Die gegenwärtigen Beziehungen zwischen den entwickelten Ländern des Westens und der VR China (Teil 2)
 
Vor zwei Jahren versah die Überschrift den „nächsten Weltkonflikt“ noch mit einem Fragezeichen („Der nächste Weltkonflikt?“, Arbeiterstimme N210 vom  Winter 2020). Absicht dieses Updates ist es, den Stand der Auseinandersetzung heute zu skizzieren und dort schärfer zu fassen, wo es die Fakten zulassen.
Vorweggenommen sei aber auch, dass der Konflikt nach Ansicht des Verfassers eingehegt wird und sich eben noch nicht entfalten kann. Dies gilt für alle multiplen Konfliktfelder dieses Verhältnisses und niemand kann sagen, wie rasch sich die Situation zuspitzt. Dass sich die Lage aber verschärfen wird, ist in den letzten beiden Jahren wahrscheinlicher geworden.
 
Der Ausgangspunkt
Gründe dafür gibt es mehrere und alle lassen sich, ohne sie zu priorisieren, auf krisenhafte Entwicklungen im Weltmaßstab zurückführen. Offen sichtbar sind etwa die ökonomisch-politischen Folgen der weltweiten Pandemie, die in Europa als „Störung der Lieferketten“ auftreten. Gerade wenn diese Ketten in Asien, und damit häufig in China, beginnen, wird an den Covid-Strategien dieser Länder herumkritisiert. Ganz so, als sei es nicht deren Recht, Schutzstrategien für sich festzulegen. Die widersprüchlichen und rasch wechselnden Maßnahmen in Europa und den USA waren jedenfalls keine große Hilfe, die Pandemie weltweit in den Griff zu bekommen. Deren Opferzahlen sprechen Bände, ohne von den „freien Medien“ noch groß wahrgenommen zu werden. Und man möge auch nicht vergessen, dass es gerade die rigorosen Reaktionen auf Krankheitsausbrüche in China waren, die 2020 eine rasche Fortführung der Produktion von Pandemieschutzmitteln, Medikamenten und vielem anderen ermöglichte.
Stattdessen wird ob der ach so schlimmen Abhängigkeit lamentiert, in die Europa - gegen den eigenen Willen? - geraten sei. Effekt dieser Klage ist aber nicht, dass der Westen ernsthaft tragfähige Alternativen in der erforderlichen Größenordnung entwickelt. Das wäre erst mit größerem Zeitvorlauf, einem kaum zu beziffernden Kapitaleinsatz und einer konsistenten, untereinander arbeitsteiligen Strategie zu leisten. Dazu sind weder der gesellschaftliche Konsens noch der politische Gestaltungswille vorhanden. Die tatsächliche Bedeutung des Lamentos liegt vielmehr darin, China als Handelspartner in Verruf zu bringen und die Öffentlichkeit für anstehende „Gegenmaßnahmen“ zu sensibilisieren. Die Menschen hier sollen an den Gedanken gewöhnt werden, dass China nicht zu trauen sei und chinesische Betriebe und Fonds, die nach kapitalistischer Manier Investitions- und Erweiterungsmöglichkeiten in anderen Wirtschaftsräumen suchen, zu Recht daran gehindert werden müssen.
 
Der Wirtschaftskonflikt
Waren unter der Trump-Regierung Strafzölle noch das erste Mittel der Wahl, um seine ressentimentgeladene Anhängerschaft zufrieden zu stellen, hat sich -wie erwartet- inzwischen deren begrenzte Wirksamkeit erwiesen.
Die Verschränkung der Wirtschaftsräume ist zu eng und die gegenseitigen Abhängigkeiten sind zu hoch, um mit diesen primitiven Begleitmitteln allein der anderen Seite zu schaden. Diese Erfahrung steht dem europäischen Raum noch weitgehend bevor. Deshalb werden die protektionistischen Maßnahmen vor allem von deutscher Seite auf einem unspektakulären, wenig wahrnehmbaren Niveau gehalten. Bei den Russland-Sanktionen hat sich ja gezeigt, dass es besser sein könnte, die Backen nicht allzu sehr aufzublasen, wenn man selbst eher kurzatmig veranlagt ist.
Das bedeutet aber nicht, dass nicht weiter versucht wird, die Entwicklung Chinas zumindest empfindlich zu stören, besser noch, ins Stocken zu bringen. Beispielhaft
dafür ist die Situation um die stark monopolisierte Fertigung von Microchips. Vom Westen ist sie ausgemacht als eine Schlüsseltechnologie in Gegenwart und Zukunft. China hat Entwicklung, Erzeugung und massenhafte Herstellung der Halbleitertechnologie in seinen Entwicklungsplan „Made in China 2025“ aufgenommen. Dass Taiwan in dieser Frage eine zentrale Rolle einnimmt, verschärft die Auseinandersetzung zwischen China und, in erster Linie, den USA ganz wesentlich. Die USA werden auf die ostasiatische Produktion und das Knowhow aus Taiwan, Südkorea und in steigendem Umfang auch der VR China weder kurz- noch mittelfristig verzichten können, ohne ihre Führerschaft im Westen zu riskieren. Weder die eigene Innovationsfähigkeit noch milliardenschwere Förderprogramme verändern diese Lage auf unbestimmte Zeit. Deshalb setzt ein Strategiewechsel in jüngster Vergangenheit einen neuen Schwerpunkt, um dem asiatischen Konkurrenten zu schaden. Die inzwischen üblich gewordenen Hochtechnologie-Exportverbote ergänzen die USA mit ihrem bestimmenden Einfluss auf die Gegebenheiten und Regularien des Welthandels. So berichtet die „Financial Times“ am 21.08.2022, dass Fusionen/Übernahmen von an US-Börsen gelisteten ausländischen Halbleiterunternehmen durch chinesische Firmen oder Kapitalfonds unterbunden werden müssen, falls „die Transaktion ein potenzielles Risiko für die nationale Sicherheit der USA darstelle.“ Forschung oder Produktion in den USA sind in diesem Fall kein Kriterium, entscheidend ist allein die Zugriffsmöglichkeit über den Kapitalmarkt. Weigert sich die Firma, diesem Beschluss Folge zu leisten, wird sie landesweit sanktioniert, von US-Auftragsvergaben oder möglichen Förderprogrammen ausgeschlossen. Schließlich droht die Sanktionierung der Handelspartner und damit praktisch das wirtschaftliche Aus. Die USA gerieren sich als die Beherrscher der Weltwirtschaft, die dort ihre strategische Gewalt einsetzen, wo ihre technologischen Fähigkeiten nicht (mehr) hinreichen. Noch sind sie sich sicher, dass ihre Kapitalmacht ausreicht, mögliche Konkurrenten frühzeitig gefügig zu machen oder sie klein zu halten. Noch gibt es keine „2. Weltwirtschaft“, die parallele Kreisläufe beschreiben kann ohne Abhängigkeit von der US-Dominanz, auch wenn die Idee naheliegt und einige Entwicklungen des vergangenen Halbjahres als mögliche Vorläufer- und Teststadien gesehen werden können. China beabsichtigt, mit zwei Wirtschaftskreisläufen zu operieren, einem extern ausgerichteten, der Export wie Import umfasst, sowie einem inneren, hauptsächlich auf die chinesischen Ressourcen gestützten. Damit möchte man die Erpressbarkeit entscheidend reduzieren. Doch gibt es für die Umsetzung zu viele unbekannte Faktoren, als dass dies in absehbarer Zeit ohne gefährliche Verwerfungen im Innern und Krisen im Verhältnis zu anderen Staaten gelingen könnte. Es gibt eben (noch) keine zwei, je auf eine Supermacht fixierte Staatengemeinschaften, die (relativ) getrennt voneinander existieren können. Zwei Systeme, die sich wirtschaftspolitisch nahezu identisch kapitalistisch verhalten, sind nicht denkbar ohne die Grenzen sprengende Konkurrenz im gemeinsamen Ziel der Kapitalakkumulation. Wenn dies politisch verhindert werden soll, muss entsprechender regulativer und militärischer Druck auf die Wirtschaftsakteure ausgeübt werden. Die um den Kern eines Weltsystems gruppierten Staaten werden sich für eine Seite entscheiden müssen und sind damit den Sanktionen der anderen ausgeliefert.
So weit ist es noch nicht und es gibt auch gute Gründe dafür, diese Pläne nicht zu realisieren. Wichtig ist aber festzuhalten: Während der letzten beiden Jahre tauchen solche und ähnliche Überlegungen nicht mehr nur als Gedankenspiele von Beratern und Thinktanks in der Diskussion auf. Vieles wird in die heutigen politischen Entscheidungen bereits „eingepreist“, was zuvor noch Außenseitermeinung war oder worüber es vertragliche Einigungen gab, die jetzt aber nicht mehr gelten (vgl. ausgelaufene Abrüstungsvereinbarungen, NATO-Erweiterung, Sonderetats für die Rüstung).
 
Der strategische Konflikt
Die VR China stellt durch ihre bloße politische Existenz, ihr kapitalistisches Wirtschaftssystem bei gleichzeitig sozialistisch legitimierter politischer Ordnung, und ihrem Entwicklungsstand als Nummer 2 der Weltwirtschaft die größte Herausforderung des Westens dar, die es jemals gab. Ihre fehlende Teilintegration in die vordefinierten Spielregeln des globalen Kapitalismus, sprich die verweigerte Unterordnung unter die unipolare Supermacht der USA und ihrer Bündnisse im Geflecht der neuerdings so gerne zitierten „regelbasierten Ordnung“, stellt langfristig die größte Niederlage des Westens dar. Daraus einen Sieg zu machen, fordert die etablierten Beherrscher der Welt heraus wie nichts zuvor. Der Preis dafür geht weit über einen möglichen militärischen Konflikt hinaus und setzt die Lebensgrundlagen der Mehrheit der Weltbevölkerung aufs Spiel. Wenn also der Konflikt zwischen dem Westen und China (und ihren jeweiligen „Alliierten“) nicht auf die Spitze getrieben wird, dann steht das Zögern dahinter, die eigenen Existenzgrundlagen zu riskieren. Eine Lebensversicherung für die Welt ist dies leider nicht (mehr), plötzliche, eruptive Verschärfungen können, wie der als Provokation beabsichtigte Besuch von Pelosi auf Taiwan gezeigt hat, auf unterschiedlichen Problemfeldern auftreten und neue Sachstände bewirken.
Schließlich bauen die NATO und ihre Partnerbündnisse, vor allem in Asien, ihre Gegnerschaft unterhalb der Kriegsschwelle weiter aus. Die Einkreisungspolitik, die Neuauflage dessen, was die Sowjetunion permanent bedrohte, ist auf der Weltbühne zurück; diesmal mit dem Ziel, die VR China zu isolieren. Da China keinem Militärbündnis angehört, ist es ihm auch nicht möglich, die „Bündnispartner“ zur weiteren Aufrüstung anzutreiben und deren Außen- und Handelspolitik den eigenen Bedürfnissen anzupassen.
China hält bislang dagegen, indem es seinen Einfluss vor allem über Handels- und Wirtschaftsbeziehungen geltend macht. Wohl wissend, dass der Westen in dieser Breite keine lohnenswerten Wirtschafts-, Handels- oder Finanzierungsalternativen
anbietet. Damit soll der aggressive Einfluss des Westens abgeschwächt und, wenn möglich, neutralisiert werden. Das Land hat in den letzten Jahren politische Gruppenformate entwickelt, die aber (noch) keinen festen Bündnischarakter aufweisen, der substanziell über wirtschaftliche Vereinbarungen hinausgeht. So ist es für China eine Zeitfrage geworden, berechenbare Unterstützung bei Bündnispartnern zu gewinnen.
 
China und Russland?
Die Annäherung zwischen China und Russland erfüllt diese Erwartung nur unzureichend. Vor allem sind stabile Beziehungen über längere Zeiträume nicht in Sicht. Die strategische Ausrichtung beider Staaten ist zu verschieden, ihre
Ausgangsposition wie ihre geografischen Interessen gehen so weit auseinander, dass eine kontinuierliche Zusammenarbeit schwer vorstellbar ist. Die gegenwärtige Koalition ist aus der Not geboren und erfasst wenig mehr als die Belange der Wirtschaft. Gegenseitige Solidaritätserklärungen, die auf dem gegenwärtigen russischen Krieg und seinen internationalen Folgen fußen, besitzen nur eine geringe politische Halbwertszeit. Schwerer wiegen aber die instabilen Beziehungen im letzten Jahrhundert, die beide Länder miteinander verbanden. Ihre Gemeinsamkeit besteht in den vielen schroffen Wendungen in der Politik, die alle Schattierungen zwischen Todfeindschaft und Freundschaftsvertrag umfassten und die immer abrupt erfolgten.
Beider Verhältnis zueinander wird von den vorgegebenen internationalen Bedingungen bestimmt, auf die sie nur zu einem geringen Teil eigenen Einfluss haben.
 
Der militärische Konflikt
Die (drohende) militärische Konfrontation soll zu einer anderen Zeit beleuchtet werden. Vor allem soll die Rolle Deutschlands in dieser auf China und die USA fokussierten Auseinandersetzung näher untersucht werden, da hier weitere Positionierungen und Legitimierungen auftreten, die im Verhältnis der Großmächte zueinander eine geringere Bedeutung einnehmen.