IV und WKÖ scheitern mit maximaler Mehrwertabschöpfung
Nach 151 Tagen, der längsten Regierungsbildungsdauer in Österreich bisher, fand am 7. März die Regierungserklärung der neuen Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS im Parlament statt. Andy Babler (SP), Beate Meinl-Reisinger (NEOS) und Christian Stocker (VP) einigten sich. Was lange dauert, funktioniert nun wohl zum Zweiten. Anfang Jänner stiegen die NEOS aus eher undurchsichtigen Gründen aus den Verhandlungen aus, obwohl bereits über 80 Prozent ausverhandelt waren, weil angeblich Leuchtturmprojekte fehlten. Welche das waren, wurde nie erläutert. Massive Verschlechterungen bei Pensionen blockte die SP ab. Anschließend verhandelten VP und SP weiter, sie verfügen allerdings nur über eine Stimme Mehrheit im Parlament. Die Konservativen taten dies nur zum Schein, die Würfel waren längst gefallen. Als Vorwand für die Aufkündigung der Verhandlungen diente Bablers Forderung nach einer Bankensteuer.
Die ´Oberösterreichischen Nachrichten´ berichteten von einem Treffen der mächtigen Landeshauptleute von Oberösterreich und Salzburg mit den Spitzen der IV (Industriellenvereinigung) und der WKÖ (Wirtschaftskammer). Sie beschlossen aus den Verhandlungen auszusteigen und die Gelegenheit zu nutzen, um mit den Rechtsextremen in einer Regierung maximale Profite zu erzielen. Der bisherige Bundeskanzler und Verhandlungschef, der stets betont hatte, mit Kickl nicht zu koalieren, wurde kalt abserviert, ähnlich wie einst Mitterlehner durch die Intrigen des Sebastian Kurz.
Daraufhin beauftragte der Bundespräsident den Chef der stimmenstärksten Partei, Kickl, Koalitionsverhandlungen zu beginnen. Anfangs schien alles auf eine schnelle Einigung hinauszulaufen. Angesichts des enormen Budgetdefizits wurde kurzfristig ein knappes, vage formuliertes Schreiben nach Brüssel geschickt, um ein Defizitverfahren abzuwenden. 6 Milliarden € sollten im ersten Jahr eingespart werden, um die unsinnigen und durch nichts begründeten Maastricht-Kriterien einzuhalten. Das gelang auch. Dann zogen sich die Verhandlungen in die Länge. Ein geleaktes Verhandlungspapier zeigte eine große Menge ungelöster Probleme auf.
Einige Programmpunkte der FPÖ, die auf die Richtung Orban hinausliefen, seien erwähnt:
---- Abschaffung der ORF-Gebühr und dessen Finanzierung durch die Regierung, d.h. eine massive Einflussnahme auf die Personalentscheidungen (Stichwort: Linksfunk), verbunden mit enormen Budgetkürzungen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist Feindbild Nummer 1.
---- Kürzung der Presseförderung für ´Qualitätsmedien´ bürgerlichen bis liberalen Zuschnitts (Standard, Salzburger und Oberösterreichische Nachrichten etc.), dafür die Förderung der als `alternativ` bezeichneten rechtsextremen Medien. (z.B: AUF).
---- Neue Kulturpolitik mit Auswirkungen auf progressive Kunst. Als Beispiel sei hier das jüngste Regierungsabkommen in der Steiermark zwischen FPÖ und ÖVP zitiert, das als Markstein die Förderung heimatlicher Kultur vorsieht. Daraufhin folgten dort massive Personalrochaden im Kulturbetrieb.
---- Schlagwort Festung Österreich: unmenschliche Repressivgesetze gegen Migranten, welche danach teilweise von der neuen Koalition übernommen wurden.
---- Heftiger Streitpunkt war die Beziehung zur EU, die Neutralität und das Verhältnis zur NATO.
Nach der EU-Wahl hat Kickl bekanntlich mit Orban und dem Tschechen Babiš eine eigene rechtsextrem-nationalistische EU-Fraktion gegründet. Daher waren die EU-Agenden für die Volkspartei vorgesehen.
Es ist schlimm, dass von den im Parlament vertretenen Parteien nur die FPÖ vehement für die Beibehaltung der Neutralität eintritt, wenn auch aus opportunistischen Gründen. Sie verlangte in den Verhandlungen den Austritt aus der NATO-Partnerschaft für den Frieden, keine Teilnahme an einer EU-Armee, einen Stopp der Durchfahrt für NATO-Transporter und, ganz entscheidend, keine Teilnahme am SKY-SHIELD-Projekt der NATO. Die aktive Wahrnehmung der Irland-Klausel für Neutrale wäre natürlich konsequente Neutralitätspolitik gewesen. Doch das alles waren NO GO-Perspektiven für die Volkspartei.
Es hakte noch bei weiteren Punkten, wenngleich man sich in der Flüchtlingspolitik einig war, ebenso in der Wirtschaftspolitik. Während der Verhandlungen gab es heftige Verbalattacken gegen die Konservativen und aufgedeckte neonazistische Aktivitäten von Granden der FPÖ. Das alles ließ die VP kommentarlos durchgehen. Letztlich scheiterten die Verhandlungen hauptsächlich am ausgeprägten Ego des Parteichefs der extremen Rechten und dessen Begehrlichkeiten auf das Innenministerium, in dem er bereits einmal als Minister gewütet hatte. Nicht unbegründet war die Befürchtung der VP, dass ausländische Geheimdienste, wie bereits einmal während der Amtszeit Kickls, die Zusammenarbeit einstellen würden.
Auf die Bevölkerung wären massive Belastungen zugekommen, während die Konzerne mit Erleichterungen bedient worden wären.
Erfreulicherweise ließ Kickl die Koalitionsgespräche am 12. Februar platzen.
IV und WKÖ, unterstützt vom Raiffeisen-Zentralorgan `Kurier`, waren bis zum Schluss bemüht, die Koalition doch noch zu schmieden. Die Profitmaximierung war ihnen wichtiger als die massiven Angriffe auf Demokratie, Kultur und Menschenrechte. Parallelen zu den 1930er Jahren liegen auf der Hand. Während die IV nach dem Scheitern noch Krokodilstränen vergoss, nahm die WKÖ einen Kursschwenk vor und rückte vom FP-Chef ab.
Die Burgenland - Wahl: Mitten in den Gesprächen zwischen VP und FP fanden im Burgenland Landtagswahlen statt. Die SPÖ unter Landeshauptmann Doskozil verlor zwar die absolute Mehrheit, kam aber immer noch auf 46,4% (minus 3,6%). Obwohl die beabsichtigten massiven Belastungen im künftigen Regierungsprogramm der Bevölkerung bereits bekannt waren, legte die extreme Rechte wieder deutlich zu (23,1%, plus 13,3%). Die Grünen verloren leicht und die Konservativen büßten abermals 8,6% ein. Einige Anmerkungen zur Lage im Burgenland seien noch angefügt. Dort regiert unumschränkt der Landeskaiser Doskozil. Das System lässt sich am besten als Doskonomics charakterisieren, das Land hat viele Wirtschaftsbereiche an sich gezogen, bzw. mischt in vielen maßgeblich mit. Für Landesbedienstete wurde der Mindestlohn angehoben, Schüler erhalten zu Schulbeginn Musikinstrumente usw. Man könnte fast von einem ´Landessozialismus´ sprechen. Doskozil formte zum Erstaunen vieler Kommentatoren ein Bündnis mit den Grünen. Für mich war das nicht überraschend, nachdem ich ein längeres Vorwahlinterview mit der grünen Spitzenkandidatin gehört hatte. Diese hatte an der SPÖ-Politik wenig zu kritisieren, sie forderte nur mehr Transparenz und Umweltschutz ein. Mit dem ehemaligen Bundespräsidentenkandidaten der FP, Norbert Hofer, konnte Doskozil aus persönlichen Aversionen heraus wenig anfangen, wiewohl er sonst seiner Partei eine Zusammenarbeit mit der FPÖ empfiehlt und selbst eine rigorose Ausländerpolitik vertritt. Doskozil bleibt innerhalb der Sozialdemokratie weiterhin der Quertreiber Nr. 1, er sprach der Bundespartei mehrere Male die Fähigkeit zum Regieren ab.
Nach Kickls Scheitern begannen die VP und die SP erneut mit Konsultationen, später stießen die Neos dazu. Diesmal war Eile geboten. Noch nie in der 2. Republik dauerte eine Regierungsbildung so lange. Man einigte sich jetzt rasch.
Inhaltliche Schwerpunkte des neuen Regierungsabkommens:
Alle drei Chefs betonen, im Interesse des Staatsganzen verhandelt zu haben, für das Land, für das Wohl Österreichs. Welch ein glückliches Land ohne Klassengegensätze! Vorbei sind die Attacken des ´ ´Marxisten´ Babler gegen Reiche und Konzerne.
Es ist wohl ein programmatischer Mix entstanden aus den drei Zugängen. Jede Partei hat einige Kernpunkte eingebracht. Die ÖVP eine harte Migrationspolitik, die SPÖ eine Abschwächung der sozialen Grauslichkeiten von Schwarz-Blau sowie die Besteuerung einzelner Konzerngruppen und die NEOS dürfen sich über ihr Lieblingsgebiet Bildung (Bildungsministerium) freuen.
Zur SPÖ: Positiv hervorzuheben ist die Verankerung einer Kindergrundsicherung, die Verlängerung und Erhöhung der Übergewinnsteuer für Energiegesellschaften, ferner eine moderate Bankenabgabe und eine höhere Besteuerung der Stiftungen. Grundsätzlich gut ist die Einführung eines Mietendeckels, allerdings nur für den geförderten Wohnbau und Altbauwohnungen. Der große Sektor der Privatwohnungen bleibt weiter ohne Regelung. Diese Deckelung soll bald kommen, wird betont. Wie auf diesem weit wichtigeren Sektor dann die Mieten eingefroren werden, wird sich zeigen. Die gemeinnützigen, dem Non-Profit-Sektor verpflichteten Wohnbaugenossenschaften ( sowohl von SP als auch von VP) und die Stadt Wien als riesiger Wohnbauträger übten daran heftige Kritik, weil so für die ohnehin günstigen Wohnungen (im Vergleich zum privaten Wohnbau) wenig Investitionsmöglichkeiten blieben.
Die Sozialdemokraten erhielten das äußerst einflussreiche Finanzministerium. Um dessen Besetzung gab es z.T. heftige interne Auseinandersetzungen, die der Öffentlichkeit zugespielt wurden. Andreas Babler und seine Crew konnten sich gegen die pragmatischen Wiener Genossen durchsetzen. Der Wiener Finanzstadtrat Hanke erhielt das Infrastrukturministerium. Finanzminister wurde Markus Matterbauer, der Wunschkandidat Bablers. Er ist ein äußerst kompetenter linker Ökonom, zuletzt tätig in der Arbeiterkammer Wien. Inhaltlich bezieht er sich u.a. auf Keynes und tritt für die Reichen- und Erbschaftssteuer ein. Er machte gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit der Absicht einer noch höheren Besteuerung der Stromkonzerne von sich reden, konnte diese aber nur teilweise durchsetzen. Wie sich die Zusammenarbeit mit dem marktradikalen Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer von der ÖVP als Vertreter der Großindustrie entwickeln wird, wird sich zeigen.
Die ÖVP präsentierte mit Kickl im Nacken stolz harte Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik. So soll der Familiennachzug komplett gestoppt werden, was der europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht. Ferner soll eine Art Anhaltelager für abgelehnte Asylwerber eingerichtet werden, natürlich unter Beachtung humanitärer Regeln, wie es heißt. Die Koalitionäre einigten sich auf das umstrittene Kopftuchverbot für Minderjährige, bisher ein NO GO für die SPÖ , ebenso auf den Stopp des Familiennachzugs.
Ein Kommentar in den Oberösterreichischen Nachrichten meint dazu, die SP sei in der Realität angekommen. Babler und Doskozil sind nicht mehr weit voneinander entfernt. Der linke, nach Eigendefinition ´marxistische´ Babler wird zum Realpolitiker. Die Wahrheit ist: Kickl treibt sie alle vor sich her.
Schlimmes lässt die Besetzung des Außenministeriums mit der EU-imperialen Hardlinerin Meinl-Reisinger befürchten. Für mich unverständlich, wie Andreas Babler, der einst in der für Neutralität und harte linke EU-Kritik bekannten Linzer Solidarwerkstatt mitarbeitete, dies akzeptieren konnte. Die Regierung bekennt sich nach außen zwar zur Neutralität, diese wird wahrscheinlich nicht wie bisher scheibchenweise, sondern schneller entsorgt werden. In einem versteckten Nebensatz zur Neutralität fordert man die EU zu einer imperialistischen Vorherrschaftspolitik auf. Meinl-Reisinger steht für eine EU-Armee mit österreichischer Beteiligung - das bedeutet die Aufgabe der Neutralität -, für Aufrüstung und bis vor kurzem für einen NATO-Beitritt. Die Ereignisse um Trump beflügeln jetzt die Neutralitätsentsorger in den bürgerlichen Medien. Österreich zahlt Milliarden für SKY-SHIELD und verdoppelt sein Rüstungsbudget.
Nach dem Ausscheiden der Grünen aus der Regierung spielt der Klimaschutz in dem Regierungspapier nur eine untergeordnete Rolle.
Ursprünglich waren die Sozialdemokraten, unterstützt von einigen Finanzexperten, für das Defizitverfahren durch die EU. Dies hätte einen längeren Spielraum für den Schuldenabbau bedeutet, weil die EU sowieso jedes Budget durchleuchtet. Sie konnten sich nicht durchsetzen, daher müssen heuer 6,3 Milliarden € eingespart werden. Das gewerkschaftsnahe ´Momentum Institut` kritisiert, dass Haushalte weit stärker belastet werden als die Unternehmen. Es kommt zu stark regional unterschiedlichen Belastungen für die Bevölkerung. Während die CO₂-Steuer zum 1. Jänner erneut erhöht wurde, wird der als Ausgleich gezahlte Klimabonus gestrichen, ebenso die Energiesparbremse und auch die Bildungskarenz. Für E-Autos entfällt die Befreiung von der Versicherungssteuer, für Photovoltaikanlagen die Mehrwertsteuerbefreiung. Pensionen werden generell gekürzt.
Von der Aufhebung der unter Schwarz-Blau eingeführten Verschlechterung für Werktätige (12-Stunden-Tag, 60-Stunden-Woche) findet sich kein Wort mehr im Papier.