Eine Rekonstruktion revolutionärer Politik in China

 

Nach längerer Unterbrechung wird die Untersuchung der Voraussetzungen, Bedingungen und Verläufe kommunistischer Politik wieder aufgenommen, weil wir davon überzeugt sind, dass das Thema für linke Politik hierzulande noch wichtiger geworden ist. Zunehmend verändert sich die Wahrnehmung von der Volksrepublik im Westen. Stand vor Jahren noch der nachfrage- und zahlungsstarke Wirtschafts„partner“ China im Zentrum, der zwar dank seiner Billigarbeitskräfte den Weltmarkt mit Massenprodukten flutete, aber sich insgesamt doch anschickt, von „uns“ zu lernen, so hat sich der Wind gedreht. Spätestens mit dem strategischen Entwicklungsplan „Made in China 2025“ und der „One Belt, One Road“-Initiative („Neue Seidenstraße“), die von gigantischen Finanzmitteln gespeist werden, wird China nicht nur als ein Konkurrent, sondern als der weltpolitische Rivale Europas und der USA wahrgenommen und inzwischen mit harten Bandagen kommentiert. Die „gelbe Gefahr“ der 1950er und 1960er Jahre ist wieder auferstanden und gewinnt zunehmend das Potenzial, in Umkehrung eines bekannten Marx-Wortes, von der Farçe zur Tragödie zu werden.

Die Arbeiterstimme Nr. 189 (Herbst 2015) thematisierte den katastrophalen Abstieg Chinas im 19. Jahrhundert, ausgelöst durch den rasch wachsenden Entwicklungsrückstand eines völlig überkommenen Regimes, der von den europäischen Kolonialmächten rücksichtslos zum eigenen Vorteil genutzt wurde.

Die notwendige politische Reaktion auf das Regierungsversagen der letzten Kaiserdynastie, die zunehmende Ausrichtung auf die Ideen, die aus dem Westen kamen und Erfolg versprachen, und schließlich die Gründung einer winzig kleinen, rein intellektuell ausgerichteten Kommunistischen Partei standen in der Arbeiterstimme Nr. 193 (Herbst 2016) im Mittelpunkt.

1921 kamen zwölf Delegierte in Shanghai, dem Ort der größten lokalen Gruppe, zusammen, um unter konspirativen Bedingungen die Kommunistische Partei zu begründen. Weder ein Tagungsprotokoll noch die Dokumentation der Reden existieren. Unter den jungen Männern und wenigen Frauen, eine Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen, befand sich auch Mao Zedong, der Studienleiter eines kleinen marxistischen Zirkels vom Lande, aus Changsha, Hauptstadt der Agrarprovinz Hunan. Die damaligen Verhältnisse mag schlaglichtartig die Tatsache erhellen, dass von dem Dutzend Gründungsmitgliedern nur sechs Personen die Gründung der VR China 1949 erlebten.

Fast alle anderen fielen dem Terror der Guomindang ab 1927 und im Bürgerkrieg zum Opfer. Chen Gongbo lief während der Kämpfe zur GMD über, wurde 1944 Premierminister des Marionettenregimes der Japaner und schließlich 1946 wegen Hochverrats hingerichtet.1

Das Gründungsparteiprogramm ist in einem revolutionären Geist verfasst, der über die verschwindend kleine Zahl an Kommunisten hinweggeht und von ihren Mitgliedern den Einsatz ihres Lebens fordert. Bezugspunkt aller revolutionären Tätigkeit ist dabei das Proletariat, sind die Lohnarbeiter in den Städten und auf dem Land, nicht aber Bauern und/oder Pächter. Bemerkenswert ist, dass eine Zusammenarbeitsperspektive mit progressiven Kräften und sympathisierenden Schichten abgelehnt wird.

Die Verbindungen zur „gelben“ intellektuellen Klasse – was waren die Kommunisten der ersten Stunde anderes als Intellektuelle? –, zu anderen Parteien und der anwachsenden nationalistischen Bewegung sollen abgebrochen werden. Nichts geringeres als den Sturz der kapitalistischen Klasse mit Hilfe der revolutionären Massen des Proletariats, die Abschaffung aller Klassen und den Aufbau der arbeitenden Klassen, um die Klassenunterschiede zu beseitigen, schrieb sich dieses Häuflein Kommunisten auf seine Fahnen.2

In der Praxis, bei der Agitation und Schulung, erlebten die Revolutionäre schnell und unerbittlich ihre engen Grenzen, kleine Erfolge ergaben an wenigen Orten (Hafenstädte und Bergwerke) das Konzept, Arbeiterschulen einzurichten, um Arbeiter politisch zu schulen (und allgemein zu unterrichten). Betriebszellen der Aktivisten scheiterten häufig am Widerstand der Betriebsherren und nicht zuletzt an den elenden Arbeitsbedingungen.

Hilfreich für die eigene Konsolidierung und den wachsenden Einfluss aus kleinsten Anfängen war eine erste Streikwelle im Jahr 1922 mit 100 Streiks und 30 000 Teilnehmern. Aufgrund der neuen Erfahrungen fasste die KP ihre Ziele zunehmend konkreter und stellte im Kampf gegen die Warlords die Herstellung des Friedens im Land in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Ebenso war das Ende der imperialistischen Unterdrückung mit dem Ziel der vollständigen chinesischen Unabhängigkeit in die Programmatik aufgenommen worden. In der Konsequenz rückte die Bündnisfrage in den Mittelpunkt, dazu kam der Einfluss der Komintern, die auf ein Bündnis der Gongchandang (KP) mit der Guomindang Chiang Kai-sheks orientierte. Anlässlich einer Krisensitzung des fünfköpfigen ZKs der Gongchandang und des wohl-bekannten Emissärs der Komintern, Maring3, prallten die gegeneinander gerichteten Positionen aufeinander. Die chinesischen Genossen lehnten die Zusammenarbeit mit der GMD ab, weil sie zur Verwirrung der eigenen schmalen Mitgliedschaft führe und ihre Handlungsfreiheit gefährde. Allein der leichtere legale Zugang zu den Massenbewegungen könne eine positive Wirkung zeitigen.

Maring, der die strategischen Interessen der UdSSR mit ihrem Einfluss auf Chiang Kai-shek im Auge hatte, erzwang den Gehorsam mit Hinweis auf die Parteidisziplin und Autorität der Komintern4. So sollte eine Übereinkunft darin bestehen, dass die KP-Mitglieder als Einzelpersonen der GMD beitreten, die Partei behalte so ihre Unabhängigkeit und Aktionsfreiheit.

Die Mühsal dieses notdürftigen Kompromisses hatte noch die härtesten Folgen, die zwar 1922 nicht absehbar waren, der aber auch zu dieser Zeit ein grundlegendes Problem abbildet. War es gerechtfertigt, einer zu diesem Zeitpunkt winzigen revolutionären Kaderorganisation eine Bündnisverpflichtung vorzugeben, die den außenpolitischen Überlegungen der jungen und gefährdeten UdSSR entsprach? Noch Jahre später spiegelt sich dieser Konflikt in der Analyse Manabendra Nath Roys5 wider. Nath Roy war bereits aus der Kommunistischen Internationalen ausgeschlossen worden, weil er sich gegen die Instrumentalisierung kommunistischer Parteien und Bewegungen durch die sowjetische Außenpolitik wandte. Trotzdem vertrat er in seiner äußerst instruktiven Darlegung zur „Revolution und Konterrevolution in China“ 1930 im Wesentlichen weiter den Standpunkt der Komintern. „Eine Organisation, die verschiedene soziale Elemente mit widersprechenden Interessen umfasst, kann niemals eine in sich gefestigte politische Partei sein. Bis zu ihrer Reorganisation im Jahre 1924 war [die GMD] die Partei der Bourgeoisie. (...) Doch nach der Reorganisation6 wurde ihre Zusammensetzung noch widerspruchsvoller. Streng genommen hörte [sie] auf, eine politische Partei zu sein. Sie wurde eine revolutionäre Klassengemeinschaft.“7

Das bedeutet aber, dass die Kommunisten in der GMD ihre Chancen, die revolutionären (Mitglieder)-Massen gegen ihre reaktionären Führer aufstehen zu lassen, nicht genutzt haben. Nicht die Komintern hat ihre chinesischen Revolutionäre aus eigennützigen Gründen verheizt, sondern diese sind Opfer ihrer eigenen Fehler geworden.

Beiden Gruppierungen auf chinesischer Seite war der Charakter des Zweckbündnisses auf eine beschränkte Zeit bewusst. Die Komintern hat – wohlwollend formuliert – die Chance gesehen, dass die soziale Revolution mit der nationalen Erhebung der GMD zusammen gegen eine brüchige Regierungsmacht, gegen die zentrifugalen Kräfte der Warlords und die imperialistischen Mächte mit ihren Ansprüchen gegen China einen entscheidenden Schritt nach vorne macht und eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung bürgerlich-demokratischer Verhältnisse spielt. Und schließlich könne der revolutionäre Impuls der Ereignisse die Basis der GMD weiter nach links treiben ...

Streng urteilt Nath Roy, wenn er die vernichtende Niederlage der KP in den Städten im Nachhinein kommentiert: „Die imperialistische Intervention, der Verrat der Bourgeoisie, die Barbarei der feudal-militaristischen Reaktion, der Treubruch der kleinbürgerlichen Führer - alles das war an der Niederlage schuld. Aber noch ein andrer Faktor trug zur Niederlage bei: Das war die Unerfahrenheit der jungen kommunistischen Partei. Es mußte erwartet werden (!), daß die Führung der national-demokratischen Revolution später auf die Arbeiterklasse übergehen würde. (...) Die Kommunistische Partei, als Führerin der Arbeiterklasse, hätte sich für diese Perspektive vorbereiten müssen. Die Politik des Beitritts zur Kuo Ming Tang war richtig, denn sie war ein Schritt in dieser Richtung. Die ursprünglich ablehnende Haltung der kommunistischen Führung war eine linke Dummheit, es war Überradikalismus. Wäre dieser Fehler unter der Leitung der Kommunistischen Internationale nicht korrigiert worden, dann wäre die Kommunistische Partei eine Sekte und vom politischen Leben des Landes ausgeschaltet geblieben. Nach ihrem Eintritt in die Kuo Ming Tang schlug sie ins andere Extrem um. Sie vergaß das Ziel ihrer Politik. Das war Opportunismus. (...)“8 Die wenigen Kommunisten in der GMD legten ihre Schwerpunktarbeit auf die Organisierung und Schulung von Arbeitern an den betrieblichen Brennpunkten. Und die gab es flächendeckend. Die Eisenbahnarbeiter waren schnell zu organisieren, hatten in kurzen Arbeitskämpfen auch beachtliche Erfolge bei Arbeitszeiten und Löhnen erzielt und sollten jetzt zu einer einheitlichen Gewerkschaft zusammengefasst werden. Den Widerstand der Bosse und der lokalen Warlords, die ihre Einnahmen in Gefahr sahen, wollte man mit einem Generalstreik brechen. Soldaten besetzten die Stadt und jagten Arbeiterbünde auseinander. Dutzende Arbeiter wurden erschossen, Gewerkschaftsführer auf offener Straße hingerichtet, der Streik im Blut ertränkt.9

Der furchtlose Kampf der Kommunisten unter ihnen konnte Niederlagen nicht vermeiden, doch die Verhältnisse ließen immer neue Kämpfe entstehen. Der Einfluss der Kommunisten10 unter den Arbeitern wie der GMD-Mitgliedschaft wuchs und führte zu neuen Arbeitskämpfen. 1924 waren die Gespräche von Sun Yatsen und Chiang Kai-shek mit der Sowjetunion über die Finanzierung einer ersten Militärakademie zum Abschluss gekommen, in der eine eigene Parteiarmee aufgebaut werden sollte. Die Ausbildung genossen verlässliche Kader der rechten Parteiführung, den Kommunisten war die Rolle der politischen Erzieher, der „Politoffiziere“, zugefallen. Allerdings waren sie von Beginn an organisatorisch und politisch isoliert, ihr Einfluss auf die Mannschaften wurde neutralisiert mit einem herrschenden Kadavergehorsam, den die Befehlshaber unerbittlich durchsetzten.

Rasch war ersichtlich geworden, dass Sun und Chiang Kai-shek ihre Machtinteressen durchsetzen wollten zwischen Privatmilizen und wechselnden Bündnissen mit verschiedenen Warlords. Mit einer eigenen Armee jenseits einer Söldnertruppe wurde die GMD ein ernstzunehmender Machtfaktor. Das nationale Interesse, worauf fleißig verwiesen wurde, war ein wohlfeiles Argument. Und die Kommunisten gaben – noch – das schmückende Beiwerk dazu ab, denn noch wurden sie von der GMD benötigt, weil sie zunehmenden Masseneinfluss hatten, den sie zu Gunsten der nationalen „Befreiung“ nutzten.

Die Propagierung und Organisierung gewerkschaftlicher Zusammenschlüsse, die 1924 im Zentrum der kommunistischen Arbeit standen, erlangte im Folgejahr tatsächlich Masseneinfluss. Der Zweite Gesamt-Nationale Arbeiterkongress in Kanton, der von kommunistischen Aktiven organisiert wurde, mündete in die Gründung der Gesamt-Nationalen Arbeitergewerkschaft Chinas11, nach den tatsächlichen Verhältnissen ein kommunistisch dominierter Dachverband, der mehrere hunderttausend Arbeiter vertrat. Und das bei weniger als 1000 Parteimitgliedern. Die Zahl der Streiks in einem Land ohne Streikrecht – einschließlich der blutigen Konsequenzen, die die Beteiligten zu spüren bekamen – nahm zu.

Die politische Schulung der Arbeiter trug Früchte, aber auch die starke Inflation sorgte für eine höhere und stärker politisch ausgerichtete Streikbereitschaft.12

Um das Bündel der Problemlagen im damaligen China zu umreißen, sollen exemplarisch die Ereignisse aufgezeigt werden, die zur „Bewegung vom 30. Mai 1925“ führten.13 Über 40 Spinnereien mit einem Drittel aller in der Textilindustrie beschäftigten chinesischen ArbeiterInnen, konzentriert auf drei Städte, waren in japanischem Besitz. Knapp 100 000 Arbeitskräfte wurden unter skandalösen Bedingungen beschäftigt, bis zu 40% von ihnen aus über 20 Spinnereien legten gemeinsam die Arbeit nieder. Es folgten Druckerstreiks in Beijing und erneute Weberstreiks in Qingdao. Trotz Militäreinsatzes wurde der Textilstreik weitergeführt.

Als Reaktion der Besitzer sollten die großen Textilfabriken in Shanghai, dem Zentrum dieses Industriezweiges in China, geschlossen werden. Bei der Besetzung der Fabrik wurde ein kommunistischer Aktivist von einem japanischen Aufseher erschossen, weitere Gewerkschafter wurden verletzt. Demonstrations- und Protestzüge gegen die Willkürhandlungen im Unternehmerauftrag führten zu erweiterten Streikaktionen in Qingdao. Die Streiks von etwa 30 000 Beschäftigten wurden von 3 000 Soldaten gewaltsam beendet. Der Zorn vieler Beteiligter richtete sich mehr und mehr gegen alle Ausländer, gegen die Einschränkungen der Chinesen in den ausländischen Konzessionsgebieten Shanghais und die geltenden Ungleichen Verträge, die den imperialistischen Mächte diese Vorrechte einräumten. Entgegen den Absichten der kommunistischen Gewerkschafter, die Kämpfe als Arbeitskämpfe weiterzuführen und zu vertiefen, war eine politische Frage daraus geworden. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ein Demonstrationszug von einigen tausend Studenten und Arbeitern in das Konzessionsgebiet wurde an der internationalen Polizeistation gestoppt, der britische Stationsleiter ließ scharf schießen. Mindestens ein Dutzend Demonstranten wurde getötet, bis zu 200 Personen verwundet.

Der sich anschließende Generalstreik, bevorzugt gegen die ausländischen Kapitalisten, führte erneut zu Todesopfern, für die chinesische Polizei verantwortlich war. Die „unübersichtliche Situation“ in Shanghai war Vorwand für die Landung ausländischer Marineinfanterie. Übergriffe und Morde waren an der Tagesordnung. Auf Demonstrationen und Gewaltmaßnahmen gegen ausländischen Besitz und konsularische Einrichtungen Japans und Großbritanniens antwortete die chinesische Staatsmacht mit weiteren Gewaltexzessen, die Dutzende von Toten forderten.

Schließlich griffen die Aufstände auf Hongkong über, wo der Notstand ausgerufen wurde. Nach 16 Monaten (!) wurden die Streiks Ende 1926 von der GMD mit Zwang beendet. Statt energisch gegen die Verhängung des Kriegsrechts und des Verbots der Streiks zu protestieren, gaben die Genossen der KP gegenüber Chiang Kai-shek klein bei. Die Mitgliedschaft der Kommunisten in der GMD zeitigte ihre verhängnissvolle Wirkung. Zwischen der eigenen Zielstellung und dem Bekenntnis zur gemeinsamen Organisation mit ihrem unbestrittenen Führer entschieden sie sich für die falsche Seite. So überließen die Kommunisten die Vorbereitung und Durchführung des Aufstandes gegen den Warlord Shanghais 1926 einem Gefolgsmann Chiang Kai-sheks und scheiterten unter fremder Führung erbärmlich.14

Vielleicht hatten diese taktisch falschen Zugeständnisse auch damit zu tun, dass die Gongchandang mit den Flächenstreiks und Kämpfen des Jahres 1926 die Mitgliedszahlen verzehnfachen konnte, allein 9 000 Mitglieder umfasste die kommunistische Jugendgruppe.

Die Erfolge der kommunistischen Abteilung in der GMD lösten, nach dem Tode Sun Yatsens, Kämpfe um die künftige Ausrichtung der Nationalen Volkspartei aus.

Chiang Kai-shek, der im Militärrat der Partei das Sagen hatte, profitierte vom gelungenen Attentat auf Liao Zhongkai, der für die Zusammenarbeit mit der UdSSR stand, und entsandte Hu Hanmin, seinen Rivalen in der Parteiarmee, zur „politischen Erziehung“ nach Moskau, andere Gegner wurden in den Norden geschickt. Allein ein politischer Rivale, Wang Chingwei, verblieb noch. Auch die Sowjetunion schien sich schon für Chiang Kai-shek entschieden zu haben. Doch auch die offen rechten Kräfte in der GMD sammelten sich und mobilisierten gegen einen behaupteten „Linksschwenk“ der Partei. Nicht nur die Nähe zur Sowjetunion und ihrer Weltanschauung sollte beendet werden, die „Parasiten“ der KP, die in die GMD aufgenommen worden war, gerieten in das Fadenkreuz der Rechten.15

Die „Westberge-Fraktion“ wurde Sammelbecken und Parallelorganisation der Parteirechten, die mit ihren Beschlüssen die Führung unter Wang unter Druck setzte.

Die Parteiführung unterlag, Wang wurde aus der Partei ausgeschlossen, im ersten Schritt wurden alle Kommunisten aus dem Exekutivkomitee der Partei (darunter auch Mao Zedong) entfernt, dann der Beratervertrag mit der UdSSR und der Politische Rat der Partei aufgelöst. Allein Chiang Kai-shek, der sich nach außen pro sowjetisch und revolutionär gab, wurde von den Rechten nicht angegriffen. Ein scheinbarer Linksruck während des Nationalen Kongresses der GMD 1926 mit der Rehabilitierung Wangs war nur mehr ein Zwischenspiel. Einen fingierten Zwischenfall nutzte Chiang Kai-shek zum Staatsstreich, er ließ etwa 50 Kommunisten, die in der Militärakademie arbeiteten (darunter Zhou Enlai) verhaften und stellte die sowjetischen Berater unter Hausarrest. Die Sowjetunion gab nach, um die GMD nicht gänzlich zu verlieren, zog ihre Berater ab. Chiang beschwor im Gegenzug die russisch-chinesische Allianz und wurde zum unbestrittenen starken Mann des Landes. Die „linke“ Fraktion in der GMD stürzte wie ein Kartenhaus zusammen und übrig blieben die isolierten kommunistischen Kräfte in dieser Partei mit einer Viertel Million Mitgliedern.

Der Versuch Chiang Kai-sheks, in einem Nordfeldzug die territoriale Einheit Chinas wieder herzustellen, gelang 1926 nur teilweise. In diesem gigantischen Militärunternehmen, das mindestens eine Million Soldaten auf allen Seiten aufbot, waren die Fronten sehr schnell nicht mehr eindeutig gezogen. Die Heere mehrerer Warlords umfassten zum Teil größere Truppenkontingente als die Armee der GMD.

Auch die imperialistischen Mächte mischten kräftig mit. So brauchte es zeitweise Bundesgenossen, dazu kamen die riesigen Entfernungen und es gab keine Garantie, dass „befriedete“ Gebiete auch unter Kontrolle blieben, wenn die Sieger weiterzogen. Denn eine gewaltige Bedrückung der Bevölkerung waren beide Seiten. Schließlich spalteten die Miss- und Teilerfolge die GMD selbst.

Kanton und Nanchang, das militärische Hauptquartier Chiang Kai-sheks, waren unter seiner Kontrolle, Wuhan wurde nationalistisch eingenommen, aber von Chiangs Gegnern in der Partei regiert.

Wuhan war damit der Rückzugsort der Kommunisten geworden, sie starteten Kampagnen gegen Chiang und waren damit endgültig zum Feind geworden.

Auf dem Lande, wo Bauern und Pächter ihren Lohn für die Unterstützung einforderten, die den Nationalisten gewährt worden war (und den sie nicht bekamen), erhielt die Lage revolutionäre Züge: man nahm sich mit Gewalt Land von den Besitzern, verweigerte Pachtleistungen und vertrieb Landbesitzer und Kaufleute in die Städte. „Gerade zu jener Zeit war Mao Zedong mit einer Studie über die bäuerliche Revolution in der Nähe von Changsha beschäftigt. Er hieß die Gewalt (...) gegen die Landbesitzer und alle feudalen Kräfte auf dem Land gut und begrüßte die Machtübernahme durch die Bauern (...)“16 Damit war er allerdings in der KP Außenseiter, die Spitze der Partei setzte auf Mäßigung, um sich selbst aus der Schusslinie der Nationalisten zu nehmen. Es war längst zu spät.

Der Marsch nationalistischer Truppen gegen Shanghai, der offiziell der Befreiung der Stadt von lokalen Herrschern dienen sollte, wurde in der Stadt noch von Streiks und Aufständen gering bewaffneter Arbeiter gegen die Warlord-Milizen unterstützt. Hunderten von Streikenden wurden die Köpfe abgeschlagen und anschließend zur Schau gestellt.

Später wurden die Schlächter der Arbeiterbewegung in Shanghai von Chiang Kai-shek belohnt. Auch die ausländischen Mächte, die erneut Gewehr bei Fuß standen, waren darüber höchst erfreut.

Säuberungen und Hinrichtungen prägten das Bild Shanghais der folgenden Wochen, ungezählte Tote zeugen von den Massakern an Kommunisten und ihren Sympathisanten. Nach Schätzungen fielen in den Wochen vor und den Monaten nach dem Einmarsch Chiang Kai-sheks etwa 25 000 Kommunisten dem Terror der Nationalisten, der Imperialisten, der Warlords und kriminellen Banden zum Opfer.

Ein Viertel der bekennenden Mitglieder war ausgelöscht worden. Und noch schlimmer: die meisten Gewerkschafter, Organisatoren, politischen Bildungsarbeiter in den Städten waren tot oder mussten fliehen.

Dem Sozialismus in China war die Basis in den Städten weggebrochen, eine neue Strategie nimmt dessen Stelle ein: der chinesische Sozialismus. Und mit ihm setzt sich eine neue Führerfigur durch.

 

 

1 Die folgenden Sachangaben sind der Studie von Dieter Kuhn: Die Republik China von 1912 bis 1937 (Heidelberg 2007, 3. überarbeitete Auflage), hier besonders ab Kapitel 8.2. (S. 260 ff.), entnommen. Andere Quellen werden bei Bedarf herangezogen und zitiert. Auswertung und politische Bewertung der Fakten liegen in der Verantwortung des Verfassers.

2 Auszüge des Programms fasst Kuhn, S. 267 mit Quellenverweis auf eine chinesische Quelle (Guo Hualun, 1969) zusammen.

3 Maring, Tarnname des niederländischen Gewerkschafters und Kommunisten Henk Sneevliet, organisierte sehr früh in den Niederlanden Streiks, vor allem im Schifffahrtsbereich, ging vor dem 1.Weltkrieg nach Indonesien, kämpfte und organisierte Aufstandsaktionen gegen die Kolonialmacht und wurde nach der russischen Revolution durch die niederländischen Behörden des Landes verwiesen. 1920 wurde er, der als Delegierter der indonesischen KP in Moskau war, von Lenin zum Gesandten der Komintern in China ernannt. Dort gründete er die KP mit und war noch einige Jahre Verbindungsglied zur Komintern. Nach seinem Bruch mit ihr und der Annäherung an Trotzki ging er, der beständig Arbeitskämpfe organisierte und leitete, in die Niederlande zurück. Dort wurde er, Organisator eines Streiks gegen die faschistischen Besatzer, im April 1942 von den Deutschen hingerichtet.

4 Kuhn, S. 273f

5 Manabendra Nath Roy (hier: Revolution und Konterrevolution in China, Berlin 1930) war bei der Gründung und Organisation mehrerer kommunistischer Parteien (Indien, Mexiko, Mittlerer Osten, China) federführend. 1927 leitete er die chinesische Delegation bei der Komintern. Nach seiner Kritik an Stalins Generallinie zur Komintern wurde er ausgeschlossen und wandte sich der Internationalen Kommunistischen Opposition zu. Nach langen Haftjahren in Indien wegen seiner antikolonialen Haltung entfremdete er sich der kommunistischen Bewegung.

6 Reorganisation meint hier im Wesentlichen die Aufnahme kommunistischer Kader in die Organisation

7 Nath Roy, S. 325

8 Nath Roy, S. 410f.; bemerkenswert ist der Tonfall des Urteils, gerade wenn man bedenkt, dass dieser erfahrene und mutige Revolutionär eben erst seine eigenen Erfahrungen mit dem eliminatorischen stalinistischen Wahrheitsanspruch gemacht hatte

9 Kuhn, S. 281f.

10 Anfang 1924 hatte die Gongchandang maximal 1000 Mitglieder, aber steigenden Einfluss in den Gewerkschaften, Jugendverbänden und Bildungsvereinen (Kuhn, S. 291). Die Guomindang selbst umfasste etwa 20 000 Mitglieder, sie wuchs in diesen Jahren ebenfalls schnell an.

11 Kuhn, S. 322

12 ebd., S. 323

13 ebd., S.324ff.

14 Peter Schier: Die chinesische Arbeiterbewegung. (in: Lorenz (Hg.): Umwälzungeiner Gesellschaft, Frankfurt / Main 1977), S. 324

15 Kuhn, S. 332