetze, arbeitsrechtliche Regelungen oder ähnliches wehren.

Vernachlässigt wird im Folgenden auch die Kapitalmacht, die sich allein aus den faktisch geschaffenen Abhängigkeiten der Politik, verschärft durch die neoliberale „Entbettung“ der Wirtschaft (Altvater), ergibt, das was Jeffrey Sachs als Corporatocracy bezeichnet. Für die USA hat er vier Machtkomplexe ausgemacht: den militärisch-industriellen Komplex, die Finanzindustrie oder die Wall Street, den Ölsektor und die Pharmakonzerne. In der Bundesrepublik gibt es keine Entsprechung zu den vier Machtkomplexen, denen Sachs eine entscheidende Rolle für die US-Politik zuschreibt. Nur dem Einfluss der Autoindustrie und der Energiewirtschaft auf die bundesrepublikanische Verkehrs- und Klimapolitik kann man eine analoge Bedeutung zuschreiben. Deren Macht verdankt sich wie in den USA einerseits dem Lobbyismus, andererseits einfach der Abhängigkeit von geschaffenen Tatsachen, solange man am bisherigen Entwicklungspfad festhält.

Innerhalb der EU lassen sich eher Tendenzen zur Corporatocracy feststellen. Hier spielen der Finanzsektor, und zwar unter massiver Beteiligung von US-Vermögensverwaltern und Fonds, die Chemie- und Agrarkonzerne und vielleicht noch die Energiewirtschaft eine ähnliche Rolle wie die großen Vier in den USA. Zur Zeit erwecken die deutsch-französischen Kooperationsprojekte zur Entwicklung eines gemeinsamen Luftkampfsystems und Kampfpanzersystems (Wagner 2022, 123ff.) den Eindruck, dass sich ein militärisch-industrieller Komplex entwickeln könnte, der die europäische Politik auf einen bestimmten Entwicklungspfad zwingt.

Generell muss man sich die politischen Einflussmöglichkeiten vergegenwärtigen, die sich Konzerne und Banken geschaffen haben. Geballte Kapitalmacht ist versammelt im European Round Table of Industrialists (ERT), 1983 von 17 europäischen Konzernvertretern gegründet, darunter zum Beispiel die CEOs oder Eigentümer von Thyssen, Siemens, Fiat. Das Gründungsmotiv war die Belebung des europäischen Binnenmarkts, vor allem durch den Abbau wachstumshemmender Regulierungen. Auch die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts war den Teilnehmern wichtig. Die heute über 45 Vertreter transnationaler Konzerne halten regelmäßig Kontakt miteinander, was ihren Einfluss ahnen lässt (Hofbauer 2014, 148ff.).

Die älteste Gruppierung dieser Art, der Council on Foreign Relations (CFR), wurde schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg von US-amerikanischen Großbanken und Konzernen gegründet und hat transatlantischen Charakter. Für Arundhati Roy ist es die „heute mächtigste außenpolitische Interessengruppe“ (2012, 65). Sie hat seit 1946 alle Weltbank-Präsidenten gestellt. Zu den heute 250 Corporate Members zählen auch die Deutsche Bank und BASF. Neben Unternehmen bilden circa 4.500 Angehörige der transnationalen Kapitalistenklasse die Mitgliedschaft. Im Magazin 'Der Spiegel' wurde eine Reportage über die Organisation 1975 betitelt „Ein Politbüro für den Kapitalismus?“2 Dabei geht es vor allem um einen US-geführten Kapitalismus. Der CFR stiftete 1921 „die verhängnisvolle Freundschaft“ mit den USA zur wirtschaftlichen Durchdringung Europas (Rügemer 2023). Und nach dem Zweiten Weltkrieg hat er mit dem sog. Marshall-Plan maßgeblich die Nachkriegsordnung und den zukünftigen Weg Europas mitbestimmt und das vorangetrieben, was die Leitmedien der USA 1940 als Kriegsziel formuliert hatten, nämlich die Welt in ein „Amerikanisches Jahrhundert“ zu führen.

Die transatlantischen Zirkel dominieren unter diesen Gremien, die das Licht der Öffentlichkeit eher scheuen. Neben der Trilateralen Kommission, in der seit 1973 die Kooperationsbeziehungen zwischen dem US-amerikanischen, europäischen und japanischen Kapital gepflegt werden, ist die Atlantik-Brücke die Organisation, der vor allem die außenpolitische Abstimmung in der geopolitischen Auseinandersetzung aufgetragen ist. Schon bald nach 1945 gründete man in den USA, um dem Werben der sowjetischen Führung um eine geeintes Nachkriegsdeutschland den Boden zu entziehen, zwei Nichtregierungsorganisationen, mit denen die Bindung der westdeutschen Eliten an die USA gestärkt werden sollte. Das waren die Atlantik-Brücke e.V. und der American Council on Germany, beide 1952 gegründet. Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 gewannen beide neue Bedeutung. Denn man konnte in den USA kein Interesse daran haben, dass Gorbatschows Vision von einem „gemeinsamen europäischen Haus“ Wirklichkeit würde. Das hätte eine Schwächung der transatlantischen Beziehungen zur Folge gehabt oder haben können. Im Atlantic Council, gegründet 1961, sind ebenfalls privatwirtschaftliche und politische Akteure vernetzt. Manche Mitglieder wechseln in hohe Regierungsämter. Zu den Sponsoren gehören Chevron, Airbus, Deutsche Bank, aber auch Regierungen, darunter die EU-Kommission.

Man kann von einer neuen Form des informellen Policy Making sprechen. „‘Gentlemen’s agreements‘ bzw. Mauscheleien vermögender Personen ersetzen förmliche und daher transparente Abkommen“ (Altvater 2007, 330) bzw. bereiten formelle Abkommen vor. Neben der Einbindung politischer Entscheidungsträger und Meinungsmacher in solchen Netzwerken darf die militantere Form des Klassenkampfs nicht vergessen werden. Werner Rügemer (2018) macht auf die Phalanx von Wirtschaftsprüfern, Unternehmensberatern (am bekanntesten McKinsey), Wirtschafts- und Anwaltskanzleien aufmerksam – alles internationale Akteure, finanziert von internationalen Kapitalorganisatoren (216ff.). Wirtschaftskanzleien helfen bei der Durchsetzung von Profitinteressen gegen öffentliche Interessen, Anwaltskanzleien helfen dabei, eine gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb zu verhindern oder widerständige Betriebsräte auszuschalten.

Mit dem Zusammenschluss der europäischen Staaten in der Europäischen Union ist den politischen Eliten das Meisterstück einer Reform zugunsten der Kapitalinteressen gelungen. Mit den neoliberalen Organisationsprinzipien hat die EU die nationalen Verfassungen der Nachkriegszeit überholt und entwertet.3 Austerity, Deregulierung, Wettbewerb und die Privatisierung öffentlicher Dienste und Infrastrukturen bilden zusammen ein konsistentes bürgerfeindliches Politikkonzept, das dem angeblichen Souverän der Demokratie nicht mehr viel Einfluss und Kontrolle ermöglicht.

Allein schon die Verlagerung von politischen Entscheidungen auf die supranationale Ebene begünstigt nach Markus Wissen (2011) machtvolle Interessen. 80 Prozent der Entscheidungen des Deutschen Bundestags beruhten schon um 2008 auf Entscheidungen der EU-Kommission oder wurden davon beeinflusst (Klein 2008, 203). Dabei ist die Politik auf EU-Ebene unter anderem wegen der Intransparenz der Entscheidungsprozesse mehr als auf nationaler Ebene anfällig für Lobbyismus. „Die EU ist aufgrund der politischen Relevanz und ihrer hoheitlichen Rechte zu einer Hochburg für Lobbyisten geworden“ (Frantz/Martens 2006, 109, vgl. Hofbauer 2014, 132).4 Gefördert wird das auch durch die Intransparenz des riesigen Verwaltungsapparats in Brüssel. Zum Einfluss der Lobbygruppen, zum Beispiel der Chemie- und Agrarkonzerne, kommt das Netzwerk von unternehmensnahen Thinktanks und Organisationen wie der schon genannten Trilateralen Kommission. Es kann zum Beispiel nicht verwundern, dass das EU-Parlament vor kurzem wieder grünes Licht für Glyphosat und Gentechnik gegeben hat, obwohl dies offenbar nicht nur dem Urteil vieler Agrarexperten, sondern auch dem Mehrheitswillen widerspricht.

Das Demokratiedefizit der EU ist insofern grundlegend, als das EU-Parlament nicht die Maßstäbe einer Legislative erfüllt; denn es hat kein Initiativrecht imGesetzgebungsverfahren. Das heißt, das Parlament kann keine Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen, sondern es kann nur die von der Kommission, der Exekutive also, eingebrachten Gesetzentwürfe annehmen, ablehnen oder modifiziert an den letztentscheidenden Rat, das gemeinsame Organ der Staats- und Regierungschefs, weiterreichen. Dasselbe Verfahren gilt für die Wahl des Kommissionspräsidenten. Abweichend von den üblichen Rechten eines Parlaments hat das EU-Parlament auch kein Budgetrecht, ein für bürgerliche Parlamente traditionell elementares Recht. Der EU-Haushalt, der von der Kommission entworfen wird, bedarf zwar auch der Zustimmung des Parlaments. Aber entscheidend ist die Zustimmung des Rats der Europäischen Union, was insofern verständlich ist, als die Union ihren Haushalt aus den Beiträgen der Mitgliedsstaaten bestreitet. Die EU selbst kann keine Abgaben und Steuern erheben.

Die EZB ist zwar formell dem EU-Rat und EU-Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Aber dies erschöpft sich in Jahresberichten, eventuell ergänzt um parlamentarische Anfragen. Der Fiskalpakt zur EU-weiten Durchsetzung der Austerity, beschlossen 2012, kommt der Entmündigung der nationalen Parlamente gleich; denn deren Budgethoheit geht auf die EU-Kommission über, weil dieser alle Haushaltspläne zur Kontrolle der finanziellen Stabilität vorgelegt werden müssen. „Im Ergebnis verlieren die nationalen Parlamente so unmittelbar das letzte Wort in Sachen Haushaltspolitik“, so der Rechtswissenschaftler Andreas Fisahn (zit. nach Hofbauer 2014, 91). Völlig der demokratischen Kontrolle entzogen ist der von den Euro-Ländern in zwischenstaatlichen Verträgen vereinbarte Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der wie der Internationale Währungsfonds als Kapitalgesellschaft eingerichtet ist und Notkredite oder Bürgschaften für defizitäre Volkswirtschaften oder marode Banken innerhalb der EU bereitstellen soll. Obwohl die Mitgliedsstaaten mit Milliardenbeträgen haften, sind die Bediensteten des ESM keiner gewählten Instanz gegenüber verantwortlich. So waren übrigens auch die „Rettungsschirme“ zur Zeit der Finanzkrise der Intervention des EU-Parlaments entzogen. Dabei entschieden die mit den Zahlungen verbundenen Auflagen über den Lebensstandard ganzer Bevölkerungen.

Die Wählerinnen und Wähler können auch nur bedingt die Zusammensetzung des EU-Parlaments bestimmen, weil sich die von ihnen gewählte Partei mit Parteien aus anderen Ländern zusammentun muss, um eine Fraktion zu bilden. Aber die Parteien eines politischen Spektrums unterscheiden sich bei aller Gemeinsamkeit nicht unbeträchtlich von Land zu Land aufgrund unterschiedlicher nationaler Traditionen und politischer Kulturen. Das verweist auf einen weiteren Aspekt: Es gibt nur ansatzweise eine europäische Öffentlichkeit, die als kritisches Organ wirken könnte. Auch die demokratische Legitimation der Kommission als Quasi-Regierung ist fragwürdig; denn die Kommissare werden von den nationalen Regierungen nominiert. Sie müssen sich lediglich einer Anhörung durch das Parlament stellen.

Der Wähler hat auf die politischen Entscheidungen auf EU-Ebene so wenig Einfluss wie der Wähler in den USA auf die Politik der Administration. Aber auch was er innerhalb seines Landes befürwortet oder ablehnt, ist seinem Votum meist entzogen. Denn die Parteien können ihm vor der Wahl alles Mögliche versichern. Aber sie können es oft nicht einlösen, weil EU-Richtlinien dem entgegenstehen. Die demokratische Kontrolle der Politik der EU-Kommission, die dem Normalbürger weitgehend entgeht, ist unzureichend. Wer weiß schon von der „Kapitalmarktunion“, die seit 2015 die Deregulierung des Finanzmarkts vorantreibt und damit die Spekulation begünstigt (Lemaire/Plihon 20216)? Dass die EU entgegen der Gründungsakte mit der „Europäischen Globalstrategie“ auch zur Militärmacht werden will, kann dem Wähler angesichts der Vorgaben der NATO schon egal sein. Auf beides hat er keinen Einfluss.

Die EU hat den „freien Wettbewerb“ zum konstitutiven Merkmal der Union erhoben und damit die Macht der Konzerne gegenüber den nationalen Regierungen gestärkt und die Gegenmacht der Gewerkschaften geschwächt. Dazu dienten zum Beispiel die EU-Dienstleistungsrichtlinie, die Dezentralisierung von Tarifverhandlungen und die Liberalisierung des Kündigungsschutzes (dazu Rüb/Müller 2013, Rügemer 2020). Dabei hätte die EU dem durch die Globalisierung bedingten Unterbietungswettbewerb bei Steuern, Umweltstandards und beim Arbeitsrecht Grenzen setzen können. Stattdessen hat man den Wettbewerb ins Innere der Union verlagert.

Ein wichtiger Schritt dazu war die Privatisierung öffentlicher Dienste und Infrastrukturen (Auernheimer 2021), um sie zueinander in Konkurrenz zu setzen. Im Vertrag von Amsterdam haben sich die EU-Staaten 1999 dazu verpflichtet, den Kurs der Privatisierung einzuschlagen (Crouch 2015, 116). Die Entmachtung der Bürgerinnen und Bürger wird dadurch verstärkt. Denn mit der Privatisierung hat der Staat „öffentliche Güter wie Gesundheit, Wohnen, Sicherheit, Bildung und Kultur in Handelsgüter verwandelt und deren Nutzer in Kunden“ (Bourdieu 1999, 27). Bourdieu sah damals darin ein „amerikanisches Modell“. Inzwischen ist dieser Prozess viel weiter fortgeschritten. Private Dienste bestimmen unseren Alltag. Das Problem dabei ist: Als Bürger konnte ich Einfluss nehmen auf die gesundheitliche Versorgung, die Energieversorgung oder die Müllentsorgung in der Region. Als Kunde kann ich das nur teilweise. Colin Crouch meint sogar: „Zwischen den Menschen und dem Dienstleister gibt es keinerlei Verbindung – weder durch den Markt noch durch ihren Status als Staatsbürger“ (2015, 129). Die Privatisierung kommunaler Krankenhäuser, Altersheime, Wohnbaugesellschaften und Verkehrsmittel hat auch den Spielraum kommunaler Politik eingeengt, zum Teil massiv eingeengt. Aufgrund der Armut der öffentlichen Hand sind manche Kommunen inzwischen fast handlungsunfähig. Die durch die so genannte Schuldenbremse verschärfte Haushaltskrise hat vermutlich alle Kommunen in Schockstarre versetzt.

Eine logische Konsequenz der Verschlankung des Staates ist neben der Privatisierungspolitik der Bedeutungszuwachs des Stiftungswesens, der ebenfalls mit dem Verlust der öffentlichen Kontrolle über gesellschaftlich bedeutsame Initiativen und Einrichtungen einhergeht. Über die Verwendung der Geldmittel, die dem staatlichen Fiskus entzogen sind, entscheiden Vorstände, Kuratorien oder der jeweilige Stifter ganz nach seinem Gusto, d.h. nach Maßgabe seiner philanthropischen Neigungen. An die Stelle demokratischer Legitimation tritt der Ausweis durch „soziale Verdienste“ oder den erworbenen Reichtum. Roy (2012) spricht vom „Imperialismus der Wohltäter“. „In den Stiftungen ging man daran, das Konzept einer Global Corporate Governance zu entwickeln, einer Weltherrschaft der Konzerne“ (Roy 2012, 65).

Die Bertelsmann-Stiftung beispielsweise, die innerhalb der Bundesrepublik bereits großen Einfluss ausübt (Rügemer 2011, 68f.), nimmt seit Gründung der Bertelsmann Foundation in den USA auch Einfluss auf die internationale Politik. Sie hat zum Beispiel einen runden Tisch von Kongress-Abgeordneten und Abgeordneten des EU-Parlaments initiiert und die transatlantischen Freihandelsabkommen protegiert. Mit dem jährlich erstellten Standort-Ranking, mit dem die Aussichten auf Wachstum und Beschäftigung der Industriestaaten bewertet werden, beansprucht die Stiftung ein wirtschaftspolitisches Urteil auf internationaler Ebene. Ein „Reformindex“ soll die Reformfähigkeit von Staaten messen. Auf nationaler Ebene nimmt sie mit Studien und Gutachten längst Einfluss auf die Bildungs- und Gesundheitspolitik. Sie hat zum Beispiel 1994 gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz das Zentrum für Hochschulentwicklung als gemeinnützige GmbH gegründet. Erklärtes Ziel war es, „die Hochschulen von der staatlichen Regulierung zu befreien“. Ein Gutachten glorifiziert Public Private Partnership als Modell der Zukunft.

Der Klassenkampf, wie er früher im nationalen Rahmen ausgetragen wurde, ist einem Krieg mit vielen Fronten auf transnationaler Ebene gewichen, zwischen Kapitaleignern und -verwaltern auf der einen und der Masse der abhängig Beschäftigten auf der anderen Seite, zwischen Transnationalen Konzernen und ihren mittelständischen Zulieferern, zwischen Agrarkonzernen und Discountern einerseits und bäuerlichen Produzenten andererseits, zwischen denen, die in den reichen Ländern und in den Gated Communities der Schwellenländer mehr oder weniger Wohlstand genießen, und den gegen Armut und Perspektivlosigkeit Kämpfenden an der Peripherie. So werden im globalen Rahmen verschiedene Kämpfe von unterschiedlichen Akteuren ausgetragen, von Thinktanks, Foren, elitären Netzwerken, Stiftungen, Umweltverbänden, Bauernverbänden, Gewerkschaften und anderen NGOs.

 

 

1 Hörster-Philipps 1977

2 Zitiert nach Hofbauer 2014, 144

3 Zu den radikaldemokratischen Elementen in der italienischen Verfassung Philipp Becher über P. Togliatti „Verfassungstreuer Revolutionär“ in jW v. 21.08.24, S.12/13. Eine zukunftsoffene Interpretation des GG hat Wolfgang Abendroth geliefert.

4 Um 2005 waren nach Frantz/ Martens (2006) mindestens 15.000 Lobbyisten am Sitz der EU-Kommission aktiv.

 

Literatur:

Altvater, Elmar (2007): Von Nairobi nach Heiligendamm. Global Governance und der Kampf um Hegemonie. In: Blätter f. dt. u. internat. Politik, S.329f.

Auernheimer, Georg (2021): Wie gesellschaftliche Güter zu privatem Reichtum werden. Über Privatisierung und andere Formen der Enteignung. Köln: PapyRossa.

Bourdieu, Pierre (1999): Die Durchsetzung des amerikanischen Modells und seine Effekte. In: Sozialismus, H.12.

Crouch, Colin (2015): Postdemokratie. 11. Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Frantz, Christiane/Martens, Kerstin (2006): Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss.

Hofbauer, Hannes (2014): Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter. Wien: Promedia.

Hörster-Philipps, Ulrike (1977): Großkapital, Weimarer Republik und Faschismus. In: Kühnl, Reinhard/Hardach, Gerd (Hrsg.): Die Zerstörung der Weimarer Republik. Köln: Pahl-Rugenstein.

Klein, Dieter (2008): Krisenkapitalismus. Wohin es geht, wenn es so weitergeht. Berlin: Karl Dietz Verlag.

Lemaire, Frédéric/Pilhon, Dominique (2016): Eine finanzpolitische Zeitbombe. Die geplante Kapitalmarktunion setzt auf mehr Deregulierung in der EU. In: Le Monde diplomatique 01/16, S.9

Rüb, Stefan/Müller, Torsten (Hg.) (2013): Arbeitsbeziehungen im Prozess der Globalisierung und Europäischen Integration. Baden-Baden: Nomos.

Rügemer, Werner (2011): Heuschrecken im öffentlichen Raum. Public Private Partnership. 2.Aufl. Bielefeld: transcript.

Rügemer, Werner (2018): Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Köln: Papyrossa.

Rügemer, Werner (2020): Imperium EU. Arbeitsunrecht, Krise, neue Gegenwehr. Köln: Papyrossa.

Rügemer, Werner (2023): Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten. Erste Stufe. Köln: Papyrossa.

Roy, Arundathi (2012): Kapitalismus. Eine Gespenstergeschichte. 2. Teil, Der Imperialismus der Wohltäter. In: Blätter f. dt. u. internat. Politik, S.63-74.

Sachs, Jeffrey (2011): The Price of Civilization: Reawakening American Virtue and Prosperity. New York: Random House.

Wagner, Jürgen (2022): Im Rüstungswahn. Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung. Köln: Papyrossa.

Wissen, Markus (2011): Gesellschaftliche Naturverhältnisse in der Internationalisierung des Staates. Münster: Westfälisches Dampfboot.