Beim Thema Krieg und Frieden und den Wegen, wie Frieden erreicht werden kann, gehen auch in den Gewerkschaften die Einstellungen und Meinungen dazu weit auseinander. Es gibt in dieser Frage deutliche Trennlinien zwischen einzelnen Gewerkschaften, wie der IG BCE, der IG Metall, der Gewerkschaft der Polizei auf der einen Seite oder ver.di, GEW auf der anderen Seite.
Grundsätzlich betrachten sich die deutschen Gewerkschaften noch immer als ein Teil der Friedensbewegung. Mit ihrer staatstragenden, teils korporatistischen Ausrichtung bekennen sich die Führungen in der Hauptsache allerdings zu der vom Kanzler verkündeten Zeitenwende. Sie stehen für Waffenlieferungen an die Ukraine und auch aus ihrem Mund tönt die Parole, dass unsere Demokratie dort verteidigt werde. In dieser Logik ist es dann nur konsequent, im Rahmen der Standortsicherung für die Belange der Rüstungsindustrie einzutreten. Dieser Kurs wird bekanntlich von den Gewerkschaften schon seit Jahrzehnten betrieben, allen voran von IG Metall und IG BCE. Letztere ließ in ihrem Mitgliedermagazin „Profil“ den Rüstungsproduzenten Rheinmetall hochleben, der als „Zentrum der Zeitenwende“ eine entscheidende Rolle bei der Modernisierung der deutschen Streitkräfte und als Waffen-Lieferant für die Ukraine spiele. Es empfiehlt seinen Mitgliedern sogar, dort anzuheuern. So poliert die IG BCE den Ruf des Rüstungsunternehmens Rheinmetall auf und holt es aus der Kriegstreiberecke heraus. In der IG Metall, die sich ihrer Satzung nach zur Abrüstung bekennt, treiben Funktionäre mit der Satzung Schindluder, indem sie nicht von Aufrüstung, sondern von Ausrüstung sprechen. Den Vogel schoss der 2. Vorsitzende Jürgen Kerner ab, der das gemeinsame Positionspapier von IG Metall, dem „Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ (BDSV) und dem SPD-Wirtschaftsforum unterschrieb. Darin wird unverhohlen die deutsche Rüstungsindustrie unterstützt und unter anderem dafür geworben, die Verteidigungsfähigkeit zu Land, in der Luft und auf See weiterzuentwickeln. Der große Aufschrei in der Mitgliedschaft der IG Metall blieb aus, obwohl dieses Papier dem Geist der Satzung und den Beschlüssen des Gewerkschaftstages offensichtlichst widerspricht. Der Schulterschluss der beiden Gewerkschaften mit der Rüstungsindustrie steht. Als Co-Manager scheint die Rüstungsproduktion auch für Gewerkschafter angesichts der Krise der deutschen Industrie, ausgelöst durch die steigenden Energiepreise, die Sanktionen gegen Russland, sowie Absatzschwierigkeiten und die Hürden der ökologischen Transformation, ein bequemer Ausweg zu sein, um im alten Stil weiterproduzieren zu können.
In der Öffentlichkeit werden wichtige friedenspolitische Beschlüsse, wie die Forderung nach diplomatischen Bemühungen anstelle immer neuer Waffenlieferungen, die Ablehnung des 100 Milliarden Sondervermögens und des 2-Prozent-Ziels, ebenso wie die Ablehnung von Nuklearwaffen und ihrer Stationierung in Deutschland kaum mehr wahrnehmbar vertreten.
Diskussionen auf den Gewerkschaftstagen
Friedenfähigkeit contra Kriegstüchtigkeit und der Umgang damit bestimmte die Diskussionen auf verschiedenen Gewerkschaftstagen.
Auf dem ver.di-Bundeskongresses im September 2023 wurde im Leitantrag zum Friedensthema zwar an der Ablehnung des 2-Prozent-Rüstungsanteils am BIP und des 100 Milliarden „Sondervermögens“ festgehalten, aber gleichzeitig festgestellt, dass es zur „Behebung der bestehenden Mängel“ (in der Ausrüstung der Bundeswehr) „finanzieller Mittel“ bedarf. Die Verteidigung wird als eine „originär staatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge“ definiert: damit wird die Bundeswehr solchen Bereichen wie Bildung, Erziehung, Versorgung mit Wohnraum, Wasser und Strom gleichgestellt. Da kommen dann schon mal solche „Argumente“ zum Tragen wie die lächerliche Unterhosendebatte, oder es wird die Rüstung der Bundeswehr mit dem Zustand der maroden Schulen verglichen, die ja auch jahrelang vernachlässigt wurden und deren Sanierung mit der Rüstung der Bundeswehr gleichgesetzt wird. Also keine Aufrüstung, sondern nur Nachrüstung.
Auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall einen Monat später gab es kein klares Nein gegen das 100 Milliarden Aufrüstungsprogramm und gegen den Sozialabbau.
In den schließlich angenommenen Leitantrag des Vorstands wurden dann doch friedensfreundlichere Formulierungen aufgenommen: „Waffenexporte sind restriktiv und transparent zu handhaben. Eine Fixierung auf Waffenlieferungen verlängert diesen (Ukraine-)Krieg und führt auf beiden Seiten zu tausenden Toten und Verletzten. Daher ist der Schwerpunkt auf diplomatische Lösungen zu legen, um zunächst einen schnellen Waffenstillstand zu vereinbaren. Eine einseitige Fixierung der Debatte auf Waffenlieferungen und ein Denken in den Kategorien ‚Sieg‘ oder ‚Niederlage‘ ist der falsche Weg. (…) Außerdem setzen wir uns gemeinsam für Rüstungskonversion ein.“
In einer Videokonferenz des DGB zur Frage von Frieden und Krieg bezeichnete DGB-Vorsitzende Fahimi die Friedensfrage als ein „hochemotionales, aber auch schwieriges Thema“. Auch hier lagen die Meinungen weit auseinander. Neben offiziellen Stellungnahmen, die sich im Geiste eines klaren „Ja, aber“ bewegten, wurde in Kleingruppen diskutiert. Da die Teilnehmer an dieser Konferenz zum überwiegenden Teil aus der Friedensbewegung kamen, sahen hier die Einschätzungen schon etwas anders aus. Aber auch hier wurde deutlich, dass die Diskussionen um Krieg und Frieden auf vielen Kreis- und Bezirksebenen nur sehr vorsichtig angegangen, wenn nicht sogar vermieden werden, weil dann der innergewerkschaftliche Frieden in Gefahr kommen könnte. Thema waren dann in der Hauptsache die anstehenden Ostermärsche und die Frage, wie sich der DGB da einbringen kann. Es wurde deutlich, dass es auf einzelne Gewerkschafter:innen ankommt, die die Frage von Krieg und Frieden im Sinne der Friedensbewegung ansprechen und auch deutlich machen, wer von diesen Kriegen profitiert und dass es auch diesmal wieder die Arbeiterklassen aller beteiligten Länder sind, die die Kosten und Folgen zu tragen haben.
Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit
Diese These wird in der Öffentlichkeit deutlich vertreten durch Hans-Jürgen Urban, der in seinem Aufruf zu den Ostermärschen 2024 in der „zeitung gegen den krieg“ die lebendige Partnerschaft von Gewerkschaften und Friedensbewegung hochleben ließ, oder Horst Schmitthenner, der verantwortlich zeichnet für den Aufruf: „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!“.
Eine Friedensdiskussion findet vor allem „von unten“ bis hinauf in Bezirksebenen statt, auf Bundesebene nur sehr begrenzt in Form der einen oder anderen Videokonferenz. Allerdings können friedensbewegte Gewerkschaftsmitglieder und -gliederungen aufgrund dieser Beschlüsse entsprechende Aktivitäten entwickeln – und sie tun es auch. Zumindest werden sie nicht von oben daran gehindert.
Hervorzuheben sind die beiden Friedenskonferenzen in Hanau 2023 und in Stuttgart 2024. Maßgeblich beteiligt an diesen beiden Konferenzen war Ulrike Eifler, Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft in der Partei „Die Linke“. Sie ist auch Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg- Stiftung und in unterschiedlichen Funktionen als Gewerkschaftssekretärin für den DGB tätig. Ulrike Eifler tritt immer wieder als Referentin bei gewerkschaftlichen Seminaren auf, die sich mit der Friedensfrage befassen; so erst im Juli auf einer Tagung der GEW-Bayern. Sie macht, ganz in unserem Sinn, deutlich, dass Kriege Klassenfragen sind, ebenso Klassenfragen wie der drohende Klimakollaps, die Krise der Demokratie und die fortschreitende Militarisierung.
Zum Abschluss ein Auszug aus dem Aufruf
Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!
Die Welt wird von immer neuen Kriegen erschüttert, Menschen werden getötet, Länder verwüstet. Das Risiko eines großen Krieges zwischen den Atommächten wächst und bedroht die Menschheit weltweit. Gigantische Finanzmittel und Ressourcen werden für Krieg und Militär verpulvert. Statt damit die großen Probleme von Armut und Unterentwicklung, maroder Infrastruktur und katastrophalen Mängeln in Bildung und Pflege, Klimawandel und Naturzerstörung zu bekämpfen.
Die deutsche Regierung und Parlamentsmehrheiten beteiligen sich an dieser verheerenden Politik. Sie reden über „Kriegstüchtigkeit“ und sogar über „eigene“ Atombewaffnung, statt sich mit aller Kraft für ein Ende der Kriege, für Frieden und gemeinsame Problemlösungen einzusetzen. Die Ausgaben für Militär sollen 2024 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, über 85 Milliarden Euro, erhöht werden und in den kommenden Jahren weiter steigen. Während in den sozialen Bereichen, bei Bildung und Infrastruktur gravierend gekürzt wird und die Lasten der Klimapolitik auf die Masse der Bevölkerung abgewälzt werden.
Die Gewerkschaften müssen sich unüberhörbar für Friedensfähigkeit statt „Kriegstüchtigkeit“ einsetzen, für Abrüstung und Rüstungskontrolle, Verhandlungen und friedliche Konfliktlösungen. Für Geld für Soziales und Bildung statt für Waffen.
Wir fordern unsere Gewerkschaften und ihre Vorstände auf, den Beschlüssen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden! Die Gewerkschaften müssen sich laut und entschieden zu Wort melden und ihre Kraft wirksam machen: gegen Kriege und gegen Aufrüstung!
Zu der Konferenz in Stuttgart drucken wir einen Artikel eines Genossen der Arbeiterpolitik nach, der daran teilgenommen hat.