Die Wahlen am 5. November in den USA endeten mit einem klaren Erfolg von Donald Trump. Entgegen den Erwartungen gab es kein Kopf-an-Kopf-Rennen, das durch einen hauchdünnen Stimmenvorsprung in wenigen „Swing-States“ entschieden worden wäre, sondern ein eindeutiges Ergebnis. Trump konnte sogar, anders als 2016, die Mehrheit aller abgegeben Stimmen (50,2 %) auf sich vereinen. Darüber hinaus konnten die Republikaner eine knappe Mehrheit im Senat erobern und ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigen, wenngleich nur knapp.
Der Kandidat Trump war auch diesmal ein sehr spezieller, der im Wahlkampf hemmungslos agierte, mit Lügen, Hetze, unrealistischen Versprechungen und Drohungen gegen seine Gegner. Manchmal gab er auch nur wirres Zeug von sich. Er versprach mehr oder weniger allen alles. Aussagen, die sich mit den Risiken und Nebenwirkungen seiner Ankündigungen auseinandergesetzt hätten, blieben dagegen Mangelware.
Trotzdem hat die Mehrheit der Wählerschaft ihm ihre Stimme gegeben. Einer der Gründe dafür dürfte gewesen sein, dass die Demokraten kein eigenes zentrales Ziel oder Projekt anzubieten hatten, das die Wähler mobilisiert hätte. Das Ziel, Trump zu verhindern, also das kleinere Übel zu sein, war zu wenig. Die Abtreibungsfrage war im Ansatz ein solches Projekt, hat aber nicht ausgereicht. Eventuell, weil diese Frage auf Einzelstaatsebene zu regeln ist und damit nicht zur Wahl stand. Die in mehreren Bundesstaaten gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zur Abtreibungsfrage zeigten, dass liberale Regelungen nach wie vor eine erhebliche Zustimmung erfahren. Die Beispiele Missouri und Florida zeigen aber auch: Mehrheiten für eine liberale Regelung der Abtreibung müssen nicht mit Mehrheiten für die Demokraten bei der Präsidentenwahl einhergehen. (In Missouri stimmten 52% dafür, liberalere Regeln als das bisherige fast vollständige Verbot in der Verfassung des Staates zu verankern. Trump erzielte gleichzeitig eine Zustimmung von 58,5 %. In Florida sprachen sich 57 % für eine liberale Regelung aus, 56,1 % wählten Trump. Das Referendum zur Abtreibungsfrage scheiterte aber letztlich, da in Florida eine Zustimmung von mindestens 60% notwendig gewesen wäre.)
Ein zweiter Punkt zur Erklärung des Wahlergebnisses liegt in der Wahrnehmung des Wirtschaftsverlaufs durch viele Wähler. Die Jahre der ersten Präsidentschaft von Trump sind als Jahre des Wirtschaftswachstums mit sinkender Arbeitslosigkeit, tendenziell steigenden Löhnen und einer relativen Preisstabilität in Erinnerung geblieben. Biden und Harris dagegen werden mit Inflation und sinkendem Realeinkommen verbunden. Selbstverständlich lässt sich argumentieren, dass der relativ günstige Wirtschaftsverlauf nach 2016 wenig mit einer besonders gelungenen Wirtschaftspolitik von Trump zu tun hatte. Die ersten Jahre seiner Amtszeit fielen in eine Phase des allgemeinen Aufschwungs, auch international. Die Wende zur Inflation vollzog sich bereits unter seiner Präsidentschaft, die Auswirkungen waren aber erst unter Biden wirklich spürbar. Trump hatte also einfach Glück. Eine solche Sichtweise ließ sich aber offensichtlich nicht vermitteln.
Im Gegensatz zu 2016 scheint diesmal die Präsidentschaft viel gründlicher vorbereitet zu sein. Mehrere Trump nahestehenden Initiativen haben sich damit befasst. Zu nennen ist besonders das „Projekt 2025“ der Heritage Stiftung ( https://www.project2025.org ). Koordiniert von dieser Stiftung hat eine große Zahl von Autoren aus dem rechts-konservativen Spektrum auf über 900 Seiten ausgearbeitet, was nach einer gewonnenen Wahl aus ihrer Sicht zu tun wäre. Aber es ist nicht nur dieses Text-Dokument. Es gibt auch eine Datenbank mit angeblich tausenden Namen und Profilen von zuverlässig konservativen Personen, die nach der Wahl Positionen in Regierung und Verwaltung übernehmen könnten. Es wurden Kapazitäten zur Schulung von (neuen) Regierungs-mitarbeitern geschaffen, die „Presidential Administration Academy“, und es wurden viele Dekrete vorbereitet - bereits fertig ausformuliert -, die dann gleich in den ersten Tagen nach Amtsantritt am 20. Januar vom Präsidenten in Kraft gesetzt werden könnten.
Trump selbst hat zwar im Wahlkampf erklärt, er hätte mit der Heritage Stiftung nichts zu tun und hätte die Ausführungen nicht gelesen. Das ist unglaubwürdig und vermutlich rein taktisch motiviert, einmal um kritischen Fragen auszuweichen, aber auch, um sich grundsätzlich auf nichts allzu Konkretes festlegen zu lassen. Denn Trump ist prinzipiell unberechenbar und will auch so wahrgenommen werden. Das ist sein Charakter und darauf beruht ein Großteil seines Politikstils. Er will mit unkonventionellen und als unwahrscheinlich eingestuften Handlungen alle überraschen und beeindrucken, Gegner genauso wie nominell Verbündete.
Bis in die jüngere Vergangenheit agierten die beiden traditionellen Parteien sehr oft auf der Basis eines Grundkonsens über wichtige politische Fragen. Dieses gemeinsame Fundament sorgte dafür, dass, bei allen Unterschieden im Detail, über lange Zeit bei den großen Linien eine relative Konstanz in der US-amerikanischen Politik zu beobachten war.
Allerdings hat sich die republikanische Partei in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich verändert. Waren die Republikaner früher eine typische Partei des „Establishments“, haben sie seit dem Aufkommen der sogenannten „Tea Party Bewegung“ immer deutlicher eine kritische Haltung gegen „die Eliten“ kultiviert. Generell lässt sich eine Entwicklung nach rechts feststellen. Auch Kreise vom äußersten rechten Rand üben inzwischen beträchtlichen Einfluss aus. Unter Trump gab es außerdem eine Neuausrichtung bei einigen zentralen Themen. Früher standen die Republikaner für Freihandel, Budgetdisziplin und enge, meistens einvernehmliche Beziehungen zu den Bündnispartnern (etwa innerhalb der NATO). Das gilt jetzt nicht mehr, zumindest nicht mehr eindeutig. Das gemeinsame politische Fundament ist stark ins Wanken geraten. Der Wahlsieg wird von vielen Unterstützern Trumps als Auftrag interpretiert, Staat und Gesellschaft umzubauen. Dabei ist noch nicht festgelegt, was genau in Zukunft gelten soll. Da sind gemäßigte und radikale Wege denkbar. Von den radikalen konservativen Ideologen wird gerne die Formel von der „schöpferischen Zerstörung“ bemüht, die jetzt unbedingt eingeleitet werden müsse. Gleichzeitig ist das alte Fundament (z.B. Wirtschaftsbeziehungen auf Basis des Freihandel) immer noch die Grundlage für das Funktionieren der gegenwärtigen Gesellschaft. Jeder größere Eingriff ist mit entsprechenden Risiken verbunden. Den Protagonisten, zumindest den klügeren, ist dieses Risiko durchaus bewusst.
Deshalb gibt es jetzt diesen spannungsgeladenen Schwebezustand. Gravierende, umstürzende Veränderungen sind möglich, ja sogar wahrscheinlich. Die entsprechenden Ankündigungen sind ernstzunehmen und keineswegs nur Schaumschlägerei. Gleichzeitig ist aber auch immer damit zu rechnen, dass in der Realität vieles eine Nummer kleiner, harmloser und unspektakulärer ausfällt. Einmal, weil auch Trump und seine diversen Unterstützer sich keineswegs immer einig sind oder weil sich bei der Umsetzung sehr schnell eklatante Widersprüche zeigen, Widerstand geleistet wird, Hindernisse nicht beseitigt werden können und/oder die Tagespolitik nach einer vorsichtigen Taktik verlangt.
Dazu ein paar Beispiele. Ziemlich sicher wird eine Wende in der Umwelt- und Klimapolitik vollzogen werden. Ob darin allerdings eine Rücknahme der Projekte eingeschlossen ist, die von Biden mit dem „inflation reduction act“ eingeleitet wurden, ist nicht mehr so klar. Denn auch Republikaner bzw. die ihnen nahestehenden Kreise profitieren von diesen Subventionen. Kompetenzen für Umweltschutz und dergleichen liegen oft bei den Einzelstaaten. Deshalb sind viele Maßnahmen und Regelungen von Trumps Entscheidungen nicht direkt betroffen. Ein Effekt, der auch schon bei seiner ersten Präsidentschaft zu beobachten war.
Sicher wird Trump gegen die Migration vorgehen. Deshalb sind auch spektakuläre Maßnahmen wie Massenabschiebungen zu erwarten. Dieses Thema hat im Wahlkampf eine große Rolle gespielt, da muss gehandelt werden. Fraglich ist aber, ob wirklich versucht wird, die Migration konsequent zu unterbinden, schließlich gilt es auch das Interesse nach billigen Arbeitskräften zu berücksichtigen.
Im Wahlkampf wurden vielfältige und radikal hohe Zölle angekündigt. Sicher werden einige Zölle eingeführt und noch mehr wird angedroht werden. Wie weitgehend die Abschottung durch Zölle aber wirklich gehen wird, dürfte noch offen sein. Denn Zölle sind eine zweischneidige Sache. Es drohen preistreibende Effekte im Inland und Verluste bei Exporten durch Gegenmaßnahmen der Handelspartner. Es spricht einiges dafür, bei Zöllen vorsichtig und nur punktuell vorzugehen. Dazu besteht die realistische Gefahr, dass ein Pokerspiel mit Zöllen außer Kontrolle geraten könnte, aber aus Prestigegründen durchgezogen wird, trotz einer damit verbundenen Selbstschädigung.
Außerdem ist mit weiteren Steuersenkungen zu rechnen, hauptsächlich zu Gunsten des Kapitals und der Reichen.
Außenpolitisch wird die Konfrontation mit China weitergehen und eher noch an Schärfe zunehmen. Ebenfalls wird die Unterstützung Israels fortgesetzt werden, noch bedingungsloser als jetzt. Die europäischen NATO-Verbündeten werden größerem Druck ausgesetzt sein, sich bei Militär und Rüstung finanziell stärker zu engagieren. Was den Ukraine-Krieg betrifft, wird in den hiesigen Medien heftig über weitgehende Zugeständnisse an Russland spekuliert. Nüchtern betrachtet kann man fragen, was echte Zugeständnisse wären und was ein Hinnehmen von Realitäten. Auch für Trump sollte gelten, dass entsprechend seinem Slogan „Make America great again“ eigentlich alles vermieden werden müsste, was die USA irgendwie als Verlierer dastehen lässt.
Mit am gravierendsten könnten die Folgen für die amerikanischen Institutionen und letztlich für die US-Demokratie sein. Das „Projekt 25“ spricht davon, angebliche Gegner bzw. Vertreter eines „tiefen Staates“, welche die Absichten des Präsidenten hintertreiben könnten, aus Regierung und Verwaltung zu entfernen und durch loyale Anhänger zu ersetzen. Dabei ist von ca. 50 000 Positionen die Rede. (Zum Vergleich: Üblich waren bisher bei einem Wechsel von Präsident und Partei etwa 4000 personelle Umbesetzungen). Die Mehrheit in den beiden Parlamentskammern für die Republikaner eröffnet jetzt die Möglichkeit, Veränderungen bei Regierung und Behörden, die weit in die Zukunft hinein wirksam sein können, auf legalem Weg zu erreichen. So ähnlich, wie es bereits während der ersten Präsidentschaft mit dem obersten Gericht geschehen ist.
Trump hat bekanntlich im Wahlkampf Gegnern mit Verfolgung gedroht, er hat angekündigt, ein für ihn negatives Wahlergebnis nicht zu akzeptieren. Die Ereignisse vom 6. Januar 2021 haben gezeigt, dass er mit seinen Methoden nicht wählerisch ist, wenn er sich dadurch einen Vorteil verspricht.
Was genau passieren wird, wie schnell oder schleichend Veränderungen stattfinden werden, muss zum jetzigen Zeitpunkt natürlich Spekulation bleiben. Aber sicher wäre es unrealistisch, von Trump eine generelle und unbedingte Respektierung von Rechtsstaat und Demokratie zu erwarten.
24.11.2024