Teil 1: Der geschichtliche Hintergrund
Die Gründe für die aktuellen Proteste in Peru lassen sich anhand der Berichterstattung der meisten deutsche Medien nicht wirklich nachvollziehen. Daher werden im folgenden Text die Hintergründe erklärt. Wegen seines Umfangs erscheint er in zwei Teilen.
Jedes politische oder soziale Ereignis hat eine Vorgeschichte. In diesem Fall ist sie geprägt von drei die peruanische Gesellschaft bis heute prägenden Ereignissen, nämlich die Landreform von 1969, der bewaffnete Aufstand von Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) und die Präsidentschaft von Alberto Fujimori.
Die Landreform wurde in der ersten Phase der Revolutionären Regierung der Streitkräfte unter General Juan Velasco Alvarado durchgeführt. Wahrscheinlich gab es für diesen Eingriff in die Besitzverhältnisse nicht nur innenpolitische Gründe. Im Rahmen der Allianz für den Fortschritt verlangte die US-Administration auch von anderen lateinamerikanischen Regierungen diese Reform. Damit sollte, nach dem Sieg der Revolution in Cuba, weiteren Aufstandsbewegungen das Wasser abgegraben werden. Gleichzeitig ist die Modernisierung der sozialen Verhältnisse auf dem Land auch ein Schritt hin zu einer kapitalistischen Landwirtschaft.
Nach der kubanischen Revolution hatten sich auch in Peru linke Guerillagruppen gebildet. Die Streitkräfte konnten ihre Aktivitäten recht schnell niederschlagen. Doch das sensibilisierte das Militär für die Landfrage. Parallel zu dieser Guerilla forderten Tagelöhner eigenes Land. Was, wenn Bauern- und Guerillabewegung zusammenfinden?
Der konservative General Velasco Alvarado wird bis heute von Angehörigen der peruanischen Oberschicht als “milico comunista” (kommunistischer Militär) geschmäht. In seine Regierungszeit fallen weitere fortschrittliche Maßnahmen, darunter die Verstaatlichung von Bodenschätzen, doch die Landreform ist sein bleibendes Erbe. Mit ihr endete das System der Haciendas und der halb feudalen Verhältnisse zwischen Landarbeitern und Großgrundbesitzern.
Mitte der 70er Jahre fand ein weiterer Staatsstreich statt. General Francisco Morales Bermúdez übernahm die Regierung und beendete die Reformära. Ab und zu stößt man heute auf Erinnerungen linker Aktivisten, die selbstkritisch einräumen, dass sie die Regierung Velasco Alvarado hätten unterstützen sollen. Doch sie sahen nur die konservativen Seiten ihrer Politik.
Gegen Morales Bermúdez entwickelte sich eine starke Massenbewegung. Unter anderem organisierten die Gewerkschaften zwei Generalstreiks. Dieser Druck führte 1978 zur Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung und 1980 zu demokratischen Verhältnissen. Die Verfassung von 1979 war die bisher fortschrittlichste des Landes.
Der bewaffnete Aufstand von Sendero Luminoso
Das zweite prägende Ereignis startete am Tag der ersten demokratischen Wahl nach den Militärregierungen. Die Mehrheit der Peruaner erwartete, dass in Zukunft die gesellschaftlichen Konflikte im Rahmen eines Rechtsstaates ausgetragen werden. Doch in diesem Moment startete Sendero Luminoso seinen bewaffneten Aufstand.
Diese Organisation erhob den Anspruch, “die” Kommunistische Partei Perus zu sein. Real war sie bestenfalls die Verselbstständigung des Regionalkomitees Ayacucho der traditionellen KP. Das geschah im Rahmen der Spaltung der kommunistischen Weltbewegung zwischen den KPs der Sowjetunion und China. Doch hielt sich diese Gruppe auch vom maoistischen Kosmos Perus fern. Sie folgte einer Linie, die sie als Marxismus-Leninismus-Maoismus, verbunden mit den Ideen von Präsident Gonzalo, ihrem Chef, definierten.
Der Aufstand von Sendero Luminoso erschütterte das Land. In der Zeit von 1980 bis 2000 hat er fast 70.000 Menschen das Leben gekostet. Grob geschätzt ist für die eine Hälfte der Toten Sendero und für die andere der peruanische Staat verantwortlich. Die Linke ist damals von zwei Seiten unter Druck geraten. Sendero hat zahllose linke Aktivisten und Politiker, auch die der anderen KPs, ermordet. Das gleiche geschah auch von Seiten des Staates.
Ein Beispiel ist die Ermordung von Pedro Huilca Tecse, dem damaligen Vorsitzenden des linken Gewerkschaftsbundes CGTP. Er war ein Ziel beider Seiten1. Laut dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte ermordete ihn in diesem makabren Wettstreit die staatliche paramilitärische Einheit Grupo Colina. “Pedro Huilca Tecse wurde am 18. Dezember 1992 durch staatliche Autoritäten mit Verbindungen zur Grupo Colina brutal ermordet, als Folge seiner Kritik an der ökonomischen und Arbeitsgesetzgebung des Regimes Alberto Fujimori.”2 Trotz dieser staatlichen Verbrechen wurde die Linke nicht verboten, auch wurde nicht versucht, sie in Gänze auszurotten.
In Deutschland kann man sich die damalige Situation nicht vorstellen. So trauten sich die jungen Leute in Lima am Samstagabend nicht auszugehen. Sie hatten Angst, Opfer einer Autobombe zu werden. Dazu kam die Furcht, dass Angehörige, die im Staatsapparat tätig waren und aufs Land versetzt wurden, von der Guerilla getötet werden. Auch die Aktivitäten der staatlich organisierten Todesschwadronen belasteten die Menschen.
Im Rahmen der Selbstverteidigung der Bauern bildeten sich Rondas Campesinas. Sie gingen aus schon existierenden, gegen die Kriminalität gerichteten Zusammenschlüssen hervor. Nun erhielten sie offiziellen Charakter und die Streitkräfte bewaffneten und trainierten sie.
In Peru seltene, aber dafür nicht weniger überzeugende Erklärungen führen die Niederlage von Sendero auf die Landreform zurück. Die Bauern wollten ihr kürzlich erhaltenes Land nicht wieder verlieren. Die gesellschaftlichen Vorstellungen Senderos orientierten sich an den chinesischen Landkommunen. Dafür wollten die Neueigentümer nicht enteignet werden.
Parallel zum Bürgerkrieg - in Peru ist es ein Tabu, diesen Begriff zu verwenden, damit würde man ja anerkennen, dass der Aufstand soziale Gründe hatte - wächst Ende der 80er Jahre der Druck von neoliberaler Seite. Dafür steht heute der Name Alberto Fujimori.
Die neoliberale Wende
In der Stichwahl um die Präsidentschaft standen sich 1990 der angesehene Schriftsteller Mario Vargas Llosa und Alberto Fujimori gegenüber. Vargas Llosas Kandidatur wurde von den traditionellen Parteien der Mitte und der Rechten getragen. Sein Wirtschaftsprogramm beinhaltete eine neoliberale Schocktherapie a la Chile.
Ihm stand Alberto Fujimori gegenüber. In der ersten Runde waren alle linken Kandidaten ausgeschieden. Daher votierten ihre Wähler - in Peru herrscht Wahlpflicht mit empfindlichen Strafen - in der zweiten Runde für Fujimori. Er hatte sich im Wahlkampf gegen das neoliberale Programm seines Konkurrenten positioniert. Doch er war kein Linker. Seine Basis war die gerade ein Jahr alte Bewegung Cambio 90 (Wechsel 90). Es handelte sich also um eine klassische populistische Kandidatur.
Es kam so, wie man es bei Populisten erwarten kann. Er machte im Amt das genaue Gegenteil von dem, was er versprochen hatte. Nach zwei Jahren putschte er gegen sich selbst, löste das Parlament auf und setzte eine neoliberale Verfassung durch. 3 Doch diese neoliberale Wende war nicht so tiefgreifend wie in Chile. So gibt es in Peru immer noch Gesetze, die die Rechte gerne schleifen würde.
Die Regierung Fujimori entwickelte sich zu etwas formal Demokratischem, das aber nicht wirklich demokratisch war. Viele Peruaner betrachten diese Zeit deshalb als die ihrer Diktatur. Als Fujimori mittels Wahlfälschung 4 zu einer 3. Amtszeit gelangte, bildete sich eine Massenbewegung, die ihn im Jahr 2000 zum Rücktritt zwang. Heute sitzt er wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption in Haft, nicht aber wegen des Putsches gegen sich selbst.
Das ist eine Konstante der peruanischen Politik. Gegen fast alle ehemaligen Präsidenten laufen Ermittlungen wegen Korruption. Sie sitzen deswegen in Untersuchungshaft oder entziehen sich, wie der Sozialdemokrat Alan García, durch Selbstmord der Verhaftung. In allen politischen Lagern und auf allen staatlichen Ebenen finden sich Fälle von Korruption. Der Unterschied besteht darin, wie damit umgegangen wird. Bei den meisten Parteien wird zweifelhaftes Verhalten anscheinend nicht als Problem angesehen. Die Betreffenden dürfen weiter für politische Ämter kandidieren und werden auch gewählt.
Ein ungewöhnliches Verhalten der Wähler
Als Ergebnis der Diktatur Fujimoris bildete sich bei Präsidentschaftswahlen ein ungewöhnliches Muster heraus. In den zwei, seinem Sturz folgenden Wahlen schaffte es kein rechter Bewerber in die Stichwahl. Das gelang diesem Lager erst wieder mit der Tochter von Alberto Fujimori. Keiko Fujimori war zu diesem Zeitpunkt der Welt schon als ehemalige First Lady bekannt. Nach der Scheidung ihrer Eltern erhielt sie im Alter von nur 19 Jahren diesen protokollarischen Rang. Wie vieles in der Politik neoliberal ausgerichteter Staaten war die Trennung ihrer Eltern eine wunderbare Telenovela. In diesem Rosenkrieg ließen sich politische und persönliche Gründe nicht klar trennen. Keikos Mutter warf schon damals ihrem Noch-Gatten Korruption vor.
Keikos Mobilisierungsfähigkeit hängt aber nicht nur mit ihrer damaligen Rolle als First Lady zusammen. Der Name Fujimori hat für viele wegen der Niederwerfung Senderos einen guten Klang. Diesen Erfolg überträgt man auf sie. Dazu muss man wissen, dass für den Sieg über die Guerilla nicht nur militärische Mittel eingesetzt wurden. Der Staat zeigte auf dem Land einfach mehr Präsenz. Davon profitierte die Bevölkerung. Das schrieb sie dem Präsidenten gut. Sie sieht nicht, dass das eine indirekte Folge des Aufstands war.
Dazu kommt, dass es im Neoliberalismus auch Profiteure gibt. Diese verdanken ihr vergleichsweise gutes Leben in Peru Fujimori, schließlich hat er dieses Wirtschaftssystem eingeführt. Dazu zählen, wie in vielen lateinamerikanischen Ländern auch, die Beschäftigten internationaler Bergbaukonzerne. Was sollten diese Menschen ändern wollen?
Das Ansehen von Keiko Fujimori leidet auch nicht darunter, dass gegen sie Ermittlungen wegen Korruption geführt werden. So musste sie sich im letzten Wahlkampf ihre Reisen in die Provinz von der Staatsanwaltschaft genehmigen lassen. Sie stand unter so etwas wie Hausarrest.
Mit einer Fujimori in der Stichwahl sammelten sich nun alle hinter ihrem jeweiligen Konkurrenten, den sie zuvor aus unterschiedlichsten Gründen nicht wählen konnten. Davon profitierte ein neoliberaler Ökonom wie Pedro Pablo Kuczynski oder Ollanta Humala, der Präsident der PNP (Nationalistische Partei Perus5). Humala galt vielen, so auch der jungen Welt6, als Linkspolitiker, obwohl er eine ziemlich trübe politische Herkunft aufzuweisen hat. Da es sich bei ihm um einen ehemaligen Offizier handelt, hoffte man wohl auf eine ähnliche Entwicklung wie in Venezuela unter Hugo Chávez. Doch schon nach ein paar Monaten titelte die junge Welt: “Humala rückt nach rechts”
Heute findet man auf Wikipedia unter dem Eintrag “Partido Nacionalista Peruano” unter dem Punkt Ideologie: während der Anfänge Sozialismus, Linksnationalismus und Indigenismus, heute Sozialdemokratie, Nationalismus, konservativ und neoliberal7. Man fragt sich, ob so eine Partei jemals sozialistisch gewesen war.
In der Stichwahl setzte sich jetzt stets, meist sehr knapp, der jeweilige Gegenkandidat zu Keiko Fujimori durch. Das geschah, obwohl die Rechte zusammen mit ihren Verbündeten immer den Kongress beherrschte. Dadurch konnte der gewählte Präsident, wenn er nicht sowieso die Seite wechselte, keines seiner Wahlversprechen umsetzen.
Castillos Versuch der Gewerkschaftsspaltung
So erging es zuletzt auch Pedro Castillo. Er wurde 2017 landesweit bekannt als Anführer einer radikalen Fraktion (CONARE8) innerhalb der SUTEP (Sindicato Unitario de Trabajadores en la Educación del Perú), der Lehrergewerkschaft. Das hat es in sich, schließlich wurde die SUTEP in den 70er Jahren von Patria Roja (Rotes Vaterland), der maoistischen KP, aufgebaut.
Im Zusammenhang mit einem wilden Streik warf Patria Roja der Leitung der SUTEP vor, sich nicht genug um die Probleme der Mitglieder gekümmert zu haben. Das habe dazu geführt, dass CONARE mit der Absicht, die SUTEP zu spalten, in fünf von 196 Landkreisen streiken konnte.9 CONARE wurde damals von der Regierung in eine Reihe mit Sendero Luminoso und dem Movadef gestellt.10 Letzteres ist eine legale Gruppe, die aus Ehemaligen und Sympathisanten von Sendero besteht. Sie setzte sich für eine Amnestie des Sendero-Chefs Abimael Guzmán ein. Auch arbeitete sie an der Eintragung als politische Partei. Mit Movadef11 will in Peru allerdings kaum jemand etwas zu tun haben.
Ob das mit der Verbindung zwischen CONARE und Movadef stimmt, ist offen. Die Rechte hat diese Vermutung im Wahlkampf gegen den Dorfschullehrer Castillo in Stellung gebracht, obwohl er damals als Rondero ja gegen den Sendero stand. Der britische Guardian bezeichnet diese Vorwürfe als “inkorrekt”.12
Dass der Streik einer krassen Minderheit von der nationalen Politik nicht einfach ignoriert wurde, lag an einem nicht unbedeutenden Umstand. Einer der fünf Landkreise war Cuzco. Es war geplant, dort eine internationale Konferenz abzuhalten. Die Regierung wollte natürlich nicht, dass sie von Lehrerprotesten begleitet wird. Deshalb war sie zu Verhandlungen bereit und machte auch kleine Zugeständnisse.
Bei allen Diskussionen über den Einfluss von Movadef auf diesen Streik ist es Fakt, dass Castillo die CONARE in eine selbstständige Organisation, die FENATEP13, umgewandelt hat. Sie beanspruchte nun den Status einer Lehrergewerkschaft. In seiner aktiven Zeit als Gewerkschafter hat die Gruppe das nicht erreicht. Während seiner Amtszeit wurde sie schließlich offiziell anerkannt. War das begründet oder hat Castillo da als Präsident ein Machtwort gesprochen? Schließlich gibt es gute Gründe, ihre Gewerkschaftseigenschaft in Zweifel zu ziehen. Die FENATEP hat keine Homepage und ein leeres Facebookkonto14 mit nur drei Followern. Dort findet sich auch nichts zur Absetzung und Festnahme ihres bekanntesten Mitglieds. Die SUTEP hält die FENATEP für ein Potemkin‘sches Dorf.
Möglicherweise geht es hier nicht um unterschiedliche gewerkschaftliche Ansätze, sondern um einen Topf von über 700 Millionen Euro. Mitte letzten Jahres berichtete die Tageszeitung La Republica über einen Kampf zwischen SUTEP und FENATEP um die Kontrolle der Derrama Magisterial (DM).15 Das ist eine auf gesetzlicher Grundlage operierende private Sozialeinrichtung für Lehrkräfte. Dort sind ca. 80% der Pädagogen Mitglied. Sie erhalten dadurch Zugang zu Fortbildungskursen, Krediten und einer zusätzlichen Altersvorsorge. Daher gilt die DM einigen als die größte Bank des Landes.
Wer gehört in Peru zur traditionellen Linken?
Das ist schwer zu sagen. Die dortige Linke hat seit dem Zusammenbruch der UdSSR einen ähnlichen Verfalls- und Veränderungsprozess durchgemacht wie anderswo. Zweifellos zählen dazu die beiden KPs, PC-Peruano und PCP-Patria Roja. Die PC-Peruano wirkt wie tot, auch wenn sich in letzter Zeit ihr Internetauftritt verbessert hat. Aber dort findet man Anfang Februar 2023 als letztes einen Eintrag vom November 2022. Eigentlich sollte man Stellungnahmen zur aktuellen Entwicklung erwarten, zumindest parteioffizielle Erklärungen, ähnlich denen, die man bei Patria Roja findet. In eklatantem Gegensatz zu ihrem öffentlichen Auftreten ordnet Wikipedia der PC-Peruano aktuell fünf Parlamentsabgeordnete zu.16. Das muss man aber unter fake news einordnen. Abgesehen davon, dass dies in Peru niemand behauptet, der ernst genommen werden will, widerlegt Wikipedia die eigene Aussage selbst. Danach ist einer der fünf Abgeordneten von Juntos por el Perú (Gemeinsam für Peru, JP), Roberto Sánchez Palomino, Mitglied des Partido Humanista.17
Juntos por el Perú ist das aktuelle linke Wahlbündnis mit parlamentarischer Vertretung. Schon seit den Tagen der Izquierda Unida (Vereinigte Linke) werden linke Kandidaturen von Bündnissen getragen. Sie umfassen jeweils mehr oder weniger Organisationen. Bei der Wahl 2016 hatte es den Namen Frente Amplio (Breite Front, FA). Sie brachte es auf fast 14% der Stimmen und 20 Parlamentarier. Ihre Präsidentschaftskandidatin, Verónika Mendoza, erreichte in der ersten Runde sogar über 18 Prozent.
In der FA waren auch neue politische Kräfte vertreten. Bei ihnen stehen Umweltfragen, Feminismus und LGTBTQ+ im Mittelpunkt. Wobei das kein Entweder - Oder sein muss, aber letzten Endes anscheinend doch ist. Das zeigt das Verhalten von Indira Huilca, der Tochter des ermordeten kommunistischen Gewerkschaftsführers. Sie wurde 2016 Abgeordnete und hat sich dort für die Rechte der Frauen, der Arbeiter und der LGTBTQ+ -Gemeinschaft eingesetzt.
Das deutsche Wikipedia weiß folgendes über sie zu berichten: “Huilca änderte mehrmals ihre Parteizugehörigkeit. Im Juli 2017 verließ sie mit neun weiteren Abgeordneten die Fraktion des Frente Amplio und bildete die Gruppe und Partei Nuevo Perú, […]. Als Grund für die Abspaltung gaben die Abgeordneten den Fraktionsvorsitzenden von Frente Amplio, Marco Arana, an, der Abgeordnete, die nicht seiner Partei Tierra y Libertad angehören, aktiv aus internen Diskussionen ausschließe. Im Oktober 2019 traten Huilca und Glave aus Nuevo Perú aus, nachdem Parteivorsitzende Verónika Mendoza im Vorfeld der außerordentlichen Parlamentswahlen in Peru 2020 mit Vladimir Cerrón von Perú Libre eine Allianz bildete. Sie begründeten ihre Entscheidung mit der Verurteilung Cerróns wegen Korruption und seinen wiederholt herabwürdigenden Aussagen gegenüber verschiedenen sozialen Gruppen und insbesondere Frauen. Trotz des Austritts aus Mendozas Partei unterstützte Huilca sie und ihr Wahlbündnis Juntos por el Perú bei ihrer Präsidentschaftskandidatur zu den Wahlen in Peru 2021, da Mendoza die einzige progressive Kandidatin mit einer realistischen Erfolgschance sei.”18 Damit sind die Konflikte in der Linken recht gut beschrieben.
Wer ist Perú Libre?
Laut ihrem Programm handelt es sich um eine Organisation der “sozialistischen Linken”19. Sie proklamiert, dass es “um links zu sein notwendig ist, die marxistische Theorie zur Interpretation aller Phänomene zu verwenden, die in der … nationalen Gesellschaft auftreten”. In der Wirtschaftspolitik will man sich an den Erfahrungen der Regierungen Correa in Ecuador und Morales in Bolivien orientieren. Ihr Generalsekretär Vladimir Cerrón behauptet, dass Perú Libre ein Werkzeug im Dienste der peruanischen Linken sei.20 Die Partei ist auch Mitglied des Forums von São Paulo.
Vergleicht man das mit den bei Wikipedia gelisteten Positionen, wird eine Bandbreite sichtbar, die an die Anfangszeit der PNP erinnert. Das Potpourri umfasst unter anderem Sozialismus, Marxismus, einen sozialen Konservativismus, Antineoliberalismus, linken Nationalismus und Föderalismus. Merkwürdigerweise wird die Partei auf der politischen Achse zwischen Links und Linksextrem eingeordnet.21
Doch wirkt Peru Libre nicht nur wegen dieses Eintrags wie eine Fortsetzung der PNP. Es gibt auch die entsprechenden Lebensläufe. So war die Abgeordnete María Agüero Gutierrez bis 2015 Mitglied der PNP.22
Patria Roja stellt Vladimir Cerrón in die Tradition der peruanischen Caudillos, der populistischen Anführer. “In den letzten Jahrzehnten haben sich den traditionellen Caudillos der Rechten diejenigen angeschlossen, die aus der Linken oder den Schichten der einfachen Leute stammen. Als Ausdruck der Ablehnung des von Lima ausgehenden Zentralismus und der Krise der Parteien haben regionale Caudillos die Bühne erobert, die nicht nur gegen die bestehende Ordnung angehen, sondern auch gegen das, was sie die »Linke aus Lima«, »die traditionelle Linke« und die »Kaviarlinke« nennen. Den von der Rechten erfundenen Begriff »Kaviarlinke« dehnen sie auf das gesamte progressive Lager aus.”23
Es werden einige Beispiele aufgeführt, darunter befindet sich auch Gregorio Santos. Dieses Mitglied von Patria Roja wurde mit Hilfe eines Wahlbündnisses zum Präsidenten des Departements Cajamarca gewählt. Das endete mit seinem Parteiausschluss. “Unglücklicherweise entschieden sich die Gewählten, die Regional- oder Lokalregierung als eigenen Bauernhof oder den der Gruppe zu betrachten, fern der Politik der Partei, ihrer Leitung und ihrer Kontrolle.”24 Heute sitzt Santos wegen Korruption in Haft und ist Mitglied von Perú Libre.
Die tatsächliche Position von Perú Libre wird durch eine Bemerkung von Cerrón deutlich. Er hatte Anfang Dezember 2022 als “eleganten Ausweg” aus der politischen Krise die Rückkehr zur Verfassung von 1979 vorgeschlagen.25 Das heißt, die Rücknahme der neoliberalen Reformen und die Wiederherstellung eines Sozialstaates im Rahmen der peruanischen Möglichkeiten. In der heutigen westlichen Welt ist das tatsächlich eine revolutionäre Forderung.
Die Wahlen von 2021
Die Annäherung zwischen Perú Libre und Nuevo Perú hielt nicht bis zur Wahl. So gingen 2021 mindestens drei als links geltende Kandidaturen ins Rennen. Hier erzielte Perú Libre mit Pedro Castillo völlig überraschend 18,9%. Damit lag ihr Kandidat auf dem 1. Platz. Für den Kongress konnte die Partei 13,4% verbuchen. Das bescherte ihr 37 Sitze. Castillos Hochburgen lagen in den Anden und im Süden des Landes. Dort, wo sich heute die Zentren des Protestes befinden.
Die Linke versammelte sich bei Juntos por el Perú. Sie erhielt für ihre Kandidatin Verónika Mendoza 7,8% und für den Kongress 6,6% (5 Mandate). Auch der Umweltschützer Marco Arana durfte nicht fehlen. Auf seine Person entfielen 0,5% und seine Wahlallianz FA erzielte das Doppelte.26
Das Ergebnis des fast vergessenen Lehrers, der auch Feierabendbauer war, schlug wie eine Bombe ein. Damit hatte niemand gerechnet. Auch nicht mit dem relativ schlechten Abschneiden von Keiko Fujimori. Ihre 13,4% reichten zumindest für die Stichwahl. Damit hatte die Linke ein Problem. Wie sollte sie sich zu Castillo verhalten? Doch nun griff das Prinzip “Alle gegen Fujimori”. Nach einigem Hin und Her schloss man ein Abkommen und unterstützte ihn.
Der folgende Wahlkampf wurde von der Rechten zu einer Entscheidung zwischen Freiheit und kommunistischer Diktatur stilisiert. Doch die Propaganda verfehlte ihr Ziel. Ganz knapp, mit nur etwas über 40 000 Stimmen Unterschied (0,25 Prozentpunkte), setzte sich Castillo durch. Das heißt aber nicht, dass seine neuen Wähler nun auch hinter seinem Programm stehen. Der liberale Journalist César Hildebrandt, eine Art peruanischer Heribert Prantl, der in den Konzernmedien nicht mehr zu Wort kommt, hat den Wahlakt folgendermaßen beschrieben: Man musste sich die Nase zuhalten, um beim Wählen nicht zu sehr vom Gestank der Korruption belästigt zu werden, aber Keiko Fujimori war schlimmer.
Die Rechte erkannte lange ihre Niederlage nicht an. Sie sprach von Betrug und wollte die Wahl für ungültig erklären lassen. Es dauerte über einen Monat, bis die Wahlbehörde das amtliche Endergebnis feststellte. Noch länger dauerte es, bis sie schließlich Pedro Castillo zum gewählten Präsidenten erklärte. So konnte er am 28. Juli 2021 in sein Amt eingeführt werden.27
Emil Berger
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https://es.wikipedia.org/wiki/Autogolpe_de_Estado_de_Per%C3%BA_de_1992
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https://es.wikipedia.org/wiki/Elecciones_generales_de_Per%C3%BA_de_2000
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Nicht zu verwechseln mit der Policía Nacional del Perú die auch als PNP abgekürzt wird
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Comité Nacional de Reorientación del Sutep - Nationales Komitee zur Reorientierung der SUTEP
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Manuel Guerra in dem Text “Pedro Castillo, el Sutep, Patria Roja y la derecha.” auf der Seite www.patriaroja.pe ; Aufgerufen am 05.11.2021
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Bewegung für eine Amnestie und grundlegender Rechte
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Federación Nacional de Trabajadores en la Educación del Perú︎
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http://perulibre.pe/wp-content/uploads/2020/03/ideario-peru-libre.pdf
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https://elcomercio.pe/politica/jne-aprueba-cambio-nombre-partido-vladimir-cerron-noticia-nndc-658935-noticia︎
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https://aplicaciones007.jne.gob.pe/srop_publico/Consulta/Afiliado
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︎https://patriaroja.pe/manuel-guerra/cerron-una-expresion-del-caudillismo-peruano/
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http://www.patriaroja.pe/pronunciamiento-expulsados-de-la-militancia-por-decision-del-comite-central-gregorio-santos-cesar-aliaga-allin-monteza-segundo-mendoza/ Aufgerufen am 11.12.2016
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