Der Einmarsch Russlands in die Ukraine bedeutet einen tiefen Einschnitt, für die Ukraine als das unmittelbar vom Krieg betroffene Land, aber auch für Russland, für Europa und darüber hinaus. Bei Redaktionsschluss sind die Kampfhandlungen in vollem Gange und es zeichnet sich noch kein Ende des Krieges ab. Die weitere Entwicklung, militärisch und politisch, ist in mancher Hinsicht noch offen. Aber schon jetzt kann man feststellen, die direkten und indirekten Folgen sind gewaltig. In ihrer ganzen Konsequenz lassen sie sich noch gar nicht absehen.

In der Kürze der Zeit kann nicht alles so gründlich analysiert werden, wie es die Bedeutung der Ereignisse eigentlich verlangt. Deshalb wollen wir zuerst einige thesenartige Kernaussagen festhalten. Darauf aufbauend sollen dann ausführlichere Analysen folgen.

 

Der russische Krieg gegen die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen. Die wichtigste Forderung ist jetzt die nach der sofortigen und bedingungslosen Einstellung aller Kämpfe.

 

Russland bedient sich bei seiner propagandistischer Rechtfertigungen diverser Lügen (z.B. über einen angeblichen Genozid). Es macht sich damit gemein mit der Lügen-Praxis anderer Kriegstreiber.

 

Nach der Auflösung der Sowjetunion ist Russland ein kapitalistische Land geworden. Die dort herrschenden Kreise speisen ihren Reichtum aus Ausbeutung. Die Machtverhältnisse, die sich seit 1990 etabliert haben, sind durchaus kompliziert und unterscheiden sich etwas von den Verhältnissen, wie sie in den meisten anderen (entwickelten) kapitalistischen Länder üblich sind. Offensichtlich gibt es innerhalb der herrschenden Kreise verschiedene Gruppen wie etwa Vertreter aus dem Machtapparat, die sogenannten Silowiki, oder die Oligarchen. Das Gewicht der Silowiki scheint in jüngerer Vergangenheit eher zugenommen zu haben. Silowiki bzw. ehemalige Silowiki haben sich inzwischen auch direkten Zugriff zu den gesellschaftlichen Reichtümern verschafft durch Positionen an ökonomisch wichtigen Stellen und durch vielfältige korrupte Praktiken. Vermutlich fungiert Präsident Putin als Schiedsrichter und letzter Entscheider über diesen Gruppen.

 

Bei der Atombewaffnung erreicht Russland in etwa Parität mit den USA. Es sieht sich auch deshalb als Weltmacht und beansprucht für sich ein Verhältnis auf Augenhöhe mit den USA. Es ist nicht bereit, sich deren Hegemonie unterzuordnen, wie das viele Länder tun, auch Deutschland Frankreich, Japan usw..

 

Aus dem Gegensatz Russlands zum Block der USA kann sich für andere Länder, die ebenfalls im Gegensatz zu den USA stehen, eine Erweiterung des politischen Spielraums ergeben. Ein Bündnis mit bzw. eine Anlehnung an Russland ermöglicht diesen eine gewisse Absicherung ihrer Position. Allerdings funktioniert das hauptsächlich nach der Logik „der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Denn anders als zu Zeiten der Sowjetunion gibt es nur eine Machtrivalität, aber keinen echten Systemgegensatz mehr. Russland steht dabei nicht für eine, wie auch immer definierte, progressive Richtung und schon gar nicht für Sozialismus und die Interessen der Arbeiterklassen. Das ist z.B. auch daraus ersichtlich, dass keine Scheu davor besteht, mit eindeutig Rechten (wie etwa Le Pen) zu kungeln. Aus jüngeren Äußerungen Putins, ausführlich dargelegt in seinen Essay (vom Juli 2021) zur Geschichte Russlands und der Ukraine, wird außerdem erkennbar, für Russlands Führung nehmen nationalistische und auch reaktionäre Vorstellungen (Betonung des orthodoxen Christentums) einen immer größer werdenden Raum ein.

 

Die Hauptleidtragende des Krieges ist die Ukraine und ihre Bevölkerung. Sie wird mit Krieg, Tod und Zerstörung überzogen. Auch wenn es zur Zeit noch nicht für alle Fragen eine definitive Antwort gibt, lassen sich im wesentlichen zwei Faktoren als Gründe für den Angriff identifizieren. Wahrscheinlich besteht die Absicht, sich den beherrschenden Einfluss über die Ukraine als Ganzes zu sichern. Das wäre aus Sicht der russischen Führung ein entscheidender Schritt zur Herstellung der Einheit der slawischen und orthodoxen Völker, was, laut dem genannten Essay, als historische Aufgabe Russlands gesehen wird.

Sicher ist aber, dass noch ein anderer Grund eine wichtige Rolle spielt, nämlich die Verhinderung einer weiteren Ausdehnung der NATO. Dieser Aspekt wird von russischer Seite schon seit Jahren thematisiert. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass Russland durch die Osterweiterung der NATO seine Sicherheitsinteressen bedroht sieht.

Beide Gründe sind natürlich keine Rechtfertigung dafür, ein Land mit Krieg zu überziehen.

 

Der Angriff auf die Ukraine ist eine Verletzung grundlegender Prinzipien. Aber er könnte sich auch machtpolitisch als eklatante Fehlkalkulation erweisen. Zur Zeit ist es mehr als fraglich, ob durch diese Vorgehensweise die internationale Position und die Macht Russlands gestärkt wird.

 

Zum Krieg in der Ukraine siehe auch: Zeitenwende ohne Widerstand und Der NATO-Prolog des Ukraine Krieges