Am 19. und 20. Oktober fand, wie schon seit vielen Jahren in Nürnberg, die Jahreskonferenz der Gruppe Arbeiterstimme statt. Daran nahmen diesmal auch zwei befreundete Genossen der Gruppe Arbeiterpolitik und ein Genosse der AG International Dorfen teil.

 

Nach einer kurzen Aussprache zur Lage der Gruppe und zur finanziellen Situation war der erste große Programmpunkt die Rechtsentwicklung (nicht nur) im Osten Deutschlands unter der Überschrift „Was ist im Osten los?“ Wir hatten dazu kein gesondertes Referat vorgesehen, da wir uns seit längerem intensiv mit diesem Themenbereich beschäftigt haben. Grundlage für die Diskussion waren die beiden Artikel aus der letzten Nummer (Nr. 225): „Erfolge der AfD und komplizierte Regierungsbildungen“ sowie „Die Früchte der Krise: Warum die AfD im Osten profitiert“.

Zudem hatte ein befreundeter Genosse aus Österreich, der leider an der Tagung nicht teilnehmen konnte, uns kurzfristig ein ausführliches Thesenpapier zur jüngsten Entwicklung nach den Wahlen in Österreich zukommen lassen. Dieses Thesenpapier „Ein paar Anmerkungen zur FPÖ“ bildete so einen sehr geeigneten Einstieg in eine ausgiebige Diskussion. Dabei stellte sich heraus, dass es viele Ähnlichkeiten mit der Entwicklung in Deutschland gibt.

In einem ausführlichen Artikel zu den jüngsten Wahlen in Österreich sind diese Thesen zum Aufschwung der FPÖ eingearbeitet.

 

In der Diskussion zum obigen Thema wurde darauf hingewiesen, dass ein wesentlicher Unterschied zur Situation in Deutschland das Ziel der FPÖ sei, auf „Deutsch-Österreich“ zu orientieren, d.h. ihrer Politik eine deutsch-nationalistische Ausrichtung zu geben. Die in der Verfassung festgeschriebene Neutralität sei damit in Gefahr. Dieser Geschichtsrevisionismus führe zu schweren inneren und äußeren Verwerfungen und rufe die schlimmsten Ausprägungen des Austrofaschismus in Erinnerung.

In diesem Zusammenhang entspann sich eine Debatte über den Charakter der AfD. Es herrschte zwar dahingehend Übereinstimmung, dass die AfD in ihrer Gänze keine faschistische Partei ist. Dem Vorschlag, solche Strömungen als „protofaschistisch“ zu bezeichnen, wurde aber widersprochen. Dagegen wurde der Begriff „rechtspopulistisch“ gesetzt. Eine Einigung wurde diesbezüglich nicht erzielt, es wurde aber darauf hingewiesen, dass es nach Thalheimer verschiedene Formen autoritärer Herrschaft gebe und man sich wohl dieser Begrifflichkeiten bedienen sollte.

Nicht strittig war, dass es in der AfD Faschisten gibt und die Partei einen Rahmen bildet, in dem faschistische Kräfte organisiert werden (können). Mit der Verschärfung der Krise komme ihr faschistischer Kern zum Vorschein. Andererseits sei gesamtgesellschaftlich keine faschistische Bewegung „notwendig“. Es gibt weder eine (starke) Arbeiterbewegung, die die kapitalistische Wirtschaftsordnung gefährden oder gar beseitigen könnte, noch gibt es auch nur ansatzweise eine faschistische Massenbewegung, die diese Arbeiterbewegung bekämpfen würde. Wenn Kräfte wie z.B. die Linkspartei behaupten, „die AfD ist faschistisch“, so kann dies nur Verwirrung stiften; der Begriff wird inhaltsleer. Wie bezeichnet man dann eine Kraft oder Partei, die tatsächlich faschistisch ist?

Es steht aber außer Frage, dass die Wirkungen der neoliberalen Politik bei uns immer deutlicher zutage treten. Seit den letzten Jahrzehnten mit ihrem Sozialabbau, den Privatisierungen und den Kürzungen auf vielen Gebieten (Infrastruktur, Gesundheitswesen, Post, öffentliche Verwaltung, Bildungsbereich …), mit den wirtschaftlichen Krisenerscheinungen und der Schwäche der Bundesregierung hat verstärkt eine Abkehr von den etablierten Parteien stattgefunden, was spiegelbildlich eine Hinwendung zur AfD bedeutet. So werden rechte Parolen, die vor noch nicht allzu langer Zeit gesellschaftlich geächtet waren, nicht nur „gesellschaftsfähig“, d.h. sie dringen in die öffentliche Debatte. Sie werden in zunehmendem Maße nicht nur von CDU/CSU, sondern auch von allen andern Parteien übernommen, wenn auch meist mit weicheren Formulierungen. Die einzige Ausnahme bildet noch die Linkspartei.

Besonders stark ist die Rechtswendung „im Osten“, d.h. im Gebiet der früheren DDR. Als Gründe dafür wurden angeführt die Ungerechtigkeiten der Treuhand bei der Liquidierung der Betriebe und der Verschacherung der Immobilien. Es gab kein festgefügtes Parteiensystem, daher gebe es auch keine Parteienbindung wie im Westen. Eine kirchliche Bindung wie lange Zeit im Westen ist ebenfalls kaum vorhanden. Durch den abrupten Anschluss, die Auswirkungen der Bodenreform und die Ungerechtigkeiten bei der Rente ist in der ehemaligen DDR so gut wie kein privates Vermögen als Absicherung vorhanden. Auch die Linkspartei vertrat keine bessere Politik, als sie an der Regierung war. Daher habe die AfD die Linke als „Kümmererpartei“ abgelöst. Dieser Einschätzung wurde insoweit widersprochen, als der Erfolg der AfD auf die ökonomischen Verhältnisse und die Zerschlagung des Sozialstaats zurückgeführt wurde, nicht auf die DDR-Vergangenheit.

Wichtig war auch noch der Hinweis, dass der Anteil der AfD-Wähler innerhalb der Gewerkschaften höher ist als der Durchschnitt; diese Haltung setze sich auch im Funktionärsbereich fort!

Das Thema Migration überschattet mittlerweile alles. Dies führt zur Parole „Festung Europa“, d.h. Kontrolle und Abriegelung aller Grenzen bis zur Forderung nach „Remigration“, die in abgeschwächter Form auch von anderen Parteien übernommen wird. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass ein Großteil der Flüchtlinge aus Ländern kommt, in denen der Westen Krieg geführt hat.

 

Diesem Themenkomplex folgte der Vortrag des Autors der vor kurzem erschienen Biografie des führenden KPO-Funktionärs Robert Siewert. Der Text mit dem Titel „Das Verhängnis einer ultralinken Politik am Beispiel der KPD von 1919 bis 1933“ ist in dieser Nummer dokumentiert.

 

Zuletzt stand am Samstag Nachmittag das Verhältnis von Gewerkschaften und Friedensfrage auf dem Programm. Der erste Teil befasste sich mit dem Thema „Die deutschen Gewerkschaften und die Friedensfrage“. Der Inhalt ist in dieser Ausgabe abgedruckt. Der zweite Teil bestand aus einem Bericht der „Arbeiterpolitik“ über die Tagung „Waffen runter, Löhne rauf!“ in Stuttgart. Auch diesen Text übernehmen wir mit dem Einverständnis der „Arbeiterpolitik“. Von der AGI Dorfen kam dazu die Information, dass von den Unterzeichnern des Aufrufs im Internet „Gewerkschaften für den Frieden“ 200 als Stichprobe untersucht wurden. 100 davon kamen von ver.di-Mitgliedern, 50 von der IG Metall, 30 von der GEW und 20 waren in anderen Gewerkschaften organisiert.

 

Das Ergebnis unserer traditionellen Solidaritätssammlung wird einem Projekt in dem vielfach gebeutelten Kuba zur Verfügung gestellt. Es kam ein Betrag von 600 € zustande.

 

Nach dem Abendessen in einer Gaststätte gestaltete sich die sonst übliche Diskussion in persönlicher Atmosphäre wegen der Lautstärke etwas schwierig, so dass wir früher als sonst nach Hause aufbrachen, um dort weiter zu diskutieren.

 

Am Sonntag stand eine ausführliche Analyse mit dem Titel „Überlegungen zu Venezuela - ‘revolutionäre’ Voraussetzungen und Bedingungen“ auf dem Programm. Der überarbeitete Text wird aus Platzgründen erst in der nächsten Nummer abgedruckt.

 

Die Tagung fand wie üblich in einer sehr solidarischen Atmosphäre statt. Die Diskussionen waren ergiebig und weiterführend.

Auch wenn der Rahmen, der uns möglich ist, klein gehalten werden muss, so gibt uns der Verlauf der Jahreskonferenz neue Kraft, im bisherigen Sinne weiterzumachen. Er ermuntert uns, gerade in der heute sich immer mehr zuspitzenden Weltlage den Kampf nicht aufzugeben für ein Ziel, das mit der Losung „Sozialismus oder Barbarei“ die aktuelle Entwicklung auf den Punkt bringt. Dies ist auch im Sinn unseres inzwischen verstorbenen Altgenossen Hans Steiger, der wegen eines Krankenhausaufenthalts nicht an der Konferenz teilnehmen konnte! Mehr zu seiner Person an anderer Stelle.